Kirkman, Robert / Adlard, Charlie – Ein langer Weg (The Walking Dead 2)

Buch 1: [„Gute alte Zeit“ 2257

Die Zombies leben weiter, und für Rick Grimes und seine Gefährten geht das Abenteuer nach der plötzlichen Invasion der Untoten in die nächste Runde. Endlich ist der Nachfolger des ersten, sehr viel versprechenden Sammelbandes von Autor Robert Kirkman erhältlich – leider aber mit einem etwas bitteren Beigeschmack: Zeichner Tony Moore ist nämlich abgesprungen und überließ die vakante Stelle dem weitaus grober zu Werke gehenden Charlie Adlard. Somit sind zumindest rein optisch einige Abstriche in Kauf zu nehmen. Harte Arbeit für Kirkman, der jedoch mit einer fulminant voranschreitenden Story die Kohlen wieder aus dem Feuer holt. Und wie …

_Story_

Nachdem Shane unter unglücklichen Umständen ums Leben gekommen ist, beschließt die junge Gemeinschaft, ihren mittlerweile unsicheren Standort zu verlassen und sich in unbestimmter Ferne einen neuen Platz des Schutzes zu suchen. Unterwegs trifft die von Ex-Cop Rick Grimes angeführte Truppe auf die Familie des dunkelhäutigen Tyreese, die im einbrechenden Winter fast verhungert und erfroren wäre. Das kleine Team wird von Rick im Kampf gegen die herumstreunenden Zombies willkommen geheißen, selbst wenn die eigenen Nahrungsvorräte dadurch eine noch kürzere Haltbarkeit haben. Doch schon kurze Zeit später dankt Tyreese ihm diese freundliche Geste im Kampf gegen eine ganze Armada von Zombies, die eine komplette Geisterstadt vereinnahmt haben.

Bei der vereinten Suche nach einem neuen Unterschlupf wird Ricks Sohn Carl von einem Jäger angeschossen, der im ersten menschlichen Kontakt seit langer Zeit eine Bedrohung befürchtet hatte. Carl wird sofort auf einen umliegenden Bauernhof verfrachtet, wo tatsächlich noch Menschen in Ruhe leben, die Carl auch wieder gesund pflegen. Auch Rick und die übrigen Überlebenden dürfen auf dem Hof ihre Zelte aufschlagen und ihre hungrigen Mägen füllen. Plötzlich scheint alles vergessen, denn die Idylle des Farmhauses strahlt eine herrliche Ruhe aus und steht im krassen Gegensatz zu den derzeitigen Ereignissen in den großen Städten. Doch der Schein trügt, denn als Rick und seine Mannschaft gegen den Willen des Farmbesitzers einen Blick in dessen abgesperrte Scheune werfen, stellen sie fest, dass man doch nicht so alleine ist, wie man es sich anfangs erhofft hatte …

_Meine Meinung_

Robert Kirkman hat sich nach dem guten Start im ersten Teil mit „Ein langer Weg“ noch einmal gehörig steigern können. Wirkte der Auftakt noch wie eine indirekte Hommage an die großen Zombie-TV-Produktionen aus den Siebzigern und Achtzigern, hat der Autor mittlerweile seinen eigenen Stil gefunden, welcher der fortlaufenden Geschichte auch wesentlich besser zu Gesicht steht als die vielen abgekupferten Inhalte aus dem vorangegangenen Sammelband. Zudem ist es Kirkman diesmal auch noch besser gelungen, die bedrückte Stimmung innerhalb der flüchtenden Gruppe samt ihrer Ängste zu beschreiben. Werden viele Zombie-Geschichten noch mit einem bitterbösen, ironischen Unterton begleitet, der nicht selten auch noch mit einem gewissen schwarzen Humor einhergeht, ist die Lage hier wirklich auch so ernst dargestellt, wie der Kampf ums nackte Überleben in einer solchen Situation real wäre. Es gibt keine Beschönigungen, keine dummen Sprüche und erst recht keine aufgesetzt heiteren Momente, die den Inhalt ad absurdum führen könnten, sondern einfach nur einen gradlinigen, konsequenten und in seiner Wirkung schon fast beängstigenden Plot, dessen Stärken (und das will bei einer Horror/Fantasy-Handlung schon etwas heißen) in der Authentizität der Erzählung liegen.

Kirkman beschreibt in der rasant vorwärts getrieben Handlung die verschiedenen Emotionen, die mit der Angst vorm Tod bzw. mit der Auseinandersetzung mit dem plötzlichen Ableben nahe stehender Personen verbunden sind, und lässt diese von seinem Zeichner Adlard auch gekonnt illustrieren. In diesem Punkt kann der Mann dann übrigens auch überzeugen, wohingegen die von ihm gezeichneten Figuren manchmal etwas sehr grob eingefangen werden.

Doch zurück zur Handlung: Emotionen sind in „Ein langer Weg“ sehr vielfältig beschrieben. Nächstenliebe und Konkurrenzkampf stehen sich hier immer wieder gegenüber und treiben die einzelnen Charakteren in ihrer nackten Angst auch ständig zu unmenschlichen Zügen an. Der Wille, dem anderen zu helfen, ist bei jedem Betroffenen vorhanden, doch erst in Extremsituationen zeigt sich, dass letztendlich doch nur jeder um seine eigene Haut kämpft. Besonders offensichtlich wird dies in der Person des Farmbesitzers Hershel repräsentiert, als dieser sich am Ende nicht mehr bereit zeigt, seinen sicheren Lebensraum mit seinen Mitmenschen zu teilen, obwohl er hierdurch ihr Weiterleben – zumindest für einen überschaubaren Zeitraum – sichern könnte.

Die Fehden untereinander spielen im zweiten Band dann auch eine recht große Rolle. Lange bestehende Freundschaften werden auf eine harte Probe gestellt, das eigene Verantwortungsbewusstsein gerät auf den Prüfstand, und selbst die Ehe zwischen Rick und seiner Frau scheint aus den Fugen zu geraten, als sich andeutet, dass das ungeborene Kind vom umgekommenen Shane stammen könnte. Die Gruppe lebt jedoch von diesen Konflikten und gewinnt fast ausschließlich durch die hieraus resultierenden unkonventionellen Umgangsformen mit ihrer jeweiligen Lage wieder an Zuversicht für den nächsten Tag. Jeder ist sich darüber im Klaren, dass ihre Mission bereits am folgenden Tag zu Ende sein kann, und die dabei mitschwebende Panik wird von Kirkman auch auf erstklassige Art und Weise beschrieben – wenn auch in einer äußerst subtilen Form. Ganz große Klasse.

Fassen wir also zusammen: Kirkman hat die Story in „Ein langer Weg“ absolut spitzenmäßig weiterentwickelt und dem Kampf gegen die Untoten auch weiteren, sehr erfrischenden Nährboden gegeben, indem er den direkten Kampf gegen die Zombies durch eine intensivere Auseinandersetzung mit den inneren Spannungen in der Gruppe der Überlebenden ersetzt. Kirkman geht mehr auf das Seelenleben der angsterfüllten Flüchtlinge ein und widersetzt sich so auch geschickt den gängigen Klischees der plumpen Zombie-Geschichten. Zudem finden die Dialoge auf einem übermäßig hohen Niveau statt und sind selbst dann noch tiefsinnig, wenn die überschwingenden Emotionen schon einmal verbal unter die Gürtellinie gehen. Summa summarum sind es also nur die etwas groberen Zeichnungen, die negativ ins Gewicht fallen, letztendlich aber auch von der superstarken Handlung wieder gänzlich geschluckt werden. Fans der Zombie-Thematik werden diesen üppigen Sammelband wahrscheinlich schon kennen und ggf. auch besitzen. Sollte dies noch nicht der Fall sein, empfehle ich dringend, den bisher erschienenen beiden Bänden etwas Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und sich anschließend die jeweils 16 € für die üppig bestückten Bücher aus der Geldbörse zu kratzen. So viel Spaß haben Zombie-Comics jedenfalls noch nie gemacht – trotz des sehr ernsten Untertons!

http://www.cross-cult.de

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