Kalla, Daniel – Rage – Die Therapie

Bislang war Daniel Kalla bekannt für seine rasanten Bioterrorismus-Thriller „Pandemie“ und „Immun“, doch nun widmet er sich einem ganz neuem Thema, nämlich der Psychotherapie. Nachdem die beiden Bestsellerautoren Sebastian Fitzek und John Katzenbach damit überaus erfolgreich waren, erscheint dies fast logisch, doch ob Kalla an die Erfolge anderer Thrillerautoren anknüpfen kann, wollen wir uns erst einmal genauer ansehen …

_Reif für die Therapie_

Dr. Joel Ashman hat früher als Psychiater praktiziert, doch seit einiger Zeit arbeitet er als Profiler für die Polizei. Als sein ehemaliger Kollege und Partner Dr. Stanley Kolberg brutal ermordet aufgefunden wird, ist es Ashman, der an den Tatort gerufen wird, um dort die Spuren zu deuten und ein Täterprofil zu entwerfen. Getötet wurde Kolberg durch eine Kugel, die seinen Hals gestreift und dabei die Halsschlagader aufgerissen hat. Nur wenige Sekunden blieben Kolberg danach noch, doch posthum wurden ihm schlimmste Verletzungen zugefügt. Der Täter muss Kolberg gehasst haben. Und da der Psychiater sich auf Aggressionstherapie spezialisiert hatte, fällt der Verdacht gleich auf einen seiner Patienten. Doch wer kommt für diese schreckliche Tat in Frage? Neben Ashman versuchen die beiden ermittelnden Beamten – Ethan Devonshire, der von allen Dev genannt wird, und Claire Shepherd -, genau das herauszufinden.

Die Polizisten versuchen, an Kolbergs Patientenakten heranzukommen, doch das erweist sich schwieriger als gedacht. Nach und nach kristallisieren sich allerdings einige ehemalige Patienten heraus, die ein Motiv gehabt hätten, Kolberg umzubringen. Auch Kolbergs Partner Calvin Nichol verhält sich höchst verdächtig. Eines Abends taucht er bei Ashman auf und will ihn warnen, seine Nase nicht in höchst gefährliche Angelegenheiten zu stecken. Kurz darauf entkommt Ashman nur knapp einem Anschlag auf sein Leben. Was weiß er, das er nicht hätte wissen dürfen? Ashman tappt im Dunkeln und muss um sein Leben fürchten.

Nach und nach treten immer mehr Verdächtige auf den Plan. Ashman erinnert sich an den Fall Angela Connor, eine ehemalige Patientin von ihm, die nach einem Selbstmordversuch bei ihm in Behandlung war. Schlussendlich hat sie sich von einer Brücke gestürzt, und es ist offensichtlich, dass Ashman sich nach wie vor die Schuld an ihrem Tod gibt. Was aber hat der alte Fall Connor mit Kolbergs Tod zu tun? Gibt es hier eine Verbindung?

_Wer ist hier eigentlich krank?_

Daniel Kalla verliert in „Rage“ keine Zeit: Gleich zu Beginn betreten wir den grausigen Tatort, an dem Kolberg literweise Blut verloren hat. Wir lernen die Protagonisten kennen und erfahren, dass Kolberg und Ashman einst Partner gewesen sind. Umso schlimmer trifft es Ashman, seinen väterlichen Freund so aufzufinden. Aus den dürftigen Hinweisen versucht er, ein Täterprofil zu erstellen. Die Polizei befragt immer neue verdächtige Patienten, deren Namen sich kaum einprägen, weil es so viele sind. Alle haben ein Motiv, doch die meisten auch ein Alibi.

Gleichzeitig denkt Ashman immer häufiger an Angela Connor, die ihm einst in monatelanger Therapie ihr Herz geöffnet hat. In zahlreichen Rückblenden erfahren wir, was Ashman mit Angela Connor erlebt hat. Der Psychiater erinnert sich an sein erstes Zusammentreffen mit ihr, als sie versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Schnell erzählt sie ihm vom Missbrauch in ihrer Kindheit, doch lange braucht es, bis sie ihm anvertraut, was sie in der Therapie bei Kolberg erlebt hat. Nur Andeutungen sind es, die sie zunächst fallen lässt, doch Ashman kann kaum glauben, was er von ihr erfährt. Die Polizei ahnt nichts von Ashmans Gedanken und sie weiß auch nichts vom Fall Angela Connor. Als sie aber herausfindet, dass es Beschwerden beim Gesundheitsamt über Stanley Kolberg gegeben hat, fällt auch Angelas Name, und ihr Bruder rückt plötzlich ins Zentrum der polizeilichen Ermittlungen.

Um Angela Connor drehen sich viele Passagen des Buches, und hier baut Kalla immer mehr Spannung auf, da man einfach wissen will, wie Angela ums Leben gekommen ist und was sie bei Kolberg erlebt hat. Der hatte nämlich einige Leichen im Keller, wie die Autopsie schließlich ans Tageslicht gebracht hat: Sein Leichnam weist zahlreiche Spuren auf, die auf regelmäßige SM-Aktivitäten hindeuten. Nach und nach erfahren wir, was Kolberg in seinem Leben getrieben hat und bleiben sprachlos zurück. Nur leider geht Kalla meiner Meinung nach einen Schritt zu weit: Die Geschichte, die er hier zeichnet, baut sich zunächst schlüssig auf, doch ab einem gewissen Punkt erscheint sie mir zu unglaubwürdig. Schade, denn bis zu diesem Zeitpunkt war der Spannungsbogen durchaus gelungen.

Recht früh wird darüber hinaus klar, was hier gespielt wurde, und die einzige Frage, die noch zu klären ist, ist die nach dem Mörder Kolbergs. Aber auch hier gibt uns Kalla genügend Hinweise, um frühzeitig den wahren Täter zu entlarven. Überraschungen gibt es daher gen Ende keine mehr, sodass das große Finale etwas verpufft – schade eigentlich.

_Therapie erfolgreich?_

Während das Buch am Ende vor sich hinplätschert, tragen leider die Charaktere die Handlung nicht weiter. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Joel Ashman, der den ermordeten Kolberg sehr gut kennt, da er jahrelang sein Partner gewesen ist und da Kolberg ihm ins Leben zurück geholfen hat, nachdem Kolbergs Frau tragisch ums Leben gekommen war. Erst später erzählt uns Kalla, was Ashmans Frau passiert ist und was dieser bereits in seiner Kindheit und Jugend erlebt hat. Das ist dann auch der Punkt, an dem Kalla ins Absurde abdriftet. Ashmans Vergangenheit ist zu tragisch, zu übertrieben, seine Lebensgeschichte zu tränenreich, als dass sie authentisch wirken könnte. In seinem Leben ist praktisch alles schiefgegangen, was nur schiefgehen kann, doch natürlich stellt Kalla seinem tragischen Helden eine Frau an die Seite, die ihn wieder aufrichten soll. Und das ist Claire Shepherd, die ebenfalls gezeichnet ist, da ihr Mann ihr übel mitgespielt hat. So nähern die beiden sich nur zaghaft an, die gebrannten Kinder scheuen das Feuer und können doch irgendwann nicht voneinander lassen. Somit bekommt der Leser dann auch noch die unausweichliche Liebesgeschichte zu lesen, bei der Kalla sich nicht einmal zu schade ist, auch noch einen Hund einzubauen, der eigentlich Ashmans Frau hinterhergetrauert hat, sich aber nun ebenfalls auf den ersten Blick in die neue Frau in Ashmans Leben verliebt. Kitschiger geht es kaum.

Was Kalla hier aus seinem Nähkästchen zaubert, hat schon Rosamunde-Pilcher-Qualitäten, die ich wahrlich in keinem Thriller zu lesen bekommen möchte. Diese Rahmengeschichte trieft vor Kitsch und steht damit in krassem Gegensatz zum brutalen Mord, den es aufzuklären gilt. Für meinen Geschmack bedient sich Daniel Kalla in vielerlei Hinsicht zu vieler Klischees, die auch schließlich das Fass zum Überlaufen bringen.

_Therapie nicht gelungen, Psychiater tot_

Unter dem Strich bleibt doch Enttäuschung zurück. Während die Geschichte durchaus Potenzial hat und die Erzählung um Angela Connor vielversprechend beginnt, schafft Kalla schlussendlich nicht die Gratwanderung zwischen einer packenden, aber auch glaubwürdigen Story. Seine Figuren gleichen Schablonen aus einem Kitschroman, die uns nicht einmal sonderlich sympathisch werden. Der Spannungsbogen beginnt gut, flacht dann allerdings angesichts der vielen Schnitzer deutlich ab, sodass das Buch gen Ende nur noch vor sich hinplätschert. Die Idee war gut und auch der flüssige Schreibstil gefällt, doch am Ende bleibt das Buch doch nur im Mittelmaß stecken.

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_Daniel Kalla auf |Buchwurm.info|:_
[„Pandemie“ 2192
[„Immun“ 3761

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