Janesch, Sabine – Katzenberge

_Wenn man bedenkt_, wie viele Geschichten der Krieg zu erzählen hat, kann einem alleine schon beim Blick auf die vielen Einzelschicksale der Vertriebenen und plötzlich Heimatlosen regelrecht schwindelig werden. Vor allem im heutigen Polen wimmelt es von Nachzüglerfamilien, deren Ursprung nicht in ihrer jetzigen Heimat, ja manches Mal sogar völlig unbekannt ist. Dieses Thema hat Sabine Janesch offenkundig fasziniert und bewegt. Und die Nachwuchsautorin, die als Mittzwanziger definitiv das Zeug dazu hat, schon relativ bald als Shooting Star auf dem hiesigen Literaturmarkt zu landen, weiß definitiv, wovon sie spricht – bzw. wovon die vielen Inspiratoren reden, die mit ihren Geschichten Janeschs Phantasie zum Leben erweckt und ihr eine ganz außergewöhnliche, auf perfide Art und Weise gestaltete, mitreißende Geschichte entlockt haben.

Das bereits von Günter Grass in den höchsten Tönen gelobte Talent erzählt von der jungen, unscheinbaren Redakteurin Nele Leibert, die in ihrem Berliner Büro, nicht ganz überraschend, vom Tod ihres Großvaters erfährt. Leibert, die von der Aura des Verstorbenen stets beeindruckt und berührt war, lässt sich daher nicht lange bitten und tritt die Reise nach Schlesien an – wohlgemerkt ohne ihren emotionslosen Gatten Carsten, der die Herkunft seiner Frau immerzu missachtet hat und auch auf dieser Reise keine Rolle spielen möchte. Mit Ach und Krach stürzt Nele noch zur Beerdigungsgesellschaft und wird sich ein letztes Mal darüber im Klaren, was für ein geschätzter Mann Stanislaw Janeczko zu Lebzeiten gewesen ist.

Doch Leibert weiß ebenso um die Verbitterung, die er jahrelang mit sich getragen hat. Der Hass wendet sich vor allem gegen die deutschen und russischen Besatzer, die ihm seinerzeit die Heimat, damit auch auf noch bitterere Art seine Familie und schließlich auch seinen Stolz genommen haben. Auch wenn es Nele zunächst nicht leicht fällt, den Anlass zu Nutzen und auf Bitten ihrer Tante in der Vergangenheit zu stöbern: Gerade nach seinem Tod soll das Vermächtnis des alten Janeczko ein letztes Mal geehrt werden, so wie es bis dato nie geschehen ist.

Doch aller Anfang ist schwer, wie Leibert alsbald erfahren muss. Die Spurensuche erweist sich als schwierig, da sie sich nur auf den Erzählungen ihres begrabenen Großvaters stützen, sie vor allem jedoch in der ostpolnischen Heimat Janeczkos auf einige Widersprüche stößt. Doch das Puzzle, woher er kam, wer er vor seiner Zeit in Schlesien tatsächlich war, warum seine Familie ihn verstieß und welche Rolle sein Bruder dabei spielte, setzt sich nach und nach zusammen. Und weckt neben einigen nostalgischen Erinnerungen auch ein grausames Bild jener Zeit und jener Menschen, die unmittelbar für Janeczkos Werdegang verantwortlich waren.

_Sabine Janesch ist_ eine fabelhafte Erzählerin. Punkt! Man lässt sich von ihrer betören, mit simpel-philosophischen Texten verwöhnen, spürt ihre Leidenschaft für die einfachen, aber effizienten Gedankensprünge und lässt sich schließlich immer häufiger dazu verleiten, sich in den düsteren, mithin sehr emotionalen Text fallenzulassen. Dabei ist die Geschichte so unkonventionell und ungewöhnlich, beinhaltet nicht einmal einen klar herausgearbeiteten Spannungsbogen und droht so manches Mal, auf der Stelle zu treten und vor sich hin zu plätschern. Doch für derartige Fehltritte gibt Janesch letzten Endes dann doch nicht den erforderlichen Raum. Stattdessen erzählt sie einerseits aus der Vergangenheit und Sicht des Großvaters, andererseits aber auch von der suchenden Nele und lässt die beiden Stränge mit einigen unglaublichen Wendungen miteinander verschmelzen. Herausragend sind hierbei nicht etwa irgendwelche spektakulären Einheiten, sondern schlichtweg der Hang dazu, einfache Leute aus einer ebenbürtig einfachen Sicht einzufangen – und das ist über die Gesamtdistanz schlichtweg fantastisch gelungen.

Der Rahmen bleibt schließlich auch ein ungewohnter. Hört man ansonsten oftmals von den Flüchtigen und ihren existenziellen Nöten, beschreibt die Autorin von „Katzenberge“ die Geschichte eines Mannes und seiner Familie, wie sie auf schlesischem Boden neues, ebenfalls zurückgelassenes Land entdeckt und sich dort zwangsweise ansiedelt. Und genau in diesem Faktum schwingt besagte Verbitterung mit; allein deswegen, weil der Ursprung aufgegeben werden musste, aber auch weil der Geist der Besatzer, hier als Dämon symbolisch personifiziert, ein Leben lang die Verfolgung antritt und den neuen Bewohnern des Hofes keine Ruhe gönnt.

Es sind Sagen und Märchen aus der Vergangenheit, die hier ebenfalls Einzug halten, verknüpft mit einem authentischen Gesellschaftsbild aus einer ländlich-rückständigen Region, in der selbst die Ankunft einer Deutschen (und das ist Nele letzten Endes ja) ein geradezu bedeutsames Ereignis ist. Und das scheint ehrlich, in diesem Bereich – und auch das gibt es ja zuhauf – alles andere als sensationslüstern oder mit dem Drang versehen, möglichst krasse Schicksale ins Auge zu fassen, was „Katzenberge“ zu einem unspektakulär-aufregenden, vor allem aber aufwühlenden Buch macht, welches schließlich aber nur ein Ziel verfolgt: Eine Geschichte zu erzählen. Und diese sollte man lesen, da sie es wert ist, gelesen zu werden!

|Hardcover: 277 Seiten
ISBN-13: 978-3351033194|
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