Hohlbein, Wolfgang – Paulus-Evangelium, Das

_Trash as trash can: Wildwest in Jerusalem_

Der Garten Gethsemane am Vorabend von Jesu Kreuzigung: Jehuda verrät Jehoschua von Nazareth, den Messias …

Marc und Guido hacken sich in den Zentralrechner des Vatikans. Doch sie können nichts mit der Computersimulation von Jehudas Verrat an Jesus anfangen, die plötzlich über ihren Bildschirm flimmert. Ganz im Gegensatz zu Kardinal di Milani, der in den verborgenen Kellern der päpstlichen Sommerresidenz Castelgandolfo die gleiche Szene zum ersten Mal zu Gesicht bekommt. Als der Kardinal die elektronische Präsenz der beiden deutschen Hacker bemerkt, lässt er sie jagen. Sie sind unvermittelt in eine unglaubliche Intrige verstrickt und müssen erkennen, dass es noch Geheimnisse gibt, die zu kennen Kopf und Kragen kosten kann.

_Der Autor_

Wolfgang Hohlbein, geboren 1953 in Weimar, hat sich seit Anfang der Achtzigerjahre einen wachsenden Leserkreis in Fantasy, Horror und Science-Fiction erobert und ist so zu einem der erfolgreichsten deutschen Autoren geworden (Auflage: 35 Millionen Bücher laut |Focus| 40/2006). Zuweilen schreibt er zusammen mit seiner Frau Heike an einem Buch. Er lebt mit ihr und einem Heer von Katzen in seinem Haus in Neuss.

_Der Sprecher_

Sascha Rotermund, geboren 1974 in Westfalen, studierte an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover Schauspiel und hatte sein erstes festes Engagement am Theater Magdeburg. Auch auf den Bühnen in Bremen, Lübeck und Hannover gastierte er. Rotermund hat sich laut Verlag als Synchronsprecher bereits einen Namen gemacht, zum Beispiel als Michael Bluth (Jason Bateman) in der Serie „Arrested Delvelopment“.

_Handlung_

In dem Keller unter der päpstlichen Sommerresidenz Castelgandolfo ist es erst 16:04 Uhr, doch in dem Film, der über den wandbreiten Flachbildschirm flimmert, ist es bereits Nacht. Eine Kohorte römischer Soldaten rückt unter dem Kommando des Zenturio Malchus in den Garten Gethsemane bei Jerusalem vor. Ihr einheimischer Führer ist ein gewisser Jehuda, auch als Judas bekannt, den ein greiser jüdischer Priester begleitet. An einer Hausmauer gibt Malchus Jehuda 30 Silberlinge, der Priester muss zurückbleiben.

Die Soldaten ziehen die Waffen und betreten den Innenhof des Hauses, in dem derjenige, der den Frieden predigt, mit seinen Jüngern zusammensitzt. Jehuda bezeichnet den, der Jesus genannt wird, mit einem Kuss. Malchus stellt „Jesus“ zur Rede, der ihm jedoch Widerrede gibt. Er widersetzt sich der Festnahme und droht Malchus sogar. Als der Zenturio ihn mit dem Schwert angreift, wehrt „Jesus“ den Angriff ohne Mühe ab und entwaffnet Malchus. Zwei Legionären ergeht es nicht besser. Dieser angeblich friedliebende Prediger scheint ein ausgebildeter Krieger zu sein! Erst unter der Attacke von drei weiteren Legionären geht „Jesus“ zu Boden und wird von Malchus zusammengeschlagen. Das Bild verblasst …

Kardinal Di Milani ist zufrieden. Aber er sorgt sich, dass irgendjemand den computeranimierten Film, den er gestalten ließ, woanders sehen könnte. Sein PC-Techniker Ramón beruhigt ihn, dass das System, das der NSA-Techniker Forsythe installiert habe, absolut zugriffssicher sei. Beruhigt fliegt Di Milani nach Herkulaneum, wo er den deutschen Archäologen Beresch trifft. Dieser hat ein Pergament gefunden und entziffert, das in einer längst ausgestorbenen Sprache abgefasst ist, die nur er lesen kann. Als Di Milani verlangt, dass dieses Paulus-Evangelium geheimgehalten werden müsse, protestiert Beresch, indem er erwidert, die Öffentlichkeit habe ein Anrecht auf die Kenntnis von diesem Pergament. Einen Bestechungsversuch lehnt Beresch verächtlich ab. Als Di Milani geht, gibt er seinem Assistenten Alberto einen Wink. Beresch soll schweigen, und zwar für immer …

In einem Vorort von Köln speichern zwei Mitarbeiter einer Internet-Sicherheitsfirma namens |NetProtect| den Film DiMilanis auf eine DVD. Der gewissenhafte Mark Schreiber, 28, und der chaotische, aber kreative Guido Senner haben mittels Spyware die Datenbank des Vatikans in Castelgandolfo geknackt. Dass das Eindringen über das Stromnetz so einfach sein könnte, hätten sie auch nicht gedacht. Während Guido von den Millionen träumt, die er mit dem Film verdienen könnte, trabt er mit Mark zur Kostüm-Party, die ihr Kumpel Joachim alias „Lars der Wikinger“, in der WG von Johannes veranstaltet. Erst in Guidos Zimmer begutachten sie ihre Beute.

Der Film ist mit dem dreidimensionalen Wappen des Vatikans geschmückt und verschlüsselt, aber das bereitet Guido keine Schwierigkeiten. Im Film selbst reden die Leute unverständliches Zeug, nämlich Latein seitens der Römer und Aramäisch seitens der Juden. Über diese Tatsache werden sie von Johannes höchstselbst aufgeklärt, der mittlerweile eingetroffen ist. Er hat eine dunkelhaarige Frau namens Jezebel, seine Halbschwester, vom Flughafen abgeholt. Erst scherzt sie, sie sei eine Mossad-Agentin, gibt dann aber zu, bloß im Hospiz ihres Vaters Tobias zu arbeiten. Guido zeigt den beiden seinen geklauten Film. Dies ist der Moment, für den er gearbeitet hat, denn er will Johannes, der Priester werden will, eins auswischen, indem er seinen künftigen Arbeitgeber, den Vatikan, bloßstellt. Johannes‘ kühle Reaktion enttäuscht ihn. Später, als er allein ist, dringt er deshalb noch einmal in den Vatikanrechner ein. Was er dort findet, brennt er auf DVD und schickt sie per Post an Johannes in Jerusalem.

Leider wird Guido keine Gelegenheit haben, sich an Johannes‘ Reaktion zu ergötzen, denn am nächsten Tag melden sich bei ihm zwei Herren, die sich sehr für seine illegale Nebentätigkeit interessieren. Der eine nennt sich Alberto, der andere Forsythe …

Nachdem Mark Schreiber am Tag nach der Party eine telefonische Warnung von „Lars“ erhalten und Johannes‘ Wohnung verwüstet vorgefunden hat, geht er ziemlich nervös wieder in die Firma |NetProtect|. Deren Geschäftsführer Stephen Bathory wird gerade von zwei Polizisten über Guido Senner befragt, denn der sei tot aufgefunden worden. Einer der Polizisten nennt sich Kommissar Dalberg. Als sie wieder verschwinden, löchert Bathory sofort Mark. Mark gibt zu, sie hätten die Datenbank des Vatikans geknackt, schiebt aber alle Verantwortung auf Guido ab. Dass sie über das Stromnetz eingedrungen sind, kann Bathory kaum fassen und will sofort Guidos Software haben. Sie sei Gold wert. Er beauftragt einen Experten, eine Sicherheitskopie von Guidos Festplatte anzufertigen. Bis der Experte eintrifft, baut Mark diese Festplatte aus und ersetzt sie durch eine ältere Kopie. Auf dieser ist Guidos Spyware noch defekt. Die Endversion versteckt er.

Gerade noch rechtzeitig, bevor zwei unbekannte Männer zuerst bei Bathory auftauchen und dann auch bei ihm. Alberto tötet Bathory ohne jede Vorwarnung und zielt bereits auf Mark, als Polizeisirenen zu hören sind. Die beiden verduften und lassen einen völlig verängstigten Mark zurück. Als Kommissar Dalberg eintritt, fleht Mark ihn an, die zwei Verbrecher zu verfolgen. Doch der Polizist tut alles andere als das. Er verhaftet Mark. Wegen dreifachen Mordes: an Stephen Bathory, Guido Senner und Joachim Thedor, genannt „Lars“ …

_Mein Eindruck_

Schon dieser kurze Handlungsabriss dürfte klarmachen, dass der Plot völlig an den Haaren herbeigezogen ist. Aber das hat Hohlbeins Bibel- und Klerikalthriller ja mit vielen ähnlichen Romanen, die sich auf die Erfolgsspur des „Da Vinci Codes“ setzen, gemeinsam. Was mich immer wieder frustrierte, ist die Unverfrorenheit, mit der mir hier Logiklücken, zweidimensionale Pappfiguren und mieser sprachlicher Stil zugemutet werden.

Fangen wir mit den Figuren an, denn damit gelangt man automatisch zur fehlenden Logik. Kardinal Di Milani strebt wie so viele fiktive Kardinäle vor ihm nach dem Stuhl des Papstes. Wir erfahren nicht, woher Di Milani kommt, noch für was er überhaupt zuständig ist, sondern nur dass er ein ganz schlimmer Finger ist, der den Papst absetzen will, so als gehe es um eine ganz gewöhnlich Palastrevolution in einer Bananenrepublik.

Aber Di Milani ist offenbar mit Geschichtsfälschung befasst. Dabei soll ihm das in Herkulaneum – also ausgerechnet unter megaheißer Vulkanasche! – gefundene Pergament eines ominösen Paulus-Evangeliums verhelfen. Dass es solche Evangelien massenweise gegeben hat, ist ja mittlerweile Allgemeinwissen. Inwiefern allerdings ein computergenerierter Film die Öffentlichkeit über das wahre Geschehen um Jesu Tod aufklären und den Papststuhl wackeln lassen soll, ist ein derart vage herbeigeführter Kausalzusammenhang, dass wohl nur der Autor selbst ihn ernst nehmen kann.

Ebenso hanebüchen, aber um einiges interessanter ist die Hypothese, dass die Römer statt des wahren Jesus von Nazareth einen anderen Jünger verhafteten. Zenturio Malchus wunderte sich ja gleich, warum sich ein Friedensprediger wie ein Krieger wehren kann. Der Grund ist simpel: Judas hat ihn getäuscht und sie verhafteten und kreuzigten Petrus, so dass der wahre Jesus überlebte. Dummerweise haben die kanonisierten vier Evangelisten nie ein Sterbenswörtchen von einem überlebenden Jesus, der sein Werk fortsetzte, verlauten lassen. In den weiteren Videoclips aus Di Milanis Werkstatt beschwert sich Jesus bestürzt über diesen Verrat seiner Jünger. Offenbar haben sie nicht viel von seiner Gottgesandtheit gehalten, sonst hätten sie ihm wohl gehorcht, als er sie bat, ihn den Römern auszuliefern. Dumm gelaufen, Mann! Alles muss man selber machen.

Wie der Gernegroß-Hacker Guido diese Story für Millionen verscherbeln will, ist mir ebenfalls schleierhaft. Wer sollte sein Abnehmer sein? Das erinnert mich an den Millionär Kaun in Eschbachs [„Jesus-Video“, 267 der mit seinem vermeintlich brisanten Fund den Vatikan erpressen will. Dumm für Guido, dass er sich ausgerechnet mit einem skrupellosen Vatikanbewohner wie Di Milani angelegt hat. Mark Schreiber ist anfangs nur ein Mitläufer, aber nachdem er des mehrfachen Mordes verdächtigt wird, muss er ausbaden, was Guido angestellt hat. Und dass auch Johannes auf der Abschussliste steht, obwohl er weder die Spyware noch die Video-DVDs besitzt, kann man wohl unter Kollateralschaden abhaken. Es sorgt jedenfalls für gute Actionszenen, wenn Johannes draußen in der Wüste verfolgt wird. Ob es irgendeinen Sinn ergibt, war für den Autor offensichtlich zweitrangig. Genauso wie die Spyware, die über den Stromkreis Computer knacken soll – völliger Unsinn.

Überhaupt sind die meisten Männer hinter dem her, was die anderen Männer haben: entweder Guidos „supergeniale“ Software, die rattenscharfen Bibelvideos oder auch nur den falschen Namen, das falsche Wissen oder was auch immer. Dass ein gestandener Kölner Kommissar wegen des Mordes an seiner Tochter, einer Polizistin, zum rachedurstigen Folterknecht und Meuchelmörder wird, ist nur ein weiterer hanebüchener Aspekt des Plots, der unter dem Etikett „Schundliteratur“ abzuheften ist.

Worauf dies alles hinausläuft, kann sich der erfahrene Trashleser an zwei Fingern abzählen: auf einen blutigen Showdown. Doch Hohlbein reicht dies nicht: Es wird ein allgemeiner Shootout wie beim O.K. Corral daraus. Wildwest in Jerusalem. Damit der geneigte Leser bzw. Hörer auch wirklich nach vollbrachter (wahlweise auch akustischer) Lektüre ruhigen Gewissens zu Bett gehen kann, muss dann auch der Schurke im Stück zur Rechenschaft gezogen werden. So ist’s brav.

Was nun die einzige relevante Frau im Stück angeht, so hat Jezebel zwar einen vielversprechenden Namen, aber leider auch ein bedauerliches Schicksal. Sie darf zwar in Marks Bettchen liegen und mit ihm schmusen, aber auf keinen Fall mit ihm die Sünde des Beischlafs begehen, sonst wäre das Abendland in Gefahr. Versteht sich fast von selbst, dass sie vor lauter Dankbarkeit, dass sie weiterhin Jungfrau sein darf, ihrem Liebsten das Leben rettet. So ein Schuss mit einem Colt muss denn auch den Richtigen treffen, und ich schätze, der finstere Alberto hat die Kugel verdient. Dass er zuvor Jezebels Halbbruder Johannes das Leben gerettet hat, zählt ja eigentlich nicht. Nicht wirklich jedenfalls. Oder so.

Damit der ganze Showdown auch die richtige historische Dimension erhält, müssen Mark und Alberto nach dem Willen des Autors nach uralten Schwertern greifen, die bereits vor 1000 Jahren die Kreuzritter in den Kampf trugen. Aufgrund seiner entstellenden Narbe ist für jeden Trashfan ersichtlich, dass Alberto, der Killer, der Böse sein muss. Folglich ist Mark der Gute. Blöd nur, dass er Alberto unterliegt. Gut, dass Jezebel kein Schwert heben muss, um Alberto allezumachen. Eine blaue Bohne tut es auch.

Eigentlich fehlt nur die Killerspielversion dieses Romans. Vielleicht sollten wir uns dafür vertrauensvoll an Di Milanis technische Zauberkünstler wenden. Der hohe Bodycount des Games sollte sie eigentlich auch reizen. Ich habe elf Leichen gezählt.

|Der Sprecher|

Sascha Rotermund hat eine tiefe Stimme, mit der es ihm am leichtesten fällt, Männerrollen zu interpretieren. Wenn die Kerle also brüllen, rufen, flüstern oder einfach nur miteinander reden (was selten genug vorkommt), dann hängt sich Rotermund voll rein. Damit die Lautsprecherboxen des Hörers dabei nichts abbekommen und |Lübbe Audio| keinen Schadensersatz zahlen muss (auf der CD ist kein Haftungsschluss vermerkt), werden alle Rufe und dergleichen entsprechend in der Laustärke zurückgenommen. Das wirkt etwas im Gesamteindruck etwas uneinheitlich, hat aber seine guten Gründe – siehe oben. Uneinheitlich ist auch das akustische Timbre des Sprechers, das mitten im Absatz zwischen zwei Sätzen wechseln kann. An diesen Stellen wurde offenbar eine Pause in der Aufnahme eingelegt.

|Die Musik|

Geräusche gibt es zwar keine, aber dafür umso mehr Musik. Die Hintergrundmusik ist denn auch das einzige Element, das den kompetenten Vortrag und den Inhalt der Story aufwertet und die ganze Sache genießbar macht. Das Prinzip für den Einsatz der Hintergrundmusik ist simpel. An spannenden Stellen und dem Anfang eines Kapitels erklingt dynamische Musik, die mit flotten Beats vorantreibt.

Das genaue Gegenteil sind traurige und sanfte Kadenzen, die ruhigeren Stellen unterlegt sind. Dazwischen gibt es noch die unheimlichen Stellen. Sie sind von überzogenen Tonintervallen gekennzeichnet und aus jedem Horror-Hörspiel bestens vertraut. Die schönste Musikstelle erklingt, als Jezebel mit Mark durch den restaurierten Garten Gethsemane in Jerusalem schlendern. Diese schwebenden, aber leichten Akkorde erinnerten mich etwas an die frühen Pink Floyd um 1970.

_Unterm Strich_

Was ist von einem Thriller zu halten, dessen Handlungslogik so große Löcher aufweist, dass ein Zeppelin hindurchpassen würde? Relativ wenig, aber wer weiß, welche Hohlbein-Fans dieses neuerliche Werk ihres Meisters verschlingen werden. Auch wenn der Bodycount mit mindestens elf Leichen reichlich hoch ausfällt, bietet sich das Buch vom sprachlichen Niveau her bereits für Zwölfjährige an. (Jungs vermutlich.) Die Lektüre ist nicht anstrengender als die eines durchschnittlichen „Hexer“-Groschenromans, und ich fand noch Muße, meine Bibliothek neu zu sortieren, während ich dem Fortgang der banalen Handlung folgte.

Im Hörbuch wird die Handlung durch den Vortrag Sascha Rotermunds halbwegs erträglich gemacht, aber durch die Hintergrundmusik beträchtlich aufgewertet. Denkt man sich diese Elemente weg, bleibt vom Plot eigentlich nichts mehr übrig als der von Hohlbein gewohnte Groschenroman.

Fazit: Die ordentliche Produktion hebt die Gesamtwertung gerade noch auf mittelmäßiges Niveau.

|429 Minuten auf 6 CD|
http://www.luebbe-audio.de

|Siehe ergänzend dazu unsere [Rezension 2630 zur Buchausgabe bei |Egmont vgs|.|