Herbert, Mary H. – dunkle Zauberin, Die (Gabria / Dark Horse 4)

Anwin hat durch eine Krankheit ihr Augenlicht verloren, und nicht einmal ihre Mutter Kelene, die eine Magierin und mächtige Heilerin ist, konnte etwas dagegen tun. Anwins Tatkraft konnte dieser Verlust allerdings nicht bremsen. Als Kelene von ihrer Mutter Gabria die Botschaft erhält, dass ihr Bruder erkrankt sei, setzt Anwin durch, dass sie ihre Eltern zum Khulinin-Treld begleiten darf.

Allerdings hat sie ihrer Mutter nicht gesagt, dass eine geheimnisvolle Stimme sie dazu aufgefordert hat, die ganz sicher von keinem Menschen und auch von keinem Hunuli, einem der besonderen Pferde der Magier, stammte. Nur ihrem Vetter Jamarh vertraut sie sich an, der prompt darauf besteht, ihr zu helfen.

So kommt es, dass die Kinder sich bei Nacht und Nebel davonschleichen, um mit einer Höhlenbärin eine schwierige Aufgabe zu erfüllen, während ihre Eltern sich mit den Eidbrechern herumschlagen, jenen zu Assassinen ausgebildeten Anhängern der dunklen Göttin Krath, die sich seit Jahrhunderten in ihrer Festung verschanzt haben.

Deren neue hohe Priesterin Uthara will Valorians Kinder auslöschen und einen neuen Magierzirkel errichten, der nicht mehr der Göttin Amara, sondern Krath dienen soll. Entgegen der Traditionen der Eidbrecher hat sie sich mit Magie befasst und nebenbei ein heimtückisches Gift entwickelt. Eines, mit dem unter anderem Kelenes Bruder vergiftet wurde …

|Charakterzeichnung|

Anwin ist ein besonderes Kind. Der Verlust ihres Augenlichtes hat sie gezwungen, ihre übrigen Sinne mehr als üblich zu schulen. Sie hat ein ausgezeichetes Gehör und einen guten Geruchsinn, und obwohl sie bisher nicht in Dingen der Magie unterrichtet wurde, kennt sie sich gut mit Kräutern und Pflanzen aus. Außerdem ist sie sehr musikalisch. Seine Blindheit hat das Mädchen einen beachtlichen Teil seiner Selbstständigkeit gekostet, was unter anderem daran liegt, dass seine Mutter es – zumindest ihrer Ansicht nach – zu sehr behütet. Der daraus resultierende Trotz, aber auch ihr Streik als Reaktion auf das Verhalten der Höhlenbärin sind durchaus treffend für einen kindlichen Charakter. Ihr Durchhaltevermögen erschien mir allerdings für eine Achtjärige, die in der Stadt aufgewachsen ist, ein wenig arg hoch. Das gilt in etwas verminderter Form auch für ihren Jamarh, der zwar etwas abgehärteter sein dürfte, von dem ich aber dennoch zumindest so etwas wie eine Erkältung erwartet hätte.

Über Uthara dagegen gibt es nicht viel zu sagen, da sie einem gängigen Typus der Fantasy entspricht: eine Magierin, die ihren eigenen Ehrgeiz für den ihrer Göttin hält und deshalb in deren Namen absoluten Gehorsam fordert, und die skrupellos genug ist, dem Ehrgeiz uneingeschränkt alles zu opfern. Mit wachsendem Erfolg wird sie immer selbstherrlicher, bis sie schließlich im Größenwahn endet. Eine eigene Persönlichkeit aber besitzt sie nicht. Kein Wort wird über ihre Vergangenheit verloren, kein Wort darüber, was sie zu der Überzeugung brachte, Krath spreche zu ihr, oder darüber, woher ihr krankhafter Ehrgeiz gekommen sein könnte.

Elliana und Telerund, die einzigen anderen neuen Charaktere, sind noch weniger deutlich gezeichnet. Da sie eher Nebenrollen spielen, erfährt man von ihnen nur, was für das Verständnis der Geschichte als solcher erforderlich ist. Ihre Gefühle und Gedanken werden zwar festgestellt, es fehlt ihnen aber an Intensität.

Mit anderen Worten, die Charakterzeichnung ließ zu wünschen übrig. Zumal die Autorin bereits bewiesen hat, dass sie so etwas besser kann.

|Handlung|

Auch die Handlung fiel um einiges simpler aus als in den Vorgängerbänden. Der Plot entwickelt sich erstaunlich schnell. Der Aufbruch der Krieger zur Zitadelle der Eidbrecher erfolgt fast zeitgleich mit dem der Kinder. Beide Gruppen werden verfolgt und des Öfteren angegriffen, die Lage verschlechtert sich zusehends. Echte Spannung kommt aber erst auf, als Uthara den Zweck von Anwins Reise herausfindet. Da sind schon fast zu drei Viertel des Buches gelesen.

|Gesamteindruck|

Kein Wunder also, dass „Die dunkle Zauberin“ ein gutes Stück schlanker ist als die ersten beiden Bände. Offenbar hatte die Autorin nicht mehr genug Elan, um in Anwin ebenso viel Sorgfalt und Komplexität zu investieren wie in Gabria und Kelene. Selbst „Valorians Kinder“, das als Prequel und aufgrund seiner besonderen Form (Gabria erzählt diese Geschichte als Legende) ein wenig aus der Reihe fällt, hatte trotz geringerer Seitenzahl wahrscheinlich mehr Inhalt, denn „Die dunkle Zauberin“ ist größer gedruckt.

Ich fand das sehr schade. Nicht, dass das Buch langweilig oder schlecht wäre. Es wirkte nur auf mich, als hätte die Autorin versucht, die Sache so schnell wie möglich abzuhandeln. Hätte sie sich etwas mehr Zeit genommen, wäre das Buch womöglich etwas dicker ausgefallen, vielleicht mit etwas tiefer gehender Charakterzeichnung, vor allem im Hinblick auf Uthara, oder mit ein paar mehr Verwicklungen und Hindernissen, die den Handlungsverlauf etwas weniger geradlinig gestaltet hätten. Platz hätte sie auf jeden Fall noch genug dafür gehabt.

Womöglich kommt auch nochmal was nach. Der Schluss des Buches ließe das zu. Dann hätte der Verlag allerdings besser daran getan, diesen Band auch noch abzuwarten. [„Die letzte Zauberin“ 61 und „Die Tochter der Zauberin“ waren ja auch sozusagen Doppelbände, in denen jeweils zwei der englischen Originale zusammengefasst waren.

So, wie er jetzt ist, würde ich den Band eher in der Jugendbuchkategorie ansiedeln. Das wäre für sich genommen kein Nachteil, in diesem speziellen Fall passt es aber nicht zu dem, was die Leserschaft von der Autorin bisher gewohnt war. Im Vergleich zu den Vorgängern war dieser vierte Band eher eine Enttäuschung. Keine große, aber eine kleine.

„Die dunkle Zauberin“ ist ein echter Nachzügler. Die deutsche Erstausgabe von „Valorians Kinder“ erschien bereits vor fast drei Jahren. Außer dem Zyklus um Gabria und ihre Familie hat Mary H. Herbert Romane der |Drachenlanze| geschrieben sowie an diversen Anthologien mitgearbeitet. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Georgia.

|Originaltitel: Dark Goddess
Aus dem Amerikanischen von Michael Siefener
Paperback, 416 Seiten|
http://www.heyne.de

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