Kashina, Anna – erste Schwert, Das

Das shandorianische Reich befindet sich in einer Krise: Der König liegt im Sterben, und das Konzil der Edlen ist zusammengetreten, um einen Nachfolger zu bestimmen. Denn der gewöhnliche Ritus der Thronfolge kann nicht mehr eingehalten werden. Der Favorit auf die Nachfolge des Königs, Herzog Evan Dorn, hat weder einen Erben, noch könnte er ihn der traditionellen Schwertprobe unterziehen. Er war der Letzte, der durch das magische Schwert geprüft wurde und den Stich durch das Herz, die Königsprobe, überlebt hat. Seitdem ist das Schwert verschwunden.

Die Kirche des Shal Addim erwartet von ihm, seinen Anspruch aufzugeben. Dazu ist Evan Dorn auch bereit, bis ihm die Bruderschaft der Bewahrer mitteilt, dass sein seit siebzehn Jahren tot geglaubter Sohn noch lebt. Doch leider ist er nicht wie gewünscht vor Ort. Die Kirche hat von den Plänen der Bewahrer erfahren, und der Bote der Bewahrer kam nie bei dem Königskind an.

In völliger Unkenntnis der Lage beobachten Skip und Erle, Söhne eines armen Hufschmieds, gemeinsam mit ihrer Freundin Ellah am Rande der Waldlande Seltsames: Priester auf Reitechsen erschießen einen flüchtigen Fremden, bevor sie sich selbst vor den die Ebenen des Graslandes beherrschenden Cha’ori-Kriegern retten müssen. Der Sterbende entpuppt sich als Adeliger, der sie bittet, Bruder Nikolaos in Eichenhain ein Päckchen auszuhändigen, bevor er seine letzten Worte stammelt: „Das Kind muss das Dorf verlassen … unverzüglich … Bring das Schwert … zu den Bewahrern. Auch … ein Diamant unterwegs …“

_Die Autorin: Anna Kashina_

Die in Russland geborene Molekularbiologin Anna Kashina emigrierte 1994 in die USA, wo sie seit 2004 eine Professur für Biochemie an der Universität von Pennsylvania innehat. Bei |dtv| erschien bereits im März 2008 ihre Kurzgeschichte „Die Sonnwendherrin“. Interessanterweise wurde ihr bereits im Jahr 2000 erschienener Roman „The Princess of Dhagabad: The Spirits of the Ancient Sands: BOOK ONE“ – Beginn einer bereits zumindest den Exzerpten auf ihrer Homepage nach dreiteiligen, von arabischen Märchen inspirierten Fantasy-Serie – noch nicht übersetzt. Dafür „The First Sword“, deutsch „Das erste Schwert“, ebenfalls der erste Band einer kommenden Trilogie. Ob es einen zweiten Band geben wird, scheint auch vom Erfolg in Deutschland abzuhängen: In den USA ist das erste Schwert noch gar nicht veröffentlicht worden, und die geplanten Fortsetzungen der vor acht Jahren erschienenen „Princess of Dhagabad“ lassen ebenfalls auf sich warten.

_Eine spannend erzählte Geschichte mit schillernden Nebencharakteren_

So würde ich auf die Frage antworten, wie ich „Das erste Schwert“ in einem Satz beschreiben würde. |Dtv| schreibt „Ein großes Abenteuer, erste Liebe und spannende Zweikämpfe“, was durchaus der Wahrheit entspricht. Unser etwas unbedarfter Held Skip, der als Hufschmied aufwächst und natürlich der vermisste Königssohn ist (was niemanden wirklich überraschen dürfte, die Karrierechancen von Bäckerlehrlingen, Stallknechten und Schmieden sind in der Fantasyliteratur gewöhnlich grenzenlos), verliebt sich in die geheimnisvolle Söldnerin Kara, eine exotische Schönheit, die auch mit ihren Waffenkünsten zu beeindrucken weiß.

Doch Anna Kashina bietet durchaus die heute vielzitierte „All Age“-Fantasy, denn bei dieser Liebelei lässt sie es nicht bewenden; die Handlung ist weitaus komplexer als das und verdient ein großes Lob. Sehr geschickt verschweigt Kashina Details, die sie nach und nach enthüllt, der Leser ist Skip und seinen Freunden oft einen Schritt voraus im Kenntnisstand. Der erwähnte „Diamant“ steht für einen Diamant-Majat, einen Meister-Assassinen, der Skip und seine Freunde retten soll. Aber auch die Kirche hat sich der Dienste eines Assassinen im Meisterrangs gesichert … ja, spannende Zweikämpfe sind wahrlich zu erwarten, und sie werden nicht nur versprochen, sondern auch geliefert.

Besonders erwähnen möchte ich schwergepanzerte Ritter auf Reitechsen, die sich ähnlich der kleinen Wegeidechsen wieselflink bewegen können, bis zu dreimal schneller als ein Pferd. Das ist nur eine der faszinierenden Ideen Anna Kashinas, deren Welt stark von russischer Mythologie und Märchenwelt geprägt ist. So gibt es zum Beispiel Baba Jagas, die russische Variante der mitteleuropäischen Hexe. Leider keine Vamps mit roten Haaren, eine Variante, der ich sehr viel abgewinnen könnte, sondern eher gruselige, alte Mütterchen. Was die Zwielichtstecher im dunklen Pfuhl angeht, einem ausgedehnten, verfluchten Sumpf: Sie sind wirklich erschreckend, und es gibt dort noch viel schrecklichere Kreaturen, gegen die sie sich wie harmlose, nur die Seele stehlende Mücken ausnehmen. Die Cha’ori sind ein stark an nordamerikanische Indianer angelegtes Reitervolk, gemischt mit ein wenig Kosakentradition, mit denen die Gruppe um Skip kurz in Kontakt kommt.

Über den Rest des Reiches erfahren wir leider nichts, außer über den Konflikt zwischen Kirche, Krone und Bewahrern, wobei wieder einmal die Kirche als verruchte Institution des Bösen herhalten muss. Der Kartenausschnitt der namenlosen Welt der Handlung ist auch nicht gerade groß; hier hält sich Kashina alle Optionen offen. Das hat den Vorteil, dass die 637 Seiten geballte Handlung bieten statt ausufernder Einführung in eine fremde Welt. Leider bleibt dadurch wenig Stoff für Spekulation, denn am Ende wird Evan Dorn König und sein Sohn Skip zum Kronprinzen Erskip – Ende gut, alles gut?

Die Geschichte ist in sich abgeschlossen; viele Ansatzpunkte für einen Folgeband bieten sich nicht gerade, dazu hat Kashina einfach nicht genug über ihre Welt erzählt. Dieser Stil ist allerdings auch erfrischend anders, denn George R.R. Martin und andere populäre Autoren neigen ja leider dazu, viel über ihre unzähligen Charaktere zu schreiben, was auch gut beim Leser ankommt, darüber aber auch oft die Handlung versumpfen und auf der Stelle treten lassen. Bei Anna Kashina ist es genau anders: Sie bietet viel Geschichte ohne viel Beiwerk.

Leider ist ihr Held Skip eine einzige Leerstelle, oder vielleicht auch eine Identifikationsfigur für junge Leser. Aber der junge und unerfahrene Skip ist ziemlich unbedarft und kann wirklich nichts; im Gegensatz zum gängigen Schema der Entwicklung eines Helden lernt er leider auch kaum etwas hinzu! Der Name ist fast ein Omen, denn man kann diesen Helden wirklich „skippen“, und die Geschichte verliert nichts von Bedeutung. Die Nebencharaktere, obwohl durchaus faszinierend – insbesondere Kara -, sind ebenfalls sehr statisch angelegt, sie entwickeln sich nicht weiter. Das gilt auch für die sehr zarte Liebesbeziehung zwischen Skip und Kara.

_Fazit:_

Die große Stärke Anna Kashinas ist ihr Erzähltalent. Sie erzählt eine Geschichte, unterhaltsam, spannend und kurzweilig. Sie verliert sich nicht in Einzelheiten, schwimmt allerdings auch ein wenig gegen den Strom der Zeit und gängige Lesegewohnheiten und –erwartungen.

Die Übersetzung von Martin Baresch sowie das Lektorat glänzen mit Perfektion; bei der Auswahl des Titelbildes und des Klappentextes hat man sich jedoch alle Mühe gegeben, potenzielle Käufer zu verunsichern. Als reines Fantasy-Jugendbuch möchte ich „Das erste Schwert“ definitiv nicht bezeichnen, doch dieser Eindruck wird leider erweckt. Die eher nordisch angehauchte Kriegerin auf dem Titelbild erweckt den Eindruck, die Hauptfigur des Romans zu sein, taucht aber nirgends in dieser Form auf. Mit der atemberaubend verführerischen, kaffeebraunen Kampfschnecke Kara hat sie leider auch nicht die geringste Ähnlichkeit. Von diesen Äußerlichkeiten, die hoffentlich nicht den Erfolg des Romans negativ beeinflussen werden, sollte man sich jedoch nicht abschrecken lassen: Anna Kashina bringt mit ihrem Stil frischen Wind in den deutschen Fantasymarkt, und ich würde gerne noch mehr von ihr lesen.

|Originaltitel: The First Sword
Deutsch von Martin Baresch
637 Seiten, kartoniert, mit zwei Karten
ISBN-13: 978-3-423-21085-0|
http://www.dtv.de

Homepages der Autorin:

http://www.med.upenn.edu/camb/faculty/cbp/kashina.html (University of Pennsylvania)
http://www.geocities.com/akashina/ (wissenschaftlich/beruflich)
http://www.geocities.com/akashina/personal.html (als Schriftstellerin)

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