Ernst Jünger – Gläserne Bienen. Zukunftsroman

Klassische deutsche Science-Fiction

Die Zukunft, in die der Roman uns führt, erinnert in manchen Zügen an die Gegenwart von Silicon Valley, und in anderen mag man Disneyland oder die Unterhaltungselektronik erkennen. Aber stärker als solche Anklänge ist der Zauber des Erfundenseins, die Signatur eines Schriftstellers, dem denn doch einiges mehr eingefallen ist als ein paar Jahre später den Ingenieuren. Und diese Zukunft wächst aus einer echten Vergangenheit hervor, dem Kaiserreich und dem Weltbürgerkrieg nach seinem Ende. (Verlagsinfo)

Der Autor

Ernst Jünger (* 29. März 1895 in Heidelberg; † 17. Februar 1998 in Riedlingen) war ein deutscher Schriftsteller, dessen Persönlichkeit und Werk durch seine Teilnahme am Ersten Weltkrieg geprägt wurden. Er ist vor allem durch seine Kriegserlebnisbücher wie In Stahlgewittern, phantastische Romane und Erzählungen und verschiedene Essays bekannt.

In seinem elitären, antibürgerlichen und nationalistischen Frühwerk, das der sogenannten Konservativen Revolution zugerechnet wird, bekämpfte Jünger die Weimarer Republik entschieden. Obwohl er der NSDAP nicht beitrat und deren rassistische Ideologie ablehnte, galt er nach 1945 als intellektueller Wegbereiter des Nationalsozialismus und gehört zu den umstrittensten Autoren Deutschlands.

Er wurde 1918 mit dem Pour le Mérite, 1959 dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern (1977) und Schulterband (1985) ausgezeichnet und erhielt verschiedene weitere Preise und Auszeichnungen, darunter 1982 den Goethepreis, dessen Verleihung für einen politischen Skandal sorgte. (Quelle: Wikipedia)

Ein hoch verehrter Schriftsteller und Schmetterlingsforscher also, dieser Ernst Jünger. Er schrieb neben Kriegserinnerungen aus dem Ersten Weltkrieg („In Stahlgewittern“), Gedichten und Romanen auch recht phantastische Sachen wie etwa „Auf den Marmorklippen“. Oder dieses Science-Fiction-Buch: „Gläserne Bienen“ – eine Zukunftsvision von künftiger Hochtechnologie.

Der Roman entstand bereits 1957 und wurde 1990 aus Anlass des 95. Geburtstages seines Schöpfers wieder aufgelegt. Jünger setzt sich hier mit dem Vordringen der Maschinenkultur in Wirtschaft und Beruf auseinander.

Handlung

Der preußische Rittmeister Richard, der autobiografische Züge trägt, will sich, auf Vermittlung eines ehemaligen Kriegskameraden hin, um eine Stelle im Unternehmen des Konzernchefs Zapparoni bewerben. Zapparoni stellt miniaturisierte Maschinen und Spielzeuge her. Die Stelle soll auf PR-Tätigkeit hinauslaufen, was Richard in einen Gewissenskonflikt stürzt. Die Rückbesinnung auf den Werdegang seiner Kameraden, die in seinen Augen durch Maschinen erniedrigt worden sind, führt ihm die Fragwürdigkeit der Technik und der sie Erzeugenden, der Ingenieure, vor Augen.

Im Garten von Zapparonis Villa meditierend, beobachtet Richard gläserne Bienen, wie sie von Blüte zu Blüte fliegend Nektar saugen, aber nicht bestäuben. In diesem symbolträchtigen Bild wird ihm die ausbeuterische Natur des Maschinenmenschen klar: Er nimmt, ohne zurückzugeben.

In einem nahen Moor entdeckt Richard abgeschnittene menschliche Ohren zu Hunderten. Einer von Zapparonis sonderbaren Ingenieuren hatte sie in einem Racheakt seinen automatenhaften „Marionetten“ abgeschnitten. Als Erzeugnissen des Demiurgen Mensch sind diese ihm völlig ausgeliefert. So wie die Natur den gläsernen Bienen und die Arbeiter den Ingenieuren.

Schließlich zerstört Richard einen der Miniroboter und lehnt die angebotene Stelle ab. Auf Zapparonis Dringen erklärt er sich aber doch bereit, eine Rolle als Vermittler zwischen den Ingenieuren und den Arbeitern in Zapparonis Fabrik zu übernehmen. Ein Zugeständnis, das im Epilog ad absurdum geführt wird: Richard hält an einem historischen Institut die vorstehende Erzählung als Vortrag zum Thema „Probleme der Automatenwelt: Der Übergang zur Perfektion“. Wenn er wirklich annimmt, dass diese Welt zur Perfektion geführt werden kann, dann ist er bereits korrumpiert und der Faszination des Technischen erlegen.

Ein Zitat zum Schluss:

„Es gibt Prognosen, die behaupten, dass unsere Technik eines Tages in reine Zauberei ausmünden wird … Lichter, Worte, ja fast Gedanken würden hinreichen. Ein System von Impulsen durchflutete die Welt.“

Zum Vergleich ein Axiom von Arthur C. Clarke:

„Eine ausreichend fortgeschrittene Technik ist von Zauberei nicht mehr zu unterscheiden.“

Mein Eindruck

Die Zukunft, in die Jünger den Leser entführt, erinnert in manchen Zügen an die Anfänge des Silicon Valley, und in anderen könnte man Disneyland oder die Unterhaltungselektronik erkennen. In „Gläserne Bienen“ hat Ernst Jünger zentrale Probleme der westlichen Wirtschaft und Kultur bereits frühzeitig erkannt und diskutiert, die uns heute, nach der 3. Industriellen Revolution, der Mikroelektronik und des Internet, und vor der 4. Revolution durch die Gentechnik, geradezu auf den Nägeln brennen …

An welchem Punkt steht denn der technische Schöpfermensch, der Homo faber? In Bezug zu sich selbst, zu seinen eigenen Schöpfungen und zur Welt um sich herum? Die ‚gläsernen Bienen‘ liegen nicht mehr allzu weit in der Zukunft – die Chips werden immer billiger, die Roboter immer kleiner und ‚intelligenter‘. Sie machen die Arbeit der Menschen, und eines Tages werden sie sogar die Ingenieure ablösen. Und bis es so weit gekommen ist, sollten wir uns beizeiten überlegen, welche Rolle wir Menschen noch auf der Welt zu spielen gedenken. Oder sollten wir nicht gleich ganz abhauen?

Jüngers Einfälle, die doch um einiges ernster zu nehmen sind als die von unterhaltender Science-Fiction, bringt er uns in der stilistisch vollendet gehandhabten Tagebuchform nahe, die dem Leser die Gedanken des Protagonisten (= Jünger?) in direkte und anschauliche Nähe rückt.

Hinweis

„In einer überarbeiteten Zweitfassung ist der Erzählung 1960 ein Epilog angehängt. Richard wird als Dozent in der innerbetrieblichen Fortbildung des Unternehmens vorgestellt, der im Rahmen einer Seminarveranstaltung in biographischer Form über „Probleme der Technik“ referiert. Die vorgängige Erzählung Gläserne Bienen wird in dieser Fassung mithin als Aufzeichnung eines namenlosen Berichterstatters vorgestellt.“ (Wikipedia)

Hardcover: 141 Seiten
ISBN-13: 9783608957082

www.klett-cotta.de

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