Hustvedt, Siri – Was ich liebte

Was kann das für ein Buch sein, an dessen Übersetzung aus dem Englischen sich drei Übersetzer gütig getan haben? Ist es so kompliziert, dass keiner der Übersetzer mehr als ein paar Seiten schaffte? Setzen die drei einfach gerne auf Teamwork?

Diese Frage wird bei der Lektüre von Siri Hustvedts „Was ich liebte“ leider nicht beantwortet. Muss es auch nicht, denn um ehrlich zu sein, wird die Frage mit der Zeit immer unwichtiger. Es gibt andere Dinge, über die der Leser nachzudenken hat, Dinge, die in direktem Zusammenhang mit der Geschichte stehen.

Das Buch erzählt rückblickend fünfundzwanzig Jahre aus dem Leben des Literaturprofessors Leo Hertzberg. Fünfundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit und dementsprechend viel geschieht in dem Buch. Eines bleibt aber all die Jahre konstant: die Freundschaft zu dem Künstler Bill Wechsler. Gemeinsam fahren die beiden Männer in den Hafen der Ehe ein, werden etwa zur gleichen Zeit Väter zweier Söhne und überstehen nicht nur einen tragischen Todesfall in Leos Leben, sondern auch die negative Entwicklung von Bills Sohn Mark.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Während der erste Teil quasi die Vorgeschichte darstellt, geschieht im zweiten Teil etwas, das das Glück von Leo und seiner Frau Erica und deren Ehe stark belastet. Im dritten Teil dagegen steht ein ganz anderes Thema im Vordergrund: Bills Sohn, der sich zu einem notorischen Lügner entwickelt hat, Drogen nimmt und mit den falschen Leuten Umgang pflegt.

Die ersten beiden Teile, die rückblickend von Leo erzählt werden, muten sehr biografisch an. Stellenweise ohne chronologische Reihenfolge, erzählt er als alter Mann, was seine Freundschaft zu Bill ausmacht und wie sie ihre Frauen kennengelernt haben. Immer wieder beschreibt er die Kunstausstellungen von Bill und die Verbindungen zwischen den Familien Wechsler und Hertzberg.

Es passiert nicht wirklich viel bis zu dem Unglück. Vielmehr ist es Hustvedts dichter, detaillierter Schreibstil, der den Leser bei der Stange hält. Sie gehört zu den Autoren, deren Figuren und Schreibstil man beinahe zusammenfassend betrachten möchte, weil sie sich so ähnlich sind. Sie sind von einer seltenen Tiefe gekennzeichnet, von einer unglaublichen Durchkonstruiertheit und Lebendigkeit. Jedes Wort, jeder Charakterzug, jedes noch so kleine Ereignis scheinen an der richtigen Stelle zu stehen, um ein farbenprächtiges, realistisches Gesamtbild zu schaffen.

Man merkt der Autorin an, dass sie aus einem sehr intellektuellen Hintergrund kommt. Der Vater ein Norwegisch-Professor, hat sie selbst Geschichte studiert und in Anglistik promoviert. Dementsprechend intellektuell wirkt auch „Was ich liebte“. Da das Buch in vielen Teilen in der Künstler- und Schriftstellerszene spielt – Bills zweite Frau sowie Erica beschäftigen sich mit Letzterem -, beschreibt es diese ausgiebig, ohne zu langweilen. Hustvedt hat sich sämtliche Ausstellungen von Bill Wechsler erdacht und auch die Bücher, die Violet, Bills zweite Frau, zu den Themen Hysterie und Essstörungen schreibt, fließen stark in die Geschichte ein. Beispiele aus dieser Literatur werden immer wieder zitiert und gestalten den Roman sehr abwechslungsreich.

Der letzte Teil der Geschichte, in dem es um Mark und seine zwielichtigen Verbindungen geht, unterscheidet sich stark vom Vorherigen. Plötzlich hat das Buch eine richtige, lineare Handlung, die es an einigen Stellen sogar schafft, Spannung aufzubauen. Ich möchte nicht so weit gehen, den dritten Teil von „Was ich liebte“ als Krimi oder Thriller zu bezeichnen. Dennoch fällt es ab diesem Punkt schwer, das Buch wieder aus der Hand zu legen. Es gewinnt an Fahrt, ohne etwas von seiner Qualität zu verlieren, und überrascht immer wieder durch originelle Wendungen. Hustvedt rückt von Themen wie Kunstausstellungen und wissenschaftliche Literatur ab und führt den Leser stattdessen – natürlich aus der Sicht von Leo – in die Jugendszene von New York ein.

Es entsteht ein mehrpoliges Buch, das sich mit sehr unterschiedlichen Themen beschäftigt. Es ist Siri Hustvedts literarischem Talent zu verdanken, dass es dabei nicht in zwei Teile zerbricht. Zum einen hängt es mit den authentischen Figuren zusammen, die sie zeichnet und die das ganze Buch begleiten. Keine der Personen ist wirklich gut oder wirklich schlecht. Stattdessen skizziert sie in verschiedenen Grautönen die Personenkonstellation aus Familien, Freunden, Kindern und zerbrochenen Ehen. Jede Person hat dabei ihre eigenen Charakterzüge, spezifische Eigenheiten und ist dem scharfen Auge von Ich-Erzähler Leo ausgesetzt. Unwichtige Gesten, bestimmte, wiederkehrende Tätigkeiten, Laster werden sorgfältig beschrieben und in die jeweilige Person „eingepasst“.

Die originellen Figuren werden von dem bereits erwähnten sehr belletristischen Schreibstil eingerahmt. Hustvedt benutzt gehobenes Vokabular, das nie zu hochgestochen klingt, und die Erinnerungen eines alten Mannes, um ein wunderbar dichtes und vielschichtiges Erzählambiente zu schaffen. „Was ich liebte“ entwickelt einen ganz eigenen Zauber, dem man sich selbst an Stellen, an denen sich nur wenig ereignet, nicht entziehen kann.

Siri Hustvedts dritter Roman „Was ich liebte“ zeichnet sich durch ein sehr genaues Bild von zwei Familien und deren Schicksalen aus. Die Autorin erzählt flüssig und sehr genau von den einzelnen Personen und darüber, was sie verbindet. Dabei sind es vor allem ihre feinen Charaktere und der bindende, atmosphärische Schreibstil, die das Buch so herausragend machen.

Nur eine Frage bleibt unbeantwortet: Wieso drei Übersetzer?

http://www.rowohlt.de

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