Jack Kerley – Bestialisch (Carson Ryder 4)

Cop & Killer als Team: spannend bis zur letzten Seite

Carson Ryder, Alabama-Polizist mit Psychologieausbildung, wird nach New York City beordert, wo eine Psychiaterin auf grausame Weise getötet wurde. Dr. Evangeline Prowse betreute einen psychopathischen Serienmörder, der nun auf der Flucht ist. Ryder verschweigt, dass er den Verdächtigen kennt – es ist sein Bruder Jeremy. Und die neuesten Morde passen nicht zu Jeremys Schema. In einem Katz-und-Maus-Spiel versucht Ryder, den echten Mörder zu finden und Jeremy zu retten. (Verlagsinfo)

Der Autor

J. A. Kerley ist ein ehemaliger Werbeautor und stammt aus Newport, Ohio, hat aber eine Zeitlang an der Küste von Alabama gelebt. Dort kennt er sich ebenso gut aus wie in Ohio und Kentucky. Kerley ist verheiratet und hat zwei Kinder. Mehr Info findet man auf seiner Webseite.

Romane aus der |Carson Ryder|-Reihe:

1) Einer von hundert (The Hundredth Man, 2004)
2) Der letzte Moment (The Death Collectors, 2005)
3) Den Wölfen zum Fraß (A garden of vipers / The Broken Souls, 2006)
4) Bestialisch(Blood Brother, 2008)
5) In the Blood
6) Little Girls Lost
7) Krank (Buried Alive, 2010)
8) Her Last Scream
9) The Killing Game
10) The Death Box
11) The Memory Killer
12) The Apostle
13) The Death File

Handlung

Detective Carson Ryder von der psychologischen Sondereinheit der Polizei von Mobile, Alabama, wundert sich, warum er nach New York City beordert wird – und zwar prestissimo. Den Grund bekommt er bald zu sehen, an einem blutigen Tatort, wo eine seiner liebsten Bekannten tot in ihrem Blut liegt – mit abgetrenntem Kopf. Es ist Dr. Evangeline Prowse, die Leiterin der Anstalt für geistesgestörte Schwerverbrecher, die Carson schon mehr zu schwierigen Fällen herangezogen hat.

Doch Evangeline hat eine Videobotschaft hinterlassen, in der sie ausdrücklich um Carsons Hilfe bei ihrem neuesten Fall bittet. Sie brauche einen seriösen – was? Denn das Video bricht ab, offenbar durch Gewalteinwirkung. Sie kann Carson nur noch sagen, dass es ihr leid tue. Was meint sie nur? Er wird es bald herausfinden.

Der blutige Mord an der Psychiaterin scheint nur der erschütternde Auftakt zu einer Serie von weiteren Frauenmorden zu sein. Zwei weitere Opfer werden kopflos aufgefunden – mit dem Kopf in ihrem aufgeschlitzten Leib. Carson wird von Inspektor Sheldon Waltz in das Ermittlungsteam auf- und zu jedem Tatort mitgenommen.

Eine Sonderkommission unter Leitung der energischen Inspektorin Alice Folger, die von Waltz protegiert wird, findet das Landei Ryder aus Alabama nicht nur lachhaft, sondern sogar dubios. Folgers zwei Assistenten Bullard und Cluff wollen ihn unterbuttern und ausbooten. Nur Waltz‘ Fürsprache hat er sein Bleiben zu verdanken.

Carson setzt in der Heimat seinen Partner Harry Nautilus auf die Vorgeschichte des Mordes an Dr Prowse an. Dieser informiert ihn darüber, dass Carsons Bruder Jeremy Ridgecliff aus der Anstalt entkommen konnte, und Jeremy ist ein überführter Serienmörder mit einem Dachschaden. Als wäre dies nicht selbst schon unglaublich, so erstaunt ihn noch mehr, dass Dr Prowse, einer der seriösesten Psychiaterinnen überhaupt, sich auf eine Beziehung mit Jeremy einließ. Harry findet das Poster eines nackten Jeremys an der Bürotür von Prowses Ferienhäuschen. Hatte sie etwa eine intime Beziehung zu einem wahnsinnigen Serienkiller?

Schon bald ist Carson klar, dass Jeremy sich hier in New York aufhält, und er informiert die Sonderkommission darüber. Er warnt Folger & Co., dass sie es mit einem sehr intelligenten Verkleidungskünstler zu tun haben, sollte Jeremy der Mörder der drei Frauen sein. Doch Jeremy hat eine Schwäche: Er wird das Leben in der Anstalt, wo er jahrelang weggesperrt war und keine Frauen hatte, überkompensieren und in Saus und Braus leben wollen – als Geschäftsmann etwa. Aus dem Ausland.

Dieses Profil führt schnell zu erstaunlich positiven Ergebnissen, was Alice Folger zu einer Neubeurteilung Ryders bewegt. Vielleicht hat er doch was auf dem Kasten. Carson hat jetzt allerdings ein Problem. Er hat verschwiegen, dass er ein Blutsverwandter des gesuchten Mörders ist. Und er muss verhindern, dass bei dessen Festnahme diese Beziehung offengelegt wird, sonst ist er die längste zeit Polizist gewesen.

Leider nimmt die Zeit keine Rücksicht auf diesen frommen Wunsch. Denn Sheldon Waltz schnüffelt Ryder in dessen Heimat und Vergangenheit hinterher. Und Jeremy überfällt Carson in dessen Hotelzimmer – mit einer geladenen 45er in der Hand …

Mein Eindruck

Wow, was für ein klasse Thriller! Schon in „Einer von hundert“ und besonders „Buried Alive“ (2010) hatte mich Kerley überzeugt, dass er nicht nur einen ungewöhnlichen Helden vorzuweisen hat, sondern auch in der Lage ist, verschlungene Handlungsverläufe aufzubauen, die an jeder Ecke mit einer überraschenden Entdeckung oder Wendung aufwarten.

Das ist auch in „Blood Brother“ der Fall, das vom deutschen Verlag leider den blödsinnigen Titel „Bestialisch“ aufgedrückt bekommen hat. Man mag es „bestialisch“ finden, wenn einer Frau der Kopf abgetrennt, der Bauch aufgeschlitzt, die Gebärmutter entnommen und der Kopf dort hineingesteckt wird. Aber es steckt neben dem grausigen Bild auch noch eine weitere Botschaft in dieser Tötungsart: Das Opfer wird nicht nur als Person vernichtet, sondern auch als Frau.

Diese Attacken eines Wahnsinnigen – Jeremy oder nicht – korrespondieren mit den Morddrohungen gegen die feministische Präsidentschaftskandidatin Cynthia Pelham. Eine dieser Drohungen stammt von einem Typen aus Brooklyn, der seine „Männlichkeit“ in Gefahr sieht und verteidigen will. Lächerlich. Aber sowohl Ryder als auch Waltz nehmen die Serie von russischen Puppen ernster, die Pelhams Wahlkampfteam zugeschickt wird: Der ineinander steckbaren Matrjoschkas wurde der Mund übermalt. Normalerweise sind es sieben Puppen – es ist ein Countdown …

Bei der Mordserie geht es also um die Bedrohung und Vernichtung feministischer Ansichten und Ansprüche. Aber natürlich steckt noch mehr dahinter. Denn wozu sonst dieser Blutdurst, der vor nichts haltmacht? Harry Nautilus findet einen ersten Hinweis darauf, was Dr. Evangeline Prowse eigentlich in New York City wollte, als er einen Anruf des FBI auf ihrem AB abhört. Sie hatte Akten über die Washingtoner Killer angefordert und bekommen, die in der US-Hauptstadt zehn Menschen wahllos aus dem Hinterhalt erschossen: ein Militärveteran und sein Zögling John Malvo.

Verhält es sich mit der Mordserie in New York genauso – um das Ergebnis eines Ausbilders und einer Schule von Mordgehilfen? Dieses Szenario findet sein Echo im Plot von „Buried Alive“ wo ebenfalls eine Schule von Jungen ausgebildet, misshandelt und schließlich zu Verbrechen eingesetzt wird. Doch wer ist diesmal der Ausbilder?

Doch den eigentlichen Reiz des vorliegenden Thrillers macht das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Carson und seinem Bruder Jeremy aus – eine Frage der Identität und Täuschung, auf beiden Seiten. Es steht nicht bloß Ryders Karriere auf dem Spiel, sondern auch Alice Folgers Leben. Warum um Himmels willen hat Jeremy sie entführt, fragt sich Ryder, der mit Alice eine sexuelle Beziehung begonnen hat, verzweifelt. Glücklicherweise kommt es schließlich zu einem Treffen zwischen den ungleichen Brüdern, das nach einer Aussprache zu einer gemeinsamen Aktion führt. Diese allerdings dürfte Sheldon Waltz überhaupt nicht gefallen …

Der Showdown ist in mehrfacher Hinsicht fulminant, denn nun werden die verschiedenen Fäden zusammengeführt und das ungewöhnliche Brüderpaar hat nur eine Aufgabe: Der geplante Anschlag auf Cynthia Pelham muss vereitelt werden. Die anstehende Lösung aller Rätsel hält den Leser bei der Stange, und wäre es schon Mitternacht. Hoher Suchtfaktor!

Die Übersetzung

Außer ein paar vereinzelten Druckfehlern konnte ich keine Fehler finden. Aber manchmal hätte ich mir schon ein Glossar gewünscht. Was bedeutet beispielsweise „dekompensiert“ auf Seite 271?

Unterm Strich

Mir hat dieser Thriller enorm gut gefallen, und deshalb vergebe ich die volle Punktzahl. Geschickt versteht es der Autor, seinen eigenen Helden ins Zwielicht zu rücken, indem er ihn seinen verbrecherischen Bruder decken lässt – und er sogar die Ermittlung zu sabotieren scheint. Der in seinen vorgefassten Erwartungen verunsicherte Leser wird auf eine Achterbahnfahrt von Entdeckungen und Wendungen geführt, die sich gewaschen hat und zu einem fulminanten, actionreichen Finale führt.

Die Themen dieses Thrillers sind vor allem psychologischer Natur, und dies macht für mich den großen Reiz der verzweigten Geschichte aus. Mehrere Rätsel müssen gelöst werden, vor allem die Frage, wie eine renommierte Psychologin wie Dr. Prowse sich auf eine Beziehung zu einem wahnsinnigen Serienmörder wie Jeremy Ridgecliff einlassen konnte. Zu ermitteln ist aber auch, wie Jeremy überhaupt zu einem solchen Serienmörder wurde. Leidet er an Schizophrenie – oder ist er, wie einst John Malvo, das Opfer eines rachsüchtigen Ausbilders?

Wie so häufig liegen die Antworten tief in der Vergangenheit vergraben, in den sexuellen Beziehungen der Menschen. Diesmal erfahren wir aber genau, welche Bluttat Carson und seinen Bruder Jeremy verbindet – und welche Rolle sie füreinander spielen. Es passiert ja nicht alle Tage, dass sich ein Cop mit einem irren Serienmörder verbündet.

In der Reihe der |Carson Ryder|-Krimis spielt dieser Roman eine Schlüsselrolle. Er lässt uns einen tiefen Blick auf die Verbindung zwischen Ryder und Jeremy Ridgecliff werfen, die in den nächsten Bänden der Reihe immer wieder relevant wird, so etwa auch in „Buried Alive“ (siehe meinen Bericht dazu). Es wäre also hilfreich, sich diesen Band auf jeden Fall zu Gemüte zu führen.


Taschenbuch: 377 Seiten
Aus dem US-Englischen von Bettina Zeller
ISBN-13: 978-3548280417

http://www.ullsteinbuchverlage.de

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