Kent, Christobel – Tränen der Signora, Die

_Inhalt_

Gesetze und Gerechtigkeit sind nicht immer dasselbe, „Gut gemeint und doch falsch“ ist nicht nur ein geflügeltes Wort. Das muss der Florentiner Polizist Sandro Cellini feststellen, als er sich aus den besten Gründen falsch verhält und vom Polizeidienst ausgeschlossen wird. Zumindest ist es keine unehrenhafte Entlassung; man gewährt ihm den Frühruhestand. Und doch ist es ein schreckliches Gefühl für den Sechzigjährigen, ein Zivilist zu sein. Er war doch so durch und durch Ermittler …

Und nun ringt er mit sich, hadert mit der Welt. Seine Frau Luisa mag das nicht mehr mit ansehen, mietet ihm ein paar Büroräume und drängt ihn, eine Privatdetektei zu eröffnen.

Wenig geschieht in den ersten Tagen, um Sandro von seinen Gedanken abzulenken. Doch dann kommt eine kleine alte Dame zu ihm, die mehr über die Umstände des Todes ihres Gatten herauszufinden wünscht. Claudio Gentileschi soll Selbstmord begangen haben, und seine Frau weigert sich zu glauben, dass er ohne sie gegangen sein soll.

Teils aus Rührung, teils aus Langeweile übernimmt Sandro diesen Fall, der ihm herzlich sinnlos erscheint. Alle Hinweise führen in dieselbe Richtung: Selbstmord. Und doch, plötzlich tauchen Geheimnisse im Leben des alten Herrn auf, Dinge, die er sorgsam versteckt hatte.

Und gerade, als Sandro sich doch in den Fall zu verbeißen beginnt, überstürzen sich die Ereignisse: Plötzlich geht es nicht mehr nur um einen toten alten Mann, sondern auch um eine verschwundene junge Frau, eine amerikanische Studentin. Irgendwo gibt es eine Verbindung zwischen den Fällen, und in den schlimmsten Regengüssen seit der Flut von 1966 beginnt für Sandro, seine Frau und ihre Freundin Giulietta ein Wettlauf mit der Zeit. Nicht nur mit den schwerfälligen Carabinieri müssen sie sich herumschlagen, ihr Weg führt auch noch in die schwer durchschaubare Kunstszene Florenz‘, in der nie ganz klar ist, wo Exzentrik aufhört und Ungesetzlichkeit beginnt …

_Kritik_

Sandro Cellini ist ein mit vielen Dingen vorbelasteter Protagonist. Ein langes Leben liegt hinter ihm, und er hat schon gefährlich nahe am Abgrund gestanden. Er ist kein Mann, der ohne Reflektion durchs Leben gehen kann, und damit ist er ein etwas sperriger Protagonist. Beileibe kein unsympathischer, bewahre, aber wir erfahren durch Introspektion eine Menge über seine Gedanken. Und die sind häufig genug bedrückend. Manchmal möchte man in die Haut seiner Frau schlüpfen, ihn an den Schultern packen und kräftig schütteln, damit er sich ein bisschen zusammen reißt.

Luisa hingegen ist eine kraftvolle Person, und so wie sämtliche Figuren ist sie liebevoll gezeichnet und sorgsam schattiert. Christobel Kent weiß Charaktere zu erschaffen und ihnen Leben einzuhauchen: Ob sie ernst sind oder schüchtern, verzagt oder sorglos, fröhlich oder leichtsinnig, eigensinnig oder skrupellos, sie wirken allesamt lebensnah und glaubwürdig. Dass mir persönlich der Protagonist etwas zu weichlich ist, ist rein subjektiv.

Das nasse Florenz im November bietet einen kalten, trostlosen Hintergrund für die Suche nach der jungen Studentin bzw. nach Antworten zum Tod Claudio Gentileschis. Die Sprache passt sich dem Rahmen an; die Erzählweise des Romans ist eher sachte, ohne langweilig zu sein. „Die Tränen der Signora“ ist nicht actiongeladen, aber eine eindringliche Geschichte über facettenreiche Menschen, individuelle Freuden, Leiden, Ängste und Hoffnungen.

_Fazit_

Sandro Cellinis erster Fall ist ein solider Kriminalroman, der ohne wilde Schießereien auskommt, dafür aber auf die Tiefe der Akteure Wert legt. Die verhaltene Erzählweise tut der Spannung übrigens keinen Abbruch; gegenteilig leidet man mit den Handelnden, wenn sie wieder ins Unwetter hinaus müssen, immer in der Hoffnung, dass dieser Ausflug ihnen endlich Antworten liefern möge.

Etwas eigentümlich erschien es mir, dass jemand im Jahre 1997 1500 Euro auf ein Konto eingezahlt haben soll (vgl. S. 200) – das ist die Art von Fehler, die eigentlich nach sorgfältigem Lektorat ausgemerzt sein sollte.

Alles in allem ist dieses Buch für jene empfehlenswert, die es etwas stiller und nachdenklicher mögen. Das größte Plus: Die Personen treten absolut plastisch hervor.

|Taschenbuch: 416 Seiten
Originaltitel: A Time of Mourning (Sandro Cellini 1) (2009)
Aus dem Englischen von Christine Heinzius
ISBN-13: 9783442374465|
[www.randomhouse.de/blanvalet]http://www.randomhouse.de/blanvalet/

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