Jilliane Hoffman – Mädchenfänger (Lesung)

Showdown mit dem Picasso-Mörder

„PS: Freue mich auf morgen“, lautete die letzte Mail von ElCapitan an Lainey. Seitdem ist die Dreizehnjährige nicht mehr nach Hause gekommen. FBI-Agent Bobby Dees glaubt nicht daran, dass Lainey einfach nur abgehauen ist, und er weiß, wovon er spricht: Dees‘ Tochter Katy ist vor einem Jahr verschwunden, und er sucht immer noch nach ihr. Als Dees ein verstörendes Gemälde zugespielt wird, sieht er seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Es zeigt eine junge Frau, die gefoltert wird. Sie hat kein Gesicht, doch in einer Ecke erkennt er Laineys Schultasche … (Verlagsinfo)

Die Autorin

Jilliane Hoffman war bis 1996 stellvertretende Staatsanwältin in Miami, bevor sie begann, für das Florida Department of Law Enforcement (FDLE) zu arbeiten. Sie schulte Special Agents in Zivil- und Strafrecht und war an vorderster Front an den Ermittlungen gegen den Mörder des Mödeschöpfers Gianni Versace beteiligt.

Heute lebt sie als Schriftstellerin mit ihrem Mann und ihren Kindern in Fort Lauderdale. „Cupido“ war ihr erster Roman. Noch bevor das Buch erschienen war, hatte das Filmstudio Warner bereits die Filmrechte für 3,5 Mio. Dollar gekauft. (Verlagsinfo) „Morpheus“ ist die Fortsetzung.

Die Sprecherin

Andrea Sawatzki, Jahrgang 1963, reizen extreme Figuren, ihr Spiel kann in Sekundenschnelle von zarter Verlorenheit zu handfester Vitalität überspringen (FAZ). Für ihre Darstellung der „Tatort“-Kommissarin Charlotte Sänger wurde sie u. a. mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. (Verlagsinfo) Sie spielte u.a. in Oliver Hirschbiegels „Das Experiment“ neben Mirotz Bleibtreu sehr eindrucksvoll die Rolle einer Verhaltensforscherin, die vergewaltigt wird. Diese Szene wird in TV-Ausstrahlungen stets unterdrückt. Der ganze Film geht an die Nieren, aber diese Szene besonders.

Die Lesefassung ist gekürzt. Regie führten Dicky Hank und Jessica Güsken.

Handlung

Ein Mann schaut sich immer wieder ein Video an. Es zeigt einen TV-Prediger, der aus der Bibel zitiert. Die Bibelstelle verdammt die „verderbten Frauen“ dafür, dass sie das Böse in die Welt gebracht hätten. Ein junges Mädchen stellt er als „Die Versuchung“ dar. Moses habe den Israeliten geboten, dass nur Jungfrauen am Leben bleiben dürften. Alle Mütter und Knaben aber müssten sterben. Das Mädchen bekennt sich als reine Jungfrau. Inspiriert greift der Zuschauer zu Pinsel und Palette, um ein Gemälde zu schaffen. Dann eilt er zum PC: Eine Spionagekamera zeigt das rosa Zimmer eines Mädchens. Es telefoniert gerade. Und er schickt ihr eine Frage: „Bist du gerade online?“

Lainey Emerson chattet unter dem Namen Lame Brain (langsames Hirn) mit ElCapitan. Er ist ihr Schwarm: Zach, der Kapitän der Footballmannschaft, ein blonder Recke. Und sie ist bloß ein 13-jähriger Niemand, noch dazu Jungfrau. Aber heute Abend will er sie endlich treffen, um mit ihm abzuhauen. Wie aufregend! Wenn sie jetzt kneifen würde, würden alle ihre Freundinnen an dieser neuen Oberschule sie fertigmachen. Deshalb geht sie direkt nach Unterrichtsende nicht nach Hause zu ihrer keifenden Mami, sondern zum vereinbarten Treffpunkt am Baseballplatz, pünktlich auf die Minute. Sie ruft nur noch kurz ihre Freundin Molly an, erreicht aber nur ihren AB.

Sie steigt in den wartenden Lexus und setzt sich auf den Beifahrersitz. Er fährt los. Doch etwas stimmt nicht. Er schwitzt, als wäre er hypernervös, dabei hätte doch sie allen Grund dazu. Und die schwarzen Härchen auf seinen Armen am Lenkrad wollen nicht ganz zu seinen blonden Haaren passen. Er bemerkt seinen Fehler, lässt die Kindersicherung die Türen verriegeln. Er hält an, um ihr einen nassen Lappen Chloroform auf den Mund zu drücken. Sie versinkt in Dunkelheit.

FBI-Agent Bobby Dees vom Florida Department of Law Enforcement in Miami endet der gemütliche Sonntagmorgen genau um 9 Uhr 03. Da klingelt sein Telefon und ruft ihn zum Dienst. Es ist sein Boss, Lorenzo. Sie arbeiten seit zehn Jahren zusammen im Team „Crimes Against Children“ (CAC). Er sagt, Laiey Emerson werde seit zwei Tagen aus Coral Springs vermisst. Hat man schon die Vermisstenstelle gefragt, will Bobby wissen. Ihrerbeider Boss ist FDLE Regional Director Trenton Fox. Der steht unter öffentlichem Druck, denn als das verschwundene Mädchen Michaela Jarvis gefunden wurde, zieh man ihn des Versagens. Deshalb müssen Bobby & Co. diesmal alles richtig machen. Und vor allem Erfolg haben.

Bobby verabschiedet sich von seiner Frau Lou Ann, einer Krankenschwester, und fährt nach Coral Springs zu Laineys Mutter. Debbie Lemana ist nicht gerade ein Vorbild und voller Wut auf alle und jeden. Warum nur, wundert sich Bobby. Nun, da ist einmal die Tatsache, dass ihr Mann Todd bei Huren fremdgeht und zum anderen der Fakt, dass schon ihre Tochter Liza sich abgesetzt hat. Außerdem fühlt sich Debbie nach einen neunstündigen Schicht nicht gerade taufrisch. Bobby findet auf dem PC der Ausreißerin das Foto einer sexy aufgetakelten Lainey und die Mails, die sie mit ElCapitan austauschte. Wer ist der Typ?

Auf MySpace und in Archiven findet er den wahren Namen: Zachary Cusano, ein strahlender Held mit großen Hoffnungen auf eine Footballer-Karriere. Als Bobby dort vorspricht, trifft er auf einen Rechtsanwalt als Vater und wird ganz vorsichtig. Als er ihm jedoch die MySpace Seite zeigt, die ihn als ElCapitan identifiziert, kann Zach ein Alibi vorweisen.

Bobby kehrt nach Hause zurück, wo Lou Ann ihre gemeinsame Tochter Katie, die vor einem Jahr verschwand schrecklich vermisst. Debbie, die Mutter von Lainey, ist im Fernsehen! Sie jammert über die unfähigen Cops. Die Sendung des Reporters, eines gewissen Mark Felding, zeigt die anderen Mädchen, die vermisst werden und fragt nach der Kompetenz des FDLE. Bobby kommt sich richtig mies vor.

In einer anschließenden Pressekonferenz befragt dieser Mark Felding die Polizisten vom FDLE ungewöhnlich eindringlich und direkt. Als er erwähnt, dass bei der Suche nach der Polizistentochter Katie Dees sich die Cops ungleich mehr angestrengt hätten als bei Lainey, läuft Bobby rot an und gibt Widerworte. Trenton Fox bricht die Pressekonferenz umgehend ab, bevor noch mehr Porzellan zerschlagen wird.

Später will Mark Felding Bobby sehen, denn er habe einen Umschlag an seine Redaktion zugeschickt bekommen. Vor Lorenzo und Bobby zeigt er den Umschlag als offen. Er enthält einen Zeitungsausschnitt und ein Bild: Es zeigt ein durch einen aufgerissenen Mund verzerrtes Porträt eines Mädchens. Leere schwarze Augen, die bluten, schockieren Bobby. Doch der Hintergrund des Bildes ist wiedererkennbar, irgendwo in Zentral-Miami. Es ist das alte Regal Hotel, das in Kürze abgerissen werden soll.

Doch der Großeinsatz der Cops stößt ins Leere. Und das Bild soll keineswegs das letzte sein, das Mark Felding zugeschickt bekommt …

Unterdessen

Lainey Emerson hat durchgehalten. Sie hat den Teufel ertragen und sich Superkräfte ausgedacht, während sie gefesselt und geknebelt in einem Verschlag ausgeharrt hat. Doch jetzt kommt er zu ihr und sagt: „Die Zeit ist um.“ Er löst ihre Fesseln und den Knebel und stößt sie in einen anderen Verschlag, wo es stockdunkel ist. Doch hier ist es noch schrecklicher. Die Wände flüstern auf sie ein. Es sind Stimmen. Stimmen von weiteren eingesperrten Mädchen …

Mein Eindruck

Ein Thriller wie vom Reißbrett, der an zahlreiche Vorbilder aus dem Genre erinnert. Wer denkt bei den Mädchen in ihren unterirdischen Verschlägen nicht sofort an den Casanova-Mörder aus James Pattersons „Kiss the Girls“ („…denn zum Küssen sind sie da“)? Und dass in den USA (und anderswo) jährlich Tausende von jungen Menschen verschwinden, ist ja auch nicht gerade neu. Deren Gesichter tauchen regelmäßig auf Milchtüten auf. Dass der Ermittler selbst unmittelbar von diesem Problem betroffen ist, überrascht in keinster Weise. Es gehört zum Muster, dem die Autorin Schritt für Schritt folgt. Wahrscheinlich gibt es dafür sogar schon eine Blaupause.

Etwas origineller ist da schon der Einfall mit den Gemälden. Daher nennen die medien, allen voran Feldman, den Absender den „Picasso-Mörder“, denn sie halten Picasso für den größten Maler aller Zeiten. Bobby nennt ihn den „Mädchenfänger“. Die Gemälde sind auf der Grundlage von Fotos gestaltet, so dass ihr Hintergrund Hinweise liefert. Doch was sie so gruselig macht, sind die entstellten Gesichter der abgebildeten Mädchen, manchmal sogar von Zwillingen. Die Abstammung von Fotos macht die Gemälde allerdings auch fragwürdig: Sind sie authentisch, wenn jeder solche Fotos aufgenommen oder aus dem Netz gefischt haben könnte?

Eine knifflige Aufgabe also für Bobby Dees und seine Helfer. Als sie das Schattenleben von Laineys Vater Todd unter die Lupe nehmen, stoßen sie nicht nur auf einen Pädophilen, sondern auch auf eine Maleratelier. Haben sie den Täter erwischt oder ist dies nur eine falsche Fährte, die die Autorin einführt, um ihre Leser irrezuführen? Wahrscheinlich soll dieser Rote Hering von einem anderen Verdächtigen ablenken, der sich inzwischen als viel gefährlicher erweisen könnte – vor allem für den Ermittler.

Action

Eine Beschattungsaktion, die zur Gefangennahme von ElCapitan führen soll, geht derart gründlich in die Hose, dass sich Bobby Dees dazu verleiten lässt, dem entfliehenden ElCapitan eine riskante Verfolgungsjagd zu liefern. Das ist der erste Actionhöhepunkt des Romans, und folgerichtig – gemäß der Blaupause – erfolgt er ungefähr in der Mitte der Geschichte.

Der Leser bleibt bei der Stange, in der Hoffnung auf mehr davon. Er wird nicht enttäuscht. Wieder lohnt es sich, an Pattersons Showdown im tunnelartigen Labyrinth in „Kiss the Girls“ zu denken, um sich vorstellen zu können, wie sich – der mittlerweile vom Dienst suspendierte – Bobby Dees in den Keller unter einem verdächtig verlassenen Haus draußen in Floridas Pampa vorwagt. Dort hörte Gewisper – von eingesperrten Mädchen. Dann schnappt die Falle zu, und Bobby riecht dichter werdenden Rauch …

Die Sprecherin

Andrea Sawatzki ist zwar keine große Stimmkünstlerin, aber ihr gelingt der fast fehlerlose und recht flotte Vortrag dieses vielschichtigen Textes auf eine Weise, die das Verstehen einigermaßen leicht macht. Durchweg konnte ich die tiefere Tonlage für die männlichen Figuren leicht heraushören, wohingegen die weiblichen Figuren fast alle ziemlich gleich klingen, außer wenn Mädchen sprechen: Sie haben alle eine höhere Stimmlage und weichere Sprechweise als ältere Frauen wie Debbie Lemana.

Es war unabdingbar, dass die Sprecherin jeder Figur eine eigene Sprech- und Ausdrucksweise zugewiesen hat. Bobby Dees ist natürlich der aufrechte Cop, der versucht, das Richtige zu tun und allzu häufig an seine Grenzen stößt. Mehr als einmal klingt seine „Stimme“ wütend. Mark Felding ist sein genaues Gegenteil. Er spricht so sanft und angelegentlich besorgt, dass man ihm seine Anteilnahme gerne abnehmen würde – ein schwerer Fehler, wie sich zeigt, denn Felding hat eigene Motive.

Die Sprecherin legt anders als Sprecherinnen wie Franziska Pigulla keinen Wert auf Sentimentalitäten oder den Ausdruck von Kurzatmigkeit, Seufzen usw. Es ist ihr wichtiger, eine Figur durch die eigentümliche Sprechweise zu charakterisieren. In diesen Charakterisierungen erweist sich die Routiniertheit der Sprecherin, die hierbei offenbar auf ihre Schauspielausbildung zurückgreift. Ganz wunderbar ist dabei etwa Debbie Lemana gelungen, ein grantiges, wütendes Weib, das als verlassene Mutter und verratene Gattin zu Recht zetert und jammert.

Die Aussprache englischer Namen, die ich bislang bei Sawatzki so häufig zu monieren hatte, ist bei dieser Aufnahme anstandslos gehandhabt. Sie ist offensichtlich beim Amerikanischen Englisch in vertrautem Fahrwasser, wohingegen sie britisches Englisch vorsichtig angehen sollte.

Das Hörbuch weist weder Musik noch Geräusche auf, so dass ich darüber kein Wort zu verlieren brauche.

Unterm Strich

Wie von dieser Autorin kaum anders zu erwarten, folgt sie den Genreregeln bis zum letzten i-Tüpfelchen. Sie wendet sich an eine weibliche Leserschaft, die sie zwar mit unangenehmen Fakten über die hohe Zahl von ausgerissenen und entführten Mädchen konfrontiert, aber doch mit einem Happy End belohnt. Die verlorene Tochter sieht ein, dass sie Mist gebaut hat, ist auf den Hund gekommen und will nach Hause geholt werden. Die Welt ist also wieder in Ordnung. Bis zum nächsten Buch.

Dazwischen hält der Roman auch für männliche Leser ein paar Höhepunkte bereit. Bekanntlich suchen Männer immer zuerst nach Lösungen, wenn ein Problem auftaucht, statt das Opfer zuerst in den Arm zu nehmen und zu trösten. In Bobby Dees‘ Ermittlung geht deshalb erst einmal nichts nach Plan, sondern es gibt mehrere falsche Fährten, bis der inzwischen suspendierte, aber persönlich involvierte Held mehr oder wenig zufällig auf die richtige Spur stößt. Prompt erweist sie sich als Todesfalle. Mann kann sich also nicht über zu wenig Spannung und Action beschweren.

So versucht es die Autorin beiden Zielgruppen recht zu machen, verliert aber dabei ein wenig die Originalität aus dem Auge. Zu sehr erinnert der Plot an James Pattersons „Kiss the Girls“, und angestrengt müht sich die Autorin, das ebenfalls in den Südstaaten gelegene Territorium von Karin Slaughter zu umgehen. So kompromisslos wie Michael Connelly will sie ebenfalls nicht vorgehen. Es ist eine Art „middle of the road“-Thriller, den für jeden etwas bietet.

Am originellsten ist sie noch mit dem „Picasso-Mörder“ alias „Mädchenfänger“. Das sorgt dafür, dass der Leser doch noch überrascht wird. Übrigens erweist sie sich als mit der neuesten Internettechnik vertraut. Sie weiß Bescheid über Trojaner, die sich als Hintertür in einen Laptop-PC einbauen lassen, um einen Spanner die Webcam fernsteuern und Zugriff auf die Festplatte gewähren zu lassen. Solche Fälle wurden in den USA publik, sind aber wohl nur den mit IT-Security Befassten – wie mich – besser bekannt. Auf der fachlichen Seite kann man der Autorin nichts ankreiden.

Es gibt aufregendere Sprechkünstlerinnen als Andreas Sawatzkis, aber sie ist auf eindrucksvolle Weise routiniert, wenn es um die Gestaltung der Sprech- und Ausdrucksweise geht, die eine Figur charakterisieren soll, um sie von den anderen Figuren unterscheidbar zu machen. Sawatzki trägt kompetent und gut verständlich vor.

Mit der individuellen Charakterisierung der Figuren trägt sie zur Spannung und Unterhaltung bei, aber auch zum Humor so mancher Szene. Schade, dass ihr die Vorlage so wenig Gelegenheit gibt, ironisch oder komisch zu werden. Die Sprecherin hätte sicherlich das Zeug dazu. Vielleicht wurde aber auch seitens des Verlags gekürzt. Schade, dass es weder Geräusche noch Musik gibt.

6 Audio-CDs
Spieldauer: 470 Minuten
Originaltitel: Pretty Little Things (2010)
Aus dem US-Englischen übersetzt von Sophie Zeitz
ISBN-13: 978-3839810323

http://www.argon-verlag.de
Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Jilliane Hoffman bei |Buchwurm.info|:
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