King, Owen – wahre Präsident von Amerika, Der

Mit dem Namen |King| lassen sich Bücher gut verkaufen. Das belegt auch die aktuelle Platzierung von Stephen Kings neuem Roman [„Puls“ 2383 in den Bestsellerlisten. Doch im Schatten des |“großen King“| geht derzeit noch ein |“kleiner King“| auf dem deutschen Buchmarkt an den Start: Owen King. Und dieser kleine King ist tatsächlich ein Ableger des großen King – weniger literarisch, dafür umso mehr biologisch. Der Spruch „ganz der Vater“ lässt sich hier übrigens nicht anwenden, es sei denn, man meint den Umstand des Schreibens an sich und nicht das Geschriebene. Vater und Sohn dürften auf gänzlich unterschiedliche Zielgruppen abzielen und so verwundert es auch nicht, dass um das Debüt von King junior auch kein allzu großes Brimborium gemacht wird.

Owen King dürfte mit seinem Debüt „Der wahre Präsident von Amerika“ vor allem die Freunde zeitgenössischer amerikanischer Autoren wie Jeffrey Eugenides, Jonathan Franzen, Matthew Sharpe, etc. ansprechen. Ein wenig schräge Figuren, eine augenzwinkernde Erzählweise, gespickt mit liebevollen Details, und eine Geschichte, die im Grunde doch ganz alltäglich zu sein scheint – das macht den Lesegenuss von „Der wahre Präsident von Amerika“ aus.

Mag man dem Äußeren nach zunächst einmal einen Roman erwarten, so entpuppt sich das Buch bei näherer Betrachtung als Band mit fünf Erzählungen. „Der wahre Präsident von Amerika“ stellt den Auftakt dar und nimmt zwei Drittel des Buches ein. Daran schließen sich vier kürzere Erzählungen an. Die Gemeinsamkeit aller Erzählungen ist, dass sie Ausschnitte aus dem ganz normalen amerikanischen Alltag zeigen – zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten und anhand unterschiedlicher Figuren.

_Der wahre Präsident von Amerika_

George ist fünfzehn und der einzige Sohn einer alleinerziehenden Mutter. Wir schreiben das Jahr 2000 und Georges Großvater, ein alter Gewerkschafter, ärgert sich maßlos über den Ausgang der letzten Präsidentschaftswahl. In seinen Augen ist der Wahlausgang Betrug (womit er ja nicht so ganz falsch liegt) und er tut seinen Unmut kund, indem er in seinem Vorgarten Al Gore auf einem übergroßen Plakat zum wahren Präsidenten Amerikas erklärt. Als ein Unbekannter das Plakat beschmiert, entbrennt ein regelrechter Kleinkrieg, in den auch George hineingezogen wird.

Doch das ist nicht Georges einziges Problem. Sein Hauptkriegsschauplatz ist vielmehr das Haus, in dem George mit seiner Mutter bei deren Verlobten Dr. Vic wohnt. Dr. Vic ist nun wirklich nicht die Sorte Mann, die George sich als seinen zukünftigen Stiefvater vorstellen möchte, und so tut er sein Möglichstes, um die bevorstehende Heirat der beiden zu verhindern. Doch als George sein Ziel erreicht zu haben scheint und eigentlich allen Grund hätte zu triumphieren, kommt es alles ganz anders als erwartet …

„Der wahre Präsident von Amerika“ zeigt zum einen, wie George versucht, seinen Platz im Leben zu finden. Er weiß nicht so recht, wo er hingehört, und ist das Nomadenleben, das er dank wechselnder Liebhaber seiner Mutter führen musste, satt. Doch als sich George die Chance bietet, sesshaft zu werden und endlich ein richtiges Familienleben ansteuern zu können, ist ihm das auch wieder nicht recht. George ist jemand, der enge Bindungen und tiefer gehende Kontakte scheut und sich auf diese Weise den Verantwortungen des Erwachsenenlebens entzieht.

Doch George macht im Laufe der Geschichte einen Reifungsprozess durch. King skizziert den Moment in Georges Leben, in dem er beginnt, erwachsen zu werden und zu reifen, und diese Veränderung demonstriert er ganz glaubwürdig. King staffiert seine Geschichte mit einer Reihe skurriler Figuren aus, die gewissermaßen das Salz in der Suppe sind. King zeigt die Menschen, wie sie sind, mit ihren Ecken und Kanten. Georges Großvater Henry und sein Nachbar Gil sorgen dabei mit ihren Schrullen immer wieder für Heiterkeit. Liebevoll beschreibt King die Figuren, aber auch ohne die Realität auszusperren oder zu beschönigen. Da wird im Schlaf gesabbert und die alten Herrschaften dürfen ihre von Inkontinenz geplagte Blase auch schon mal auf dem Gehsteg entleeren. Alles ohne dass man das Gefühl hat, der Autor würde sich über seine Protagonisten lustig machen. Feinfühlig versetzt King sich in seine Figuren und kehrt ihre komischen wie auch ihre tragischen Seiten hervor.

Letztendlich skizziert King anhand seiner Figuren ein Stück des heutigen Amerikas. So wie er sich einen Wendepunkt in Georges Leben herausgegriffen hat, thematisiert er auch einen Wendepunkt der amerikanischen Geschichte – den „Putsch“ der Konservativen, die sich in einem denkwürdigen historischen Prozess ins Weiße Haus geschlichen haben, obwohl Gegenkandidat Al Gore eigentlich mehr Stimmen hatte.

Henry will sich damit nicht einfach abfinden und rebelliert in seinem Vorgarten gegen diese Art der Machtergreifung. King zeigt ein Stück weit auch die Zerrissenheit, in der das Land politisch steckt, die Gegensätzlichkeiten der unterschiedlichen Seiten und die Gleichgültigkeit, mit der ein Volk einen Putsch hingenommen hat, nur weil man ihn als rechtmäßigen Wahlausgang verkauft hat. Und so dokumentiert King das heutige Amerika eben auf zwei Ebenen, der großen, politischen und der kleinen, persönlichen. Der Erzählung fügt das einen reizvollen Aspekt zu.

King ist ein Autor, der genau beobachten kann, der sich auf treffende Formulierungen versteht und den Leser durch seine punktgenaue und wohlakzentuierte Erzählweise das heutige Amerika begreifen lässt. Und das ist stets unterhaltsam und hat eine gewisse Klasse. Er versteht es, Gefühle zu vermitteln, würzt seine Erzählung mit Tragik und Humor, so dass die Lektüre eine durchaus lohnenswerte Erfahrung ist.

_Das Weitere_

In den folgenden vier Erzählungen beleuchtet King weitere Aspekte der amerikanischen Alltagswelt. Er portraitiert Menschen, teils in ganz alltäglichen Situationen, teils darin, wie sie markante Punkte ihres Lebens meistern. In _“Eiskalte Tiere“_ erzählt der Autor von einem reisenden Zahnarzt, der irgendwo in der amerikanischen Einöde praktiziert. Zwei Trapper begleiten ihn durch einen Schneesturm auf einen Berg, wo die hochschwangere Frau des einen Trappers auf eine dringend notwendige Zahnbehandlung wartet. Der Zahnarzt ist ein gebrochener Mann, der vor den Trümmern seines Lebens steht und für den der Trip in die verschneite Wildnis zu einer ganz besonderen Erfahrung wird.

In _“Wunder“_ erzählt King die Geschichte des Baseballspielers Eckstein, der in den Dreißigerjahren für die Coney Island Wonders spielt. Eckstein interessiert sich eigentlich nur für Baseball und Kino und dort besonders für Filmvorführerin Lilian. Doch die will so recht nichts mehr von ihm wissen, seit er sie „versehentlich“ geschwängert hat. Eckstein bemüht sich um eine Lösung des Problems.

_“Schlange“_ erzählt von einem Nachmittag im Einkaufszentrum. Der Jugendliche Frank, Kind geschiedener Eltern, wird dort von seinem Vater abgesetzt, damit beide den Nachmittag nach ihren ganz eigenen Vorstellungen verbringen können. Im Einkaufszentrum trifft Frank einen Kerl in Bikerklamotten, der dort mit einer Boa Constrictor posiert. Die beiden kommen ins Gespräch und der alte Hippie hat eine interessante Geschichte zu erzählen, die Frank nicht mehr loslässt.

In der abschließenden Erzählung _“Meine zweite Frau“_ erzählt King die Geschichte eines Mannes, der mit seinem Bruder eine Reise nach Florida unternimmt. Keine gewöhnliche Reise, denn der Bruder will in Florida das Auto eines Mannes kaufen, der gerade hingerichtet werden soll – für Taten, bei den denen das Auto gewissermaßen als Mordwaffe diente. Während also der Bruder in Florida seinen Autokauf tätigt, hofft die Hauptfigur selbst, endlich ein wenig abschalten zu können, nachdem seine Frau ihn verlassen hat.

Auch die vier angeschlossenen Erzählungen vereinen Skurriles mit Alltäglichem in sich. Herausragend ist besonders „Wunder“. Die Welt von Coney Island in den Dreißigerjahren ist ein faszinierender Mikrokosmos, den auch Sarah Hall in [„Der Elektrische Michelangelo“ 1808 schon so wunderbar beschrieben hat. Auch bei King kommt die Skurrilität und Verschrobenheit dieser Insel sehr schön zum Tragen. Der Handlungsbogen ist hier wunderbar geformt und die Geschichte findet einen sehr schön akzentuierten Ausgang.

Auch „Meine zweite Frau“ wirkt in Erzählverlauf und Komposition durchaus stimmig. King verwebt hier wieder auf wohldosierte Art Verrücktes mit Alltäglichem und schafft es damit, das heutige Amerika zu karikieren. Bei den übrigen zwei Erzählungen bleiben dagegen eher gemischte Gefühle zurück. Die geschilderten Begebenheiten sind interessant genug, um den Leser bei Laune zu halten, aber die Schlusspointe lässt den Leser etwas in der Luft hängen. Den uneingeschränkt wohlwollenden Eindruck, den noch „Der wahre Präsident von Amerika“ hinterlassen hat, trüben sie dadurch leider ein wenig, auch wenn unterm Strich immer noch ein positives Gesamturteil dabei herauskommt.

So kann man als Fazit festhalten, dass Owen King durchaus ein talentierter Schreiber ist. Er formuliert treffsicher, kreuzt auf wohlakzentuierte Art und Weise Skurriles mit Alltäglichem, beweist ein großes Herz für seine Figuren und zeichnet sich durch eine genaue Beobachtungsgabe aus. Alles in allem hat er ein wirklich vielversprechendes Debüt abgeliefert. Auch wenn von den weiteren Erzählungen nicht alle restlos überzeugen können, so ist das Gros der Geschichten wirklich sehr lesenswert.

http://www.ruetten-und-loening.de/

Schreibe einen Kommentar