Kittle, Katrina – Zerbrechlich

In „Zerbrechlich“ behandelt die Amerikanerin Katrina Kittle ein sehr sensibles Thema: Kindesmissbrauch.

Sarah Laden ist die Mutter zweier halbwüchsiger Söhne und besitzt einen kleinen Cateringservice. Vor zwei Jahren ist ihr Mann Roy gestorben. Courtney Kendrick, ihre beste Freundin, hat ihr über die schwere Zeit nach dem Verlust geholfen. Eines Tages kommt der Verdacht auf, dass Courtney und ihr Mann ihren Sohn Jordan, der mit Sarahs Sohn Danny in eine Grundschulklasse geht, sexuell missbraucht haben sollen.

Sarah kann das natürlich nicht glauben, doch die Beweise werden immer erdrückender. Sie nimmt Jordan bei sich auf, obwohl sie schon genug mit ihren beiden Söhnen zu kämpfen hat. Besonders der pubertierende Nate hat immer wieder Ärger in der Schule, doch wider Erwarten bessert er sich, als Jordan in die Familie kommt. Allerdings hat Sarah nicht damit gerechnet, dass dieser Fall ihre Familie so sehr in Aufruhr bringen würde …

„Zerbrechlich“ wird aus drei Perspektiven erzählt, die sehr geschickt gewählt sind. Sarah hat nicht nur damit umzugehen, dass die beste Freundin nicht das ist, was sie zu sein scheint, sondern auch, dass ihr jüngerer Sohn bei den Kendricks aus und ein ging. Wie sehr kann man sich eigentlich in Menschen täuschen?

Nate, Sarahs ältester Sohn, plagt sich dagegen mit Schuldgefühlen herum. Er hat nie jemandem davon erzählt, aber tatsächlich hat Courtney Kendrick ihn vor kurzem geküsst – und zwar nicht nur geschwisterlich. Er hatte sich dadurch geschmeichelt gefühlt. Hätte er nicht stattdessen erkennen müssen, wie krank diese Frau ist? Er fühlt sich gegenüber Jordan schuldig und kümmert sich deshalb besonders um den Jungen.

Jordan, das Opfer, darf sich ebenfalls zu Wort melden, auch wenn er in seiner Perspektive keine genaue Schilderung der Vorfälle abgibt. Trotzdem kommen immer wieder Erinnerungen zutage, und Jordan berichtet, wie es ist, in der neuen Familie zu leben und wie er damit umgeht, dass sein Vater auf der Flucht ist und seine Mutter, der er überhaupt keine Schuld gibt, im Gefängnis sitzt.

Das Thema Kindesmissbrauch geht Katrina Kittle sehr sensibel an. Sie verzichtet auf reißerische Darstellungen und emotionale Schocker und überlässt es vielmehr Jordan, der diese Erinnerungen natürlich zu verdrängen versucht, mit kleinen Bemerkungen in seiner Perspektive dem Leser sein Schicksal bewusst zu machen.

Überhaupt geht es in dem Buch um weit mehr als Kindesmissbrauch, auch wenn dies das Motiv ist, um das sich alles dreht. Es geht auch um den schönen Schein, den die Kendricks – sie Ärztin, er erfolgreicher Geschäftsmann – aufrechterhielten, damit niemand hinter ihr Geheimnis kam. Es geht darum, wie sie alle getäuscht haben und wie Jordan und Sarahs Familie damit umgehen, dass der Junge jetzt bei ihnen wohnt.

Die Handlung beschäftigt sich also mehr mit emotionalen Seiten als mit der Spannung, auch wenn das Buch als „Thriller“ deklariert ist. Wer Nervenkitzel bis zur letzten Seite erwartet, wird enttäuscht. Natürlich ist es auch nicht gerade langweilig, das Zusammenleben einer „normalen“ Familie mit einem sexuell missbrauchten Jungen zu beobachten, aber Sex and Crime darf man in „Zerbrechlich“ nicht erwarten.

Kittle beweist ein gutes Händchen, um diese zwischenmenschlichen Ereignisse glaubhaft zu erzählen. Der Leser kann dank der unterschiedlichen Perspektiven gut nachvollziehen, was im Hause Laden vor sich geht. Besonders Jordans Charakter ist der Autorin gut gelungen. Der schüchterne, abgekapselte Junge scheint in seiner eigenen Welt mit ihm sehr eigentümlichen, da von seiner Vergangenheit geprägten Gedankengängen zu wohnen. Er hat eine ganz andere Sicht auf gewisse Dinge als andere Menschen, und Kittle schafft es, diese für den Leser verständlich herüberzubringen, ohne viel dabei zu erklären. Man merkt, dass Jordan sehr verletzt wurde, ihm aber auch eine gewisse Stärke innewohnt.

Die anderen Charaktere sind ebenfalls sehr tiefgründig und gut gestaltet, aber gerade Nate, der mitten im Teenageralter ist, wirkt an manchen Stellen etwas zu vernünftig und dadurch unrealistisch.

Ein wirkliches Manko des Romans ist allerdings der Schreibstil. Das beginnt schon mit der schlampigen Übersetzung. Wieso bleibt das Wörtchen „Yeah“, das des Öfteren vorkommt, unübersetzt, und wieso sagt man statt „Soccermom“ nicht einfach „Fußballmama“? Es ist sicherlich nicht allen Deutschen bewusst, was „soccer“ ist, und die Übersetzung als „Fußball“ tut nicht weh und ist auch in Zeiten des Neudeutschen noch modern genug.

Ansonsten gibt es wenige positive Eigenschaften, mit denen sich Kittles Schreibstil hervortut. Sie schreibt durchschnittlich gut, auch wenn sie an einigen, zumeist unwichtigen Stellen zu sehr ins Detail geht. Unwichtige Stellen sind vor allem ihre Arbeit als Köchin. Für den Verlauf der Geschichte ist es zum Beispiel völlig irrelevant, alle Schritte bei der Zubereitung eines Fischgerichtes aufzuzählen. Leider passiert das aber nicht nur einmal im Buch, was auf die Dauer nervt.

„Zerbrechlich“ von Katrina Kittle ist eine zweischneidige Angelegenheit. Inhalt und Charaktere gefallen sehr gut und sind authentisch, aber der Schreibstil ist zu durchschnittlich, um das Buch in die oberen Ränge zu hieven. Das ist schade, denn der angebliche Thriller hat mehr als genug gute Ansätze.

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