Kalla, Daniel – Pandemie

Spätestens seit dem 11. September 2001 ist der Kampf gegen den Terror in den Medien ständig präsent, und auch die Angst vor bioterroristischen Angriffen ist nach wie vor vorhanden, auch wenn die Anthrax-Anschläge inzwischen lange Zeit zurückliegen. Doch so richtig sicher kann sich wohl niemand fühlen, haben Seuchen in der Vergangenheit und auch Grippe-Epidemien doch gezeigt, wie schnell und weit sich ein solches Virus verbreiten kann. Mit dieser Angst spielt auch Daniel Kalla in seinem aktuellen Roman „Pandemie“. Kalla arbeitet als Notarzt in Vancouver und erlebte 2003 den SARS-Ausbruch hautnah mit. Dies inspirierte ihn zu seinem packenden Thriller, in welchem Kalla seine ganz eigene Schreckensvision einer möglichen Pandemie zeichnet …

In der kleinen Provinz Gansu in China wird einem Patienten kurz vor seinem Tode Blut gestohlen – Blut, das ein tödliches Virus enthält und den Patienten innerhalb von wenigen Tagen umgebracht hat. Zur gleichen Zeit gibt Dr. Noah Haldane seine beliebten Vorlesungen an der Washingtoner Universität und prophezeit seinen Studenten eine Pandemie, die längst überfällig ist. Und Haldane muss es wissen, schließlich wird er von der Weltgesundheitsorganisation WHO als Virusexperte an allen Krisenorten eingesetzt. So half Haldane auch in China mit, die Verbreitung des SARS-Virus zu stoppen. Auch die Direktorin der Bioterrorismus-Abwehr innerhalb der Abteilung für Zivilschutz, Dr. Gwen Savard, ahnt die drohende Katastrophe und fürchtet insgeheim bereits die gezielte terroristische Verbreitung eines tödlichen Virus.

Und dies ist genau der Plan des fanatischen Hazzir Al Kabaal, der als streng gläubiger Moslem der westlichen Welt einen Denkzettel verpassen möchte. In Afrika hat er sich sein eigenes Virenlabor aufgebaut, um von dort seine Aktion zu planen. Gezielt infiziert er seine Selbstmordattentäterinnen mit dem todesbringenden Virus und schickt sie auf die Reise in die westliche Welt. Khalilas Weg führt sie nach London, wo sie sich schwer krank in ein nobles Hotel schleppt und dort mit dem Fahrstuhl auf und ab fährt, um die Hotelgäste anzustecken. Aber auch in Hongkong und Kanada wird das Virus verbreitet. Kabaal verlangt den Rückzug amerikanischer Truppen aus allen islamistischen Ländern und droht mit der Aussendung einer Todesarmee, die das Virus über die Welt verstreuen wird.

Als Noah Haldane die Nachricht von der so genannten Gansu-Grippe erreicht, reist er sofort nach China, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. Dort ist die Gefahr bald gebannt, doch dann taucht das Virus plötzlich in zwei großen Metropolen auf und bedroht die Welt. Durch die Mobilität der Menschen könnte eine Pandemie bevorstehen, die sich über die ganze Welt ausbreitet …

Für seinen Thriller hat Daniel Kalla sich ein Thema herausgegriffen, das nicht neu ist. Auch Hollywood hat es schon für sich entdeckt und in dem mehr oder weniger spannenden Film „Outbreak“ verwurstet. Doch Kalla begeht nicht den gleichen Fehler wie die Filmemacher aus Kalifornien, denn er hält sich zurück. Wo Hollywood den Zuschauer mit schreckenerregenden Phantasien überfrachtet, zeichnet Kalla seine eigene Vision einer möglichen Pandemie, die nicht minder furchtbar anmutet, die aber von einem wissenschaftlichen Hintergrund ausgeht und daher erstaunlich realitätsnah wirkt. Dies ist genau der Punkt, der das vorliegende Buch so brisant und packend macht, denn wir glauben Kalla, was er schreibt. Nach der Lektüre des Buches fragt man sich schon fast, warum wir bislang von derlei Angriffen verschont geblieben sind, wo Bioterrorismus doch eigentlich so nahe liegt.

In „Pandemie“ begegnen wir einem Virus, das jeden vierten Menschen innerhalb weniger Tage tötet, sich aber glücklicherweise nicht so schnell verbreitet wie die Grippe, da die Gansu-Grippe nicht annähernd so ansteckend ist. Das führt dazu, dass sich das Virus nicht gleich unkontrolliert über die ganze Welt verbreitet und jeden einzelnen Menschen bedroht, sondern eine relativ überschaubare Anzahl von Menschen trifft. Hier bekommen die Wissenschaftler und Terrorexperten die Chance, gezielt gegen die Verbreitung des Virus vorzugehen und Notfallpläne zu entwickeln. Dies mindert in keiner Weise den Schrecken, den Kalla mit seinem Buch verbreitet, denn jedem wird klar sein, welchen Schaden eine Selbstmordarmee hätte, die sich selbstlos opfert und dabei andere Menschen infiziert.

Nicht ganz so realistisch sind die Charaktere gelungen, die auch in diesem „Seuchen-Thriller“ dazu da sind, die Welt zu retten. Die Figuren wirken stereotyp und blass, wir erfahren zwar einiges über ihr äußeres Erscheinungsbild, aber die Charaktere haben kaum Ecken und Kanten. Besonders Noah Haldane wirkt wie eine leere Figurenhülse, der Kalla einen beeindruckenden wissenschaftlichen Werdegang sowie eine gescheiterte Ehe verpasst hat, um hier wirklich alle Klischees zu bedienen. Haldane und Savard stehen im Zentrum des Geschehens und ziehen dennoch wenig Sympathien an, da sie uns übermenschlich erscheinen und nicht wie authentische Personen.

Dennoch gibt es insgesamt nur ganz wenige Kritikpunkte, die anzuführen sind, wie beispielsweise eine Quarantäne im 5-Sterne-Hotel, die absolut unpassend ist und die entstandene Dramatik etwas abmindert. Ansonsten inszeniert Kalla seine Geschichte jedoch überaus geschickt. Zunächst stellt er seinem Thriller einen Prolog voran, der uns neugierig auf die folgende Geschichte macht und schon erahnen lässt, welche Schrecken den Menschen bevorstehen. Die Verbreitung des Virus geschieht langsam, aber packend, manchmal raubt Kalla uns mit seinem ausführlichen Schreibstil den letzten Nerv, wenn er in allen Einzelheiten eine Situation beschreibt und damit die Spannung auf die Spitze treibt, weil der Leser mit kribbelnden Fingern weiterliest, um endlich voranzukommen in der Handlung. An anderer Stelle dagegen hat Kallas Schreibweise ein unglaubliches Tempo, sodass sich auf wenigen Seiten die Handlung fast überschlägt. Kalla schafft hier genau die richtige Mischung aus eingestreuten Cliffhangern, steten Wechseln zwischen den exotischen Schauplätzen und einer bedrohlichen Ausbreitung des schrecklichen Virus.

„Pandemie“ ist ein klug inszenierter Thriller, der sich sehr positiv abhebt von sonstigen effektheischenden Büchern, die nur auf den plumpen Horror setzen, dabei aber einen erkennbaren Spannungsbogen deutlich vermissen lassen. Daniel Kalla hat ein Buch vorgelegt, das überzeugt und mitreißt. Am Ende bleibt man nachdenklich zurück, klappt das Buch zu und macht sich seine Gedanken zu der politischen Situation auf dieser Welt, in der religiöser Fanatismus und Hunger nach Macht bereits zu unglaublich viel Krieg und Schrecken geführt haben. Nach der Lektüre von „Pandemie“ schläft man erstmal nicht mehr ganz so beruhigt ein und verfolgt die Nachrichten aufmerksamer als zuvor. Somit bleibt festzuhalten, dass Kalla seine Ziele wohl erreicht hat: Sein Buch lässt sich flink durchlesen, dabei unterhält es ausgesprochen gut, allerdings nicht auf oberflächliche Art und Weise, sondern es hinterlässt einige Spuren und regt zum Nachdenken an. Was will man mehr?

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