James, Peter – Mein bis in den Tod

Faith Ransome könnte eigentlich glücklich sein: Seit über zehn Jahren ist sie mit dem erfolgreichen Schönheitschirurgen Ross verheiratet, ihr kleiner Sohn Alec ist ihr ganzer Stolz, sie lebt in guten finanziellen Verhältnissen und ist attraktiv. Doch hinter der schönen Fassade ist Faith zutiefst unglücklich. Schon seit Jahren ist Ross nicht mehr der Mann, den sie mal geheiratet und geliebt hat. Nach außen hin präsentiert er sich als perfekter Ehemann, aber gegenüber Faith ist er kompromisslos, hartherzig und bestimmend. Jede kleine Nachlässigkeit im Haushalt bringt ihn in Rage. Faith muss stets perfekt gestylt und gekleidet sein, alles hat sich seinem Tagesrhythmus anzupassen. Sein Drang zu immer neuen Schönheitsoperationen an ihrem Körper verunsichert sie. Immer größer wird ihre Angst, dass er eines Tages auch Gewalt anwendet. Sie denkt an Scheidung, doch sie befürchtet, dabei ihren Sohn an Ross zu verlieren. Alex zuliebe, der sehr an seinem Vater hängt, versucht sie, den Schein zu wahren.

Auf einem Geschäftsessen von Medizinern begegnet Faith dem Arzt Oliver Cabot. Der sensible Mann mit den grauen Haaren ist ihr sofort sympathisch, was auf Gegenseitigkeit beruht. Bald darauf begegnen sich die beiden beim Einkaufen wieder. Faith ist fasziniert von der Ruhe und der Sicherheit, die der Alternativmediziner ausstrahlt. Bei ihm findet sie die Geborgenheit, die ihr in der Ehe mit Ross schon so lange fehlt. Oliver wiederum, dessen Ehe nach dem Tod seines Sohnes scheiterte, fühlt sich zum ersten Mal seit Jahren wieder zu einer Frau hingezogen.

Währenddessen erleidet Faith immer wieder Schwächeanfälle. Auf Drängen ihres Mannes lässt sie sich von ihrem Hausarzt untersuchen. Das Ergebnis ist schockierend. Alles in Faith sehnt sich danach, ihren Mann zu verlassen und mit Oliver ein neues Leben anzufangen und mit seiner Hilfe die Krankheit zu besiegen. Doch sie ahnt nicht, dass Ross grausame Pläne schmiedet, um seine Frau für immer an sich zu binden, und dabei vor nichts zurückschreckt. Er setzt einen Privatdetektiv und einen Killer auf Oliver Cabot an. Faith und Oliver müssen um ihr Leben kämpfen …

Es ist kein neues Thema und es sind keine neuen Zutaten, die Peter James für seinen Thriller verwendet. Das Resultat ist dementsprechend ein unspektakulärer, wenngleich unterhaltsamer Roman über das alte Thema einer Ehefrau in den Händen eines Psychopathen.

|Klappentext weckt falsche Erwartungen|

Die Kurzbeschreibung des Romans erweckt den fälschlichen Eindruck, hier stünden die Operationen von Ross an seiner Ehefrau im Vordergrund, da er Faith „nach seinen Vorstellungen umoperieren“ wolle und seine Frau deshalb nach einem Ausweg sucht. Tatsächlich spielt sein Operationszwang zwar eine Rolle, doch diese ist weitaus geringer, als man zunächst annehmen würde. Ross hat in den vergangenen Jahren ein halbes Dutzend Eingriffe an Faiths Körper und Gesicht vorgenommen und drängt sie zu einer weiteren Nasenkorrektur. Faith lehnt ab, bereut bereits ihre vergangenen Operationen und fürchtet immer mehr, dass Ross nie Gefallen an ihrem ursprünglichen Aussehen empfunden hat. Doch das ist dann auch schon alles und der Roman dreht sich wieder hauptsächlich um die unglückliche Ehe, um Ross‘ Einengung und Eifersucht und Faiths Versuch, der Hölle zu entfliehen. Keineswegs ist es so, wie der Klappentext suggeriert, dass Faith speziell wegen der Schönheitsoperationen aus der Ehe ausbrechen will. Vielmehr geht es um den psychischen Druck, den ihr Ehemann anwendet, die Gewalt, zu der er schließlich greift, und ihre Gefühle für Oliver Cabot.

|Charakterisierungen mit Licht und Schatten|

Das Hauptaugenmerk liegt eindeutig auf Faith Ransome. Mit ihr soll der Leser fühlen und sich so weit als möglich identifizieren. Das gelingt vor allem zu Beginn recht gut. Faith erscheint als sympathische junge Frau, die in ständiger Angst vor ihrem Ehemann lebt. Zum Wohl ihres Sohnes, der sehr an seinem Vater hängt, stellt sie ihr Fluchtbedürfnis zurück und bemüht sich, den heilen Schein zu wahren. Ihr Leben ist bestimmt von Unsicherheit und einer drückenden Spannung. Alles in der Wohnung muss blitzblank aufgeräumt und geputzt sein, Faith selber darf keine Schlabberklamotten tragen, sondern hat stets in perfektem Dress auf ihren Mann zu warten. Dabei wendet Ross zunächst nicht einmal körperliche Gewalt an – doch alles an seinem gebieterischen Auftreten schüchtert Faith ein. In seinen gemeinen Momenten erinnert er seine Frau daran, dass erst seine geschickten Chirurgenhände ihrem Gesicht und ihrem Körper zu der Ebenmäßigkeit verholfen haben, die sie von Durchschnittsfrauen abhebt. Mit unguten Gefühlen erinnert sich Faith daran, wie Ross sie auf Kongressen als Anschauungsmodell vorgeführt hat. Einerseits sagt sie sich, dass jeder Schönheitschirurg seine eigene Frau operiert, Ross sich also völlig normal verhält. Andererseits spürt sie immer mehr, dass er nicht sie selber liebt, sondern die Idealgestalt, die er nach seinen Vorstellungen aus ihr geformt hat. Ein großes Plus bei ihrer Charakterisierung ist die Tatsache, dass der Leser gut versteht, warum sie sich nicht einfach scheiden lässt. Ihr kleiner Sohn Alec, der von der Härte seines Vaters lange Zeit nichts mitbekommt, hängt sehr an seinem Daddy, so sehr, dass sie manchmal fast neidisch auf diese traute Zweisamkeit wird. Dazu kommt noch ihre eigene Mutter, die Ross beinah wie einen Heiligen verehrt, ja selber für ihn ein klein wenig schwärmt und nichts auf ihren geliebten Schwiegersohn kommen lässt. Auch im Bekanntenkreis ist Ross nur der angesehene Arzt mit den großartigen Erfolgen. Faith ist gefangen in einer Scheinwelt, die sie immer stärker spüren lässt, dass sie eines Tages ausbrechen muss, um ihr Glück zu finden.

Ross Ransome ist dagegen ein in jeder Hinsicht zwiespältiger Charakter. Gut gezeichnet sind seine Dominanz, sein befehlendes Auftreten, das keine Widersprüche duldet und ebenso die Souveränität, die er für unwissende Außenstehende ausstrahlt. Es fällt nicht schwer nachzuvollziehen, wieso sich Faith vor ihm fürchtet und weshalb im Gegenzug niemand anderer sein krankhaftes Verhalten erkennt. Etwas gewöhnungsbedürftig aber durchaus interessant ist seine Wechselhaftigkeit. Genau wie Faith weiß der Leser nie so recht, wie Ross auf neue Ereignisse reagieren wird. Wird er seine Frau schlagen, wird er die Nerven verlieren oder versucht er, sie mit Liebesschwüren an sich zu fesseln? Alles ist möglich, denn in seinem Kopf schwebt die fixe Idee, dass Faith ihn niemals verlassen darf. So schlecht er sie auch behandelt, so sehr überschüttet er sie immer wieder mit Beteuerungen, dass sie der Inhalt seines Lebens sei. Erst nach und nach erfährt man als Leser die ganze Grausamkeit seines Denkens. Ein Mittel dafür sind die schrittweisen Enthüllungen, wenn alle paar Kapitel die Zeit zurückgedreht und in seine Kindheit geschaltet wird. Hier sieht man den kindlichen Ross, man erfährt seine familiären Hintergründe und erlebt mir, wie er schon damals zu schrecklichen Taten fähig war. Ab da ist man gewarnt, dass er in seiner Rache vor nichts zurückschrecken wird …

Insgesamt weniger glaubwürdig ist allerdings die Darstellung von Oliver Cabot. Allein sein Hintergrund ist klischeehaft: Oliver verlor seinen Sohn durch eine Krankheit und wandte sich daraufhin der alternativen Medizin zu, trennte aich von seiner Frau und lebte bis zur Begegnung mit Faith in freiwilliger Enthaltsamkeit. Oliver ist der Samariter schlechthin, der Retter von Faith Ransome in allen Lebenslagen. Bereits auf den ersten Blick erkennt er die Traurigkeit der jungen Frau hinter der aufgesetzten Maske und legt es darauf an, sie bald wiederzusehen. Faith kann von Glück reden, dass ihr ein solcher Held begegnet – aber realistisch ist es nicht. Die Zuneigung und Beziehung zwischen den beiden entwickelt sich im Eiltempo und wirkt angesichts aller schwierigen Umstände zu geschönt, um wirklich zu überzeugen.

Ein umso facettenreicherer Nebencharakter indes ist der Privatdetektiv Hugh Caven, den Ross anheuert, um Faith und Oliver zu beschatten. Caven arbeitet einerseits mit unsauberen Methoden und hat eine kriminelle Vergangenheit hinter sich, andererseits besitzt er Herz und Mitgefühl. Sein Auftraggeber ist ihm alles andere als sympathisch und bis zum Schluss darf man mitfiebern, ob sich Hugh Caven für sein Gewissen oder für das Geld entscheidet.

|Gegen Ende konstruiert|

Leider spielt der Zufall grundsätzlich eine übertrieben große Rolle. Das ist vor allem gegen Ende hin ärgerlich, als alles auf einen spektakulären Showdown hinausläuft. Ross verhält sich wie viele Klischee-Psychopathen, die ihrem Opfer genug Spielraum zur Flucht geben, anstatt kurzen Prozess zu machen. Und auch der finale Schluss verläuft etwas zu abrupt und problemlos, als seien dem Autor die Zeit und die Ideen ausgegangen, das Ende realistischer zu gestalten. Es gibt keine wirklich überraschenden Wendungen, im Grunde verläuft alles so, wie der versierte Thrillerleser es bereits nach spätestens einem Drittel des Romans vermutet. Dass man sich trotzdem gut unterhalten fühlt, liegt vor allem am Interesse an der Hauptperson, deren Schicksal den Leser gewiss nicht kalt lässt.

|Verschenkte Spannungsmöglichkeit|

Man hofft auf ein doppeltes Happy-End, denn schließlich muss Faith nicht nur gegen ihren gefährlichen Ehemann, sondern auch gegen eine unberechenbare Krankheit ankämpfen. Und hier liegt auch eine verschenkte Möglichkeit, die Spannung zu steigern. Hin und wieder wird stellenweise in die Perspektive von Ross hinübergelenkt, so dass dem Leser Einblick in seine Gedanken gewährt wird. Dadurch wird Ross in seiner Unberechenbarkeit und Undurchschaubarkeit gebremst – anstatt dass der Leser im Dunkeln gelassen wird, ist er informiert über die Denkweise von Ross und seine Pläne hinsichtlich seiner Frau. Das zeigt sich deutlich, als er von ihrer schweren Krankheit erfährt. Geschickter wäre es gewesen, hier erst einmal offen zu lassen, ob nicht Ross die Blutproben gefälscht hat oder irgendwie an ihrer Krankheit Schuld trägt.

|Flüssiger Stil|

Mehr als 550 Seiten umfasst der Roman, lässt sich aber dennoch in wenigen Tagen verschlingen. Das liegt vor allem an der schnörkellosen Schreibweise, die es dem Leser ermöglicht, der Handlung ohne Mühe zu folgen. Obwohl die Medizin einen nicht unerheblichen Raum dabei einnimmt, kommen keine Unverständlichkeiten auf. Jede Operation von Ross wird verständlich geschildert, keine Fachausdrücke halten den Lesefluss auf. Auch wenn es um Faiths Krankheit geht, wird nicht im medizinischen Fachjargon, sondern immer nachvollziehbar darüber geredet. Die Rückblicke in die Kindheit von Ross sind sehr überschaubar gehalten und sauber vom Rest der Handlung abgetrennt – man muss nicht befürchten, dass die beiden Zeitebenen durcheinander geraten oder für Verwirrung sorgen. Wer zu einem empfindlichen Magen neigt, muss sich keine Sorgen über allzu grausige Szenen machen. Selbst die gewaltvollen Stellen sind nicht übermäßig explizit gestaltet, sodass auch bei Zartbesaiteten kein Ekel aufkommt. Insgesamt ist Peter James hier ein unterhaltsamer Thriller gelungen, der sich gut als Urlaubslektüre eignet, aber nicht dauerhaft im Gedächtnis bleibt.

_Unterm Strich_ erwartet den Leser ein solider, aber in keiner Form herausragender Thriller über einen psychopathischen Arzt und eine Frau in Gefahr. Die größte Stärke liegt in der Identifizierung mit der Hauptfigur, die sich gegen ihren mörderischen Ehemann und eine tückische Krankheit gleichermaßen wehren muss. Gegen Ende verliert die Geschichte leider an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Dank des lockeren, unkomplizierten Stils ist das Buch gut zum Zwischendurchlesen geeignet.

_Der Autor_ Peter James, Jahrgang 1948, liebt Autos, Sport und alles Paranormale. Er lebte jahrelang in den USA als Drehbuchautor und Filmproduzent, ehe er wieder nach England zurückkehrte. Zu seinen Werken zählen unter anderem „Ein guter Sohn“, „Die Prophezeihung“ und „Wie ein Hauch von Eis“. Zuletzt erschien der Horror-Thriller „Stirb ewig“.

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