Kallifatides, Theodor – kalte Blick, Der

Wenn man der Meinung der |Svenska Dagbladet| Glauben schenken darf, so scheint ein hoffnungsvoller Name in Sachen „Schweden-Krimi“ Theodor Kallifatides zu sein, auch wenn der ganz und gar nicht schwedisch klingt. Besagte Zeitung sieht in ihm |“einen der besten Erzähler hierzulande“|. In Deutschland liegt mit „Der kalte Blick“ nun der dritte Roman des gebürtigen Griechen vor.

Kallifatides‘ Chefermittlerin heißt Kristina Vendel, eine junge und erfolgreiche Kriminalkommissarin, von der in „Der kalte Blick“ ein pikantes Foto in der Stockholmer Unterwelt kursiert. Es zeigt die Polizistin unbekleidet in einer obszönen, wollüstigen Stellung. Mikal Gospodin, russischer Schwerverbrecher mit einem seltsam guten Draht zu Kommissarin Vendel, bekommt das Bild in die Finger und will es ihr zurückgeben. Doch ehe es dazu kommt, wird Gospodin ermordet – brisanterweise von einer Frau, die Kristina Vendel sehr ähnlich sieht.

Bevor Kristina sich damit befassen kann, wer für das Auftauchen des Bildes verantwortlich ist, sieht sie sich auch schon mit dem Verdacht konfrontiert, etwas mit dem Ableben Gospodins zu tun zu haben. Es ist kein deutlich ausgesprochener, konkreter Verdacht, aber Kristina ist klar, dass sie in die Offensive gehen muss. Sie muss so schnell wie möglich die Hintergründe des Fotos und des Mordes an Gospodin lüften, um sich selbst zu entlasten.

Da geschieht kurz darauf ein Mord an dem berühmten Schachspieler Alain Karpin und es kommen Gerüchte auf, dass Islamisten einen Anschlag auf den Literatur-Nobelpreisträger V. S. Naipaul geplant haben. Bei all der beruflichen Hektik bleibt aber unerwartet auch noch Zeit für die Liebe. Kristina verliebt sich in den attraktiven Kemal und ist hin und weg von ihm. Bis plötzlich ein schrecklicher Verdacht aufkommt …

„Der kalte Blick“ ist ein Krimi und ist es dennoch nicht. Kallifatides geht den Plot auf eine erstaunlich „unkrimihafte“ Weise an und liefert damit eher ein Kammerspiel verzwickter menschlicher Schicksale ab als einen klassischen Krimi. Er verzichtet auf klischeehafte Schwarzweiß-Skizzierungen und setzt den Spannungsbogen so an, dass der Leser sehr schnell weiß, wer der Mörder ist. Es geht weniger um die Frage des Täters als vielmehr um den Menschen, der sich dahinter verbirgt, und das, was ihn bewegt, und so ist die Art der Spannung, die Kallifatides aufbaut, auch eine ganz andere, weniger subtile.

Punkten kann Kallifatides in jedem Fall auf menschlicher Ebene. Er hat ein tolles Ermittlerteam zusammengestellt mit ebenso sympathischen wie menschlichen Figuren. Da wäre Maria, die liebenswerte Tochter eines italienischen Pizzabäckers, die nach einer gescheiterten Ehe immer noch auf der Suche nach dem richtigen Mann ist. Dann wäre da Östen, der, nachdem seine Frau ihn verlassen hat, zunehmend im Alkohol Trost sucht und dem die Freundschaft zu Maria noch ein wenig Halt gibt. Und dann wäre da noch Thomas, dessen Privat- und Liebesleben durch die Behinderung des Sohnes in Mitleidenschaft gezogen ist. Jeder hat an seinem eigenen Schicksal zu tragen, und die Art, wie Kallifatides diese Ebene der Figurenskizzierung in die Handlung einfließen lässt, gibt dem Krimi ein ganz und gar menschliches Antlitz.

Die Einzige, die dabei nicht immer ganz überzeugt, ist Kristina. Gleich zu Beginn des Romans, noch in der Phase, als sie das Trauma abzuschütteln versucht, in dessen Zuge auch das Foto entstanden ist, das sie in so eine heikle Lage bringt, kauft sie aus einer Bauchentscheidung heraus eine Axt, um die Rache an ihren Peinigern zu vollstrecken. Ich muss gestehen, dass mir dieser Zug gewisse Schwierigkeiten bereitet. Eine Frau, in deren Rachephantasien eine Axt die Hauptrolle spielt, das klingt doch ein wenig abwegig. Obwohl Kallifatides Kristina am intensivsten beobachtet, sowohl dienstlich als auch privat, bleibt ihr Charakter dennoch merkwürdig blass. Sie wirkt ein wenig unnahbar und schwer durchdringlich, so dass man als Leser nur schwer einen Bezug zu ihr aufbauen kann.

Als Gegenpol zu Kristina baut Kallifatides die Figur des Kemal auf, die ihren ganz eigenen Reiz hat. Auch er bleibt etwas mysteriös, aber dieser Zug tut seiner Figurenskizzierung sehr gut. Kallifatides schafft es, mit Kemal eine gleichermaßen faszinierende wie auch geheimnisvolle Figur aufzubauen, in der sich ein Großteil der Spannung der Geschichte manifestiert.

Der Plot an sich hat positive wie auch negative Seiten. Kallifatides beweist ein ausgesprochenes sprachliches Feingefühl. Er kleidet die Handlung und die Gedanken der Figuren stets in so passende Worte, dass sehr stimmige Bilder entstehen. Andererseits setzt er verstärkt auf den Faktor Zufall, und so sehr sein Roman im Detail auch fein ausbalanciert sein mag, so wirkt dennoch die Auflösung nicht in allen Belangen ganz stimmig und schlüssig.

Bleibt am Ende festzuhalten, dass Kallifatides‘ Qualitäten nicht von der Hand zu weisen sind. Dennoch kann er als Krimiautor nicht auf ganzer Linie überzeugen. Sprachlich ist „Der kalte Blick“ sehr schön komponiert und ein echter Lesegenuss. Das Ermittlerteam, das er ins Rennen schickt, zählt ebenso zu den schönen Seiten des Roman. Lediglich die letzte Schlüssigkeit des Krimiplots und die etwas unnahbare Art von Kristina Vendel trüben ein wenig die Freude. Was Kallifatides hier inszeniert, kann als Drama eben eher überzeugen als als Krimi.

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