Hoffman, Alice – Flusskönig, Der

Es gibt Bücher, die passen in keine Schublade. Sie lassen sich nicht einem bestimmten Genre zuordnen, sie passen nicht so recht in bekannte Strickmuster und entziehen sich so der unkomplizierten Kategorisierung. Solche Bücher haben es oft schwer. Viele wissen nicht so recht etwas mit ihnen anzufangen und werten das Fehlen genretypischer, schubladengerechter Merkmale als Ziellosigkeit des Autors. Ein Urteil, das sicherlich manch einer auch auf die Schnelle über den „Flusskönig“ von Alice Hoffman fällen mag – und damit vermutlich genauso recht hat wie jener, der das Gegenteil behauptet.

Die Mischung, die Alice Hoffman in „Der Flusskönig“ auffährt, hat es dementsprechend in sich. Ein bisschen Kriminalgeschichte, ein bisschen Liebesgeschichte, alles im Rahmen einer dörflich-biederen Naturidylle in Neuengland, eine Prise Übersinnliches, abgeschmeckt mit einem Hauch Kitsch und garniert mit einer blumigen, bildhaften Sprache. Das ist – etwas vereinfacht – die Rezeptur, aus der Alice Hoffman ihr ganz eigenes Süppchen kocht, und so eigenwillig, wie die Rezeptur anmutet, so unterschiedliche Reaktionen ruft sie sicherlich auch an den Geschmacksnerven der Leser hervor. So ganz eindeutig mag mein Urteil da auch nicht ausfallen, denn irgendetwas stimmt hier und da mit den Zutaten nicht so ganz. Ein leicht fahler Nachgeschmack bleibt auf jeden Fall zurück.

Dabei fängt die Geschichte so klassisch und zeitlos an, dass man zunächst gar nicht weiß, in welchem Jahrhundert sie spielt. Erst durch die Erwähnung von Mountainbikes, E-Mails, etc. merkt man, dass die Geschichte tatsächlich heute spielt – was allerdings nicht ganz glaubwürdig erscheinen mag. Ort des Geschehens ist die Haddan School, ein renommiertes, altehrwürdiges Internat in Neuengland, auf das seit jeher die verwöhnten Kinder gut betuchter Familien geschickt werden. Das erscheint vor dem Hintergrund, dass die Haddan School eine teilweise abrissreife Bruchbude voller Ungeziefer ist, als ein etwas merkwürdiger Widerspruch (gerade in der heutigen Zeit), aber machen wir uns darum einfach keine weiteren Gedanken. Der Widerspruch bleibt ohnehin ungeklärt im Raum stehen und wird nicht die einzige Fragwürdigkeit des Romans bleiben.

Die Haddan School liegt etwas außerhalb des Ortes Haddan, am Ufer des gleichnamigen Flusses. Die Dorfbewohner sind nie mit der Schule und ihrem elitären Drang nach Abgrenzung warm geworden und halten sich daher misstrauisch von ihr fern. Man ignoriert sich größtenteils gegenseitig, und da, wo zwangsläufige Berührungspunkte entstehen, hält man sich bedeckt.

Es ist Spätsommer in Haddan, das neue Schuljahr steht vor der Tür und so reisen die Schüler aus ihrer teils fernen Heimat nach Neuengland. Zu ihnen zählen auch Carlin Leander, die bildhübsche, talentierte Schwimmerin, und der gleichaltrige Eigenbrödler August Pierce. Beide zählen zu den Neuankömmlingen und haben ein hartes Schuljahr vor sich, in dem sie sich ihren Platz in der Schülergemeinschaft und den Respekt der Mitschüler erkämpfen müssen. Carlin findet über das Schwimmteam recht leicht Anschluss, während August ein Außenseiter bleibt und nicht bereit zu sein scheint, sich den geltenden Spielregeln unterzuordnen. Seine einzige Bezugsperson ist Carlin, und trotz vieler widriger Umstände entsteht zwischen den beiden eine Art Freundschaft.

Doch es gibt Probleme. August kommt an der neuen Schule offenbar noch schlechter klar als an der alten, und als eines Morgens Augusts Leiche aus dem Fluss gezogen wird, ist man an der Schule nur allzu gerne dazu bereit, den Tod als Selbstmord abzutun. Auch Abel Grey, der ortsansässige Polizist, kommt mit seinen Ermittlung nicht so recht voran. Offenbar haben sowohl seine Kollegen als auch die Schulleitung keine Interesse daran, die Umstände des Todes näher zu beleuchten. So macht Abel sich auf eigene Faust an die Ermittlungen und stößt dabei auf allerhand Unerklärliches und Seltsames – und auf eine Frau, die seine große Liebe werden soll.

Auf den ersten Blick mag die Handlung nach Krimi riechen, aber bei näherer Betrachtung entpuppt sich das als die falsche Schublade. Es gibt zwar eine Leiche und es werden Ermittlungen angestellt, aber dass dabei die Spannung eines wirklichen Krimis aufkommt, kann man kaum behaupten. Der Todesfall des Schülers ist eher ein Aufhänger für die Geschichte und insofern erinnert „Der Flusskönig“ ein wenig an „Schnee, der auf Zedern fällt“ von David Guterson. Für die Kriminalgeschichte, als die man sie gemeinhin ansieht, sind beide Romane zu vielschichtig. Alice Hoffman konzentriert sich weniger auf die Ermittlungen oder die Umstände des Todes (die werden ganz lapidar am Rande aufgeklärt – leider ohne groß in die Handlung eingebunden zu werden), sondern erzählt die Geschehnisse drumherum.

Und so wäre die treffendste Bezeichnung, die mir für diese Art Roman einfällt, ein „Erzählroman“, auch wenn dies etwas sonderbar klingen mag. Diese Bezeichnung deutet aber immerhin bereits an, was den Kern des Buches ausmacht, nämlich das Erzählen an sich. Und das muss man Alice Hoffman dann doch lassen: Erzählen kann sie. Daher rührt vermutlich auch die Auszeichnung von „Entertainment Weekly“, die sie als eine der „100 kreativsten Persönlichkeiten der Unterhaltungsbranche“ ehrt – zurückzuführen vermutlich auf ihre gefeierte Romanvorlage zum Film „Zauberhafte Schwestern“ mit Nicole Kidman, Sandra Bullock und Diane Weeks.

Hoffman bedient sich einer etwas blumigen Sprache. Sie erzählt ihre Geschichte auf sehr plastische Weise und versteht es, ihr durch ihre Schilderungen so viel Leben einzuhauchen, dass das Buch im wahrsten Sinne des Wortes Kopfkino ist. Man muss ihr schon lassen, dass sie sich darauf versteht, Stimmungen zu erzeugen. Die Art, wie sie Landschaften und Menschen beschreibt, erinnert mich auch hier wieder ein wenig an David Guterson – mit dem Unterschied, dass ich Guterson noch für einen Tick besser halte. Guterson wirkt nicht so selbstverliebt in die eigene Formulierungskunst, wie es bei Hoffman hier und da durchschimmert. Auch wenn ihr Sprachstil im Großen und Ganzen wirklich schön und geradezu poetisch ist, gelegentlich drängt sich der Eindruck auf, es wäre etwas viel des Guten – vor allem dann, wenn hinter der blumigen Erzählweise auch die Handlung etwas kitschige Züge entwickelt. Da werden dann zartbesaitete Schülerinnen auch schon mal von obskuren Rosendüften ohnmächtig.

Insgesamt zeigt sich auf dieser Ebene ein leichter Hang zum Übernatürlichen. Hoffman verlangt dem Leser sehr viel Toleranz ab – das gilt nicht nur für das Ignorieren sämtlicher Genreschubladen, sondern trifft auch auf die Entwicklung der Geschichte zu. Es tauchen eine Reihe unerklärlicher Phänomene auf, die im Zusammenhang mit Augusts Tod stehen, die dem Roman eine leicht mystische Stimmung verleihen – von wirklicher Mystery à la „Akte X“ kann aber bei weitem nicht die Rede sein – und so wirken manche dieser Elemente eben auch eher kitschig als unheimlich. Ob man diesen Aspekt für die Handlung unbedingt so strapazieren musste – vielleicht hätte man es einfach bei dezenten Andeutungen belassen sollen. Was an Authentizität mit Blick auf die Figuren zu loben wäre, macht Hoffman damit zumindest ein wenig wieder zunichte.

Die Beschreibung der Figuren bekommt recht viel Raum. Sie blickt zurück in deren Vergangenheit und lässt sie in der Gegenwart in aller Ruhe agieren, fast so, als ergebe sich die Handlung dann von selbst. Ein weiterer Aspekt, an dem sich sicherlich die Geister scheiden. Der eine wird wohl denken, dass die Handlung überhaupt nicht voran kommt, der andere wird sich über den tiefen Einblick in das Seelenleben der Hauptfiguren freuen. Ich zähle mich eher zu Letzteren.

Doch obwohl man den Figuren recht nahe steht und obwohl man einen tiefen Einblick in ihre Gefühlswelt bekommt, blieben mir manche Verhaltensweisen ein wenig unverständlich. Insbesondere trifft dies auf die Lehrerin Betsy zu, deren Bekanntschaft Abel Grey bei seinen Ermittlungen macht. Gerade was die Liebesgeschichte zwischen diesen beiden Figuren angeht, kann man nicht immer die Verhaltensweisen sonderlich gut nachvollziehen – was man nicht nur der mangelnden Rationalität „großer“ Gefühle in die Schuhe schieben kann, sondern letztendlich eher der Autorin vorhalten muss.

Und so kann dann trotz sprachlicher Ausgefeiltheit der Handlungsverlauf nicht immer restlos überzeugen. Man hängt am Ende irgendwie in der Schwebe. Nicht alle Handlungsstränge werden zufrieden stellend aufgelöst, hier und da liegt einem am Ende immer noch ein „Ja, aber …“ auf der Zunge. Fast so, als hätte Frau Hoffman in ihrer sprachlichen Selbstverliebtheit vergessen, sich einen wirklich runden Handlungsverlauf zu überlegen. Es gibt zwar einige Aspekte, die sie sehr gut löst (beispielsweise den Verlauf der Ermittlungen, die Abel anstellt), dafür aber auch andere, die etwas überstürzt und wenig überzeugend aufgelöst erscheinen (beispielsweise die Liebesgeschichte zwischen Abel und Betsy).

Sprachlich und von der Charakterzeichnung her ist der Roman am Ende trotz allem dann doch noch so gut, dass man der Autorin manchen Schnitzer in der Handlung verzeihen möchte. Nicht gänzlich, aber ein ganz kleines bisschen eben, denn schön zu lesen ist „Der Flusskönig“ in jedem Fall, auch wenn es kein Buch ist, das unbedingt bleibenden Eindruck hinterlässt.

Schreibe einen Kommentar