Kerr, Philip – Coup, Der

Auf dem Rücken des vorliegenden Buches wirbt der |Rowohlt|-Verlag damit, dass sein Autor Philip Kerr „die intelligentesten Thriller seit Jahren“ schreibt. Sicherlich handelt es sich hierbei um einen verkaufsträchtigen Ausspruch, der allerdings die Messlatte für den „Coup“ sehr hoch hängt, sodass Kerr wohl zwangsläufig daran scheitern muss. In der Tat hat Kerr mit „Newtons Schatten“ einen außergewöhnlich spannenden und interessanten Krimi mit dichter Atmosphäre veröffentlicht, wodurch er sich deutlich von seiner Konkurrenz abgehoben hat, doch schafft er dies auch mit seinem aktuellen Thriller, der in der heutigen Zeit spielt, stellenweise den Zeigefinger erhebt und sich teils auch sehr kritisch mit der aktuellen Finanzwelt auseinander setzt, in der die reichsten Männer der Forbes-Liste mächtiger sind, als sie vielleicht sein sollten? Schauen wir uns dies genauer an …

Zunächst lernen wir die Köchin Eve Merlini kennen, die ihren Ehemann Brad in ihrem gemeinsamen Restaurant inflagranti mit einer Kellnerin erwischt. Eve sieht rot und droht ihrem untreuen Mann und seiner Liebsten mit lebenden Krebsen, bis die Polizei erscheint und dem Ehestreit ein Ende setzen will, doch Eve kann nicht nur hervorragend kochen, sondern besitzt darüber hinaus den schwarzen Gürtel und überwindet die auftauchenden Polizisten mit ihren Karatekünsten im Handumdrehen. Dieser kleine Vorfall kostet sie nicht nur ihre Ehe, sie landet außerdem für einige Monate im Gefängnis. Doch genau dieser Umstand wird ihr Leben in Zukunft verändern. Denn in den Schlagzeilen entdeckt der Multimillionär Bob Clarenco Eve und möchte sie für seine ganz eigenen Zwecke einsetzen.

Clarenco lädt Eve zu einem Abendessen in ein sündhaft teures Restaurant ein und erklärt ihr, dass ihn dies verglichen mit seinem Vermögen nicht mehr kosteten würde als Eve eine Pizza vom Bringdienst. Doch Bob Clarenco hat Eve noch mehr anzubieten: Nachdem die Aktien seines Unternehmens drastisch gefallen sind und er außerdem bei einer kostspieligen Scheidung viel Geld verloren hat, steht Clarenco nur noch mit einem Bruchteil seines Vermögens da und hat sich bereits einen Plan zurechtgelegt, mit welchem er sein Konto wieder aufstocken möchte. Hierfür benötigt er allerdings eine toughe und fähige Köchin, die sein zusammengestelltes Team zu perfekten Catering-Angestellten ausbilden kann. Eve lässt sich nicht lange bitten, denn das Schmerzensgeld für die beiden Polizisten musste sie mit ihrem Anteil am Restaurant bezahlen, sodass sie das von Clarenco angebotene Geld dringend zum Leben braucht.

In harter Arbeit lernt Eve die anderen Mitarbeiter als Köche und Kellner an, um mit ihnen bei Multimilliardär Cal Wallenberg eingesetzt zu werden, der einmal pro Jahr zwanzig andere Multimilliardäre auf sein Anwesen einlädt, um mit ihnen ein Luxuswochenende zu verbringen.

Nachdem zwanzig der reichsten Männer der Welt bei Wallenberg eingetroffen sind, verleben die Milliardäre zunächst einige angenehme Stunden und schmieden ehrgeizige Zukunftspläne, bevor die Caterer zunächst das Security Team ausschalten und anschließend die Milliardäre narkotisieren. Im Internet veröffentlichen sie ihre Forderungen für die Freilassung der Geiseln und schalten eine Webcam, auf der eine gefesselte Geisel zu sehen ist. Die Caterer drohen mit der Erschießung der Milliardäre, wenn ihre Forderungen bis zum nächsten Tage nicht erfüllt werden. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt …

Philip Kerr erzählt in „Der Coup“ die Geschichte einer Geiselnahme, die zu Beginn recht geradlinig wirkt und kaum genug Stoff für einen Roman herzugeben scheint, doch im Verlauf der Erzählung müssen wir unser Bild revidieren. Die präsentierte Geiselnahme ist alles andere als alltäglich, zumal die Caterer eigentlich nicht vorhaben, irgendwelche Milliardäre zu ermorden, auch ihre zunächst vorgebrachten Forderungen inklusive des Schuldenerlasses für die Dritte Welt sind reine Tarnung, hinter allem steckt viel mehr, was Bob Clarenco selbst seinem Team erst spät offenbart. So kann Philip Kerr mit seiner Geschichte durchaus überraschen und unterhalten, zumal er uns ganz nebenbei einige sehr interessante und lehrreiche Dinge über die Börse und den Handel mit Optionsscheinen erklärt.

Auch die Erzählweise ist kurzweilig und versteht es, die Leser mitzureißen. Kerr hält seine Kapitel kurz und passt auch seinen Schreibstil der rasanten Geschichte an. Hier bekommen wir (leider) keine ausgefeilte Sprache zu lesen wie noch in „Newtons Schatten“, Kerr reitet vielmehr auf der aktuellen Erfolgswelle mit und orientiert sich dabei an Autoren wie Brown oder Crichton, die ebenfalls auf die vergängliche aber packende Literatur setzen. In diese Kerbe schlägt auch Philip Kerr, was ich persönlich etwas schade finde, da er bereits bewiesen hat, dass sein Repertoire durchaus mehr hergibt.

Leider überzeugen die Charaktere nicht vollends, die Figuren erscheinen vielmehr klischeehaft und wenig authentisch. Allen voran ist hier Eve Merlini zu nennen, die wir gleich zu Beginn als schlagkräftige Meisterköchin und betrogene Ehefrau kennen lernen, die in ihrer Vergangenheit als Kommandantin einer Gruppe von Panzerspähwagen mit den amerikanischen Soldaten in Kuwait einmarschiert ist. Auch bei der Schilderung der Biografien unserer Milliardäre scheint es mit Kerrs Phantasie etwas durchgegangen zu sein, hier reiht sich eine sensationelle Geschichte an die andere.

Äußerst reizvoll dagegen ist die Sympathieverteilung in „Der Coup“: Stets begleiten wir Eve, Bob Clarenco und ihr Team bei ihren Taten und sind Zeuge ihres Vorhabens, sodass wir mit ihnen mehr mitfühlen als mit den schwerreichen Geiseln, die zu ihrem Vermögen nicht nur durch legale Geschäfte gelangt und stattdessen rücksichtslos und egoistisch allein auf ihren Vorteil aus sind. So kommt es, dass wir den Geiselnehmern Erfolg wünschen, obwohl dies unserem Gefühl für Recht und Gerechtigkeit durchaus widerspricht. Philip Kerr übt hier Kritik an den Machenschaften der Finanzwelt und macht deutlich, wie mächtig ein Multimilliardär durch seinen großen Reichtum eigentlich ist. Hier werden dem Leser die Augen geöffnet, sodass wir manches nun vielleicht unter einem anderen Blickwinkel betrachten.

Die große Schwäche von Kerrs aktuellem Thriller liegt jedoch in seinem großen Finale, in dem sich die Ereignisse förmlich überschlagen und dem Leser unnötig viele Wendungen zugemutet werden, die die Erzählung schließlich vollkommen unrealistisch machen. Mit seinen Zaubertricks, die Kerr auf der Zielgerade aus dem Hut zaubert, überfrachtet er seinen Roman, ohne die Spannung dabei weiter zu steigern. Viele Situationen sowie die gezeichneten Charaktere wirken wie für eine Hollywoodproduktion geschrieben, die Figuren werden nicht mit Leben gefüllt und die inhaltlichen Wendungen am Ende erscheinen etwas lieblos; hier hätte Kerr lieber konsequent seine Linie durchziehen sollen.

Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass „Der Coup“ eine durchaus unterhaltsame Lektüre bietet, die schnell und flüssig durchgelesen ist und mit einigen angenehmen Überraschungen dienen kann. Doch hat Philip Kerr bereits bewiesen, dass er tatsächlich intelligentere Thriller zu schreiben in der Lage ist, sodass er mit seinem aktuellen Buch nicht ganz überzeugen kann. In Ansätzen ist die erzählte Geschichte gelungen und auch recht innovativ, doch sollte ein Autor die Geduld seiner Leser nicht überstrapazieren, wie Kerr dies mit seinem überfrachteten Finale getan hat. So reicht es leider nur zu einem mittleren Gesamteindruck, obwohl man aus der Idee sicherlich mehr hätte machen können.

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