Peter Hoeg – Das stille Mädchen

Peter Høeg, der Autor von „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“, hat seit langem kein neues literarischen Werk veröffentlicht.

Nach knapp zehn Jahren Pause hat der dänische Schriftsteller mit „Das stille Mädchen“ einen umfangreichen Roman vorgelegt, in dem eine ganz besondere Gabe, eine Wahrnehmung im Mittelpunkt steht. Wie schon bei Patrick Süskinds [„Das Parfum“ 3452 geht es um die starke Ausprägung eines Sinnes, in diesem Falle des Gehörsinns.

Wie auch bei „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“, handelt es sich hier um einen belletristischen Thriller. Verschiedene Kritiker des Buches haben den Literaturliebhabern unter uns viel versprochen. Die Erwartungen sind entsprechend hoch angesetzt.

_Die Geschichte_

Der Clown Kaspar Krone ist wohl der berühmteste Komiker Europas. Seit einem Unfall aus Kindertagen verfügt dieser über einen phänomenalen Gehörsinn. Seinen persönlichen Unterhalt aber verdient sich Kaspar als Musiktherapeut, der sich gerade in der Zusammenarbeit mit Kindern einen recht guten Namen gemacht hat.

Kaspar verfügt über die Gabe, den Grundton eines jeden Menschen detailliert zu erkennen und zu interpretieren. Aber nicht nur das; sein Leben ist dadurch vielfältiger und tiefsinniger, wenn auch offenbar nicht ohne Schwierigkeiten, denn die Steuerfahndung macht derzeit Jagd auf ihn.

Als er als Therapeut mit der neunjährigen KlaraMaria zusammenarbeitet, ist er fasziniert von diesem jungen Mädchen, von dem eine so tiefe Stille ausgeht, wie er es noch nie zuvor erlebt hat. Trotzdem kommt ihm KlaraMaria traurig und verzweifelt vor.

Als das junge Mädchen entführt wird, ahnt Kaspar, dass etwas Schreckliches mit ihr passieren könnte, und entschließt sich, das Mädchen zu finden und zu befreien. Seine Waffen werden sein Gehörsinn und seine Intelligenz sein.

_Mein Eindruck_

„Das stille Mädchen“ hätte überzeugen können, wenn sich der Autor dazu erbarmt hätte, seine Sätze und Handlungsstränge wohlstrukturiert und als Ganzes sinnig wiederzugeben. Vielleicht wäre die Lektüre dann durchaus spannend gewesen, der Roman für den Leser originell, erhellend oder gar fesselnd.

„Das stille Mädchen“ hat auf der ganzen Linie enttäuscht. Von Beginn an verwirren die undurchsichtigen Sätze und Nebengeschichten und schaffen es nicht, den eigentlichen Plot logisch und fassbar rüberzubringen.

Peter Høeg wollte mit seinem Werk zugleich ein philosophisches und gesellschaftskritisches Werk erschaffen, doch dergleichen ist ihm nicht gelungen. Weder als Thriller noch als grundgedankliche literarische Geschichte eines Philosophen kann sein „stilles Mädchen“ überzeugen.

Nach knappen 440 Seiten ist immer noch kein Spannungsbogen entstanden, die Charaktere wurden uns nicht plausibel nähergebracht und auch das Ende hatte nicht den gewünschten Aha-Effekt. Sicherlich ist es für den Autor ein anspruchsvolles Vergnügen gewesen, die Sätze möglichst kompliziert und verstrickt zu schreiben, allerdings wird sich der Leser durch völlig unlogisch anmutende Fantasien kämpfen müssen.

Høegs Kopenhagen ist ebenso verwirrend. Straßen- und Ortsbenennungen sind für uns Nichtdänen gar nicht zu verarbeiten. Und um die musikalischen Verbindungen und Ausführungen zu interpretieren, würde selbst ein Musikstudent ins Staunen und Grübeln kommen.

Zwar hat der Autor in zehn Jahren gründlich für sein Werk recherchiert, aber die Lesefreude ist dabei gemessen an der komplexen Geschichte auf der Strecke geblieben.

Peter Høegs Motivation war inhaltlich eindeutig der Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen. Der Konflikt zieht sich durch die ganze Geschichte und seine Charaktere weisen sinnigerweise auch ihre Schattenseiten auf. Der Held der Geschichte, Kasper, ist zwar sympathisch charakterisiert, aber durch die Vorliebe für Luxus, Spiel, Karriere und sonstige große und kleine Sünden eine Schattenfigur.

Peter Høeg verbildlicht sehr beispielhaft das Gute anhand der Religion. Die Anspielungen auf die Bibel- und Christuslehren sind unübersehbar. Die bösen Buben tragen vielsagende Namen, die den Leser an Figuren aus der Bibel denken lassen. Kaspers persönlicher Kreuzzug findet sich in der Befreiung des Mädchens KlaraMarie wieder; selbst der erhobene Zeigefinger für finale Katastrophen, welche die Menschheit in ihrer Existenz bedrohen, fehlt hier nicht.

„Das stille Mädchen“ ist eine bunte Mischung aus Thriller und Krimi, aus esoterischem und Bildungsroman unter Beigabe beißender Kulturkritik. Høeg hat zu viel gewollt und wenig erreicht.

_Fazit_

Sicherlich wird es einige unter uns geben, welche die ausgesprochen esoterische Lektüre zu schätzen wissen. Gerade jene, die in unserer verwirrenden und verwirrten Zeit nach dem Sinn des Lebens und schlichten Weisheiten suchen, werden begeistert sein – wenn die Lektüre sie nicht vollends verwirrt.

Solchen Schatzsuchern ist „Das stille Mädchen“ also durchaus noch zu empfehlen; die Realisten unter uns werden diesen Roman wahrscheinlich nicht zu Ende lesen und frustriert den Versuch aufgeben, das Chaos ordnen zu wollen.

Insgesamt gehört diese verworrene Geschichte zu den schwächsten, die ich seit langem gelesen habe. Manches Mal ist etwas weniger eben mehr.

Gebundene Ausgabe: 464 Seiten
www.hanser-verlag.de