Holland, Tom – Persisches Feuer. Das erste Weltreich und der Kampf um den Westen

Wir leben in einer Welt, die unüberschätzbar vom Christentum und der griechisch-römischen Antike geprägt ist. Seit einigen Jahren erleben wir in vielfältigen Erscheinungen einen wachsenden Konflikt mit der islamischen Welt. Eine der großen derzeitigen Streitfragen ist die Forderung, die Türkei in die Europäische Union aufzunehmen, womit der Westen einen – allerdings politisch wie finanziell unkalkulierbaren – Brückenkopf im Orient hätte.

Der englische Historiker Tom Holland hat in den Perserkriegen 490 bis 479 v. Chr., als die Griechen die Unterwerfung durch das Persische Reich abwehrten, einen Ursprung des uralten Ost-West-Konfliktes ausgemacht. Mit „Persisches Feuer. Das erste Weltreich und der Kampf um den Westen“ hat er sich die Aufgabe gesetzt, dieses Ereignis unter Beachtung neuerer Erkenntnisse einem breiten Publikum vorzustellen und seine Nachwirkungen in mitunter fragwürdigen Kontinuitäten und Vorstellungen offenzulegen. Hollands Ausführungen im Vorwort über die Brüchigkeit von Traditionslinien, die Mehrdeutigkeit historischer Vorbilder und die Unsicherheit von Quellen machen allein schon die Lektüre des Buches lohnend.

Es beginnt am Vorabend des Untergangs des brutalen Assyrischen Reiches um 600 v. Chr. Unter Führung der Meder erheben sich die Perser gegen ihre Unterdrücker und beenden deren Herrschaft. Ein Menschenalter später zerbricht die Koalition, und die Perser unterwerfen unter ihrem neuen König Kyros II. zuerst Medien und dann auch neben anderen Lydien und Babylon. Das Persische Reich ist entstanden. Die Doppelherrschaft seiner Söhne Kambyses und Bardiya endet in einem mysteriösen politischen Krimi, der bis heute nicht eindeutig geklärt ist. Die Lösung des Rätsels würde auch die Frage beantworten, ob ihr Nachfolger Dareios ein Königsmörder und Usurpator oder der Retter des Reiches ist.

Die Griechen sind ein Kulturvolk gemeinsamer Sprache und Religion, einen gemeinsamen Staat haben sie nicht. Sie leben beiderseits der Ägäis in zänkischen Stadtstaaten, die von inneren Rivalitäten geprägt sind und auch gegeneinander zu den Waffen greifen. Nachdem Dareios europäische Gebiete nördlich von Griechenland erobert hat und die Griechen in Kleinasien einen blutigen Aufstand unternommen haben, greift er das griechische Kernland an, wo er überraschend von den Athenern in der Schlacht von Marathon besiegt wird. Einige Jahre später kehrt der nächste König Xerxes mit einer gigantischen Streitmacht zurück, und allein die Logistik dieses Feldzuges sprengt alles bis dahin Vorstellbare. Die Griechen finden keine Verbündeten, Athen wird evakuiert, und Forderungen nach einer freiwilligen Unterwerfung kommen auf. Doch nach der heroischen Niederlage am Thermopylenpass geschieht in den Siegen von Artemision und Salamis das Unmögliche, und die Ausdehnung der persischen Herrschaft nach Westen ist beendet.

Zwei Dinge sind für „Persisches Feuer“ kennzeichnend: Zum einen wollte Holland, wie erwähnt, kein Werk für die Fachwelt schreiben, sondern für den interessierten Laien eine historische Epoche spannend erzählen. Und spannend ist dieses Buch ohne Zweifel, dass man es kaum aus der Hand legen möchte. Ob Holland von den Feldzügen und den Intrigen der großen Politik berichtet, den Leser in die bedrängten griechischen Städte führt oder die weiten Landschaften und gewaltigen Bauwerke Persiens beschreibt, er fesselt den Leser. Bei so mancher geostrategischen und machtpolitischen Konstante oder menschlichen Schwäche lässt er den Leser durch leise Andeutungen Parallelitäten zu heute feststellen. Dass er sein Sachbuch beinahe wie einen Roman erzählt, geht manchmal auf Kosten der Genauigkeit. Wie Holland selbst einräumt, muss man unbedingt die Anmerkungen mitlesen. Über so manche Kausalität oder Datierung, die im Text mit großer Bestimmtheit vorgetragen wird, heißt es im Anmerkungsteil: Das ist nicht zweifelsfrei geklärt.

Als zweite Eigenheit verliert der Autor, auch wenn er ausführlich die Vorgeschichte der Hauptakteure Persien, Athen und Sparta ausbreitet, nie die Perserkriege als Höhe- und Zielpunkt seines Buches aus den Augen. Einige Details wie Babylon als Vorläuferreich oder die zoroastrische Religion werden nicht chronologisch abgehandelt, sondern dort, wo es zur Dramaturgie des Buches passt. Und als schließlich der Angriff des Xerxes und seines Feldherrn Mardonios endgültig abgewehrt ist, endet das Buch abrupt. Dass die Griechen einige Jahre später in die Offensive gingen und den Krieg in das persische, griechisch besiedelte Kleinasien trugen und sich schließlich bei einem Feldzug nach Ägypten gründlich die Finger verbrannten, wird nur noch auf der letzten halben Seite als Ausblick erwähnt.

Dass vor allem die persische Vorgeschichte sehr ausführlich behandelt wird, bringt einen interessanten Perspektivenwechsel für Westler mit sich. Die sogenannten Barbaren verfügten schon vor zweieinhalb Jahrtausenden über ein ausgeklügeltes Regierungs- und Verwaltungssystem. Unterworfenen Völkern ließen die Perser relativ viel Freiheit, um ihre Oberherrschaft erträglich zu halten und so langfristig zu sichern. Von „östlicher Despotie“ konnte nur bedingt die Rede sein. Umgekehrt bekommt das oft idealisierte Bild der alten Griechen einige Kratzer. So leisteten die Athener gegenüber einer persischen Gesandtschaft eine Unterwerfungsgeste und hatten damit die persische Oberhoheit anerkannt. Später ermordeten sie wie auch die Spartaner Gesandte, die unter diplomatischer Immunität standen. Außerdem erkennt man das unterschiedliche Gewicht des Krieges bei beiden Parteien. Während die Griechen mit äußerster Anstrengung und sehr viel Glück ihre Freiheit und ihre weitere eigenständige Entwicklung, die uns bis heute beeinflusst, gerettet hatten, war das Ganze für die Perser nur eine kleine ärgerliche Niederlage an der Westgrenze. Noch während des Krieges ging Xerxes nach Babylon, um dort erfolgreich einen Aufstand niederzuschlagen. Das persische Großreich sollte noch über ein Jahrhundert weiterbestehen.

Der Text wird ergänzt durch viele, teils farbige Abbildungen, Karten und eine Zeittafel. Mehrere Druckfehler erinnern wieder daran, wie sehr die Verlage mittlerweile bei den Lektoraten sparen. Trotz einiger kleiner Schwächen ist „Persisches Feuer“ ein Buch, das der geschichtlich Interessierte mit Gewinn aus der Hand legt.

|463 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-608-94463-1|
http://www.klett-cotta.de

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