Kendall, Anna – Pfad der Seelen, Der

_|Soulvine Moor Chronicles|:_

Band 1: _“Der Pfad der Seelen“_
Band 2: „Dark Mist Rising“ (noch ohne dt. Titel)

_Roger ist eine Waise_ und lebt bei seinem Onkel und seiner Tante. Über seine Eltern weiß er überhaupt nichts, dafür weiß er eine Menge über das Reich der Toten. Denn Roger besitzt die Fähigkeit, auf den Pfaden der Toten zu wandeln. Dankbar ist er dafür allerdings nicht, denn sein Onkel ist ein rücksichtsloser und brutaler Mann, der Roger nach Strich und Faden ausbeutet. Aber selbst, als Roger wie durch ein Wunder nach Gloria kommt, der Hauptstadt des Reiches, erweist seine Gabe sich eher als Fluch denn als Segen …

_Obwohl Roger durch eine_ harte Schule gegangen ist, ist er in mancher Hinsicht noch recht naiv. Vor allem von Frauen hat er keine Ahnung. Er selbst hält sich vor allem für einen Feigling. Aber dumm ist er nicht. Cecilia dagegen, die Hofdame, in die Roger sich verguckt, ist nichts weiter als ein Schmetterling: hübsch, schillernd, harmlos und ohne jeglichen Verstand. Ganz anders Maggie, die sich ihrerseits in Roger verguckt hat. Maggie ist eine Küchenmagd, besitzt jede Menge praktischen Menschenverstand und ist außerdem hilfsbereit und treu.

Weit schwerer einzuordnen ist die junge Königin Caroline. Sie ist ehrgeizig und fürsorglich, charmant und rücksichtslos. Das Einzige, dessen man sich bei ihr sicher sein kann, ist, dass sie das Beste für ihr Land will. Ihre Methoden, das zu erreichen, sind allerdings recht bedenklich.

Den Part des Geheimnisvollen übernimmt Mutter Chilton, eine Heilerin, die offenbar mit den gefürchteten Bewohnern des Seelenrankenmoores zu tun hat. Sie scheint eine Menge zu wissen, gibt aber nichts davon preis.

Den Entwurf der Charaktere fand ich gar nicht schlecht. Vor allem die schillernde Figur der Caroline hat mir gefallen. Und auch Rogers Verwirrung angesichts des Königshofes und seine Vernarrtheit in Cecilia sind gut getroffen. Trotzdem hat es nicht zu echter Tiefe gereicht. Denn die genannten Punkte dominieren Roger so sehr, dass andere interessante Aspekte darunter leiden, zum Beispiel seine Fragen in Bezug auf seine Eltern. Und dem Konflikt zwischen Caroline und ihrer Mutter Eleonore fehlte jegliche Basis, weil nirgendwo erwähnt wird, warum Eleonore ihre Tochter für ungeeignet hält, das Land zu regieren.

Genauso sparsam war die Autorin mit der Ausarbeitung ihrer Welt. In der Kultur, die sie entworfen hat, gilt es als natürliche Ordnung der Dinge, dass Frauen regieren, weil Männer nur zum Beschützen taugen. Dennoch gibt es außerhalb der Königshäuser keinerlei Anzeichen für eine matriarchalische Gesellschaftsordnung, eher im Gegenteil, denn außer Rogers Onkel und Tante tauchen kaum einfache Leute auf, die verheiratet sind, und der Onkel unterdrückt seine Frau genauso wie seinen Neffen. Und die „Wilden“, mit denen Caroline sich verbündet hat, und die in einer völlig anderen Gesellschaftsform leben, bleiben eine kaum ausgearbeitete Randerscheinung.

Auch Magie ist kaum vertreten. Rogers Fähigkeit, das Totenreich zu betreten, ist vorerst das einzige Detail, das dieses Buch zu einem Fantasy-Roman macht. Die Ereignisse in Hyrgyll wirken eher wie Schamanismus. Und der Raub fremder Seelen, der den Bewohnern des Seelenrankenmoores vorgeworfen wird, ist bisher lediglich ein Statement ohne jede Erklärung. Vielleicht hat Mutter Chilton magische Fähigkeiten. Wenn ja, hat sie sie erfolgreich vor jedem verborgen, selbst vor dem Leser.

Zugegeben, das Seelenrankenmoor und alles, was damit zusammenhängt, klingt sehr geheimnisvoll und macht neugierig. Die eine oder andere Antwort hätte ich aber schon gern gehabt. Und es ist ja nicht so, dass das Buch mit seinen knapp vierhundert Seiten bereits die Grenzen eines erträglichen Umfangs erreicht hätte. Statt dessen hat die Autorin sich offenbar fast alles, was damit zusammenhängt, für den nächsten Band aufgehoben, was ich ein wenig unbefriedigend fand. Zumal die Handlung trotz interessanter Entwicklungen und Wendungen nie wirklich spannend wurde. Obwohl Caroline sich in ziemliche Schwierigkeiten gebracht hat, fehlt ihrer Situation jegliche Dynamik, weil der Ich-Erzähler, nämlich Roger, in der entscheidenden Phase die Stadt verlässt! Und die bedenkliche Entwicklung im Totenreich wirkt sich ebenfalls nicht auf die Spannungskurve aus, weil nirgendwo ein Zusammenhang zwischen den beiden Welten hergestellt wird, aus dem man Rückschlüsse ziehen könnte, ob und wie sich ein Kollaps des Totenreiches auf die Welt der Lebenden auswirken würde.

_Schade, daraus_ hätte man mehr machen können. Eine detailliertere Ausarbeitung der „Wilden“ und ihres Anführers hätte der unbestritten prekären Situation Carolines noch einiges an zusätzlichem Pfeffer verleihen können, ebenso hätte die intrigante Stimmung innerhalb des Hofes von zusätzlichen Einzelheiten über die Entstehung des Königinnenstreits profitiert. Und ein paar Antworten mehr in Bezug auf das Seelenrankenmoor und seine Bewohner hätten vielleicht eine nachvollziehbare Erklärung für Cecilias Rolle in der ganzen Geschichte geliefert, denn wenn Caroline sie tatsächlich an den Hof geholt hat, weil sie hoffte, das Mädchen besäße dieselbe Gabe wie Roger, warum hat sie sie dann nicht nach Hause geschickt, sobald offensichtlich wurde, dass die einzige Gabe dieses geistlosen Geschöpfes ihr hübsches Aussehen war?

Hier wurde definitiv Potenzial verschenkt. Manches davon war sicherlich Absicht, denn das Ende des Buches deutet unmissverständlich auf eine Fortsetzung. Vieles andere dagegen wäre für den nächsten Band gar nicht mehr relevant und wurde folglich nicht absichtlich aufgespart. Ich hoffe daher stark, dass Anna Kendall sich in ihrem nächsten Buch etwas mehr auf ihre eigene Geschichte einlässt, dass sie sich die Mühe macht, die Situation ihrer Figuren etwas genauer zu beleuchten und allem damit etwas mehr Farbe zu verleihen, und dass sie es schafft, ihren Konflikten genug Sprengkraft zu verleihen, um echte Spannung zu erzeugen.

_Anna Kendall_ ist gebürtige Irin, lebt aber heute in den USA. Sie war lange als Lehrerin tätig, ehe sie sich dem Schreiben widmete. „Der Pfad der Seelen“ ist ihr Debutroman und wurde im englischsprachigen Raum als Buch für junge Erwachsene ausgewiesen.

|Taschenbuch: 384 Seiten
Originaltitel: Crossing Over
Aus dem Englischen von Simone Heller
ISBN-13: 978-3442267927|

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