Holt, Ian / Stoker, Dacre – Dracula – Die Wiederkehr

Eigentlich müsste sich Bram Stoker, wäre er noch am Leben, geehrt fühlen. Denn auch nach über 100 Jahren Rezeptionsgeschichte zeigt sein wohl berühmtester Schurke, der untote Vampir Dracula, keine Ermüdungserscheinungen. Immer noch arbeiten sich Schriftsteller und Filmemacher an dem Thema ab und beleuchten den bluttrinkenden Transsilvanier von jeder erdenklichen Seite. Und natürlich gibt es auch Dutzende Fortsetzungen der Geschichte, denn wie meinte schon Buffy so treffend, als sie Dracula ins Jenseits beförderte: „Glauben Sie, ich hab Ihre Filme nicht gesehen? Sie kommen immer zurück.“ Die Frage nach dem „was wäre, wenn“ treibt also weiterhin Autoren um.

Und nun gibt es mit „Dracula – Die Wiederkehr“ eine weitere Fortsetzung des Romanstoffes, diesmal aus der Feder des Urgroßneffen Stokers. Deswegen darf sich der Roman wohl auch „offizielle Fortsetzung“ nennen. Daran, dass Bram Stoker selbst das Buch abgesegnet hat, wird es schließlich nicht gelegen haben. Was bewegt also einen obskuren Urgroßneffen namens Dacre Stoker (hoffentlich ein Pseudonym), literarisch ein unbeschriebenes Blatt („Die Wiederkehr“ ist sein Romandebüt), sich an so ein großes Thema zu wagen? Die Gründe sind wohl eher prosaischer Natur – scheinbar hat es der gesamte Stoker-Clan auch nach über 100 Jahren nicht verwunden, dass sich die kreative Welt am Hirnschmalz ihres Vorfahren bereichert. In Nordamerika ist das Copyright für „Dracula“ bereits 1899 (also nur zwei Jahre nach der Erstveröffentlichung) erloschen und die Dollarnoten, die nicht in die Taschen der Stoker-Familie fließen, sind wohl ein kollektives Trauma. Dem will Stoker mit seinem „Dracula – Die Wiederkehr“ nun abhelfen. Es gibt hehrere Ziele, die man als Autor verfolgen kann und meistens produzieren diese dann auch die lesenswerteren Bücher.

Worum geht es also? Der Roman setzt 25 Jahre nach „Dracula“ ein und führt uns das gesamte Personal des Romans noch einmal vor Augen. Leider ist die Zeit an keinem der früheren Helden spurlos vorüber gegangen: Jack Seward ist ein morphiumsüchtiger Spinner, van Helsing ein alter Kauz mit Herzproblemen, die Ehe von Mina und Jonathan ist zerrütet und deren Sohn Quincey, der eigentlich an der Sorbonne Recht studieren soll, tut sich lieber als Schauspieler hervor. So trifft dieser auch auf den berühmten rumänischen Schauspieler Basarab, der in Paris ein Gastspiel gibt. Die beiden freunden sich an, doch sind Basarabs Beweggründe natürlich nicht nur uneigennützig.

Gleichzeitig schwebt eine neue Gefahr ein, nämlich die Blutgräfin Báthory. Diese stellt sich als Erzfeindin Draculas heraus (der natürlich nicht tot ist, logisch) und metzelt nur so aus Vergnügen in London ein paar Leute dahin, unter anderem einen Teil von Stokers Originalfiguren. Das bringt die Polizei in Form des Inspektors Cotford auf den Plan, der davon ausgeht, dass es sich um Ripper-Morde handelt. Jack the Ripper ist wieder da und es ist an Cotford, ihn zu stoppen – wie praktisch, dass einer der damaligen Hauptverdächtigen, nämlich kein geringerer als Abraham van Helsing, nun zufällig wieder in London weilt.

Und so nehmen die Dinge ihren Lauf. Dracula und die Báthory bekriegen sich. Dracula gesteht Mina seine ewige Liebe. Quincey Harker ist hitzköpfig und dumm. Viele, viele Charaktere sterben und wer am Schluss noch übrig bleibt, darf mit der Titanic in Richtung Neue Welt in See stechen.

Man kann Dacre Stoker nicht vorwerfen, dass er nichts über sein Thema wüsste. Offensichtlich hat er so ziemlich alles an Fachliteratur gelesen und auch jeden Vampirfilm gesehen. Doch hätte der Ratschlag, dass weniger manchmal mehr ist, bei einem Buch wie „Dracula – Die Wiederkehr“ vielleicht Wunder wirken und dem Plot Geradlinigkeit verschaffen können. Statt dessen liest sich der Roman wie ein vollkommen ratloses Sammelsurium an Vampir-Paraphernalia. Da gibt es Dracula, Vlad den Pfähler, die ungarische Blutgräfin Báthory (deren Anwesenheit prompt damit begründet wird, dass sie mit Dracula verwandt sei – irgendwie entfernt jedenfalls), Jack the Ripper, Bram Stoker höchstselbst und etliche Versatzstücke, die aus Filmen abgekupfert wurden. Das einzige, was hier noch fehlt, sind Werwölfe und vielleicht der Vampir von Hannover, Fritz Haarmann. Und für alle, denen das noch nicht bunt genug ist, hält Dacre Stoker auch noch einen Dr. Langella und die Polizisten Lee und Price parat. Wie würde Buffy sagen: Obvious much?

Um das alles irgendwie zusammenwurschteln zu können, muss Stoker ziemlich wirbeln. Er erklärt kurzerhand vieles aus dem Roman seines Vorfahren für nichtig oder schlicht falsch und ist auch sonst nicht zickig, wenn es darum geht, Bram Stoker zu diskreditieren. Gleich mehreren Charakteren räumt er das Recht ein, Stokers Roman in Verruf zu bringen. Basarab sagt zu Bram Stoker im Roman: „In Wahrheit haben Sie sich der üblen Nachrede schuldig gemacht.“ Und Van Helsing behauptet später: „Stattdessen hat Stoker eine Farce verfasst, die der Wahrheit Hohn spricht.“ Das ist ziemlich starker Tobak, vor allem aus der Feder eines Autors, der sich respektlos an den Figuren und Ideen seines Vorfahren bedient und mit ihnen sicherlich hofft, ein hübsches Sümmchen einzufahren.

Denn in „Dracula – Die Wiederkehr“ ist nichts, wie es mal war. Alle Figuren erscheinen wie durch den Fleischwolf gedreht. Mina und Dracula wird eine heiße Affäre angedichtet, die Dacre Stoker wohl aus Francis Ford Coppolas Verfilmung entwendet hat, die Stokers Text jedoch keineswegs stützt. Auch Dracula selbst ist zum Hänfling mutiert. Er sei gar nicht so böse gewesen, denn seine bisherigen Taten hätten nur dazu dienen sollen, Mina und ihre Lieben vor der Báthory zu beschützen. Draculas neu gefundene Moralvorstellungen kulminieren dann in dem abschließenden Satz: „Er war über fünfhundert Jahre alt, und er hatte noch immer nicht gelernt, sein wahres Erbe anzunehmen, ohne Schuldgefühle zu verspüren.“ Dracula, der noch bei Stoker das ultimativ Böse war, der Erzfeind, dem nur an Zerstörung gelegen war, wird hier nun endgültig zum Anne Riceschen Moralapostel. Ach nö.

Und so laviert sich Dacre Stoker mehr schlecht als recht durch seine eigene Romanhandlung. Sein als Protagonist konzipierter Quincey Harker ist ein kindischer Laffe und seine überböse Báthory ist eine männermordende Kampflesbe. Dacre Stoker verwendet unglaublich viel Zeit darauf, die Vergangenheit der Báthory zu beleuchten, um dem Leser in einer platten Gleichung von „wurde in ihrer Jugend von ihrem Mann misshandelt und hasst nun alle Männer“ die Beweggründe der Báthory zu erklären. Das bleibt jedoch im Oberflächlichen stecken, wohl weil es Dacre Stoker an der literarischen Finesse mangelt und er sich lieber auf den Showeffekt von spritzendem Blut verlässt. Ihn jedoch immer wieder dabei beobachten zu müssen wie er sich genüsslich in der vordergründigen Homosexualität der Báthory und ihrem schier endlosen Männerhass wälzt, wird für den Leser erst langweilig und dann abstoßend.

Wer Bram Stokers Roman mochte, der wird in Dacre Stokers Fortzsetzung kaum etwas finden, mit dem er sich identifizieren kann. Mit Brachialgewalt hat dieser die Vorlage uminterpretiert, um sie seinen Vorstellungen anzupassen. Diese Vorstellungen scheinen hauptsächlich vom Film geprägt, wobei das natürlich auch der Einfluss des Koautors Ian Holts sein kann, seines Zeichens Drehbuchautor. Und damit wird auch klar, warum sich der Roman über weite Strecken wie ein reichlich uninspirierter Slasher-Film liest. Auf Charaktertiefe wird wenig Wert gelegt. Statt dessen agieren die Figuren holzschnittartig in wechselnden Actionsettings. Da dürfen auch schon mal Kutschen explodieren und holde Jungfrauen à la „Hostel“ über einer Badewanne ausbluten. Das hat Dracula wirklich nicht verdient.

|Originaltitel: Dracula: The Un-Dead
Ins Deutsche übertragen von Hannes Riffel
592 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-8025-8220-2|
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