Wolfgang Jeschke, Frederik Pohl (Hrsg.) – Titan-2

Klassische SF-Storys: Die Apotheose von Poopy-Panda

In der vorliegenden ersten Ausgabe des Auswahlbandes Nr. 2 von „Titan“, der deutschen Ausgabe von „Star Science Fiction 3+4“, sind viele amerikanische Kurzgeschichten gesammelt, von bekannten und weniger bekannten Autoren. Diese Auswahlbände gab ursprünglich Frederik Pohl heraus. Er machte den Autoren 1953 zur Bedingung, dass es sich um Erstveröffentlichungen handeln musste. Das heißt, dass diese Storys keine Wiederverwertung darstellten, sondern Originale.

Die Kriterien der deutschen Bände waren nicht Novität um jeden Preis, sondern vielmehr Qualität und bibliophile Rarität, denn TITAN sollte in der Heyne-Reihe „Science Fiction Classics“ erscheinen. Folglich konnten Erzählungen enthalten sein, die schon einmal in Deutschland woanders erschienen waren, aber zumeist nicht mehr greifbar waren. TITAN sollte nach dem Willen des deutschen Herausgebers Wolfgang Jeschke ausschließlich Erzählungen in ungekürzter Fassung und sorgfältiger Neuübersetzung enthalten. Mithin war TITAN von vornherein etwas für Sammler und Kenner, aber auch für alle, die Spaß an einer gut erzählten phantastischen Geschichte haben.

Die Herausgeber

1) Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im Kichtenberg Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Sciencefiction-Reihe Deutschlands beim Heyne Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die Einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und z. T. für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“.

2) Der Werbefachmann, Autor, Literaturagent und Herausgeber Frederik Pohl, geboren 1919 in New York City, ist ein SF-Mann der ersten Stunde. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg gehörte er der New Yorker „Futurian Science Literary Society“ an, bei er seine späteren Kollegen Isaac Asimov und Cyril M. Kornbluth kennenlernte. Von 1940-41 war er Magazinherausgeber, wandte sich dann aber dem Schreiben zu.

Als er sich mit Kornbluth zusammentat, entstanden seine bekanntesten Romane, von denen der beste zweifellos „The Space Merchants“ (1952 in „Galaxy“, 1953 in Buchform) ist. Er erschien bei uns unter dem Titel „Eine Handvoll Venus und ehrbare Kaufleute“ (1971). Darin kritisiert er auf bissige, satirische Weise die Ausbeutung des Weltraums. Ebenso erfolgreich ist seine Gateway-Trilogie, die zwischen 1977 und 1984 erschien und von denen der erste Band drei wichtige Preise einheimste.

Die Erzählungen

1) Arthur C. Clarke: „Hirten der Tiefe“ („The Deep Range“, 1954)

Don Burley ist ein Hirte der Tiefe: Er beschützt die von den Menschen einer übervölkerten Erde gezüchteten Wale vor ihren Feinden. Und gerade bekommt Don eine Warnmeldung herein, dass im Nordatlantik, nur 500 Seemeilen entfernt, eine Walherde sehr schnell vor einem Raubtier fliehe – genau in Dons Richtung. Er schwingt sich in sein U-Boot und pfeift seine zwei dressierten Delphine Benj und Susan herbei, damit sie ihm wie gute Hirtenhunde zu Seite stehen.

Kurze Zeit später macht er mit Radar, Sonar und Optik das Raubtier aus, das ein paar Nachzügler der Herde angreifen will: eine Kuh und ihre zwei Kälber. Das darf Don nicht zulassen. Die Delphine greifen den 13 Meter langen Grönlandhai unverzagt an, damit er von seinem Angriff ablässt. Aber zur Strecke bringen können das Raubtier nur Dons eigene Bordwaffen. Neben den Torpedoraketen hat er auch einen „Stachenrochen“ in Arsenal, den er nun abfeuert. Die Spitze des Geschosses bohrt sich in die Haut des Hais und injiziert ihm ein tödliches Gift, das ihn außer Gefecht setzt. Geschafft – die Wale sind gerettet. Die Ernährung der Menschheit ist wieder einmal gesichert.

Mein Eindruck

Die actionreiche Story mutet uns heute extrem zynisch an, weil die Wale inzwischen eine vom Aussterben bedrohte Art sind. Doch der Gedanke, dass es Hirten für sie geben muss, ist geblieben: Die Organisation „Sea Shepherd“ versucht immer wieder, in spektakulären Aktionen, japanische und andere Walfangschiffe von ihrem grausamen und illegalen Treiben abzuhalten.

Ansonsten erscheint es mir unplausibel, dass die ganze Erde auf das Protein der Wale angewiesen ist, neben dem Plankton vielleicht. Zwar sollen Fischfarmen die Ozeane füllen – und an vielen Küsten ist dies bereits Praxis – doch Wale allein können den Tisch der Milliarden sicherlich nicht decken.

2) Lester Del Rey: „Fremdling“ („Alien“, 1954)

Larry und Al schippern gerade friedlich durch die Südsee, als eine merkwürdige Rakete herabschießt und auf die Wellen knallt. Da der Schwung ihres Flugs sie weiterträgt, kann sie nicht bremsen. Weil der fette Al seinen Rausch ausschläft, sieht nur Larry das Geschoss auf Kollisionskurs auf sie zukommen. Er wirft ein aufblasbares Rettungsfloß über Bord und hüpft hinterher. Keine Sekunde zu spät, denn plötzlich wird der Bug seines Einmasters weggerissen, und das Boot beginnt zu sinken. Wenig später nimmt er den verletzten und jammernden Al an Bord und paddelt zu einer kahlen Felseninsel, die er kurz zuvor gesehen hat.

Zum Glück hat das Floß Proviant, Wasserkanister und einen Notsender an Notsender. Auf der Insel verarztet er Al, bevor er nach dem Sender sucht: Das Gerät ist verschwunden! Wenig später löst sich auch einer der beiden Wasserbehälter in Luft auf. Offenbar sind Larry und Al nicht allein auf der Insel. Als er auf den Piloten jener unseligen Rakete stößt, sieht der Fremdling zwar humanoid aus, hat aber weder Nase noch Ohren, und er kann fünf Meter hoch springen. Larry hat keine Chance, ihn zu töten. Denn der Fremde will ihn doch garantiert umbringen, oder?

Die Tage vergehen, und Larry muss sich mit der Koexistenz abfinden. Der Fremde hat sein aus Sand gebautes HILFE-Signal zerstört, sodass auch kein Flugzeug kommen wird. Eines Tages stellt der Fremde Wasser und Fische neben Al, bevor dieser ihn angreift. Larry wirft den garantiert vergifteten Fisch weg und behält nur das Wasser, um dem fiebernden Al Linderung zu verschaffen. Aber was der Fremdling mit seinem Notsender? Er hat ihn komplett umgebaut und mit einer Art Spinnennetz aus Drähten versehen. Als Larry sie anfasst, bekommt er einen elektrischen Schlag, der sich gewaschen hat. Ruft der Fremde seine Kameraden?

Als er merkt, dass das Alien schwach und krank wirkt, schleicht sich Larry wieder an. Sein Speerstoß verfehlt es dennoch. Da zerreißt ein Donnerschlag die Luft: Ein Alienschiff setzt zur Landung an, um seinen Kameraden aufzunehmen. Doch was werden die Fremdlinge mit den Erdlingen anstellen?

Mein Eindruck

Die anschaulich, flott und spannend erzählte Geschichte mutet zunächst wie Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ an, doch der Hintergrund ist viel moderner: Viele Amerikaner strandeten im 2. Weltkrieg auf Inseln der Südsee und mussten sich durchschlagen. Sie hatten Angst vor der Vergeltung durch japanische Soldaten, die sich vielleicht an den Amis rächen wollten. Daher reagierten die Amis meist völlig paranoid, um ihr Leben zu verteidigen.

Ebenso verhält sich Larry, obwohl er kein Soldat ist und nie im Krieg war. Offenbar sind er und der fette Al so sehr von der Propaganda des Kalten Krieges indoktriniert, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, die Fremden könnten ihnen helfen wollen. Als genau dies geschieht, wirkt es daher ziemlich ironisch. Es ergibt allerdings kein Szenario wie in Barry Longyears, von Wolfgang Petersen verfilmter Novelle „Enemy Mine“, wo zwei feindliche Kampfpiloten auf einem Asteroiden ums Überleben kämpfen.

Die Aliens sind auch nicht wie Freitags Zeitgenossen primitive Kannibalen, sondern gehören einer hochtechnisierte Zivilisation an – wie hätten sie sonst den interstellaren Raumflug entwickeln können? Sie erweisen sich daher als Helfer statt als Killer. Die Story erweist sich als leiser Aufruf zur Beendigung des Kalten Krieges – doch dessen Ende ließ dann doch noch 35 Jahre auf sich warten, bis 1989.

3) Chad Oliver: „Gibt es noch mehr von Ihrer Sorte?“ („Any More At Home Like You?“, 1954)

Der Fremde stürzt in seinem Raumschiff in der Nähe von Los Angeles ab. Er nennt sich Keith, als Frank Evans ihn in sein Haus lässt, nur Keith. Die von Franks Frau Babs herbeigerufene Polizei holt ihn und lässt sein Raumschiff untersuchen. Offenbar hat er den Ozean zwischen den Sternen überwunden, gehört also einer höherentwickelten galaktischen Zivilisation an, mutmaßen die Sensationsblätter, die die Nachricht hinausposaunen. Keith ist der Rummel einfach nur megapeinlich, aber er hält sich an seine Anweisungen: Wenn du in Rom bis, mach es wie die Römer. Und er macht sich eifrig Notizen in seiner Kurzschrift.

Also heult er mit den Wölfen, sichert dem Außenministerium seine Mitarbeit zu, sagt brav „Hallöchen“ beim US-Präsidenten und hält eine von Freundschaft beseelte Rede vor den Vereinten Nationen, die enthusiastisch beklatscht wird. Dann verschwindet er spurlos. Erst Tage später taucht er an einem sprachwissenschaftlichen Institut auf, um Prof. Coles um Hilfe zu bitten. Der Linguist ist nicht allzu verwundert, als Keith verrät, dass er gar kein Späher, Vorbote oder Diplomat sei, sondern lediglich ein Student der Sprachwissenschaft, der Daten für seine Doktorarbeit sammelt. Nachdem Coles seinen Lachanfall überwunden hat, macht er sich daran, dem eifrigen Studenten von den Sternen zu helfen.

Mein Eindruck

Der Autor ist Anthropologe, und das merkt man seinem Text auch an. Er hat ein realistisches Verständnis vom Wissenschaftsbetrieb und weiß, wie sich Studenten an den Fakultäten anstrengen müssen, um einen Doktorgrad zu erhalten, egal ob sie hienieden oder in einer anderen Galaxis leben.

Die Ironie entsteht durch den Konflikt zwischen dem Motiv des Studenten und den Erwartungen der besuchten Erdlinge. Für diese ist jeder Besucher von den Sternen nur entweder ein Freund oder – meistens – ein Feind, aber keinesfalls ein Privatmann. Überträgt man dieses Problem auf die Erde, so muss jeder Amerikaner, der in den Fünfzigerjahren – sagen wir mal – den Südsudan besuchte, den Eingeborenen wie ein Botschafter von einem anderen Stern erschienen sein.

Ironisch ist auch die Diskrepanz zwischen der Behandlung des Besuchers durch die UNO (Begeisterung) und jener, durch die amerikanische Regierung im Außenministerium: Hier wird Realpolitik exerziert, mit versteckten Drohungen, versteht sich. Kein Wunder, dass in einem solchen geistigen Klima keine ernsthafte Forschung stattfinden kann – ein allgemeines Problem, das alle Wissenschaftler haben.

4) Cyril M. Kornbluth: „Advent auf Kanal zwölf“ („The Advent On Channel Twelve“, 1954)

Erzählt in der bekannten lutherschen Diktion des Alten Testaments verläuft die nur drei Seiten kurze Geschichte ungefähr folgendermaßen …

Und es begab sich, dass den Bankiers in New York City das Geld knapp wurde, und so erließen sie an ihren Schuldner Ben Graffis die Anweisungen, seine Schöpfung Poopy Panda in einem neuen Film wiederzuerwecken und „aus allen Rohren feuern“ zu lassen. Zunächst war Ben Graffis, seines Zeichens Zeichentrickfilmer und -zeichner, widerwillig, um des schnöden Mammons anderer Leute zu gehorchen, doch sie verwiesen darauf, was er ihnen schuldete, und so setzte er sich ans Werk, versammelte seine Drehbuchautoren, Regisseure und Kameraleute um sich und sagte zu ihnen: Machen wir etwas Besonderes draus!

Nun ist aber Poopy Panda nicht irgendeine x-beliebige Figur, sondern Oberhaupt einer nach 36 Millionen zählenden Fangemeinde und Vorstand einer Familie anderer Trickfiguren, die Tag für Tag Eltern und ihre Kinder in Poopy-Panda-Land um ihre Silberlinge erleichterten. Also soll der Neue nicht bloß unterschwellige Anreize unters Volk bringen, sondern direkte Gebote verkünden. Poopy Panda bekommt einen Heiligenschein und lässt sich von seinen Fans anbeten.

Unreine Geister überkommt angesichts dieser Blasphemie das Kotzen, doch es gibt noch eine Instanz, die das nicht witzig findet. Und als Ben Graffis an seinen Schreibtisch zurückkehren will, sitzt da ein Typ mit Heiligenschein, der kurz mal „Poopy poop poop“ sagt – da waren sie alle fort.

Und so brachen die seligen Tage der Herrschaft von Poopy Panda und seinen Freunden an, und ihre Tage waren lang und die Erdlinge voller Seligkeit …

Mein Eindruck

Die klassische Weihnachtsgeschichte der Bibel ist hier mal etwas satirisch aufgebürstet formuliert, und zwar von einem Könner seines Fachs. Die Parallelen zwischen dem Imperium des Poopy-Panda und dem von Disney etc. sind unübersehbar. Der Autor macht die Zusammenhänge zwischen kapitalistischem Profitstreben (das irrtümlich oft als etwas Uramerikanisches propagiert wurde) und den psychologischen Motivationsanreizen sehr deutlich: Popy Panda-Filme sind nichts weiter als verkappte Werbefilmchen.

Sehr ironisch kommt daher der Schlenker daher, als Poopy Panda den Spieß umdreht und zum Gott erhoben wird, der den Geldhaien an der Wall Street zeigt, wo fortan der Hammer hängt.

5) Jack Vance: „Der Teufel auf der Segensklippe“ („The Devil On Salvation Bluff“, 1954)

Der Planet Gloria ist das neue Heim für eine katholische Kolonie, doch es gibt ein wachsendes Problem unter den Kolonisten: Sie werden geisteskrank. Auch Bruder Raymond und Schwester Mary haben mit den chaotischen Lichtverhältnissen dieser Welt zu kämpfen: Mehrere Sonnen umkreisen sie auf unregelmäßigen Bahnen – der rote Robundus, dann Urban und Maud. Kein Wunder, dass es kaum Abend geworden ist, wenn schon die nächste Sonne aufgeht. Um wenigstens etwas Ordnung in ihrem Leben zu haben, sind Raymond und Mary dankbar für die genau gehende Zentraluhr, die aufd der Segensklippe montiert ist und per Funk alle anderen Kolonistenuhren steuert.

Um ein zweites Problem anzupacken, steigen Raymond und Mary ins Gebirge Grande Montagne. Dort leben die Streuner: ungepflegte, schmutzige Aussteiger, die nur eines kennen, nämlich Ziegen züchten, die ihr Hauptnahrung darstellen. Die zwei Missionare müssen enttäuscht feststellen, dass das vor zwei Monaten überreichte und eingeweihte neue Dorf von den Streunern verlassen worden ist. Und in der Kapelle stapeln sich ein Dutzend Leichen.

Als sie den Häuptling in einem alten Dorf erreichen, sagt er, dass dies die Leichen von Streunern seien, die verrückt geworden seien – zu viele gerade Linien. Tatsächlich sind in seinem schmutzigen Dorf überhaupt keine geraden Linien zu sehen, dafür kopulierende Paare. Schwester Mary lehnt sein Angebot, sie für eine Weile zu seiner Frau zu machen, denkend ab. Raymond hat eine Idee: Man müsste sich mal den Verstand des Häuptlings ansehen. Mit dem Versprechen von Salz locken sie ihn in die Kolonie und betäuben ihn.

Im überfüllten Sanatorium erweist sich der Streuner jedoch als Totalverweigerer, der sein ganzes Zimmer umkrempelt und die Wände beschmiert. Unter Hypnose verrät er, was ihn besorgt macht, und er seinerseits erfährt, was die Kolonisten so verrückt sein lässt: die große Uhr auf der Segensklippe. Kaum ist er entkommen, müssen Raymond und Mary am nächsten „Morgen“ feststellen, dass die Zentraluhr ausgefallen ist – ein Felssturz hat sie zerstört. Die Kolonisten erwarten das Ende der Welt.

Als der Inspektor von der Zentralverwaltung eintrifft, findet er die Verhältnisse auf Gloria stark verändert vor …

Mein Eindruck

Als ich diese Story las, musste ich sofort an John Brunners Planetenromane „Das Geheimnis der Draconier“ und besonders „Die Pioniere von Sigma Draconis“ denken. Denn alle drei Geschichten besagen, dass man die Erde nicht auf einer fremden Welt neu erschaffen kann, ohne verrückt zu werden. Nur die Anpassung an die fremden Verhältnisse erlaubt ein Überleben, andere Wege führen geistig oder biologisch ins Verderben. Interessant ist der Zeitpunkt, zu dem Jack Vance diese Erkenntnis verkündete: 1954 oder 1958.Das war die Zeit, als die literarische Bewegung der sogenannten Beatniks aufkam, die die amerikanische Kultur als krankhaft wahrnahmen (z. B. in Allen Ginsbergs Gedicht „Das Geheul“).

6) Fritz Leiber: „Raum-Zeit-Sprünge“ („Space-time For Springers“, 1958)

Es war einmal eine nette Familie, die hatte zwei Kinder und drei Katzen. Die jüngste Katze aber hielt sich für etwas Besonderes, nämlich für ein Menschenkind vor seiner Metamorphose in ein echtes Kind, das noch in seiner Kätzchengestalt gefangen war. Und dieses Gummiez genannte Kätzchen war nicht nur überdurchschnittlich schlau, sondern besaß auch die Fähigkeit des Teleportierens: Gerade ist es noch hier, doch schon einen Augenblick später ist es dort. Geduldig wartete es darauf, zu einem klugen und schönen Menschenkind heranzureifen, das von seinen wahren Eltern geliebt wird. Doch es sollte nicht sein. Und das kam so …

Gummiez weiß, dass das Mädchen Sissy nicht sprechen kann, aber schon längst diese Fähigkeit hätte erwerben sollen. Die Erklärung ist einfach, logisch und einleuchtend: Sissy steht vor ihrer Verwandlung in eine Katze. Doch eines Nachts wird Gummiez Zeuge einer schrecklichen Tat Sissys: Mit einer Stricknadel sticht das schlafwandelnde Mädchen seinem kleinen Brüderchen ins Gesicht. Und weil das Brüderchen, das ja später auch mal eine Katze werden wird, unter dem Schutz von Gummiez steht, stellt sich ihr der schlaue Jungkater in den Weg.

Sie messen ihre Kräfte mit Blicken. Dabei geschieht etwas Sonderbares … Als die Eltern den ersten, je von Sissy gehörten Schrei vernehmen, eilen sie herbei: „Mama! Halt mich!“ Na, das lässt sich die überglückliche Mutter nicht zweimal sagen, und als sie die Kratzer in Babys Gesicht bemerkt und die Stricknadel, verjagt sie die böse Katze in den Keller. Das zum Jungkater herangewachsene Kätzchen aber teleportiert von dort nie wieder und sieht aus, als hätte es resigniert. Sissy wächst zu einem klugen und netten Mädchen heran, das sein Brüderchen liebhat. Nichts ist jedoch darüber bekannt, ob Sissy jemals teleportiert hat …

Mein Eindruck

Es gibt viele Geschichten über magische Katzen, aber diese hier ist ganz besonders bezaubernd. Gummiez hält sich nicht nur für ein Menschenkind im Larvenstadium, sondern auch noch die anderen Menschenkinder für Katzen im Larvenstadium. Es gibt ja schlagende Beweise aus der Natur, die das Phänomen der Metamorphose belegen. Dass die erwachsenen Menschen von diesen Zusammenhängen nichts mitbekommen, versteht sich von selbst: „Dosenfutter“ (der Mann) und „Miez-Miez-koomm“ (die Frau) sind wahrscheinlich selbst stark mit Katzen verwandt. Gummiez wurde, so glaubt er, aus einer Falte von Dosenfutters Bademantel geboren.

Gummiez bemerkt seltsame Phänomene in seiner Umgebung und interpretiert sie auf seine Weise. So sind etwa Spiegelbilder nicht etwa Selbstbildnisse, sondern Geister anderer Katzen, die zum Betrachter gehören, um ihn seiner Identität zu versichern. Man kann also leicht nachprüfen, ob man noch der Gleiche ist, wenn man sein Spiegelgeistgesicht anschaut. So macht es Gummiez, als er einem Eichhörnchen ins Gesicht schaut.

Obwohl sich die Geschichte wie eine Tierphantasie liest, beleuchtet sie doch wichtige menschliche Themen: Intelligenz und Identität. Und dass kleine Mädchen schlafwandeln, um ihre kleinen Brüderchen umzubringen, ist auch nicht gerade passend für eine Gutenachtgeschichte. Phantastisch wird die Story vor allem durch die Vermenschlichung der tierischen Hauptfigur, durch Teleportation und nicht zuletzt durch Seelenwanderung. Der Leser sieht sich veranlasst, seinem nächsten Gegenüber viel tiefer in die Augen zu sehen als sonst – ist da nicht ein Schimmer kätzischer Intelligenz zu bemerken?

7) Philip K. Dick: „Foster, du bist tot“ („Foster You’re Dead“, 1954)

Mike Foster hat’s in der Schule schwer. Sein Vater, ein Möbelhandlungsbesitzer, ist der einzige Bürger der Stadt, der keinen privaten Schutzbunker besitzt, keine Beiträge für die Permanente Nationale Verteidigung zahlt und auch die Gebühr für den Schulbunker nicht entrichtet hat. Kein Wunder, dass die Lehrerin, Mrs. Cummings, darüber sehr erstaunt und enttäuscht ist. Von seinen Mitschülern wird Mike folglich wie ein Aussätziger behandelt.

Doch Bob Foster entgegnet auf die Vorwürfe seines Sohnes und seiner Frau Ruth, dass diese Bunker erstens zu teuer für ihn seien und zweitens der reinste Konsumterror. Ja, der Präsident habe sogar die Städte zu einem Wettbewerb untereinander angespornt. Nur um damit den Umsatz von General Electronics zu steigern. Aber er lässt sich schließlich breitschlagen und kauft das neueste Bunkermodel, einen GEC S 1972 für 20.000 Dollar auf Raten. Mike ist total happy, und auch die Nachbarn begrüßen den früheren Abtrünnigen in ihrer Mitte.

Doch kaum ist der Bunker unter der Erde verbuddelt, kommt die Nachricht, die Sowjets hätten Bohrgranaten entwickelt, und gegen die müsse man nun Adapter kaufen. Bob Foster hatte Recht: Dieser Konsumterror wird ewig weitergehen. Seinem Sohn bricht es fast das Herz, als er erfährt, dass sein Vater den Bunker hat zurückgeben müssen. Er fühlt sich so tot, wie alle sagen, dass er es bald sein werde, wenn er nicht …

Mein Eindruck

Diese Erzählung ist wirklich erstaunlich gelungen, nicht nur in ihrer Aussagekraft, sondern auch in der emotionalen Kraft der Charakterisierung von Figuren, die sich einer bizarren Situation ausgesetzt sehen, die aber allen außer einem (Mikes Vater) völlig normal und vernünftig vorkommt. Bissig ist auch der hammerharte Schluss: „Friede auf Erden; Öffentlicher Schutzbunker; Eintritt 50 Cents“. Offenbar wird auch mit Krieg und Frieden ein gutes Geschäft gemacht. Aber jemand wie Mike, der kein Geld hat, ist quasi bereits tot, weil er den Schutz nicht erhält, auf den er eigentlich ein moralisches Anrecht hätte.

Die Erzählung ragt durch die psychologische Einsicht in die Figuren weit über die anderen Beiträge hinaus. Man merkt sofort, dass sie von einem Meister der Kurzgeschichte geschrieben wurde. Diese Story war die Erste, die Dick auch in die Sowjetunion verkaufen konnte. Wahrscheinlich hatten auch dort Schutzbunker Konjunktur.

8) Lester Del Rey: „Entwicklungshilfe“ („Helping Hand“, 1958)

Die Aliens landen, als gerade eine Mondexpedition ihre Traktoren auslädt. Der Weltraumtechniker Sam Osheola, ein gebürtiger Seminole aus Florida, bekommt von Expeditionsleiter Bill Larsen den Auftrag, die Sprache der Zweibeinigen, purpurhäutigen Raumfahrer zu erlernen. Sein Lehrer ist Ato, und das Lernen an Bord des fremden Raumschiffs geht schnell vonstatten. Ato, ein einfacher Handelsfahrer, berichtet Sam von der Geschichte seines eigenen Sternenimperiums. Sam ist erstaunt, wie sehr der Werdegang der Perui der Entwicklung seines eigenen Planeten ähnelt, Kriege und Friedensschlüsse inklusive – dem „Friedensschirm“ sei Dank.

Dass die Fremden offensichtlich keine Anstalten treffen, eine Invasion vorzubereiten, hält den US-Präsidenten jedoch nicht davon ab, seinen „Problemlöser“ Donahue mit einer Wasserstoffbombe zum Mond zu schicken. Das erfährt Sam von Larsen und zieht seine Schlüsse. Wird das Gleiche passieren wie damals, als die Weißen sein eigenes Volk angriffen? Die Seminolen, die bis heute keinen Friedensvertrag mit der US-Regierung abgeschlossen haben, zogen sich in die Sümpfe zurück, um die Übermacht des weißen Mannes nicht zu einer Kolonisierung ausarten zu lassen.

Vor die Wahl gestellt, die Perui die Erde übernehmen oder Donahue die Fremden angreifen zu lassen, gelangt Sam zu einer, wie er meint, unausweichlichen Schlussfolgerung und handelt danach. Doch Ato hat ihn bereits durchschaut und aktiviert seinen „Friedensschirm“, der auch keine Revolverkugeln durchlässt. Zusammen gelangen Ato und Sam zu einer traurigen Erkenntnis …

Mein Eindruck

Entwicklungshilfe ist ein zweischneidiges Schwert. Sie kann in einer „helfenden Hand“ bestehen oder in einer totalen Übernahme. Der Autor führt, vertreten durch Sam, eine Menge historischer Beispiele an. Es gab kein einziges Mal eine rein altruistische Entwicklungshilfe, sondern stets eine Übernahme, so etwa in Indien und Kanada, ja, sogar ganz üble Eroberungskriege wie in Mexiko und Peru.

Die Frage ist nun, wie der Erstkontakt mit den Perui für die Erde verlaufen wird, nachdem klar ist, dass die Perui über den überlichtschnellen Antrieb verfügen und somit überlegen sind. Atos Beteuerungen, er wolle lediglich Handel treiben, können die Erdlinge keinen Glauben schenken. Unten auf dem Planeten bricht die allgemeine Paranoia aus, und die H-Bombe der Amerikaner dürfte dem Erstkontakt unter Umständen ein schnelles Ende bereiten. Wenn nicht der „Friedensschirm“ die Bombe nicht aufhalten würde.

Sam sieht dies alles auf sich zukommen. Muss es denn immer so enden, mit einer Kriegshandlung? Er ist in einer einzigartigen Position, um als Seminole Parallelen ziehen zu können. Doch mir leuchtet der Schluss nur zum Teil ein: Ato und Sam verbrüdern sich gegen den Abgesandten der Amerikaner, und nachdem sie die Besatzung Atos zum Mars in Sicherheit geschickt haben, lassen sie sich von Donahues Rakete töten. Der Leser hat die Aufgabe, sich die Folgen auszumalen: Die Erde wurde angegriffen und wird aufrüsten, um sich dem Perui-Imperium entgegenstellen zu können. Ist das gut oder schlecht?

Der Autor begrüßt den nun folgenden technischen Fortschritt, ohne den gesellschaftlichen Rückschritt zu bedenken: Die Militärs werden die demokratischen Institutionen aushebeln, und ein Militärdiktator wird das Land beherrschen. Aber die Erde wird ihre Konflikte beilegen und sich zusammenschließen müssen, um mit vereinter Anstrengung eine Raumflotte auszurüsten. Das wiederum ist positiv zu werten.

9) Jack Williamson: „Konsumartikel“ („Guinevere For Everybody“, 1954)

Als der Computerfachmann Pip Chimberley am Flughafen von Flagstaff, Arizona, eintrifft, um einen ausgeflippten Supercomputer zu reparieren, begrüßt ihn eine halbnackte junge Frau: „Kaufen Sie mich! Nur 4 Dollar 95!“ Obwohl seine Ohren rot werden, fällt Pip auf diese plumpe Anmache nicht herein, sondern besieht sich die Sache näher. Die junge Frau ist an einen Verkaufsautomaten gekettet, auf dem ein Werbespruch für „Ginevra, den neuesten, vitalisierten Konsumartikel“ steht.

Bald stellt sich heraus, dass „vitalisierte Konsumartikel“ brandneu auf dem Markt sind, und nur in Flagstaff. Die einheimischen Frauen sind nicht gut auf die billigen Sklavinnen zu sprechen. Um mehr über sie zu erfahren, muss Pip sie kaufen. Sie bittet flehentlich um ihr Kosmetikköfferchen, Kostenpunkt: 19,95 $. Und da sie Hunger und Durst hat, ist noch einmal eine Rechnung fällig. Schnell merkt Pip, dass hinter Ginevra & Co. eine raffinierte Verkaufsmasche steckt. Aber wer hat sie produziert?

Als er in der Fabrik des ausgeflippten Supercomputers, wo die Ginevras geklont und indoktriniert werden, nachfragt, erhält er zur Antwort, dass die Fabrik stillgelegt worden sei – zu viele Einwohner hätten dagegen protestiert. Pip sieht die schwarzen Stümpfe der Palmen und weiß Bescheid. Aber er glaubt nicht daran, dass Computer einfach so ausflippen, sondern dass meist ein menschlicher Missbrauch dahintersteckt. Schon bald kommt er dem Geheimnis auf die Spur.

Mein Eindruck

In dieser Story des Anfang des Jahrhunderts geborenen Autors wurde ich durch zwei sehr moderne Themen verblüfft. Hier wird bereits Cloning und Indoktrinierung als Produktionsverfahren für Androiden beschrieben – aber dieses Prinzip wurde ja schon von Aldous Huxley in „Schöne neue Welt“ 1928 vorgestellt. Erst in den Fünfzigern erhielt die Wissenschaft mit den leistungsfähigeren Computern die Möglichkeit, große Datenmengen zu speichern, zu verarbeiten und auf Medien auszugeben – hier angeblich auf biologische Gehirne.

Das zweite moderne Thema sind nicht Super-, sondern Heimcomputer. Die gab es damals noch nicht und wurden erst Mitte der achtziger Jahre entwickelt (Amiga, Atari, IBM usw.). Das dritte Thema sind natürliche künstliche Frauen. Nicht gerade der neueste Einfall, denn künstliche Frauen gab es bereits in „Metropolis“ (1928) und noch früher, in der amerikanischen SF z. B. in der Story „Helen O’Loy“ (eine Anspielung auf Helena von Troja, gemacht aus „alloy“, also einer Metalllegierung).

Die Computer kommen hier gut weg, die Manager weniger. Und als Pip in sein Motelzimmer zurückkehrt, um die hübsche Ginevra zu umarmen, erwartet ihn eine schlimme Überraschung … Die Geschichte hat also durchaus eine Moral. Weder Frauen noch Computer kann man die Schuld zuschieben, ganz im Gegenteil, sondern schuld sind die fiesen kapitalistischen Manager, die sich an den Maschinen rächen, durch die sie ersetzt wurden.

Die Übersetzung

Früher hat man sie „Funk“ wahrscheinlich, wie auf Seite 69, „Radio“ gesagt, ohne zwischen den beiden Ausdrücken zu unterscheiden. Deshalb sagt man ja auch Radioteleskop, obwohl mit Funk gemessen wird. Auf Seite 72 wird der Häuptling auf einmal als „Chef“ bezeichnet; das ist eine direkte und m. E. somit unkorrekte Übertragung von engl. „chief“.

Der einzige wirklich schwere Fehler findet sich auf Seite 121. Hier hat die Übersetzerin den verbreiteten Fehler begangen, Figuren zu verwechseln. „…als er Larsen und nicht Bill die Befehle geben sah“, heißt es da. Allerdings heit Larsen selbst mit Vornamen Bill, kann also nicht gemeint sein. Da nur von Sam und Larsen die Rede ist, muss also „Bill“ durch „Sam“ ersetzt werden.

Unterm Strich

Die meisten Beiträge dieses Auswahlbandes erscheinen mir im Rückblick von recht durchschnittlicher Qualität, und die meisten befassen sich mit der Begegnung mit dem Fremden, sprich: Aliens. Überzeugen konnten mich besonders die Stories von Jack Vance, Philip K. Dick und Fritz Leiber. Leiber ist ein charmantes Stück Katzenmagie gelungen, Dick ein beunruhigendes Stück Paranoia-Literatur, und Jack Vance zeigt (wie später Brunner und Lem), dass es keine Kopien der Erde geben kann. Stilistisch herausragend ist sicherlich Cyril M. Kornbluths satirische „Weihnachtsgeschichte“, in der nicht das Christkind die Menschen beglückt, sondern eine vergöttlichte Zeichentrickfigur.

Für den deutschen SF-Leser des Jahres 1976 waren diese Originalbeiträge – allesamt Erstveröffentlichungen von 1954 und 1958 – willkommenes Lesefutter, um sich einen Überblick über die Entwicklung des Genres in den fünfziger Jahren zu verschaffen. Der Erfolg des TITAN-Formats mit seinen etwa zwei Dutzend Bänden gab Herausgeber Jeschke Recht. Auch die sorgfältige Übersetzung trägt noch heute zum positiven Eindruck bei. Die wenigen Druckfehler lassen sich verschmerzen.

Taschenbuch: 160 Seiten
Originaltitel: Star Science Fiction 3+4, 1954+1958/1976
Aus dem US-Englischen von Yoma Cap
www.heyne.de