Johnson, Ronald – Glutroter Horizont

_Das geschieht:_

Journalist Joe Lennard ist nur selten im heimatlichen London anzutreffen. Lieber hält er sich dort auf, wo just etwas los ist auf dieser Welt. Augenblicklich macht er jedoch Urlaub auf den Bahamas. Er hat die „Shark“, das Boot des alten Moses Mackay gechartert. Die beiden Männer kreuzen die karibische See.

Lennard möchte dem einsamen Atoll Bravo Key einen Besuch abstatten. Hier werden Moses und er von einem Hurrikan überrascht und müssen Unterschlupf in den Höhlen der kleinen Insel suchen. Während das Unwetter tobt, wird die „Firestreak“ auf die Klippen geworfen. Lennard und Moses können sechs Männer und eine Frau retten.

Damit ist es vorbei mit der Ruhe im Tropenparadies. Kapitän Carlos Camenidas und seine Leute entpuppen sich als bis an die Zähne bewaffnete Exilkubaner, die sich auf ihre Heimatinsel einschleichen wollen, um dort eine Konterrevolution gegen den verhassten Fidel Castro anzuzetteln.

Ein irrwitziger Plan, der Lennard misstrauisch stimmt, zumal er in Camenidas einen Castro-Anhänger wiederzuerkennen glaubt, dem er vor Jahren auf Kuba begegnet war. Ist der Kapitän ein Doppelagent? Lennard ist abgelenkt, denn da ist noch die junge Belle Brannigan, die mit den Männern reist. Sie ist von Camenidas und seinem Plan überzeugt, aber trotzdem nicht abgeneigt, sich in Lennard zu verlieben. Das sieht Caminidas gar nicht gern.

Die Motoren der „Firestreak“ sind defekt, also lässt Camenidas kurzerhand die „Shark“ besetzen. Lennard und Moses können flüchten. Sie planen den Kampf gegen die Piraten. Dabei müssen sie nicht nur wegen der feindlichen Überzahl vorsichtig sein, denn Camenidas hat inzwischen Belle von der Geliebten zur Geisel degradiert …

|Große Gewehre auf kleiner Insel|

Terror und Tod auf einer einsamen Tropeninsel: Wahrlich kein neuer Einfall, der hier freilich gut umgesetzt wurde. Der Kontrast zwischen dem paradiesischen Eiland und dem Kampf auf Leben und Tod ist freilich reizvoll und wird effektvoll genutzt. Ein Wirbelsturm, tiefe Höhlen, hohe Klippen, ein uraltes Fort aus bunter Piratenzeit: Johnston gelingt es, die Kulisse voll in den Dienst der Handlung zu stellen. Zu Lande und zu Wasser wird gerauft und geschossen (sogar ein Düsenjäger greift an), wobei das Meer zusätzlich von unfreundlichen Kreaturen bewohnt wird, die spannungsfördernd ins Geschehen eingreifen.

Anspruchsvoll ist unsere Geschichte nicht, aber es macht Spaß sie zu lesen. Man wird durchaus an die karibischen Episoden diverser James-Bond-Klassiker oder anderer Action-Streifen der 1960er Jahre erinnert, was sicherlich vom Verfasser gewollt ist. Die geradlinige Handlung und die wohldosierten Landschaftsbeschreibungen lassen vor dem geistigen Auge des Lesers sowieso einen Film ablaufen.

|Nicht denken, sondern handeln|

Unzweifelhaft ein (unvermuteter) Pluspunkt: die Figurenzeichnung. Sie fällt wesentlich vielschichtiger aus, als man es in einem simplen Abenteuerroman vermuten würde. Zwar ist Joe Lennard der rasende Reporter schlechthin; ein einsamer Wolf, der die Welt durchstreift und sich fürchtet, von einer Frau ‚angebunden‘ zu werden. Praktisch (aber logisch begründet) ist natürlich die Nahkampfausbildung aus Kriegszeiten, die auf Bravo Key eindrucksvoll zum Einsatz kommt.

Gleichzeitig sind Lennard Selbstzweifel und Schwächen nicht fremd. Gewalt erfüllt ihn mit Skrupeln, die nur der Selbsterhaltungstrieb überwinden kann. Außerdem hegt er trotz erheblicher Kritik mehr Sympathie für Fidel Castro und seine Sache, als es für einen braven angelsächsischen Kommunistenfresser dieser Ära üblich ist.

Lennard und der alte Moses Mackay sind Freunde und Kampfgefährten ohne peinliche Verbrüderungsobsessionen. Heutzutage fallen Passagen auf, die einzig dem Zweck dienen, zu verdeutlichen, dass „Neger“ (das durfte man damals noch sagen) und „Weiße“ einfach nur Menschen sind. In den 1960er Jahren war das noch längst keine Selbstverständlichkeit.

|Schöne Frau und nicht gar zu hässlicher Schurke|

Pech hat Belle Brannigan, denn die weibliche Gleichberechtigung war noch nicht ganz so weit. Abenteuerlustig ist sie, aber in die Karibik reist sie wahlweise als Geliebte oder Gefangene diverser starker Männer. Hier und da darf sie ihren Unmut über diverse Ungerechtigkeit äußern, aber dabei ist sie meist gefesselt sowie leicht beleidigt und läuft über den Sand davon, wobei der Verfasser ihre körperlichen Vorzüge zur Geltung kommen lässt.

Carlos Camenidas ist als Figur eine echte Überraschung. Er tritt entschlossen und rücksichtslos auf, aber ein menschenverachtender Fanatiker ist er nicht. In einem langen Rückblick schildert Johnston seinen traurigen Werdegang im korrupten, von mörderischer Geheimpolizei tyrannisierten Vor-Castro-Kuba. Camenidas ist der Repräsentant derer, die sich von der Revolution tatsächlich Gerechtigkeit erhofften. Dass sie den einen Diktator (Battista) gegen einen anderen (Castro) eintauschten, blieb ihnen unklar – sie wollten es eigentlich auch gar nicht wissen.

Nichtsdestotrotz endet für Camenidas dieses Abenteuer mit einer Niederlage, aber immerhin nicht mit jenem möglichst scheußlichen Tod, den ihm Hollywood als ‚gerechte Strafe‘ zweifellos reserviert hätte. Solche Ausgewogenheit vollendet den günstigen Eindruck, den dieser von der Zeit bzw. seinen Lesern längst vergessene aber unterhaltsame Roman hinterlässt.

_Autor_

Ronald Johnston (geb. 1926) ist viele Jahre für die britische Handelsmarine zur See gefahren. Diese Erfahrungen fließen in seine Abenteuerromane ein, die stets mit dem Wasser zu tun haben. Bekannt geworden ist er mit einer Serie über die Erlebnisse der fiktiven „Inoco-Oil-Company“-Tankerflotte, was in diesen politisch bzw. ökologisch korrekten Zeiten wohl kaum noch möglich wäre.

Dieser Johnston ist übrigens der Vater von Paul Johnston, der ebenfalls Schriftsteller geworden ist und dem sein Durchbruch mit der orwellschen Krimi/Science-Fiction-Serie um den schottischen Ermittler Quintilian Dalrymple gelang.

|Taschenbuch: 151 Seiten
Originaltitel: Red Sky in the Morning (London : Collins 1965)
Übersetzung: Hans-Ulrich Nichau|
[www.randomhouse.de/goldmann]http://www.randomhouse.de/goldmann

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