Jacobsen, Sid (Autor) / Cólon, Ernie (Zeichner) – The 9/11 Report . Die Comic-Adaption

Nach nunmehr beinahe sechs Jahren sind die Terroranschläge des 11. Septembers 2001 nach wie vor tief in unserem Gedächtnis eingebrannt. Die Bilder der brennenden Türme, der von jeglicher Hoffnung verlassenen Menschen, die sich aus den obersten Stockwerken in den Tod stürzten, und überhaupt die Vorstellung, dass ein an sich waffenloser Akt ein solch verheerendes Ausmaß würde haben können, wird jeder Zeitzeuge vermutlich mit ins Grab nehmen.

Während es in der Folgezeit tonnenweise Doku-Material, kritische Hintergrundberichte (wie etwa die sarkastischen Attacken eines Michael Moore in „Fahrenheit 9/11“) und literarische Aufarbeitungen gegeben hat, wagten sich die Unterhaltungsmedien vorerst nicht an dieses Thema heran. Zu nahe war die Tragödie, zu krass und aktuell noch die Nachwirkungen. Das Heldenepos „World Trade Center“, das im vergangenen Jahr vor allem die Arbeit der Feuerwehr am Tage der Anschläge herausstellte, brach schließlich mit diesem ungeschriebenen Gesetz, war aber letztendlich nicht mehr als ein Hollywood-Sensations-Movie ohne wirklichen Tiefgang.

Vor all diesen Hintergründen scheint es eigenartig, dass ausgerechnet eine illustrierte Reflektion des 11. Septembers die wohl beste bislang veröffentlichte Darstellung des komplexen Szenarios liefert. Unter Berufung auf den offiziellen Abschlussberichts des Komitees, das sich jahrelang intensiv mit den Ereignissen jener wohl traurigsten Momentaufnahme der US-amerikanischen Historie beschäftigt hat, haben Sid Jacobson (Chefredakteur bei |Harvey Comics|) und Ernie Cólon (unter anderem Zeichner bei |Marvel| und |DC|, verantwortlich für Serien zu „Green Lantern“ und „Wonder Woman“) die Geschehnisse in einer groß angelegten Background-Berichterstattung Revue passieren lassen und dabei überaus nuanciert hinter das gesamte Politikum geblickt, das auf die Tragödie hinführte, und hinterfragt, was sie beeinflusste.

In zwölf Kapiteln, angefangen mit einer dokumentarischen Zeitleiste der Flugzeugbewegungen, schaut das Duo auf vermeintliche Fehler der Regierung, Fehlleistungen des Systems und ganz besonders auf den Terror-Apparat, der für diesen und einige weitere Anschläge verantwortlich ist. Dabei gehen Jacobsen und Cólon nach besagtem Einstiegskapitel chronologisch vor und zäumen die Organisation der Attentate und ihre Vorgeschichte von hinten auf. Hierzu ist zunächst einmal eine Erklärung der neuen Form des Terrors erforderlich, in der wirklich alle Zusammenhänge zwischen den einzelnen Führungskräften des islamischen Terrors aufgedeckt werden.

Äußerst kritisch werden anschließend die Reaktionen der US-Regierung und die vielen gescheiterten Versuche, dem sich langsam aufbauenden Terror-Netzwerk vorab das Handwerk zu legen, betrachtet. Ohne Zynismus und Zweideutigkeit werden zahlreiche Fehler ans Tageslicht gebracht, haufenweise Versäumnisse aufgedeckt, jedoch nicht bloß blind kritisiert, sondern auch Lösungsstrategien ausgearbeitet, wie man manche Entwicklungen eventuell hätte eindämmen können. Der Skeptiker wird spätestens hier vermuten, dass die beiden Akteure sich hierbei als besserwisserische Einheit präsentieren, jedoch fußt das Wissen, das über die gesamte Dauer verwendet wird, auf fundierten Analysen und einer ständigen Hinterfragung merkwürdiger, aus heutiger Sicht untragbarer Entscheidungen seitens der Führung des Staates.

Ein Schwenk zurück zur Aktualität führt zu den jahrelangen Vorbereitungen der Anschläge und den dauerhaften Modifikationen, die währenddessen für die Terroristen nötig waren. Zahlreiche Namen werden ins Spiel gebracht, Visionen und die dazugehörigen Moralvorstellungen aufgedeckt, Osama bin Laden und die al-Qaida Stück für Stück auseinandergenommen und währenddessen wird weiterhin auf die Entwicklungen der Clinton- bzw. Bush-Administrative geschielt. Schlussendlich kulminieren die Geschehnisse an jenem Tag, der 3000 Menschen das Leben kostete.

Die Art und Weise, wie die beiden Denker und Lenker des Projekts ihre Arbeit konstruiert haben, ist überwältigend. Nüchtern, sachlich und abseits jeglicher Emotionen erarbeiten sie einen nach außen hin kaum überschaubaren Komplex und seine vielen versteckten Facetten. Man ist Kapitel für Kapitel einfach nur erstaunt, wie viel Wissen hier „unterhaltsam“ übertragen wird, aber auch – auf den reinen Inhalt bezogen – darüber, wie viele unfassbare Verstrickungen dieses Szenario eingeleitet haben. Liest man über die Vorbereitungen und die Mechanismen des Terrorismus, ist man auf eine abstoßende Art fasziniert ob der nahezu perfekten Arbeitsweise der al-Qaida und ihrer weltweit verteilten Kumpane. Natürlich maßt sich der Comic nicht an, das Netzwerk exakt zu durchleuchten – das scheint wohl nur den Mittelsmännern der Organisation möglich – aber wenn man einmal sieht, wie viele Informationen über bin Ladens Truppe bereits bekannt sind, wie oft man kurz davor stand, ihn zu überführen, es aber versäumte, und wie kreativ sich die Verfechter des Dschihads organisieren, fragt man sich doch durchgehend, warum man ihren Machenschaften gegenüber so machtlos ist.

Insofern regt „The 9/11 Report“ über alle Kapitel hindurch zur Diskussion an und fördert über fortwährende Einblicke in manch bislang unbekanntes Detail eine erneute intensive Auseinandersetzung mit der Thematik. Es ist ein komplett anderer Ansatz, Politik zu betreiben, ohne dabei bewusst subjektiv zur Meinungsbildung beizutragen. Es wird nichts verherrlicht, kein Versäumnis mit scharfen Geschossen verurteilt und erst recht nicht mit vermeintlichen Elementen wie pathetischen Darstellungen oder emotional aufreibenden Bildern und Berichten unterlegt. Stattdessen haben Jacobsen und Cólon ohne offensichtliche Stilmittel eine ergreifende Dokumentation mit unheimlich hohem Informationsgehalt und superben Illustrationen geschaffen, die sowohl inhaltlich als auch bezogen auf den grundlegenden Aufbau sämtlicher oberflächlichen Meinungsmache aus dem Hause Michael Moore vorzuziehen ist. Nicht nur, dass „The 9/11 Report“ in seinem Genre ein kaum vergleichbares Unikum darstellt, es versetzt den Leser auch in verblüfftes Staunen über die umfassende Berichterstattung. Somit kann ich dem renommierten Comic-Autor Stan Lee auch nur zustimmen, der über dieses Album sagt, dass er noch nie etwas gelesen habe, das solche Klasse und so überzeugend geschrieben und illustriert sei. Egal ob nun politisch interessiert und motiviert oder nicht – dieses Buch sollte man definitiv gelesen haben.

http://www.paninicomics.de

_Bücher zum 11.09.2001 bei |Buchwurm.info|:_

[„Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11.9.“ 103
[„Operation 9/11 – Angriff auf den Globus“ 678
[„Mythos 9/11“ 679
[„Der zensierte Tag“ 513
[„Die CIA und der 11. September“ 912
[„Hybris“ 196
[„Weltmacht Amerika – Das neue Rom“ 1614
[„Die Kriege der Familie Bush“]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=37

[9/11 Commission Report“]http://de.wikipedia.org/wiki/9/11__Commission__Report bei |Wikipedia|
[Verschwörungstheorien zum 11. September 2001]http://de.wikipedia.org/wiki/Verschw%C3%B6rungstheorien__zum__11.__September__2001 bei |Wikipedia|
[Terroranschläge am 11. September 2001]http://de.wikipedia.org/wiki/Terroranschl%C3%A4ge__am__11.__September__2001 bei |Wikipedia|

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