Hesse, Andree – andere Blut, Das

Der deutsche Autor Andree Hesse hält mit seinem zweiten Kriminalroman „Das andere Blut“ die Fahne deutscher Kriminalautoren hoch und braucht sich auch mit dem zweiten Teil seiner Arno-Hennings-Reihe nicht vor der internationalen Konkurrenz zu verstecken. Noch eins vorweg: Auch wenn sich das ganze Buch um Pferde dreht und nebenbei ein Pferderipper gesucht wird, lässt sich „Das andere Blut“ auch dann hervorragend lesen, wenn man keine Pferde mag und früher nicht die „Wendy“ abonniert hatte. Ich mag keine Pferde und fand das vorliegende Buch trotzdem spannend, gut konstruiert, unterhaltsam und sehr gelungen!

_Hoppe, hoppe Reiter_

In der kleinen niedersächsischen Stadt Celle geht ein Pferderipper um, der Pferde absichtlich quält. Auch die Stute Gypsy der jungen Schülerin Kira von Helsen ist Opfer des Pferderippers geworden, der ihr einen Ast in die Vagina gebohrt und sie dadurch innerlich aufgerissen hat. Kira ist erschüttert und will den Pferderipper auf eigene Faust stellen. Doch überlebt sie die einsame Nacht auf der Pferdekoppel nicht.

Arno Hennings und seine polnische Freundin Aglaja, die sich nach ihrem schrecklichen Fahrradunfall in Celle von ihren Verletzungen erholt, verbringen den Abend bei Arnos Kollegen Karsten Müller, der die Einweihungsparty in seinem neuen (unfertigen) Haus feiern möchte. Doch Arno ist gar nicht nach feiern zumute, denn nachdem Aglaja ihm eröffnet hat, dass sie vielleicht ein Kind von ihm erwartet, ärgert Arno sich immer noch über seine verhaltene Reaktion und wundert sich gleichzeitig darüber, dass er sich darüber freuen würde, wenn Aglaja tatsächlich schwanger wäre. Auf der Party erhält Arno einen Anruf von einem ehemaligen ungeliebten Klassenkameraden, der nun auch bei der Celler Polizei arbeitet. Auf einer Pferdekoppel wurde eine merkwürdige Opferstätte entdeckt, die Arno sich nun ansehen soll. Dort angekommen, stöbert seine Hündin Basta allerdings etwas viel Schrecklicheres auf, nämlich die Leiche Kira von Helsens, die kopfüber in einem wassergefüllten Graben liegt.

Kurz nach dem Leichenfund verdichten sich die Verdachtsmomente gegen Kiras Klassenkameraden Simon Funke, der vor der Polizei flüchtet und spurlos verschwindet, aber auch Simons Bruder Manuel, der beim Celler Landgestüt arbeitet, scheint etwas zu verbergen zu haben. Als kurz darauf ein totes Pony auftaucht und jemand Selbstmord begeht und mit einem dubiosen Abschiedsbrief gefunden wird, suchen Hennings und seine Kollegen Verbindungen zwischen den Verbrechen und entdecken dabei immer mehr Hinweise, die zum Celler Landgestüt führen und weit in die Vergangenheit reichen …

_Im (Schweins-)Galopp durchs Buch_

Mit „Das andere Blut“ ist Andree Hesse ein packender und gut durchkonstruierter Kriminalroman gelungen, der den Leser von der ersten Seite an fesselt. Seinem Buch vorangestellt ist ein Prolog, der über einen mutmaßlichen Unfall (oder war es doch ein Verbrechen?) von der berühmten Hengstparade berichtet, bei dem der beliebte Ringo ums Leben kommt. Dort lernen wir auch Jürgen Schmohl kennen, dem offensichtlich ebenfalls einiges Ungemach droht und der das vorliegende Buch nicht überleben wird.

18 Jahre später trifft die 18-jährige Kira von Helsen auf einer Pferdekoppel ihren Mörder, der sie bewusstlos schlägt und kopfüber im Wasser liegen lässt, bis Kira schließlich ertrinkt. Schnell entdeckt Arno Hennings eine Spur, die zu einem von Kiras Freunden führt, der Hals über Kopf vor der Polizei flüchtet, als diese ihn stellen will. Simon wird dadurch zu einem dringenden Tatverdächtigen, sodass andere Spuren zunächst in den Hintergrund treten.

Doch Andree Hesse hält noch einige weitere Überraschungen für uns parat, denn der Fall ist nicht so eindimensional und simpel, wie wir anfangs vermuten könnten. Alle auftauchenden Personen spielen eine entscheidende Rolle in diesem Spiel, und schlussendlich wird uns offenbart, dass bereits zig Jahre vor Kiras Ermordung die Weichen gestellt wurden, für alles, was noch folgen würde. Hesse schafft es dabei, uns ganz allmählich mit den Figuren bekannt zu machen, die in das Verbrechen verwickelt sind. Nach und nach spielt er uns Hinweise zu, die uns zum Miträtseln animieren und dafür sorgen, dass wir immer neue Vermutungen anstellen und selbst einen Täter erraten können.

Die Verstrickungen, die uns Andree Hesse zu präsentieren hat, sind nicht ganz leicht zu durchschauen, sodass man schon genau lesen und mitdenken muss, um am Ende mit einem Aha-Erlebnis belohnt zu werden, bei dem schließlich alles seinen Sinn ergibt. Andree Hesse gelingt es dabei ganz wunderbar, seine Leser bei Stange zu halten und immer nur so viel zu offenbaren, dass die Spannung stetig zunimmt und man unweigerlich so schnell wie möglich weiter lesen will. Dadurch wird „Das andere Blut“ zu einem unterhaltsamen und packenden Lesevergnügen, das auch bei seiner Auflösung am Ende zu überzeugen weiß – denn nichts ist so, wie es scheint …

_Tierisch gute Charaktere_

Auch in seiner Charakterzeichnung beweist Andree Hesse viel Fingerspitzengefühl. Wir lernen Arno Hennings noch besser kennen und erleben mit, wie seine Freundin Aglaja von ihrer Vermutung erzählt, dass sie schwanger sein könnte. Wir leiden mit, wenn er Aglaja durch sein Verhalten wieder einmal vor den Kopf stößt und auch dann, wenn Arno mit einem ungeliebten ehemaligen Schulkameraden konfrontiert wird, der seine Fehler auf andere abwälzen und damit Arno Hennings schaden will. Arno Hennings weist dabei einige Charakterzüge auf, die wir auch von Mankells Wallander kennen, dennoch grenzt Hesse seinen Krimihelden gut genug von seinem schwedischen Vorbild ab, sodass die Parallelen nicht zu offensichtlich werden. Auch Hennings ist nicht perfekt, er leidet unter Beziehungsproblemen und ab und an auch unter seiner Familie. Aber gerade diese kleinen Fehler sind es, die Hennings menschlich und sympathisch wirken lassen.

Ein weiterer Sympathieträger ist Hennings‘ Kollege Müller, der Arno Hennings meist bei seinen Ermittlungen begleitet und sich dabei als kompetent, nett und hilfsbereit erweist. Bei Müller ist jedoch nicht alles eitel Sonnenschein; kurz nach der Einweihungsparty steht der Gerichtsvollzieher vor der Tür, woraufhin Müllers Frau und Kinder ausziehen und Müller auf seinem Schuldenberg alleine sitzen lassen.

Eventuell könnte man Hesse vorwerfen, dass er uns zu viele Figuren vorstellt, die alle irgendwie miteinander zusammenhängen. Das mag an mancher Stelle etwas unglaubwürdig wirken, aber es gehört zu Hesses Konstruktion dazu und sorgt schlussendlich auch für einige Überraschungen.

_Aufs richtige Pferd gesetzt_

Obwohl ich kein sonderlich gutes Verhältnis zu Pferden habe, hat mir „Das andere Blut“ ausgesprochen gut gefallen. Die Informationen über Pferde, Reiten und die berühmte Hengstparade hielten sich glücklicherweise in Grenzen, sodass auch ich gut unterhalten wurde. Was es mit dem Buchtitel auf sich hat, erklärt uns Andree Hesse erst so spät im Buch, dass ich darüber nichts verraten möchte.

Pluspunkte sammelt Hesse in seiner sympathischen Charakterzeichnung und vor allem durch seinen gelungenen Spannungsaufbau, der von Beginn an einsetzt und keine Langeweile aufkommen lässt. Hesses zweiter Kriminalroman ist klug inszeniert und wartet am Ende mit ein paar Überraschungen auf, mit denen man wahrscheinlich nicht gerechnet hatte. Insgesamt gefiel mir Andree Hesses zweiter Kriminalroman sogar noch besser als der vielversprechende Erstling, sodass ich mich schon sehr auf den nächsten Celle-Krimi freue!

|Ergänzend: [„Der Judaslohn“ 1213 |
http://www.rowohlt.de

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