Honisch, Ju – Obsidianherz, Das

_Hätte ich zuerst Tanya Huffs Urteil_ im Klappentext gelesen, hätte „Das Obsidianherz“ sich vermutlich niemals in mein Bücherregal verirrt. Tanya Huff attestiert dem Roman nämlich, die |“besten Elemente historischer Liebesromane und zeitgenössischer Phantastik“| zu verbinden. Und da ich bei dem Begriff „historischer Liebesroman“ vor meinem geistigen Auge stets eine schmachtende Frau in wallenden Kleidern an eine (meist ganz oder zum Teil entblößte) Männerbrust gepresst sehe, krempelt sich mir für gewöhnlich schon beim Gedanken daran der Magen um. Entsprechende Bücher werden somit kategorisch ignoriert. Dieses Schicksal blieb Ju Honischs Roman „Das Obsidianherz“ erspart, da ich den Hinweis schlichtweg übersehen hatte – zum Glück, wie sich herausstellen sollte …

_“Das Obsidianherz“_ spielt im Jahre 1865 in München. Ludwig II. hat gerade seine Regentschaft als König von Bayern angetreten. Zu dieser Zeit tragen sich im Nymphenburger Hotel – Münchens erste Adresse – so einige mysteriöse Dinge zu. Ein Mord ist geschehen und ein magisches Manuskript verschwunden, doch es ist nicht irgendeines, sondern das mächtigste und wertvollste, das in den falschen Händen die Welt ins Chaos zu stürzen vermag.

Der britische Colonel Delacroix, seines Zeichens Agent für besondere Aufgaben, soll das wichtige Schriftstück mit der Unterstützung zweier bayerischer Offiziere wiederbeschaffen. Die vierte im Bunde ist die Opernsängerin Cérise Denglot, die der bayerische König höchstselbst für die Mission auserkoren hat – aufgrund welcher Qualitäten auch immer. Unterstützt wird das Team zusätzlich von einem Magiewissenschaftler. Dieser hält das Nymphenburger Hotel unter einem magischen Bann. Dank dieses Banns können alle magischen Geschöpfe, genannt Fey oder Sí, das Hotel nicht verlassen. Dies will das Team um Delacroix dazu nutzen, das seltsame Schattenwesen, das sie mit dem Verschwinden des Manuskripts in Verbindung bringen, dingfest zu machen.

Während der Jagd auf das Wesen kreuzen sich ihre Wege schon bald mit denen der jungen Corrisande Jarrencourt, die zusammen mit Anstandsdame und Zofe extra zur beginnenden Ballsaison nach München gereist ist – schließlich gilt es, einen passenden Kandidaten für eine möglichst gewinnbringende Eheanbahnung aufzutun.

Da kommt es natürlich reichlich ungelegen, dass das rätselhafte Schattenwesen obendrein noch ein Auge auf Corrisande geworfen hat und ihr fortan an den Fersen hängt. Doch Delacroix und sein Team stehen Corrisande mutig zur Seite und versuchen das Wesen von ihr fernzuhalten.

Delacroix und Co. sind dabei nicht die Einzigen, die sich für das Wesen und das Manuskript interessieren. Schon bald spitzen sich die Ereignisse dramatisch zu und Corrisande muss um ihr Leben fürchten. Obendrein gibt es so manchen im Hotel, der etwas im Schilde führt und auf die eine oder andere Art in die Angelegenheit verwickelt zu sein scheint …

_Nun gut_, historischer Liebesroman trifft auf Phantastik. Übertragen auf die Erzählepoche könnte man auch sagen „Sissi meets Mystery“ und hätte damit Recht und läge genauso falsch. Was Ju Honisch mit „Das Obsidianherz“ abgeliefert hat, ist vor allem ein historisch angehauchter Spannungsroman voller Witz und Fantasie.

Beeindruckend ist schon, dass die Autorin über 800 Seiten mit fast nur einem einzigen Handlungsort auskommt. Nur am Ende verlassen die Protagonisten für den finalen Showdown das Hotel. Der Rest des Plots spielt sich im Stil eines „Whodunit“ komplett in den Räumlichkeiten des Nymphenburger Hotels ab. So ist die Handlung einem Theaterstück gleich einerseits sehr konzentriert und liefert andererseits aber auch eine große Bühne für die Protagonisten ab. Zum Teil lebt der Roman von den Protagonisten und ihren Interaktionen.

Dabei versteht Ju Honisch es auf wunderbare Art, die Steifheit der Zeit und die Überbetonung der Etikette mit einem höchst unterhaltsamen, ironischen Unterton zu verzieren. So hat der Leser viel zu schmunzeln, und das vor allem dann, wenn Ju Honisch ihn an den Gedanken der Figuren teilhaben lässt und die gleiche Szene aus unterschiedlichen Blickwinkel abspult. So entwickelt der Roman eine herrlich lockere und unterhaltsame Art, bei der die Autorin mit so mancher verschmitzten Formulierung immer wieder den Nagel auf den Kopf trifft. „Das Obsidianherz“ ist in dieser Hinsicht eben weit weniger historischer Liebesroman als vielmehr ein phantastikdurchtränkter historischer Unterhaltungsroman.

Der Fantasyanteil beschränkt sich dabei vor allem darauf, dass es in Honischs Welt Fabelwesen aller Art gibt und entsprechend begabte und ausgebildete Menschen Magie praktizieren. Die Fabelwesen sind nicht selbstverständlich in den Alltag integriert, sondern eher eine Randerscheinung, die nicht selten mit Ressentiments zu kämpfen hat.

Die Protagonisten werden stets mit einem Augenzwinkern betrachtet. Jeder bekommt sein Fett weg, und dazu werden natürlich gerne auch mal die Klischees der Zeit bedient: die Anstandsdame, die über jede noch so unbedeutende Kleinigkeit wacht, die ihrem Zögling als undamenhaft vorgeworfen werden könnte; der raubeinige Colonel, der im Eifer des Gefechts auch schon mal die Regeln des Anstands vergisst; die temperamentvolle Operndiva und das zarte Fräulein, das es faustdick hinter den Ohren hat. Ju Honisch spielt sehr viel mit den gesellschaftlichen Normen der Zeit, mit Standesdünkel und Etikette.

Dass dabei dennoch nicht die Spannung zu kurz kommt, ist dem Geschick zu verdanken, mit dem die Autorin Phantastik, Spannungs- und Unterhaltungsroman miteinander verknüpft – und dabei kommt dann auch die Liebe nicht zu kurz. Ju Honisch vermischt all diese Zutaten zu einem stimmigen Ganzen, das sich trotz seiner 800 Seiten Umfang flott und locker runterliest – nicht zuletzt auch wegen des kontinuierlich aufwärts strebenden Spannungsbogens.

_Alles in allem_ ist „Das Obsidianherz“ ein Roman, der sich als höchst angenehme Lektüre entpuppt. Ein unterhaltsamer Lesespaß, der nicht mit Spannung geizt und dessen fantastische Komponente überzeugend in den Plot eingewoben ist. Ju Honisch hat einen höchst lesenswerten Genremix abgeliefert, der von vorne bis hinten Lob verdient. Freunden fantastisch angehauchter Romane sei „Das Obsidianherz“ wärmstens empfohlen.

|809 Seiten, kartoniert mit Illustrationen
ISBN-13: 978-3-86762-028-4|
[www.feder-und-schwert.com]http://www.feder-und-schwert.com

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