Holt, Ian / Stoker, Dacre – Dracula – Die Wiederkehr

Am 18. Mai 1897 veröffentlichte der irische Schriftsteller Bram Stoker seinen Roman [„Dracula“ 3489 und schuf damit eine postmoderne Figur, die auch heute noch in vielen Romane, Filmen und auch Bühnenstücken vertreten ist.

Stokers Erfolg mit „Dracula“ blieb zu seinen Lebzeiten aus. Zwar schuf er mit der Figur des Grafen Dracula den ersten Vampir in der Literaturgeschichte, der sein Profil in unzähligen weiteren Romanen und Verfilmungen zur Verfügung stellte, doch gab es keine offizielle Fortsetzung des Romans oder ein Aufgreifen seiner Figuren um Dracula, Mina und Jonathan Harker sowie Prof. van Helsing und Arthur Holmwood. Stattdessen gibt es noch immer einige rechtliche Auseinandersetzungen mit der Familie Stoker und diversen Verlegern und Produzenten.

„Dracula“ ist ein Schauerroman, aber ebenso ein Reise- oder Liebesroman in Tagebuchform. Der Erzähler ist nicht nur eine Person, die Perspektive wechselt, und so erhält der Roman „Dracula“ dokumentarische Züge.

In „Dracula“ steht die Figur des in Gottes Ungnade gefallenen Grafen im Vordergrund. Aber Dracula selbst kommt nicht zu Wort. Konzipiert wurde dieser von Stoker als das „Böse“ in Person, obwohl es Ansätze gibt, die andeuten, dass er eher eine tragische Gestalt sein könnte (was in der Verfilmung von Francis Ford Coppola gut zum Ausdruck kommt). Seine Liebe und Leidenschaft die er für Mina empfindet, ist zugleich seine Rettung und seine Vernichtung. Was Dracula empfindet, welche Motive er hat und warum er sich von Gott verraten fühlt, konnte der Leser nur zwischen den Zeilen interpretieren. Von Generation zu Generation wurde er als das Monster beschrieben, die, süchtig nach Blut der Menschen, deren Leben nimmt. „Dracula“ ist eine tragische Gestalt, und die Geschichte um ihn, so hatte man immer das Gefühl, ist noch nicht zu Ende erzählt.

_Inhalt_

London 1912 – Es ist 25 Jahre her, seit Dracula von Professor van Helsing zusammen mit Lord Arthur Holmwood, Jonathan Harker, dem Arzt Jack Seward und dem Texaner Quincey P. Morris in einem dramatischen Kampf vernichtet wurde. Doch die Ereignisse auf Draculas Burg haben sichtbare und unsichtbare Spuren bei den Streitern hinterlassen, auch bei Mina Harker, der die Leidenschaft und Liebe Draculas viel abverlangt hat.

Selbst Mina und Jonathans Sohn Quincey hat zu kämpfen mit der Vergangenheit seiner Eltern. Sein Verhältnis zu seinem Vater Jonathan ist zerrüttet, denn Quincey möchte den Wunsch seines Vaters, ebenfalls eine juristische Laufbahn einzuschlagen, ignorieren. Quincey hat die Universität von Sorbonne verlassen, um all seine Energie für seine Karriere als Schauspieler am Theater aufzuwenden.

Mina und Jonathen Harker haben die Ereignisse nicht abschütteln oder verarbeiten können. Ihre Ehe ist seit Jahren zerrüttet, Minas Ehemann sucht im Alkohol das Vergessen und geht seiner Frau möglichst aus dem Weg. Nach über 25 Jahren hat sich das äußere Erscheinungsbild von Mina nicht verändert; seit den dramatischen Tagen ist Mina körperlich nicht gealtert. Durch die Bluttaufe mit Dracula hat sich ihr Körper verändert – es scheint so, als wäre ihr Leben für die Ewigkeit bestimmt. Noch immer steht ihr Verlangen, ihre Leidenschaft, die sie früher für den Grafen entwickelt hat, im Widerspruch zu ihren Gefühlen für ihren Ehemann.

Auch die anderen Kämpfer tragen ihre schicksalhafte Vergangenheit wie eine erdrückende Last mit sich. Jack Seward ist drogensüchtig, Arthur Holmwood ist ‚tot‘, er hat seinen früheren Namen ausradiert und lebt still und zurückgezogen in Trauer um seine Verlobte Lucy, der er einen Pflock durchs Herz geschlagen hat. Ihre Schreie in der Gruft hört er in stillen, dunklen Nächten noch allzu laut.

Als Quincey Harker den irischen Schriftsteller Bram Stoker am Theater kennenlernt, der seinen Roman „Dracula“ als Bühnenstück inszeniert, ist er fasziniert von der Geschichte des blutrünstigen Grafen. Beim Lesen des Romans fällt dem jungen Mann aber sofort auf, dass hier die Geschichte seiner Eltern erzählt wird. Eine Geschichte, die er zum allerersten Mal erfährt. Schockiert und wütend geht Quincey auf die Suche nach der Wahrheit.

Inzwischen wurde Jack Seward, der frühere Arzt und Schüler van Helsings, tot aufgefunden. Augenscheinlich wurde er von einer Kutsche überrollt, doch die Polizei bleibt skeptisch, denn Seward ist mit dem Schwert in der Hand ins Jenseits gewandert. Es bleibt nicht der einzige mysteriöse Tod, denn nur wenige Tage später entdeckt ein kleiner Junge den gepfählten Körper Jonathen Harkers mitten auf dem Piccadilly Circus. Die Indizien und Spuren weisen logischerweise auf Mord hin und die Witwe Mina Harker muss sich den unbequemen Fragen der Polizei stellen.

Quincey vertraut sich am Theater dem weltgewandten Schauspieler Basarab an, der schnell für den naiven Mann zu einer Vaterfigur wird. Trost und Verständnis, aber auch Stärke und Leidenschaft zeigt der charismatische Mann nicht nur auf der Bühne, sondern behandelt Quincey in genau der Weise, die er so schmerzlich an seinem Vater vermisst hat.

Mina glaubt nicht an Zufälle. Sie kombiniert in wenigen gedanklichen Schritten, dass sich hier ein grausames Muster offenbart. Kann es sein, dass ihr Graf Dracula den Kampf vor knapp einem Vierteljahrhundert überlebt hat, er seinen Tod vortäuschen konnte und sich nun an blutig an den Männern rächt, die ihn töten wollten? Oder gibt es andere Vampire, die den Tod ihres Meisters vergelten und die Nachfolge des Blutgrafen antreten wollen? Als Mina den früheren Lord Holmwood kontaktiert und auch van Helsing wieder in London auftaucht, wird jedem schnell klar, dass die Vergangenheit noch lange nicht zur Ruhe gekommen ist und das Verlangen nach Blut und Rache sich grausamer denn je zeigt …

_Kritik_

„Dracula – Die Wiederkehr“ von Dacre Stoker, einem Urgroßneffen Bram Stokers, und dem Drehbuchautor und Stoker-Forscher Ian Holt ist die offizielle Fortsetzung des 1897 erschienen Romans „Dracula“ und ein Garant für spannende Unterhaltung.

In diesem Roman spielen alle tragischen überlebenden Protagonisten aus dem bekannten ersten Teil eine tragende Rolle. Doch der Kreis schließt sich letztlich um die Aussage „Blut ist Leben“. Das Autorenduo hat großartige Arbeit geleistet und thematisch dort angesetzt, wo der erste Teil endete. Dass dazwischen eine zeitliche Lücke von 25 Jahren klafft, ist dabei uninteressant, vielmehr war es wichtig für die Figuren, sich mit dem erlebten Grauen auseinanderzusetzen und vielleicht auch an diesem Versuch zu scheitern. Verlust und Trauer, so negativ und ungerecht uns die auch vorkommen mag, sind immer auch die Chance zur Entwicklung, mit einer Botschaft, die der Leser in diesem Fall erst am Ende verstehen wird.

„Dracula – Die Wiederkehr“ – der Titel sagt eigentlich schon alles – ist ein gutes Stück vorhersehbar, aber dies mindert keinesfalls die Spannung. Zu sehr packend sind die Protagonisten in den Szenen beschrieben, als dass man aufhören könnte weiterzulesen. Es gibt mehrere kleinere Nebenhandlungen und Orte, und es tauchen andere Personen der Dunkelheit auf, deren Motive erst gegen Ende hin nachvollziehbar werden.

Die Perspektive ändert sich mit den Protagonisten, was die Handlung wie eine abgefeuerte Pistolenkugel vorantreibt, bis sie schließlich in einem spektakulären Ende ihr Ziel trifft. Die Autoren haben das Werk „Dracula“ sehr genau studiert und sich anhand der vorgegebenen Quellen und Recherchen Stokers die Mühe gemacht, in ihrem Roman den Stil Stokers nachzuempfinden.

Die Geschichte wird als Fortsetzung vielen Lesern gefallen, genauso aber auch Filmfans, die „Dracula“ aus der erfolgreichen und gelungenen Verfilmung von Francis Ford Coppola kennen. Diese Verfilmung kam dem Roman von Stoker inhaltlich am nächsten, und man erkennt im zweiten Teil durchaus Elemente, die einen Aha-Effekt auslösen.

Die Essenz Draculas kommt hier vom literarischen Standpunkt aus gesehen zu ihrer gänzlichen Entfaltung. In Stokers Werk war Dracula ein verlorener Charakter, ein kultivierter und gebildeter Edelmann, der nur geleitet wird von seinen Überlebensinstinkten und seiner Bösartigkeit. Jedenfalls ist das die Perspektive aus der Sicht seiner Gegner, wie zum Beispiel Harker oder van Helsing. In „Dracula – Die Wiederkehr“ kommt der (un)tote Graf selbst zu Wort; zwar wird er von der Außenwelt noch immer als Monster angesehen, aber aus dem Blickwinkels Draculas offenbart sich dem Leser ein ganz anderer Charakter mit hohen Moralvorstellungen und einer gewissen Verantwortung gegenüber anderen.

Wie schon in „Dracula“ nimmt Mina eine Schlüsselrolle ein. Ähnlich wie Dracula lebt sie zwischen den Welten, genauer gesagt zwischen Stolz und Vorurteil, Verstand oder Gefühl. Ihr Schicksal ist unausweichlich mit dem Draculas verbunden.

„The Un-Dead“, so der Titel im Original, lässt natürlich schnell den logischen Schluss zu, dass „Dracula“ noch immer präsent ist, und einzelne Szenen sind sehr vorhersehbar. Doch konzentrieren sich die beiden Autoren auf die Handlungen und die Schicksale der Protagonisten, und tatsächlich finden auch hier Kämpfe und Auseinandersetzungen unter den einstmaligen Streitern statt, die vorher noch in stiller Eintracht Dracula bekämpften. Für Überraschungen ist also gesorgt, so vorhersehbar auch manches bleibt.

Für blutige Szenen und Kämpfe ist gesorgt, und der Leser wird hier auch mitverfolgen können, dass Vampire zwar untot, aber nicht unsterblich sind. Dacre Stoker und Ian Holt halten sich größtenteils an die Stokersche Vampirmythologie und erfinden keine Vampire mit neuen und sagenhaften Eigenschaften.

_Fazit_

„Dracula – Die Wiederkehr“ ist ein absolut spannender und abwechslungsreicher Schauerroman mit vielen Horrorelementen. Mit viel Gespür fürs Detail wurde hier verstaubten und totgesagten Charakteren wieder Leben eingehaucht und viel Raum und Zeit gewährt, um Draculas Geschichte zum Abschluss zu bringen.

„Dracula“ bleibt eine jener literarischen Figuren, die man fast endlos auf verschiedene Art und Weise interpretieren kann, doch in dem vorliegenden Roman entpuppt sich diese als eine Gestalt, die auch für kommende Bücher und Verfilmungen neue Seiten aufzeigt und definiert. Dracula ist eben über Generation hinweg eine Trendfigur, der man sich nur schwerlich entziehen kann.

Am Ende des Romans kommen die beiden Autoren noch zu Wort und erklären ihre Motive dafür, Dracula zu reanimieren und die Legende weiterzuerzählen. Der Leser sollte sich ruhig Zeit dafür nehmen, denn auch dieser Part ist wichtig und aufschlussreich.

Spannend, abwechslungsreich, voller Tempo, zugleich mit Gefühl und Leidenschaft bewegt sich Dracula mit dieser Geschichte in unsere Zeit und wird wieder einmal viele Leser überzeugen.

„Dracula – Die Wiederkehr“ ist eine brillante Fortsetzung und für sich genommen ein spannender Roman, der lange in Erinnerung bleiben wird, denn Bram Stoker wurde hier ein Denkmal gesetzt.

_Die Autoren_

Als Urgroßneffe von Bram Stoker, dem ursprünglichen Verfasser von „Dracula“ (1897), trug sich der Kanadier Dacre Stoker bereits seit einiger Zeit mit dem Gedanken, eine Fortsetzung dieses Klassikers der Horrorliteratur zu schreiben. In dem Drehbuchautor und Stoker-Forscher Ian Holt fand er schließlich den idealen Co-Autor. Auf der Grundlage von Originalmaterial aus dem Nachlass Bram Stokers entstand „Dracula – Die Wiederkehr“ als Fortführung der Geschichte, die im ursprünglichen Roman erzählt wird.

|Originaltitel: Dracula: The Un-Dead
Ins Deutsche übertragen von Hannes Riffel
592 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-8025-8220-2|
http://www.egmont-lyx.de

Schreibe einen Kommentar