Jones, Gail – Traum vom Sprechen, Der

Australische Literatur kommt einem in Europa bekanntermaßen eher selten zwischen die Finger. Nachdem aber nun vor kurzem schon Steven Carroll mit seinem Roman [„Die Kunst des Lokomotivführens“ 2853 Eindruck schinden konnte und dafür auch von Elke Heidenreich in ihrer Sendung „Lesen!“ gelobt wurde, steht mit Gail Jones eine weitere literarische Hoffnung Australiens in den Startlöchern.

Ihr Roman „Der Traum vom Sprechen“ stand zusammen mit Autoren wie Curtis Sittenfeld [(„Eine Klasse für sich“) 2772 und Zadie Smith (die letztendlich auch gewann) auf der Longlist des |Orange Prize| 2006. Ausreichend Vorschusslorbeeren, um mal einen näheren Blick auf die Autorin und ihr Werk zu riskieren.

„Der Traum vom Sprechen“ erzählt die Geschichte von Alice Black. Schon seit Kindheitstagen hegt Alice eine Faszination für Maschinen und Technik. Während ihre Schwester Norah das allseits beliebte Mädchen mit der künstlerischen Ader ist, verbringt Alice ihre Tage mit ihrem Vater – guckt mit ihm zusammen Football und lebt ihre Technikbegeisterung aus.

Die erwachsene Alice ist es aber, der Jones im weiteren Verlauf des Buches den größten Teil ihrer Aufmerksamkeit schenkt. Alice hält sich im Rahmen eines Studienaufenthaltes in Paris auf. Sie schreibt ein Buch über die Poetik der Moderne. Von ihrem Freund Stephen hat sie sich gerade getrennt, als sie auf einer Bahnfahrt einen älteren Herrn kennen lernt – Mr. Sakamoto.

Wie sich schon bald herausstellt, teilt Mr. Sakamoto die Begeisterung für moderne Technik, Erfindungen und Erfinder. Mr. Sakamoto ist ein Überlebender des Atombombenabwurfs auf Nagasaki, und obwohl beide Personen einen so unterschiedlichen Horizont haben, knüpfen sie schon bald die zarten Bande einer Freundschaft. Mr. Sakamoto lockt Alice aus ihrer selbstgewählten Isolation und füttert sie mit Anekdoten über diverse Erfinder, die ihr bei ihrer „Poetik der Moderne“ helfen.

„Der Traum vom Sprechen“ skizziert in erster Linie die ungewöhnliche Freundschaft zwischen Alice und Mr. Sakamoto. Beide Lebenswege könnten unterschiedlicher kaum sein, und wie Jones diese zwei so unterschiedlichen Persönlichkeiten auf so behutsame Art zusammenschweißt, macht inhaltlich das Besondere an der Geschichte aus. Mit dem Auftauchen von Mr. Sakamoto öffnen sich für Alice ganz ungeahnte Möglichkeiten. Sie beginnt langsam, sich einem anderen Menschen zu öffnen, lernt endlich jemanden kennen, der ihr wirklich viel bedeutet und der ihr fernab der Heimat ein Gefühl von Zuhause gibt.

Vor dem ersten Aufeinandertreffen mit Mr. Sakamoto wirkt Alices Leben irgendwie zerstreut, fast so, wie sie selbst das Aufkeimen ihrer Technikbegeisterung schildert: |“Es gab keinen Anfang. Nur Fragmente. Nur Geschichten“| (S. 47). Dementsprechend wirkt auch Jones‘ Erzählweise sprunghaft und unstet und man tut sich etwas schwer damit, richtig mit der Handlung warm zu werden.

Mit dem Auftauchen von Mr. Sakamoto strömt erstmals auch mehr Ruhe in die Erzählweise und damit auch in Alices Leben ein. War die Geschichte im ersten Romandrittel auch eher weniger fesselnd, so gewinnt sie zunehmend an Fahrt, entwickelt einen gewissen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

Ähnlich wie Alice erliegt auch der Leser der Faszination, die von einer Figur wie Mr. Sakamato ausgeht. Trotz all der traumatischen Erfahrungen aus Kindertagen, trotz all der schmerzhaften Verluste durch den Atombombenabwurf, wirkt Mr. Sakamoto ruhig und in sich gekehrt. Dazu beigetragen hat vor allem die Erfindung, die Mr. Sakamoto am meisten fasziniert und der er nun sein Leben gewidmet hat: Das Telefon.

Mr. Sakamoto schreibt eine Biographie über Alexander Graham Bell, den Erfinder des Telefons – der Erfindung, die es ihm ermöglicht hat, mit seinem eigenen Kummer fertig zu werden. Es war in den langen Telefonaten mit seinem Onkel Tadeo, dass er seinen Kummer erstmals einem Menschen anvertraut hat. Einfühlsam und geradezu diskret geht Jones mit Mr. Sakamotos unbeschreiblich traumatischen Erlebnissen um. Vieles lässt sie den Leser selbst erfühlen, ohne zu viele Worte machen zu müssen.

Überhaupt liegt ein großer Teil der Faszination des Romans auf sprachlicher Ebene. Jones‘ Sprache ist zwar durchaus eigenwillig, aber auch stets sehr akkurat und wohlakzentuiert. Sie wählt ihre Worte mit Bedacht, erzeugt lebhafte Bilder und greifbare Emotionen. Obwohl sie zu den Figuren eine gewisse Distanz bestehen lässt, sie leise beobachtend aus der Ferne betrachtet, schafft sie es, dem Leser ihre Figuren näher zu bringen. Ein Stück weit bleiben sie dabei rätselhaft, einen Teil ihrer Persönlichkeiten kann man auch nach vollendeter Lektüre noch nicht ausloten, dennoch schafft Jones es, dem Leser bestimmte Gefühle und persönliche Eindrücke plastisch zu vermitteln.

Sprachlich ist das Ganze auf teils durchaus etwas gehobenem Niveau verpackt. Manche Sätze sind von faszinierender Bildhaftigkeit, so dass man bewusst langsam lesen möchte, um sie sich auf der Zunge zergehen zu lassen. So übt das Buch insgesamt betrachtet eine stille Faszination aus. „Der Traum vom Sprechen“ ist ein leisetretender Roman – intelligent geschrieben und mit Figuren (vor allem Mr. Sakamoto), die eine gewisse Faszination ausüben. Auch wenn die Geschichte weitestgehend eher handlungsarm ist (nacherzählbare Handlung gibt es eher wenig), so zeichnet Jones dennoch intensive Stimmungen, die in scheinbarem Widerspruch zur dennoch offensichtlichen Distanz zu den Figuren steht.

Bleibt unterm Strich ein Buch im Gedächtnis, das sich am ehesten als literarischen Kleinod titulieren lässt. „Der Traum vom Sprechen“ ist ein Roman, der sicherlich nicht gerade große Wellen schlagen wird, aber dennoch mit einer faszinierenden Sprache und einer deutlich wahrnehmbaren Kraft erzählt ist – einfühlsam und diskret zurückhaltend zugleich.

Mag Jones‘ sprunghafter Erzählstil anfangs noch etwas unsortiert wirken, so wird die Geschichte mit dem Auftauchen von Mr. Sakamoto zunehmend faszinierender. Wer die Muße hat, Figuren für sich wirken und sich bei der Lektüre von der feinakzentuierten Sprache tragen zu lassen, der wird den Figuren sicherlich einige Sympathien entgegenbringen und auch aus der Lektüre an sich einiges Positives mitnehmen.

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