Irtenkauf, Dominik – Worträtsel. Aufgabe in Mensch und Wort

_Inhalt:_

|… Wie gerne würde ich diese Fahrt in wundersame, weil schöne Sprache kleiden, doch versagt mir der Charakter, dies eigene Wesen von Grausamkeit, ein solches Ansinnen. Der Rückzug in Geisteshüllen, die uns lieblich drücken – ans Herz oder sonstwo -, bleibt mir ein Übel, das ich im Folgenden zu besiegen habe. Man möge mir deshalb stets eng folgen, mich auf Strich und Faden begleiten, wenn ich nichtsdestotrotz meine Erinnerung entspinne, sie aufspüre.|

_Storys:_

Byzantinischer Schlaf
Abziehbild eines Ausgangs
Kubbeln
Nur ein Flügel hat gestreift
Sternenhagel
Jenseitsraum
Rasender Schwund
Rabenwetter
Nachwort: Rätsel in Wort und Mensch

_Meinung:_

Texte von Dominik Irtenkauf spalten mit Sicherheit die (Lese-)Nation. Sein Stil, der jenseits des Mainstreams liegt und sich dem modernen Sprachbild entzieht, mutet wie aus einer anderen Wirklichkeit an – und gerade das zeichnet ihn aus, macht ihn anspruchsvoll und fordert dem Leser ab, sich auf ihn einzulassen. Auch die Plots sind keine Einheitskost, sondern allesamt „eigen“ bis „surrealistisch“ – aber genau aus diesem Grund bleiben sie länger als manch andere Texte im Kopf des Lesers haften.

Man merkt dem Autor seine Belesenheit an; seine Wortkreationen sind oft durchwirkt von klassischen Elementen, aber immer nur in exakt der Prise erkennbar, um den neuen Inhalt, das neue Gewand nicht zu überlagern, so wie das Gewürz eine Speise abrundet, ihr den letzten Pfiff gibt, aber nur zart zu erschmecken sein sollte.

Dominik Irtenkauf vermag es mit wenigen Worten, den Leser nach Istanbul zu entführen, zaubert ihm orientalische Bilder vor das geistige Auge. Man riecht fast die süßlichen Düfte exotischer Gewürze. Dann ist man direkt dabei, wenn es um das formbare Land der Seele des „Namenlosen“ geht. Nichts ist uns fremd an den Worten des Autors, an seinen Erkenntnissen – wie: |Wäre uns der Tod nicht ein ernster Feind, so könnten wir uns einfach ergeben in unser Schicksal.|

In „Nur ein Flügel hat gestreift“ rühren Dominik Irtenkaufs einfühlsam erzählte Kindheitserinnerungen eines Mannes und wie sie in sein Erwachsenendasein greifen. Die besondere Beziehung seiner Eltern, die „über das Jahr nicht viel miteinander sprachen, sondern es bei innigen Blicken beließen“. Man spürt sie fast, die Intensität dieser Blicke, die tiefer geht als jedes gesprochene Wort, es somit überflüssig macht. Umso weniger sind es die geschriebenen von Dominik Irtenkauf, denn sie bringen Menschen, ihre Gefühle, ihre Seelenbrandung, ihre Zwänge und Entgleisungen näher. So auch in dieser Geschichte, die zeigt, wie zerbrechlich Harmonie ist, wie kostbar Bindungen von Menschen sind und schmerzend, wenn einem bewusst wird, dass sie zerbrochen sind.

Der vorliegende Kurzgeschichtenband ist eine Crossoversammlung, ein Kaleidoskop verschiedener erzählerischer Sichtweisen, ein Wort-Experiment, ein teilweise literarisches Aufbegehren – Texte mit Profil, die in kein Schema passen. Und das ist gut so! Der Autor gibt in seinem Nachwort an, dass seine Absicht in der Bewusstmachung der verschrobenen Wege im eigenen Kopf liegt, denn keiner könne sich von Prägungen und auch Bequemlichkeiten freisprechen. Wohl wahr, wohl wahr. Besonders Letztere stehen oft der Entwicklung und dem persönlichen Glück, der Entfaltung im Wege. Bequemlichkeit ist ein Joch der Zeit, und somit ein Joch der Menschen.

Dominik Irtenkauf spricht auch die Vorschriften an, denen wir uns alle zu beugen und unterzuordnen haben. Auch die Literatur gehört dazu – und eben jenem Diktat entzieht sich der Autor dankenswerterweise, scheint somit nicht in unsere Zeit zu passen, ein junger Klassiker zu sein – und genau von eben jenen kann es nicht genug geben. Sie sind der Anker dessen, was wir Wortkunst nennen, was die Texte lebendig werden lässt, ihnen einen Odem einhaucht und sie aus der Masse hervorstechen lässt.

Es ist schwierig, über einen Band mit kurzen Texten nicht zu viel zu verraten, denn das wäre besonders im Fall von „Worträtseln“ ein fataler Fehler, nähme man ihnen doch damit die Wirkung. Daher sei über den Inhalt der Geschichten nichts verraten. Doch sei so viel erwähnt, dass mich „Verunglückung“ besonders nachhaltig erreicht hat. Der Text weckte Gefühle und Affinität in mir, über die Existenz, verlorene Existenz, wie schnell einem das Leben entgleitet, man sprachlos wird, besonders in der Zweisamkeit. Wie schwer es ist, Frieden zu erlangen. In sich selbst und mit anderen. Vorrangig in sich selbst. Wie die Ohnmacht greift, wenn sich das Leben schon zu Lebzeiten von einem verabschiedet und man wie ein Statist danebensteht.

Domini Irtenkauf sagt: |“Leser hin oder her – man muss den Mut aufbringen, von Zeit zu Zeit das geheime Wort auszusprechen, es einzugestehen. Der geheimnisvolle Weg geht nach innen!, meint Novalis, und ich schließe mich dem an.“| Ich wiederum schließe mich Dominik Irtenkauf an und wünsche mir mehr Autoren, die diesen Mut besitzen. Die Leser mögen es ihnen danken!

Ein kleines Härchen in der schmackhaften Suppe gibt es jedoch, und es sei nicht unerwähnt: Was die textliche Besonderheit des Bandes abgerundet hätte, wäre ein sorgfältigeres Lektorat, das Ungereimtheiten wie „und scharte um sich eine kleine Schar“ ausbügelt – zum Wohle des Autors und des Textes. Doch ist es Kleinverlagen wie diesem oftmals nicht gegeben, gute und somit teure Lektoren zu verdingen. Und schließlich sind es solche Verlage, die den Leser überhaupt in den Genuss solcher Texte und Autoren bringen, vor denen sich der Mainstream verschließt. Daher sei dieses einzige Manko zwar erwähnt, aber es ist dennoch nicht ausschlaggebend für die Güteklasse dieses kleinen, feinen Bandes.

_Fazit:_ Eine kleine literarische Besonderheit, die Beachtung verdient. Mehr davon!

|Mischwesen Autorenverlag, 2007
Kurzgeschichtensammlung
ISBN 978-3-938313-09-1
Linolschnitte: Fabian Oettel
Titelbild, Gestaltung und Satz: Bernhard Straßer
Paperback DIN A5, 142 Seiten|
http://www.mischwesen-av.de

_Dominik Irtenkauf auf |Buchwurm.info|:_
[„Subkultur und Subversion. Wanderer zwischen Zeichen, Zeiten und Zeilen“ 2656
[„Teufel in der Tasche, Der. Ein Reisebegleiter in seine Welt“ 2657

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