Kerley, Jack – letzte Moment, Der

Jack Kerley wird als der Shootingstar der amerikanischen Krimiszene gefeiert. Bereits mit seinem ersten Roman, dem Thriller „Einer von hundert“, gelang ihm in seiner Heimat der Durchbruch, und auch in Deutschland wurde man schnell auf den Autor aus Newport, Kentucky, aufmerksam. Nun legt der Erfolgsautor nach: In „Der letzte Moment“ widmet er sich seiner Passion für die berüchtigte Manson-Familie und verpackt seine Faszination für Massenmörder in einen unheimlich spannenden, fiktiven Krimi.

_Story:_

Anfang der Siebziger steht der berüchtigte Serienmörder Marsden Hexcamp nach langem Ringen endlich vor Gericht und muss sich für seine Taten verantworten. Vor dem Gerichtssaal wartet eine ständig weinende, junge Dame auf den Urteilsspruch, der – das ist nicht anders zu vermuten – die Todesstrafe mit sich bringen wird. Doch genau diese junge Dame kommt dem Richter zuvor und erschießt zunächst ihren anscheinend Geliebten und danach sich selbst, um den Ermittlern ein letztes Mal ein Schnippchen zu schlagen und die Kunst, die Hexcamp während seiner Lebenszeit zelebrierte, ein letztes Mal in einer gewaltigen Inszenierung zum Leben zu erwecken.

Dreizig Jahre später hat der Fall den ehemaligen Detective Jacob Willow noch immer nicht losgelassen. Willow, der damals bei der Urteilsverkündung ebenfalls anwesend war, die Tragödie aber nicht mehr verhindern konnte, hat sich seither mit dem skurrilen Fall beschäftigt und fleißig Anhaltspunkte finden können, die hinter dem Erbe Hexcamps eine sektenartige Gruppierung vermuten lassen, doch zu fassen bekommen hat Willow von diesem Verbund nie jemanden.

Nun wird aber in einem Motel eine brutal zugerichtete Leiche gefunden, und plötzlich steht der Name Hexcamp wieder im Brennpunkt der Ermittlungen. Die beiden Polizisten Carson Ryder und Harry Nautilus werden auf den Fall angesetzt und wollen so den Ruf, den ihnen gerade die Ehrung zur besten Polizeitruppe der Stadt erbracht hat, bestätigen. Allerdings geraten die Ermittlungen arg ins Stocken: einerseits, weil ein Fernsehteam um die nervige Journalistin Dansbury keine Ruhe geben will und Harry und Carson ständig in Rage bringt, und andererseits, weil der Fall noch weitere Leichen nach sich zieht, deren Tode offensichtlich mit dem Mord im Motel zusammenhängen. Der einzige Aufhänger für die beiden Cops sind einige Fetzen eines Bildes.

Als sie eines Tages mit dem berenteten Jacob Willow in Kontakt treten, entdecken sie die Parallelen zum Fall Hexcamp und rollen die Verbrechen des ‚Altmeisters‘ neu auf. Tatsächlich führt die Spur zu einer Untergrundorganisation, die damals von Hexcamp angeführt wurde, und weiterhin zu einer bizarren Gruppe Menschen, die sich mit dem Nachlass und den Tatwaffen berühmter Massenmörder beschäftigt und diese auch sammelt. Je abscheulicher das Instrument, desto höher der künstlerische Wert und somit auch der Preis – eine grausame Tatsache, mit der sich Carson Ryder auseinandersetzen muss, und die ihn schließlich auch zu einer fanatischen Anhängerin Hexcamps führt, bei der sich der Polizist weitere Infos holen kann.

Dennoch: Die Zusammenhänge wollen dem Team nicht klar werden, und erst als auf Geheiß ihres Chefs die verachtete Mrs. Danbury zum Team stößt, geht es voran. Gemeinsam reisen Ryder und Dansbury nach Paris und bekommen dort einen entscheidenden Tipp und weitere Hintergründe zum Aufstieg von Marsden Hexcamp. Doch erst der Zufall will es, dass Carson der Sache auf die Schliche kommt – doch da ist es schon zu spät …

_Meine Meinung_

Action von Anfang an; Jack Kerley legt sofort richtig los. Die ersten Szenen aus dem Gerichtssaal sind direkt enorm actiongeladen und zerren den Leser auch umgehend in die Geschichte hinein. Doch genauso schnell, wie man Zugang zur Story um Marsden Hexcamp gefunden hat, wird man auch wieder in die erzählte Gegenwart geworfen, in der die beiden Cops Ryder und Nautilus gerade ausgezeichnet werden. Von hier an wird die Geschichte aus der Perspektive Ryders erzählt, hat aber fortan auch einige Startschwierigkeiten.

Eine Leiche wird gefunden, ein Journalistenteam penetriert die Polizei ohne Unterlass und mittendrin steht das stets sehr reizbare Duo Ryder/Nautilus, ohne eine Ahnung von den tatsächlichen Vorgängen. Enttäuschung macht sich breit, bis dann plötzlich Zusammenhänge zum alten Mordfall aufgedeckt werden und das Buch umgehend auch wieder an Farbe gewinnt. Nun sieht sich der Leser dazu veranlasst, beide Geschichten parallel zu verarbeiten, doch sobald man glaubt, sich endlich Klarheit verschafft zu haben, ist Jack Kerley einem auch schon wieder einen Gedankensprung voraus und führt den Leser auf die nächste (falsche) Fährte. Plötzlich steht ein vermisster Anwalt im Raum, eine seltsame Anwaltsfirma wird verhört und verdächtigt, Ryders Bruder, der sich wegen eines Mordes auf Lebenszeit im Gefängnis befindet, kommt als entscheidendes Element in Betracht und immer wieder tauchen neue Personen auf, die mit der Serie in Verbindung gebracht werden bzw. irgendwie mit hineingezogen wurden.

Na also, da haben wir ihn doch, den genialen Thriller mit seinen zahlreichen Wendungen und den vielen Charakteren, die zwar meistens etwas eigenartig sind, im Hinblick auf ihre Ausstrahlung aber stets am Boden des Realistischen verbleiben. Auch wenn die beiden Ermittler prinzipiell in die Rolle der Helden hineingedrängt werden, drohen sie nicht abzuheben und werden nicht schlagartig zu Superhelden, die mit spielerischer Leichtigkeit aus einem kleinen Indiz einen Fall von enormer Tragweite lösen, was der gesamten Story dann auch sehr zugute kommt.

Außerdem verschwendet Kerley im Laufe der Geschichte auch nie seine Erzählzeit damit, irgendwelche persönlichen Dramen in die Story zu integrieren. Die Konzentration gilt einzig und alleine den Ermittlungen und dem mysteriösen Fall um Marsden Hexcamp, den verschwundenen Anwalt und die neue Mordserie, deren Ursprünge mehrere Dekaden weit zurückgehen – alles super in Szene gesetzt und nach anfänglichen Längen mit einem sehr, sehr hohen Erzähltempo vorangebracht.

Am Ende ist dann auch klar, warum Kerley als Shootingstar gefeiert wird. Stilistisch stets bodenständig und in Bezug auf die Handlung immer nahe am Geschehen, ist „Der letzte Moment“ ein wirklich toller Mix aus Krimi und Thriller geworden, dessen besonderer Reiz in der Faszination für das Unmenschliche liegt. Kerleys Vorliebe für das Thema „Massenmörder“ und die daraus resultierenden, detailreichen Beschreibungen der bizarren Mordfälle verhelfen dem Roman schließlich zum international tauglichen Referenzformat und entlocken mir eine uneingeschränkte Empfehlung für diesen aufstrebenden Autor.

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