Jim & Mermoux – Einladung, Die

_Inhalt:_

Als mitten in der nacht das Telefon klingelt, hat Raphael überhaupt kein Interesse, den Hörer abzuheben. Es ist vorerst seine letzte Nacht mit Helen, der kommende Arbeitstag naht und er kann sich weitaus Besseres vorstellen, als seinen wertvollen Schlaf für ein Telefonat aufzugeben. Doch als der Hörer nicht stillsteht, nimmt Raphael dennoch ab und erfährt von seinem Freund Leo, dass dieser in einiger Entfernung mit einer Reifenpanne liegengeblieben ist. Missmutig eilt Raphael seinem Freund zur Hilfe, geht ihm aber auf den Leim, denn Leo wollte lediglich austesten, welcher seiner Freunde in einem solchen Ernstfall tatsächlich die nächtlichen Unannehmlichkeiten auf sich nehmen und ihm aus der Patsche helfen wird – und in der Tat sind gleich mehrere Freunde gekommen, die nun bei Champagner die Freundschaft feiern.

Kurze Zeit später fühlt sich Raphael alleine und entschließt sich, ein ähnliches Notfalltelefonat einzurichten. Doch auf sein Bitten erscheint lediglich Leo – und diesen hatte Raphael noch nicht einmal angerufen. Nun stellt sich für Raphael die Frage, was sich in den letzten Jahren derart verändert hat, dass er alleine auf weiter Flur ist. Und warum er immer noch dazu neigt, Leo nachzuahmen …

_Persönlicher Eindruck:_

Zwischenmenschliche Beziehungen in einem Comic aufzuarbeiten, gestaltet sich immer wieder äußerst schwierig, weil es oft nicht an Raum und Zeit reicht, um die tiefgründigen Geflechte näher aufzuschlüsseln und gleichzeitig die Phantasie in einem Maße einzubeziehen, dass noch genügend Interpretationsspielraum besteht. Das ebenfalls im Splitter Verlag erschienene Standalone „Sonnenfinsternis“ kommt hierbei ins Gedächtnis und bleibt als eine der wenigen Ausgaben bestehen, die hier tatsächlich ganze Arbeit geleistet haben – und auch hier war Autor Thierry Terrasson wahlweise alias Téhy oder Jim federführend an der Entstehung und Entwicklung beteiligt. In „Die EInladung“ hat er im Verbund mit dem noch jungen Dominique Mermoux nun eine stille Ode an die Freundschaft komponiert, in der sich philosophische Anteile mit modernen Werten paaren und schließlich eine äußerst interessante Mischung ergeben.

Im Kern des Textes steht die außergewöhnliche Freundschaft zwischen Leo und Raphael, die seit knapp 20 Jahren eine sehr eigenwillige Beziehung bindet, die jedoch in erster Linie darauf basiert, dass Raphael seinem offenkundigen Vorbild immer wieder nacheifert. Er liebt dessen verrücktes Auftreten, sein unkonventionelles Erscheinungsbild und seine verrückten Ideen und wünscht nicht selten, er könnte mit den gleichen Attributen glänzen. Doch Raphael hat den konservativen Weg eingeschlagen, geht einem harten Job nach, steht mitten im Leben, blickt aber eben nicht über den Tellerrand hinaus. Gelegentlich erinnert er an den modernen Hom faber, wenngleich sein rationales Denken nicht ganz so weit ausgeprägt ist wie in Max Frischs klassischer Literaturvorlage. Doch die Parallelen sind erkennbar und tauchen vor allem dann auf, wenn Raphael am Ende seiner Kreativität angelangt ist und sich in den emotionaleren Interaktionen hinter seinem Freund verstecken muss. Indirekt sieht man hier einen stillen Aufruf, sich selbst nicht aufzugeben, das Außergewöhnliche auf Lebenszeit zu abonnieren und sich nicht von den gegebenen Umständen einkesseln zu lassen. Genau jenen revolutionären Zug verfolgt nämlich Leo in seinem kompletten Denken und Handeln. Er lädt seine Freunde auf eine nächtliche Party ein, taucht dann auf, wenn er nicht gefragt ist, zelebriert in üppigem Maße seine Scheidung und grenzt sich immer wieder bewusst ab. Dass es eben genau jene Eigenschaften sind, die seine Freunde besonders an ihm schätzen, erfährt Raphael aber erst, als er selbst mit dem Rücken zur Wand steht und ihm bewusst wird, wer er einmal war und wer er nun ist – und mit dieser Gewissheit gelingt es ihm schließlich wieder, auf den Pfad seiner eigenen, einstigen Tugenden zurückzukehren.

Bis es jedoch hierzu kommt, beschreiben Jim und Mermoux auf eine ebenfalls sehr eigensinnige Weise diese Freundschaft anhand von sehr kontrastreichen Dialogen. Man spürt die Verbundenheit und gleichzeitig die Konkurrenz zwischen den beiden Protagonisten, lernt zu verstehen, dass diese Beziehung auf völlig anderen Pfeilern aufgebaut ist, als eine herkömmliche Freundschaft, akzeptiert aber nach einigem Abwägen ebenso, dass es für derlei Zwischenmenschliches keine festen Regeln gibt. Diese werden nämlich letzten Endes nur von den beiden Hauptcharakteren festgelegt, und auch wenn sie oftmals geteilter Ansicht sind, so finden sie schließlich in einem Punkt Einigkeit: Nämlich dass das Band, das zwischen ihnen besteht, auch in den unmöglichsten Momenten nicht erschüttert werden kann, weil sie es immer wieder flicken können.

„Die Einladung“ ist kein ‚unterhaltsamer‘ Comic im traditionellen Sinne, dies sei vor allem Téhy-Fans vorab gesagt. Wer den Mann aus seinen Fantasy-Geschichten kennt, wird hier keine einstimmige Kongruenz entdecken. Doch die andere Seite, die er vorwiegend unter dem Pseudonym Jim zeigt, hat nicht minder viele Qualitäten, geht aber konsequent in eine völlig neue Richtung – und überzeugt in diesem Fall einmal mehr. Die Geschichte mag nicht reich an Tempo sein, denn dazu stehen die Dialoge viel zu sehr im Vordergrund. Doch es sind die Stimmungen und die spezielle Atmosphäre, die hier den Ton angeben und die Dynamik formen. Und auch wenn „Die Einladung“ gerade zu Beginn ein wenig gewöhnungsbedürftig ist, weil man vielleicht manchmal etwas mehr Handlung einfordert, als man schlussendlich serviert bekommt, so wird die Message sehr eindrucksvoll transferiert und gerade wegen ihrer außergewöhnlichen Präsentation hochwertig eingekleidet. Klar ist zwar, dass dieses Buch Special Interest ist – doch gerade weil die Comic-Szene Derartiges nicht in Massen produziert, sind Geschichten wie diese so richtig wertvoll!

|Gebunden: 160 Seiten
Text: Jim
Zeichnungen: Dominique Mermoux
Originaltitel: L’Invitation
ISBN: 978-3868694451|
http://www.splitter-verlag.eu

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