Jeschke, Wolfgang / Pohl, Frederik – Titan-5

_Classic SF: Pfarrer Amos erklärt Gott den Krieg_

In der vorliegenden ersten Ausgabe des 1977er-Auswahlbandes Nr. 5 von „Titan“, der deutschen Ausgabe von „Star Short Novels“ und „Star Science Fiction 5+6“, sind viele amerikanische Kurzgeschichten gesammelt, von bekannten und weniger bekannten Autoren. Diese Auswahlbände gab ursprünglich Frederik Pohl heraus. Er machte den Autoren 1953 zur Bedingung, dass es sich um Erstveröffentlichungen handeln musste. Das heißt, dass diese Storys keine Wiederverwertung darstellten, sondern Originale.

Die Kriterien der deutschen Bände waren nicht Novität um jeden Preis, sondern vielmehr Qualität und bibliophile Rarität, denn TITAN sollte in der Heyne-Reihe „Science Fiction Classics“ erscheinen. Folglich konnten Erzählungen enthalten sein, die schon einmal in Deutschland woanders erschienen waren, aber zumeist nicht mehr greifbar waren. TITAN sollte nach dem Willen des deutschen Herausgebers Wolfgang Jeschke ausschließlich Erzählungen in ungekürzter Fassung und sorgfältiger Neuübersetzung enthalten. Mithin war TITAN von vornherein etwas für Sammler und Kenner, aber auch für alle, die Spaß an einer gut erzählten phantastischen Geschichte haben.

_Die Herausgeber _

1) _Wolfgang Jeschke_, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im Kichtenberg Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Sciencefiction-Reihe Deutschlands beim Heyne Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und z. T. für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“.

2) Der Werbefachmann, Autor, Literaturagent und Herausgeber _Frederik Pohl_, geboren 1919 in New York City, ist ein SF-Mann der ersten Stunde. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg gehörte er der New Yorker „Futurian Science Literary Society“ an, bei der er seine späteren Kollegen Isaac Asimov und Cyril M. Kornbluth kennenlernte. Von 1940-41 war er Magazinherausgeber, wandte sich dann aber dem Schreiben zu.

Als er sich mit Kornbluth zusammentat, entstanden seine bekanntesten Romane, von denen der beste zweifellos „The Space Merchants“ (1952 in „Galaxy“, 1953 in Buchform) ist. Er erschien bei uns unter dem Titel „Eine Handvoll Venus und ehrbare Kaufleute“ (1971). Darin kritisiert er auf bissige, satirische Weise die Ausbeutung des Weltraums. Ebenso erfolgreich ist seine Gateway-Trilogie, die zwischen 1977 und 1984 erschien und von denen der erste Band drei wichtige Preise einheimste.

_Die Erzählungen_

_1) Arthur Sellings: |Der Kulissenschieber| (|The Scene Shifter|)_

Der Schauspieler Boyd Corry entdeckt eines Tages in der Kinovorstellung seines Films, dass die Schlussszene verändert wurde. Er sieht lächerlich aus. Wie kann es das Studio wagen?! Wutschnaubend geht er zum Studio-Agenten Cavanagh, der sich doch sehr wundert: Er weiß nichts davon. Und der Studiochef Drukker erst recht nicht, der seine Existenz schon in Gefahr sieht. Denn Änderungen könnten ja auch unzüchtige Inhalte umfassen, die zur Zensur eines Films und so zu massiven Einnahmeausfällen führen könnten.

Nachdem ein Fehler der Technik und des Vorführpersonals ausgeschlossen worden ist, kommt eigentlich nur noch die Zuschauerschaft infrage. Durch Videoüberwachung grenzt man den Kreis der Verdächtigen auf fünf, dann auch einen Verdächtigen ein: ein älterer Herr namens Alfred Stephens. Wie hat er es gemacht, das mit den Änderungen? Und warum, will Drukker wutschnaubend wissen. Denn seine Studie ist nicht das Einzige, das von Mr. Stephens‘ Machenschaften betroffen ist.

Stephens ist unbeeindruckt, sondern sagt, er finde die Filme schlecht gemacht und habe das Recht, sie zu verbessern. Und wie? Durch die Kraft seiner Gedanken …

|Mein Eindruck|

Ist dies ein früher Entwurf für selbst produziertes Kino (personal video), also für YouTube? Vielleicht hat sich der Autor auch nur darüber geärgert, wie mies die Qualität der Hollywoodschinken seiner Zeit war und wollte aufzeigen, dass es nicht beim passiven Konsum bleiben muss. Der Zuschauer wird bei ihm kreativ – und alle anderen außer den Filmschaffenden haben Spaß daran.

Doch Alfred Stephens, der selbsternannte Filmkorrektor, ist keineswegs ein Spaßvogel oder Scherzkeks, sondern ein Philosoph. Das stellt auch Cavanagh in einem langen Dialog fest, an dessen Ende etwas übertragen wird. Stephens weigert sich, nur passiver Konsument zu sein. Er ist aber kein Psi-Gigant, der die Welt aus den Angeln hebt.

Vielmehr wirkt er sehr bescheiden, als er sich auf Platons Höhlengleichnis beruft: Alles, was wir sehen, sind gleichsam nur Schatten an der Wand einer Höhle, die vom Feuer der Ideen geworfen werden. Geld, Macht, Schönheit – alle sind solche vergänglichen Schatten. Doch wenn man das Potential der Ideen nur eine Winzigkeit einsetzen würde – dann würde man beispielsweise Filme verbessern …

_2) Algis Budrys: |Abstieg| (|Star Descending|)_

Die Firma Spot Dialog bietet einen ganz speziellen Service: Allwissenheit. Wenn ein Klient bei einem wichtigen Treffen, etwa einer Stellenbewerbung nicht mehr weiter weiß, schickt ihm die Agentur per Hyperwelle das benötigte Wissen direkt ins Bewusstsein. Klar, dass sich diesen Service nur Besserverdienende leisten können.

Doch bei Mr Carmer ist etwas schiefgelaufen, und Henry Walters, der Anteilseigner von Spot Dialog, und Mr Stephenson, sein Geschäftspartner für den Betrieb, sind besorgt. Es stellt sich heraus, dass Mr Carmer mitten im Satz abbrach, als er einen wichtigen Mann traf. Die einzige vernünftige Erklärung lautet, dass die Übertragungswelle überlagert wurde – von einem Konkurrenten.

Beim nächsten Klienten zeigt sich auch schon die Wahrheit dieser Erkenntnis. Mr Dietz, der Klient, ist ein Agent der Agentur Easyphrase, deren Geschäftsführer dem von Spot Dialog ein Angebot zur feindlichen Übernahme macht: Henry Walters wird mit einem Aktienpaket und einem Abteilungsleiterposten abgespeist. Doch ohne Henry Walters!

Leider hat Walters nicht damit gerechnet, dass ihm Stephenson in den Rücken fallen würde. Er wird komplett ausgebootet. Doch wer nicht Gottes Part spielen kann, der muss eben den von Luzifer übernehmen, beschließt Walters …

|Mein Eindruck|

Der unterkühlte Stil von Algis Budrys war noch nie mein Fall, und auch hier behandelt er ein metaphysisches Thema auf rein materialistische Weise. Zwei Agenturen bekämpfen sich, und der erste Agenturinhaber verliert. Doch er gibt nicht auf. Dass er nicht mehr die Rolle eines Gottes, sondern die eines Teufels spielen will, ist der einzige Hinweis darauf, worum es wirklich geht: über die metaphysische Herrschaft über die Menschen – der Kampf zwischen Gott, dem Allwissenden, und seinem abtrünnigen Engel Luzifer. Mache jeder Leser selbst daraus, was er kann.

_3) Lester Del Rey: |Denn ich bin ein eifersüchtig Volk| (|For I Am a Jealous People|)_

Die Invasion der Aliens hat begonnen. Als Pfarrer Amos Strong in der Kirche von Wesley, Kansas, seinen Morgengottesdienst abhält, donnern bereits die Düsenjäger der amerikanischen Luftwaffe in Richtung auf einen der Landeplätze der Alien-Raumschiffe. Doch dieser Morgen ist auch noch in anderer Hinsicht anders für Vater Amos: Er hat die Nachricht bekommen, dass sein Sohn Richard bei der Verteidigung des Mondes gefallen sei. Doch sein Glaube an den allgütigen Gott ist unerschüttert.

Doch dann stürzt Dr. Alan Miller, der Atheist, in die Kirche und bereitet dem friedlichen Moment der Einkehr ein jähes Ende: „Die Aliens kommen hierher!“ Während alle Dorfbewohner erst dem Aufmarsch der Verteidiger und dann der Rückkehr der besiegten zusehen, begibt sich Amos zu seiner Frau Ruth. Sie teilt ihm mit, dass Richard heimlich Anne Seyton aus Topeka geheiratet habe, und die junge Frau sei nun hier. Doch auch Anne hat sich von Gott abgewendet und hat für Amos nur Zorn übrig. Als Ruth in den Garten hinausgeht, um etwas fürs Essen zu holen, mäht der Kugelhagel eines feindlichen Tieffliegers sie nieder.

In der Nacht wird Wesley evakuiert. Doch Dr. Miller harrt wider Erwarten bei Amos aus, sodass sie am nächsten Zeugen des Einzugs des Feindes werden. Man nimmt sie gefangen und wirft sie auf den Wagen zu den Leichen. Anne Seyton feuert wutentbrannt auf die Eindringlinge, doch die Geste ist vergebens. Keine Sekunde später ist auch sie tot. Amos hat bereits drei Familienangehörige an nur zwei Tagen verloren. Ihm kommen zweifel an Gottes Absichten. Will er ihn etwa wie einst Hiob prüfen?

In der nächsten Stadt, Clyde, stecken ihn die Fremden zusammen mit Miller in eine Art improvisierte Zelle. Ein fetter Alien, der Englisch spricht, gibt ihnen Auskunft, man wolle sie als Lebensmittelvorrat halten. Und er gibt sich als Priester zu erkennen, dessen Gott ihm aufgetragen habe, die Erde von allen Greueln und Schändlichkeiten zu reinigen, denn dies sei das Gelobte Land.

Es ist nicht schwer, das Schloss der improvisierten Zelle zu öffnen und mit den anderen in die Kirche von Clyde zu eilen. Dort weiß Amos einen Fluchtweg in der Sakristei. Doch bevor er weitereilt, spürt er ein merkwürdiges Kribbeln auf der Haut. Ein unheimliches Gleißen dringt aus dem Altarraum hervor: Zwei priester der Aliens stehen vor einer Lichtquelle, die mit einem Schleier verhüllt ist – „Gott!“, entfährt es Dr. Miller.

Und dieser Gott spricht zu Amos‘ Verstand, als wäre er leibhaftig hier. Danach ist für Amos nichts mehr wie zuvor. Denn Gott hat den Vertrag, den er einst mit Abraham schloss, aufgekündigt und ihn mit den Eindringlingen, den Mikhtash, neu geschlossen, auf dass sie die Menschen ausrotten mögen …

|Mein Eindruck|

Man fragt sich natürlich sofort, ob dies Handlung eine Anspielung auf den Kalten Krieg ist, der in den fünfziger Jahren zu einem Wettrüsten, unzähligen Atom- und Wasserstoffbombenversuchen sowie zu vielen Stellvertreterkriegen (z.B. in Korea) führte. Sind die USA wirklich das Auserwählte Volk, das Gott auf seiner Seite hat? Zweifel sind berechtigt, wenn mann berücksichtigt, dass die Russen ebenso fortschrittlich sind, was Wirtschaft und technik anbelangt. Sie schickten als Erste einen Satelliten (Sputnik) ins All und ließen den ersten Menschen (Gagarin) die Erde umrunden.

Doch der Autor Lester del Rey geht noch einen Schritt weiter: Er lässt die Aliens die USA auf deren eigenem Boden angreifen, indem sie Brückenköpfe besetzen und die Raketenabwehr lähmen. Wo ist denn nun der ebenso kostbare wie kostspielige Raketenabwehrschirm hin, scheint der Autor keck zu fragen. Und in Vater Amos kommen angesichts der persönlichen Verluste Zweifel auf, ob sich Gott noch auf seiner Seite befindet.

Man liest jedoch nicht oft, dass sich Gott auf die Seite des Feindes geschlagen habe (von Hollywoodfilmen darf man dies schon gleich gar nicht erwarten), sodass er sich seine bisherigen Anhänger zum Feind macht. Das wirft eine ganze Menge seltsamer theologischer Fragen auf: Was wird beispielsweise aus den Seelen der Verstorbenen? Landen sie jetzt irgendwo im Limbus, einer kosmischen Wartehalle? Man könnte fast meinen, Lester del Rey sei selbst man Pfarrer gewesen. Oder zumindest Philosoph, denn er ist der einzige (neben Philip K. Dick) mit bekannte SF-Autor der USA, der Kants Kategorischen Imperativ korrekt zitiert.

Vater Amos macht eine nachvollziehbare Entwicklung durch. Sobald die ersten militärischen Erfolge erzielt worden sind – Atombomben ohne radioaktiven Fallout machen’s möglich – kehrt er zurück an die Stätte seines jahrelangen Wirkens, schart die Überlebenden um sich und hält eine fulminante Predigt: „Denn ich bin ein eifersüchtig‘ Volk“ heißt es ja schon in der Bibel. Gott, so verspricht Amos, solle in der Menschheit einen würdigen GEGNER finden. Keine Rede von Luzifer also. Vielmehr beruft sich Amos, bei sich selbst, auf Kant, als er sich rechtfertigt: Menschen sollen kein Mittel zum Zweck, sondern der Zweck selbst sein. Und er, Amos, müsse ihnen deshalb dienen. Gott sollte sich mal besser warm anziehen …

_4) Gordon R. Dickson: |Der Schutzengel| (|Dreamsman|)_

Mr Willer macht sich fein, bevor er mit seinem 1937er Auto losfährt, um die Conalts zu besuchen. Er stellt sich als Vertreter der Liberty Versicherung vor, doch eigentlich geht es ihm um etwas anderes. Das frisch verheiratete Paar Edith und Henry Conalt hat einen telepathischen Suchruf ausgeschickt, und er hat ihn aufgefangen, verfügt er doch selbst über Psi-Kräfte. Solch ein Ruf sei selten, sagt, und sie seien deshalb etwas Besonderes. Man würde sie auf der Venus daher mit offenen Armen willkommen heißen. Das Raumschiff dorthin stehe schon bereit.

Doch da tritt ein weiterer Typ auf, und die Conalts sind reichlich erstaunt, wollten sie doch bereits die Rakete besteigen. Dieser zweite Mann stellt sich als der Schutzengel der Psi-Talente vor und weist Willer in die Schranken. Der alte Wilo sei bloß darauf aus, neue Psi-Talente in die Wüste zu schicken, damit möglichst alles beim Alten bleibt. Willer meint, er möge alles so, wie es ist.

|Mein Eindruck|

Auch hier wird eine Art Teufel geschildert, nämlich der Versucher in Gestalt von Mr Willer (der nie seinen Vornamen nennt, sofern er einen besitzt). Sobald sich ein Menschenpaar zeigt, das ein neues Talent aufweist, das es über die Masse heraushebt, taucht Mr Willer auf, um es – per Raumschiff zur Venuskolonie – in die Wüste zu schicken. Auf diese Weise bleibt alles, wie es ist: Mittelmäßig.

Die Frage erhebt sich, wofür dieser symbolische Vorgang steht. Schnappen sich die Geheimdienste solche Talente, um sie zu missbrauchen und danach zu eliminieren? Nur bei Stephen King („Feuerkind“). Ist es das Showbusiness, das die Talente aufsaugt und danach wieder ausspuckt? Siehe Marilyn Monroe. Oder die Regierung, die – wie schon in „Ehrbare Kaufleute und eine Handvoll Venus“ – zusammen mit der Werbewirtschaft redliche junge Paare zur Besiedlung von Wüstenplaneten verführt, die ihnen nur Verderben bringen?

Auch diesen Saubermann können wir dem ansonsten so renommierten Autor Dickson nicht abnehmen. Dieser scheint die Wahrheit und Ehrlichkeit gepachtet zu haben und hält seine schützende Hand über den Fortschritt, den die Conalts verkörpern. Er hat noch nicht einmal einen Namen, geschweige denn menschliche Züge. Dieser Schutzengel (siehe Titel) macht die Erzählung zu einer durchsichtigen Allegorie von Gut und Böse, die abgeschmackt wirkt.

_5) Tom Purdom: |Der heilige Gral| (|The holy grail|)_

Morgan Valentine ist gewalttätiger Bursche, der seine Frau Teresa schlägt. Er braucht dringend einen Psychiater, das ist ihm klar. Doch ein Psychiater kostet eine Stange Geld – Geld, das Morgan im Vergnügungspark verdienen muss. Dort ist er der Anwerber für Süchtige, die den Glücksgenerator der Huxley-Maschine nicht mehr entbehren können, so wie Laura.

Doch Morgan braucht neue Kunden – „Abschüsse“. Und da taucht auch schon eine neue Frau auf. Sie sieht aus wie 29 oder 30: zu alt, um unerfahren zu sein, aber alt genug, um verzweifelt auf der Suche nach einem Ehemann zu sein. Sie geht denn auch in die Liebesschule, Morgan wusste es ja. Sie wurde vor dem künstlichen Glück gewarnt, hat aber Schuldgefühle, dieses Glück überhaupt anzunehmen. Sie zu überreden, ist leicht, und sie setzt sich in die Huxley-Maschine, für eine Gratistour. Perfekt.

Doch dann macht ihm sein Kollege Wilson einen Strich durch die Rechnung …

|Mein Eindruck|

Noch ein teuflischer Verführer! Noch dazu ein prügelnder Dealer, der dringend einen Psychoklempner nötig hat. Er verkauft eine süchtig machende Glücksmaschine, sozusagen einen Ersatz für Drogen wie Morphium und Heroin (Kokain gab es in den Fünfzigern noch kaum). Suchtdrogen waren bereits in diesem Jahrzehnt durchaus bekannt und als Gefahr erkannt, wie der erstklassig mit Frank Sinatra verfilmte Roman „Der Mann mit dem goldenen Arm“ von Nelson Algren zeigt.

Allerdings zeichnet der Autor den Pusher oder Dealer nicht als reinen Schurken, sondern ebenfalls als ein Opfer des Systems: Die Heilung in Form eines Psychiaters kostet zuviel, um sie sich als Elektriker verdienen zu können. Und gerade als Land in Sicht ist, wird der Pusher selbst gelinkt, von seinem Konkurrenten, der ihn erpresst. Auf diese Weise entsteht ein Teufelskreis, der für Pusher wie für Junkies nur abwärts führen kann. Eine deprimierende Story, die den Leser hart an die Realität der Drogenszene heranführt – selten für Sciencefiction.

_6) Rosel George Brown: |Ein haarsträubendes Abenteuer| (|A Hair Raising Adventure|)_

Sam ist verliebt in alte Sprachen und dadurch lange Zeit Junggeselle geblieben. Erst die Heirat mit Ruth bringt eine gewisse Veränderung mit sich: Er solle für den zu erwartenden Nachwuchs mehr Geld verdienen und die Beschäftigung mit dem Altskythischen bleiben lassen. Indem er sich auf Binsenweisheiten seines Vaters beruft, weist er die mit reichlich Geschäftssinn Gesegnete sanft zurecht. Das wiederum quittiert sie schlauerweise mit einem Weinkrampf.

Erst auf einer Party mit Chuck bekommt sie mit, dass Sam über Wissen verfügt, das ihnen beiden ein Vermögen einbringen könnte: ein Haarwuchsmittel der alten Skythen! Doch da Sam ein freigebiger Mensch ist und jeder Menschenseele nur das Beste zutraut, gibt er sein Rezept wenigstens in groben Zügen weiter, worin Stutenmilch, Wein und ein bestimmtes Kraut eine Rolle spielen. Denn Chuck ist ja kahlköpfig, braucht das Zeug also dringender als er selbst. Ruth fällt vor Verzweiflung in Ohnmacht.

Schon wenige Tage später macht die Kunde vom neuen Haarwuchsmittel der Firma Full Head die Runde. Kaum ist Chuck wieder zurück, taucht ein Afrikaner mit einem Speer auf. Er will die Korrekturbögen für Sams Artikel, in dem die Herstellung des skythischen Haarwuchsmittels beschrieben wird. Mit einem cleveren Trick weiß sich zu Ruths Erstaunen des Afrikaners zu entledigen. Und zu Sams Genugtuung erweist sich auch Chucks Haarwuchsmittel als Desaster.

Denn als Chuck das Rezept aus einem der Korrekturbögen abschrieb, übernahm er unwissentlich einen Setzfehler des Verlags. Die Folge war ein Herstellungsfehler. Was würde Chuck nicht alles darum geben, um diesen Setzfehler korrigiert zu bekommen! Keine Chance. Er schickt Sam sogar eine berückende Blondine mit aufregenden Kurven ins Haus – angeblich will sie das Skythische eifrig studieren. Ruth hat das blonde Gift jedoch sofort durchschaut. Nur Sam kann sie davon abhalten, das Mädchen hinauszuwerfen.

Doch dann klopft der Präsident der Vereinigten Staaten persönlich an die Tür von Ruths und Sams Haus …

|Mein Eindruck|

Diese nette Erzählung bildet den komischen Kontrast zu den vorangehenden Teufels- und Verführergeschichten. Sam, der ökonomisch unbedarfte Exzentriker behält wundersamerweise die Oberhand, weil er seiner Frau Ruth beweist, dass immaterielle Werte weitaus wichtiger sind als jene materiellen, an die sie glaubt. Wissen ist zwar Macht, aber es muss sich nicht in bare Münze umsetzen lassen. Insofern ist die Story auch wieder eine Art Märchen, in dem nicht der Schurke obsiegt, sondern der reine Tor.

_7) Cordwainer Smith: |Angerhelm| (|Angerhelm|)_

Der Erzähler ist der Stellvertreter des Buchhalters von FBI und CIA. Er wundert sich über den Wirbel, den die Russen über ein seltsames Tonband machen, auf dem nichts zu hören ist – rein gar nichts außer einem merkwürdigen Summen und Klicken. Doch nachdem der sowjetische Botschafter seinem amerikanischen Kollegen vom Außenministerium das Tonband vorgespielt hat (dreimal!), weiß jeder im Raum eine Adresse: „Nelson Angerhelm, 2322 Ridge Drive, Hopkins, Minnesota“. Die Amis wundern sich, wie das sein kann und was dieser Angerhelm damit zu tun hat.

Besagter Angerhelm ist ein Nachfahre schwedischer Einwanderer, die den Namen Ankerhjelm trugen, und seines Zeichens ein betagter Hühnerfarmer, der alleine lebt. Binnen kürzester Zeit wird sein Haus von sämtlichen Geheimdiensten und der Bundespolizei verwanzt. Das Ergebnis ist gleich null. Er ist kein Spion, kein Außerirdischer, noch nicht mal Russe. Weil aber die Russen immer noch darauf bestehen, die Bedeutung ihres Tonbands zu erfahren, müssen die Amis eines Tages schließlich doch zur Hühnerfarm hinausfahren. Und wer muss in die tiefste Provinz fahren? Natürlich nicht irgendein hochbedeutender Amtsleiter, sondern ein Subalterner wie unser Chronist.

Angerhelm stöhnt, als man ihm das Tonband abspielt. Auch er hat klar und deutlich seine eigene Adresse – nun, „gehört“ wäre wohl zuviel gesagt. Aber sein Gehirn hat sie registriert. Aber er sagt, da sei noch viel mehr: eine lange Botschaft von seinem Bruder Tice. Genau – der Tice, der schon längst tot ist. Und wenn das FBI nichts dagegen hat (warum auch?), werde er, Nelson Angerhelm, auf ein anderes Tonband sprechen, was sein Bruder aus dem Totenreich zu sagen hatte …

|Mein Eindruck|

Dies ist mal keine von Smiths Geschichten über die „Instrumentalität“, die eine mögliche Zukunft für die Menschheit entwerfen (seit Kurzem chronologisch geordnet und vollständig in einem Heyne-Sammelband erhältlich). Vielmehr ist „Angerhelm“ teils komische Diplomaten- und Agentensatire, teils metaphysische Tragödie. Der Autor, selbst als Diplomat auf internationalem Parkett unterwegs, kennt sich offensichtlich bestens mit den Gepflogenheiten seiner Branchen, aber auch mit der dunklen Seite der Geheimdienste aus – ein großer Spaß, diese Paranoia, wenn sie auf ein unerklärliches Phänomen wie das Angerhelm-Tonband trifft.

Das Tonband wurde nicht nur per Telekinese bespielt, sondern ist selbst ebenfalls telekinetisch aktiv: Es überträgt seine Botschaft, wie es ein telepathischer Gedanke tun würde. Dadurch wird die Botschaft selbst ins Metaphysische gerückt. Und sie wäre es schon alleine dadurch, dass ihr Absender sich nicht mehr unter den Lebenden befindet. Aber wo ist Tice Angerhelms Seele eigentlich? Weder im Himmel noch in der Hölle, sondern in einem Limbus, den Dante als Purgatorio (Fegefeuer, Vorhölle) beschrieben hätte. Und von dort schickt Tice, der Scherzkeks, seinen letzten Witz ab …

_Unterm Strich_

Für einen Leser unserer Zeit ist es schon recht erstaunlich, wie hoch der Gehalt dieser Auswahl an metaphysischen Anspielungen (bei Dickson, Cordwainer Smith, Budrys), theologischen Diskussionen (bei del Rey etwa) im Vergleich zu weltlichen Themen wie etwa des Drogenproblems oder der Konformität ist. Auch die Philosophie kommt nicht zu kurz, so etwa Platon bei Sellings und Kant bei del Rey. Hier gibt es immer noch eine Menge Gesprächsstoff oder Diskussionsbeiträge.

Da lobt man sich doch ob dieser Gedankenschwere solche netten Komödien wie „Ein haarsträubendes Problem“ oder die Diplomaten- und Agentensatire „Angerhelm“. Auch „Kulissenschieber“ hat seine amüsanten Momente. Das kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass del Reys Novelle das Haupt- und Prunkstück dieser Auswahl darstellt. Ja, sie wurde sogar mitten ins Zentrum gerückt, und das zu Recht: Mit rund 50 Seiten ist sie doppelt so lang wie die längsten anderen Beiträge.

|Das Hauptstück|

Die Geschichte von Pfarrer Amos ist die Geschichte einer Bekehrung – allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Es ist Gott, der sich von den Menschen abgewandt und den Invasoren zugewandt hat. Soll Amos vom Glauben abfallen oder wird er nur, wie weiland Hiob, geprüft? Es ist eine für damalige Verhältnisse wohl recht spannende Frage, doch für uns Heutige doch reichlich uninteressant. Es sei denn, man ist ein fundamentalistischer Christ oder ein Sektenanhänger.

Dennoch war ich erstaunt, wie stark mir Amos‘ innerer Wandel ans Herz ging und mich interessierte, ganz ungeachtet von Amos‘ vielen Verlusten. Denn erstens beeindruckte mich auch seine Kenntnis und Übernahme von Kants Kategorischem Imperativ und zweitens weiß der Leser nie, wohin Amos‘ Entwicklung führen wird.

Ich hätte nicht erwartet, jemals einen amerikanischen Priester Gott den Krieg erklären zu sehen. Ob wohl jemals ein muslimischer Imam in eine solche Lage geraten ist, etwa im Irak oder Afghanistan, angesichts einer westlichen Invasion? Ich könnte es mir nach dieser Erzählung ein wenig besser vorstellen. Ohne allerdings die Abkehr von Allah zu erwarten.

|Die Reihe|

Für den deutschen SF-Leser des Jahres 1977 waren diese Originalbeiträge – allesamt Erstveröffentlichungen von 1954 und 1959 – willkommenes Lesefutter, um sich einen Überblick über die Entwicklung des Genres in den fünfziger Jahren zu verschaffen. Der Erfolg des TITAN-Formats mit seinen etwa zwei Dutzend Bänden gab Herausgeber Jeschke Recht. Auch die sorgfältige Übersetzung trägt noch heute zum positiven Eindruck bei. Die wenigen Druckfehler lassen sich verschmerzen.

|Taschenbuch: 157 Seiten
Im Original: Star Short Novels, 1954; Star Science Fiction 5+6, 1959/1977
Aus dem US-Englischen von Walter Brumm, Horst Pukallus und Joachim Pente
ISBN-13: 978-3453304406|
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