Hiaasen, Carl – Unter die Haut

Er ist nicht der Mann, mit dem man sich unbedingt anlegen sollte: Mike Stranahan war ehemals Soldat in Vietnam (1) und wurde später Ermittler für die Staatsanwaltschaft von Dade County im US-Staat Florida. Nachdem er im Dienst und in Notwehr drei Menschen und zuletzt einen korrupten Richter erschossen hat, beschloss die Behörde, ihn lieber mit einer guten Pension nach Hause zu schicken. Gerade vierzig Jahre alt geworden, bewohnt Stranahan seitdem im „Stelzendorf“ an der Biscayne Bay und damit direkt am Wasser ein altes Haus auf hohen Pfählen und lebt nach seiner fünften Scheidung recht vergnügt in den Tag hinein, als die Vergangenheit ausgerechnet in der Gestalt von ‚Dr.‘ Rudy Graveline wieder auflebt. Der ebenso geldgierige wie unfähige Schönheitschirurg hat bereits eine blutige Spur durch einige Bundesstaaten gezogen. Im Norden ist ihm der Boden zu heiß geworden, aber in Florida ist er endlich auf jenes Umfeld aus Bestechlichkeit, Dummheit und Eitelkeit gestoßen, das es ihm ermöglichte, nicht nur sein unheilvolles medizinisches Werk fortzusetzen, sondern sogar eine eigene, äußerst gut gehende Privatklinik namens „Whispering Palms“ zu gründen, in der sich die Reichen und Berühmten von echten oder eingebildeten Schönheitsfehlern befreien lassen können.

Nur noch selten greift Graveline selbst zu Skalpell und Fettabsauger. Er ist vorsichtig geworden, seit er vor vier Jahren einen Routine-Eingriff verpfuscht hat und ihm die junge Vicky Barletta auf dem Operationstisch gestorben ist. Mit Hilfe einflussreicher Freunde hat Graveline dies vertuscht und die Leiche verschwinden lassen. Doch jetzt droht alles wieder ans Licht zu kommen: Der eingebildete TV-‚Reporter‘ Reynaldo Flemm ist auf den Barletta-Fall aufmerksam geworden und will ihn in seiner primitiven, aber bei der Proleten-Fraktion des Publikums sehr beliebten Krawallshow präsentieren. Noch schlimmer: Die Mordkommission könnte die Untersuchung wieder aufnehmen! Zwar zeigt die Staatsmacht wie üblich wenig Neigungen in dieser Richtung, doch Graveline weiß, dass einen der damaligen Ermittler der ungelöste Fall noch heute wie ein Stachel im Fleisch schmerzt. Sein Name: Mike Stranahan!

Graveline gerät in Panik und heuert einen Killer an. „Tony der Aal“, eine freundliche Leihgabe der örtlichen Mafia, geht allerdings seinen Job mit mehr Elan als Intelligenz an und wird von Stranahan unter Zuhilfenahme eines ausgestopften Schwertfisches ins Jenseits befördert. Der nächste Gegner ist von anderem Kaliber: Blondell Tatum, genannt „Chemo“, dessen Gefühlskälte eindrucksvoll durch seine Physiognomie widergespiegelt wird, die der des Frankenstein-Monsters gleicht.

Dass immer neue Mordanschläge auf ihn verübt werden, reißt Stranahan aus seiner Frührentner-Lethargie. Er nimmt als Privatmann die Ermittlungen auf, was ihn der Verpflichtung enthebt, dabei den Buchstaben des Gesetzes Folge zu leisten. Rasch entspinnt sich an der sonnigen Küste Südfloridas eine blutige Komödie der Irrungen und Wirrungen, in der auch Stranahans ‚Haustier‘ – ein mannsgroßer Barrakuda – kräftig mitmischt …

Die Welt ist schlecht: Selten ist dieser Stoßseufzer so überzeugend in Worte gegossen worden wie in „Unter die Haut“, einer weiteren Runde im Kampf Carl Hiaasens gegen die allgegenwärtige Dreifaltigkeit der modernen menschlichen Zivilisation – Dummheit, Gier und Ignoranz. In Florida scheinen sich diese wenig erfreulichen Wesenszüge besonders prächtig zu entwickeln. Vielleicht kann Hiaasen aber auch einfach seinen Heimvorteil ausspielen: Er kennt diesen Teil der Vereinigten Staaten wie seine Westentasche, und das schließt die von der Tropensonne kaum beschienenen Bereiche ausdrücklich mit ein.

Carl Hiaasen wurde 1953 in Florida geboren; er ging hier zu Schule, studierte hier (bis 1974) Journalistik und ging anschließend zum „Miami Herald“. Bei dieser Zeitung ist er noch heute und schreibt Kolumnen und Berichte, in denen er jene Sünden anprangert, mit denen wir auch in seinen Romanen immer wieder konfrontiert werden. Zu schaffen macht Hiaasen besonders der unentwirrbare Filz aus Politik, Wirtschaft und Verbrechen, der Florida in Sachen Korruption und Umweltzerstörung einen traurigen Spitzenplatz in den USA garantiert.

Da Hiaasen die Erfahrung machen musste, dass seine wütenden Attacken im täglichen Mediengewitter mehr oder weniger untergingen, begann er ab 1981 Romane zu schreiben, die in spannender Thrillerform und scheinbar fiktiv die genannten Missstände auch jenem Publikum nahe zu bringen verstehen, die gemeinhin nur den Sportteil einer Zeitung zur Kenntnis nehmen. Zunächst ‚übte‘ Hiaasen und schrieb die ersten drei Romane mit seinem Journalisten-Kollegen William D. Montalbano, bevor er sich mit „Tourist Season“ (dt. „Miami Terror“) 1986 quasi selbstständig machte. Schon früh begann er damit, die bittere Medizin, die er verabreichen wollte, zu versüßen, indem er dazu überging, immer groteskere Plots für seine ohnehin actionbetonten Geschichten zu entwerfen. Ironie und Sarkasmus, die jederzeit in blanken Zynismus umschlagen können, versuchen die Welt, wie Hiaasen sie in Florida vorzufinden glaubt, als Tollhaus zu demaskieren.

Die Rechnung ging auf: Weil Hiaasen sein Talent, wirklich krude Geschichten mit knochentrockenem und dadurch um so wirksamerem Witz zu entwerfen, rasch zur Perfektion entwickelte, fand er sein Publikum. Den Ritterschlag als echter Bestseller-Autor erhielt Hiaasen, als Mitte der 90er Jahre Hollywood auf ihn aufmerksam wurde. Zwar entwickelte sich „Striptease“ nicht zuletzt dank seiner Hauptdarstellerin, der unsäglichen Demi (no) Moore, zu einem üblen Kassengift, aber immerhin konnte Hiaasen (übrigens auch hierzulande) einen Popularitätsschub verzeichnen.

„Unter die Haut“ zeigt Carl Hiaasen jedenfalls auf der Höhe seines Könnens. Mit unnachahmlicher Eleganz, die in der deutschen Übersetzung erfreulich gut erhalten blieb, breitet der Autor ein Panorama ruchloser Menschen aus, die ausnahmslos mehr oder weniger Dreck am Stecken haben. Sie alle erhalten entweder ihre Strafe, die in der Regel ziemlich grauslich, aber immer unerwartet ausfällt, oder werden vom Schicksal auf eine Weise belohnt, die dieses in jedem Fall als recht hinterlistig outet … Nicht so recht ins wüste Bild will sich nur die Figur der Produzentin Christina Marks fügen, die Hiaasen ein wenig zu ’normal‘ angelegt hat, so dass sie manches Mal wie eine Spielverderberin dasteht.

Das ändert jedoch überhaupt nichts am Lesespaß, den man sich nicht entgehen lassen sollte: Carl Hiaasen ist in diesem unseren Lande weiterhin ein Geheimtipp, was primär bedeutet, dass seine Werke zwar veröffentlicht, aber selten neu aufgelegt werden. Während jeder schimmelige Schinken aus der Anne-Perry- oder Elizabeth-George-Kammer für Junkfood-Leser zig-fach aufgewärmt wird, müssen echte Feinschmecker leider darben. Sogar „Striptease“ ist heute vergriffen, und auf ein Wiedersehen mit „A Death in China“, „Tourist Season“ oder „Double Whammy“ (1987, dt. “Miami Morde”) darf wohl erst recht nicht gehofft werden!

Anmerkung:
(1) Unsere Geschichte spielt im Jahre 1989!

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