Helsing, Falk van – Fall Larry Popper, Der

Wehe, wenn einem (deutschen) Juristen versehentlich ein vermeintliches Kinderbuch statt dem BGB in die Hände fällt und er es peinlich genau durchleuchtet. So geschehen 2004 im |Eichborn|-Verlag, wo ein amtierender Richter sich nicht vor allen Kollegen als Potter-Fan outen möchte und daher unter dem Pseudonym „Falk van Helsing“ J.K. Rowlings Dauerbrenner unter die streng-ironische Lupe nimmt. Nein, ganz so verhält es sich mit dem Pseudo nicht, denn unter diesem hat er schon eine ganze Reihe humoristischer Rechtsbücher veröffentlicht, nicht nur dieses eine.

Heraus kam hierbei diesmal „Der Fall Larry Popper – Juristisches Gutachten über die Umtriebe zaubernder Jugendlicher“. Dabei geht es nicht um eine strafrechtliche Aufarbeitung sämtlicher bisher erschienenen Bände – das wäre sicher zu umfangreich – sondern lediglich Teil 1 „… und der Stein der Weisen“. Pardon. „Larry Popper und der Stein der Meisen“ muss es korrekt heißen.

Da die zugkräftigen Eigennamen mittlerweile alle eingetragen sind und deren Nutzung sicher nicht billig ist, wurde mal eben ein wenig herumgebogen, sodass kein Lizenzinhaber ob etwaiger Copyrightverletzung gepeinigt aufheulen muss, jedoch nur so weit, dass sie erkennbar bleiben. Verdammt praktisch, wenn Juristen sich an an solches Projekt wagen, die sind mit allen Wassern gewaschen. So erkennt der Leser des Buches beispielsweise in Larry, Roy, Herlinde Grips, Hägar, Onkel Verner Dumm, Tante Begonie Dumm und natürlich auch Lord Vieltod die Originalfiguren mühelos wieder.

Das nächste Problem ist der Gerichtsstand. In England/Schottland, wo die „Straftaten“ eigentlich begangen wurden, gilt (Überraschung!) irgendwie kein deutsches Recht. Weswegen das Ganze – etwa die „Warzenschwein-Zauberschule“ – kurzerhand in die „[…] Nähe von Frankfurt“ verlegt wird. Warum, das erklärt der Herr Vorsitzende im Vorwort und belegt seine amüsant-gewagte Hessen-These sogar mit äußerst realen Quellenangaben. Dass ein Teil der „Angeklagten“ noch gar nicht strafmündig ist, wischt er ebenso elegant mit dem Argument beiseite, dass das Strafmündigkeitsalter in Zukunft sowieso von 14 auf 10 herabgesetzt werden soll/wird.

_Inhalt_

Wer meint, Harry Potters Zauberwelt sei niedlich, harmlos und die Handelnden würden für Jugendliche zum Vorbild gereichen, bessere Menschen zu werden, irrt. Gewaltig. Der (meist minderjährige) Leser findet in der Potterschen Lektüre einen wahren Sündenpfuhl vor, mit (Straf-)Taten, deren Nachahmung nicht wirklich geeignet ist ,- es sei denn man möchte bereits im Kindesalter eine steile Knastkarriere starten. Da es Hexerei im deutschen Rechtswesen nicht (mehr) gibt, müssen andere Erklärungen gefunden werden, daher nimmt es sich schon höchst amüsant, wenn Euer Ehren versucht, zum Teil paranormale Vorgänge in ein physikalisch-technisches Beamtendeutsch zu transferieren, um seine Anklageschriften zu erstellen.

So wird etwa aus dem berüchtigten gegen Harrys Eltern eingesetzten „Avada Kedavra“-Todesfluch furztrocken: „Freisetzung von Druckenergien mit ungewöhnlicher Beschleunigung nach außen“, mit Todesfolge versteht sich (strafbar übrigens gemäß §212 StGB). Da der umtriebige Lord dieses zielgerichtet einsetzen kann, wird er nicht wegen „Mord mit gemeingefährlich Mitteln“ verknackt, wohl aber wegen „Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion“ (§308 StGB – paranormale Energien gelten im weitesten Sinne auch als „Explosionsstoff“), „Mord aus niederen Beweggründen“ (§211 StGB) sowieso. Gegenüber Harry macht er sich der gefährlichen, schweren Körperverletzung (die zurückbleibende Narbe – §223 Abs.1, §224 StGB) und versuchtem Mord schuldig. Dass er das Haus in Schutt und Asche legte, bleibt straffrei, weil nach fünf Jahren verjährt.

Doch nicht nur die Großen erwischt es, auch die magischen Dreikäsehochs leisten sich einen Lapsus nach dem anderen. Zwar sind dies meist keine wirklichen Kapitalverbrechen und sollten mit ein paar Sozialstunden wieder ins Lot zu bringen sein, doch das Reiten auf dem Besen (zumal ohne gültige Piloten-Lizenz und nicht von der Prüfstelle abgenommenem Fluggerät) ist ein gefährlicher Eingriff in den Luftverkehr, was nach § 60 Abs. 1 LuftVG nicht ohne ist. Hagrids Einbruch bei den Dursleys in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, zweifacher Sachbeschädigung und Körperverletzung bringt ihn locker drei Jahre hinter Gitter. Ungeklärt bleibt allerdings, ob Dursley die Knarre überhaupt besitzen durfte, die Hagrid ein wenig verformt. Schlampig ermittelt, Euer Ehren!

Snape kriegt wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetzes einen auf die unförmige Runkel – Zaubertränke sind Designerdrogen: hundert Tagessätze Geldstrafe. Harry kommt auch nicht ungeschoren davon, kann aber – summa summarum – für all seine im Roman begangenen Missetaten mit vergleichsweise milden vier Wochen Jugendarrest rechnen. Malfoy, der ebenfalls mit dem Besen durch die Lüfte karriolt, fängt sich dafür zwanzig Sozialstunden ein. Sogar der unbefugt eingedrungene Troll würde wegen Hausfriedensbruchs und versuchtem Totschlags zur Räson gebracht und vor den Kadi gezerrt – notfalls an den Haaren, wenn er denn welche hätte.

_Fazit_

Simple Ordnungswidrigkeiten bleiben in dem 120 Seiten starken Buch gottlob unberücksichtigt, sonst hätte es ohne Zweifel Telefonbuchformat erreicht. Das 7,95 € teure Taschenbuch braucht man nicht in einem Rutsch durchackern, es ist in kleinere Themenkomplexe gegliedert. Leider greift sich der Originalitätsfaktor bereits nach ein paar der Fälle merklich ab, zu sehr gleicht sich das Procedere der Aufarbeitung, und auch die überaus witzigen juristischen Beschreibungen übernatürlicher Begebenheiten zünden irgendwann nicht mehr so wie anfangs. Geeignet ist es zudem nur für kundige Leserschaft, denn ohne Kenntnis des Romans bleibt man außen vor. Somit ist der Fall Larry Popper ein typischer Vertreter der Read-once-and-forget-Fraktion, welches auch der Fan nach einmaligem Lesen vermutlich im Regal verstauben lässt.

http://www.eichborn.de/

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