Johansen, Iris – Netz des Todes

Frauen und Leichen scheinen ein unschlagbares Team zu sein. Man denke nur an Tempe Brennan (Kathy Reichs) oder Kay Scarpetta (Patricia Cornwell), die schon seit Jahren munter die Bestsellerlisten bevölkern. Die amerikanische Schriftstellerin Iris Johansen schickt mit Eve Duncan ihre eigene Heldin ins Rennen. „Netz des Todes“ ist dabei das sechste Abenteuer mit der Frau, die die Schädel von Toten remodelliert.

Das Leben hat es lange Zeit nicht gut gemeint mit der Schädelexpertin Eve. Eine harte Jugend, ihre erste Tochter wurde entführt, ohne dass man jemals Leiche oder Entführer fand – die junge Frau musste einiges mitmachen, doch sie hat sich aufgerappelt. Nun lebt sie glücklich mit dem FBI-Agenten Joe zusammen und hat eine bereits erwachsene Adoptivtochter. Ihre Arbeit, bei der sie die Schädel von gefundenen Leichen rekonstruiert, damit diese mit Fotos verglichen werden können, nimmt sie sehr ernst. Besonders, wenn es sich um den Schädel eines Kindes handelt, denn schließlich hat sie selbst ein Kind verloren. Sie redet sogar davon, die Schädel „nach Hause zu bringen“, als ob es sich dabei um lebendige Menschen handelt, denen sie sich verpflichtet fühlt.

Doch trotzdem übernimmt Eve nicht jeden Job. Als der kolumbianische Waffenhändler Montalvo sie kontaktiert, damit er ihr den mutmaßlichen Schädel seiner Frau rekonstruiert, die von seinem Erzfeind, dem Drogenbaron Diaz, umgebracht wurde, lehnt sie sofort ab. Mit einem Verbrecher möchte sie nichts zu tun haben. Doch Montalvo hat seine Mittel und Wege, um sie zu zwingen: Er droht damit, einen Menschen umzubringen, der dem CIA Informationen über Montalvos Unternehmungen geliefert hat, wenn Eve sein Jobangebot nicht annimmt. Zähneknirschend lässt Eve sich darauf ein, obwohl Joe dagegen ist. Ohne seine Zustimmung reist sie nach Kolumbien, doch er folgt ihr natürlich. Das führt zu einigen Verwicklungen, die mit der Zeit richtig gefährlich werden. Denn Diaz, der den Schädel von Montalvos Frau hütet, lässt sich nicht gerne in die Karten gucken und kennt keine Gnade mit Leuten, die für seinen Feind arbeiten oder deren Angehörige …

Iris Johansens Heldin reiht sich willig hinter ihren Kolleginnen ein. Sie hat eine schwere Vergangenheit hinter sich und die große Liebe gefunden, die sie aufgrund ihres Berufs und ihrer Prinzipien immer wieder aufs Spiel setzt. Eve Duncan ist dadurch nicht wirklich originell, auch wenn sie relativ realistisch dargestellt wird. Johansen schafft es, Eve durch ihren lebendigen, nüchternen Schreibstil Leben einzuhauchen. Sie wirkt weniger oberflächlich als beispielsweise Tempe Brennan, was dem Buch immerhin einen Pluspunkt beschert.

Einen weiteren verspielt die seichte Handlung dummerweise. Das beginnt damit, dass der „Thriller“ nicht in Gang kommt. Johansen zieht die Entscheidung, ob Eve Montalvo hilft oder nicht, seitenlang hin. Erst ist sie dagegen, dann wird sie unter Druck gesetzt, ist immer noch dagegen, will zum Schein darauf eingehen, geht schließlich darauf ein. Abgesehen davon, dass ihre Reaktion vorhersehbar ist, weil das Buch ansonsten keinen Erzählstoff gehabt hätte, wäre hier eine etwas straffere Handlung gut gewesen. Im weiteren Verlauf geht es zwar etwas flotter zur Sache, aber trotzdem möchte keine Spannung aufkommen. Dafür gibt es zu wenig Überraschendes. Die Geschichte bleibt bis zum Ende vorhersehbar.

Was dabei tröstet, ist der sichere Schreibstil. Johansen verliert nicht viele Worte, sie kommt auf den Punkt und lässt dabei gerne den einen oder anderen Schlagabtausch einfließen. Zumeist wird aus Eves Perspektive erzählt, wobei die Autorin sehr nahe an der Person bleibt. Das hat zur Folge, dass Beschreibungen von Situationen und Umständen recht knapp sind. Es wäre zum Beispiel sehr interessant gewesen, als Leser etwas über den exotischen Schauplatz des Romans zu erfahren. Leider geht Johansen auf die Besonderheiten Kolumbiens oder das Aussehen des Urwalds oder Montalvos Festung nur sehr wenig ein. Im Endeffekt kommt man dadurch den Personen selbst zwar sehr nahe und amüsiert sich an der einen oder anderen Stelle über die schlagfertige Eve, aber den Schauplatz des Romans kann man sich nur schwer vorstellen.

„Netz des Todes“ ist ein auf weiten Strecken vorhersehbarer, nicht wirklich spannender Thriller, der immerhin teilweise mit dem Schreibstil und der Hauptperson punkten kann. Hätte die Autorin diese guten Ansätze konsequent in eine anschauliche Kulisse und eine Handlung, die den Titel „Thriller“ verdient, eingebettet, hätte die Geschichte um die Schädelexpertin Eve Duncan sicherlich eine interessante Angelegenheit werden können. So jedoch hat Iris Johansen leider einige Sympathien verschenkt.

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