Kleinbaum, Nancy H. / Schulman, Tom – Club der toten Dichter, Der

_Nutze den Film!_

In den Jahren 1989/90 schaffte es ein vergleichsweise leiser Film, sich neben Hollywood-Blockbustern wie „Batman“ in den internationalen Kinos zu positionieren und dadurch zu einem Welterfolg für seinen Regisseur sowie zum Karrieresprungbrett für die Darsteller zu werden. Die Rede ist von Peter Weirs „Der Club der toten Dichter“. Darin gelingt es dem Englischlehrer Mr. Keating (Robin Wiliams) mit seinen unkonventionellen Unterrichtsmethoden, an der erzkonservativen Internatsschule „Welton“ zu einer Inspiration für einige seiner Schüler zu werden, welche sich von seinen romantischen Idealen anstecken lassen und sich zum ersten Mal in ihrem Leben mit der Frage „Was bin ich und wer möchte ich sein?“ auseinandersetzen.

Bis zu diesem Zeitpunkt war ihr Lebensweg allein von ihren Eltern vorgegeben worden und bestand im Wesentlichen aus dem Auswendiglernen von Lehrstoff im Unterricht und bei Hausaufgaben sowie in selbst gegründeten Lerngruppen. Auf diesem Wege sollten sie sich auf eine erfolgreiche Universitätslaufbahn vorbereiten, um später angesehene Berufe zu ergreifen. Kreativität, eigene Denkleistungen oder gar die Frage der Selbstfindung spielen in diesem System keine Rolle. Alles dreht sich um Tradition, Ehre, Disziplin und Leistung. Der Film vermittelt die geistige Enge des Lebens in Welton über physisch bedrückend kleine Räume und schmale Flure. Dem steht die Weite und Farbenpracht der herbstlichen Natur gegenüber, in welche Keating immer wieder seinen Unterricht verlagert.

Sich kontrastierend gegenüber stehen auch Schlüsselszenen für die Lehrmethoden, welche zu den gewünschten Ergebnissen führen sollen; beispielsweise die Unterrichtsstunde, in der Keating seine Schüler dazu auffordert, einen Aufsatz über eine extrem formale Herangehensweise an Literatur aus ihren Lehrbüchern zu reißen oder eine Lateinstunde bei einem andere Lehrer, in welcher im monotonen Tonfall Substantive dekliniert werden.

Bei einigen Schülern fallen Keatings Ideen und die von ihm favorisierten Werke der englischen Romantik auf fruchtbaren Boden. In Anlehnung an Thoreaus „Walden“ gehen auch sie in die Wälder, um bewusst zu leben. Sie lassen den verbotenen „Club der toten Dichter“ wieder aufleben, dem auch Keating während seiner Schulzeit in Welton angehört hatte, und treffen sich in einer Höhle, um sich gegenseitig Gedichte vorzutragen und sich somit mit anderen Lebensentwürfen zu beschäftigen als denen, welche ihre Eltern bisher vorgeben haben. Allmählich wird aus dem Vortragstreffen eine Gelegenheit, um eigene Gedichte zu präsentieren, sich erstmals ernsthaft mit dem Thema „Mädchen“ zu beschäftigen und Zukunftspläne zu schmieden. Der Zuschauer erhält endlich den Eindruck, dass er ganz normale Teenager vor sich hat.

Der stille Schüler Todd wird unter Keating selbstbewusster. Knox gewinnt mit seiner Poesie und Hartnäckigkeit das Herz eines Mädchens. Charlie wird zum rebellischen Aufrührer und beginnt bewusst zu provozieren. Klar fokussiert der Film jedoch auf die Entwicklung von Neil, welcher sich von seinem tyrannischen Vater unterdrückt fühlt und keinen anderen Ausweg aus dem Widerspruch zwischen dem Lebensentwurf, den sein Vater für ihn vorgesehen hat, und seinem Traum, ein Schauspieler zu werden, sieht, als sein Leben zu beenden. Damit nimmt der Plot eine tragische Wende. Der Schuldige am Selbstmord Neils ist in Mr. Keating, welcher die Jungen vorgeblich dazu animiert hat, sich den Wünschen (Befehlen) der Eltern zu widersetzen, schnell gefunden. Er muss die Schule verlassen. Auch für Charlie ist kein Platz mehr in Welton, da er sich als Einziger standhaft weigert, ein vorgefertigtes Schreiben, welches Mr. Keating belastet, zu unterzeichnen. Alle anderen Schüler geben dem Druck durch Eltern und Schulleiter nach. Ihnen bleibt nur noch, ihrem Lehrer in einer dramatischen Abschlussszene, die Referenz zu erweisen.

_So weit der Film_ – er ist ein Klassiker geworden. Für weniger Film-affine Geister hat Nancy Kleinbaum das Drehbuch in eine Erzählung unter dem gleichen Namen umgeschrieben. Diese beschreibt in einfachen Sätzen und vom betörenden Geist des Films völlig uninspiriert die Handlung und gibt die Dialoge wieder. Leider hält sie sich bei den Dialogen häufig nicht an die exakte Wiedergabe des Drehbuchs. Dabei gehen viele Metaphern verloren oder werden zu unkenntlichen Worthülsen – so geschehen mit dem „zahnschwitzenden Verrückten“ Walt Whitman, der bei Kleinbaum zum „Verrückten mit dem Kuchenzahn“ wird. Die zahlreichen zitierten Werke der Weltliteratur stehen in ihrer Wortgewalt im starken Kontrast zur schlichten Sprache der Autorin.

Ein wesentlicher Mangel des Buches ist auch die nicht vorhandene Schilderungsfähigkeit der Autorin. Die inszenierte Landschaft sowie ihre Bedeutung und ebenfalls die Entwicklung Neils kann Kleinbaum nicht überzeugend umsetzen, da es ihr nicht gelingt, die atmosphärische Dichte der Filmbilder in Worte zu fassen. Im Gegenzug konzentriert sich das Buch stärker auf die Entwicklung von Todd. Hierbei werden jedoch Handlungen eingefügt, welche Todd als wesentlich selbständiger erscheinen lassen, als er eigentlich ist. Im Buch unterschreibt er die Erklärung nicht und bleibt in dieser Szene bereits in Opposition zu seinen Eltern und der Schulleitung. Tatsächlich erhält die Situation jedoch mehr Dramatik und Glaubhaftigkeit, wenn man erkennen muss, dass die Jungen unter den Augen und dem Druck der Eltern sowie der Schule lange nicht so weit gereift sind, um das Motto Keatings „Nutze den Tag“ umsetzen zu können. Aufgrund ihres Alters und ihrer Position sind sie vielmehr immer noch dazu gezwungen, nicht „am Knochen zu ersticken“, während sie versuchen „das Mark des Lebens in sich aufzusaugen“. Das etwas lieblos zusammengeschusterte Buch ist also alles andere als geeignet, den Erfolg des Filmes fortzusetzen.

_Dennoch hat |Lübbe Audio|_ sich 2009 dazu entschlossen, eine Hörbuchfassung aufzunehmen. Wer wäre nun besser geeignet, diese Erzählung über den ewigen Versuch der Rebellion der Jugend gegen die Alten und deren Lebensstrukturen, zu lesen, als einer der „jungen Wilden“ der deutschen Nachwuchsstars? Mit Robert Stadlober haben die Herausgeber einen für sein Rebellenimage bekannten Jungschauspieler gewonnen, der in Filmen wie „Crazy“ bereits in Außenseiterrollen überzeugt hat. Obwohl er gelegentlich über die holprigen Satzkonstruktionen oder zahlreichen Worthäufungen der Erzählung stolpert und manches im gesprochenen Wort noch viel unbeholfener klingt als beim Lesen, gelingt es ihm doch, das Maximale aus dem Werk herauszuholen. Sein Können wird besonders deutlich an den Stellen, an denen er die sehr ausführlich wiedergegebenen Zitate der Klassiker liest. An die äußerst lebendigen Synchronstimmen u. a. von Robin Williams, namentlich an Peer Augustinsky, reicht er leider nicht heran. Doch insgesamt gelingt es ihm, Dialoge lebendig zu gestalten, was vermutlich bei reichlich männlichen Stimmen im selben Altersbereich nicht ganz einfach ist.

|Lübbe| hat die Erzählung auf vier CDs gepresst und sehr ansprechend in einer aufklappbaren Papphülle verpackt sowie mit kurzen Einführungstexten zur Biografie Kleinbaums und Robert Stadlobers sowie zum Plot der Erzählung versehen. Außerdem werden Fans sofort die Bilder des Films vor Augen haben, wenn sie das Zitat aus der „O Captain, mein Captain“-Szene oder die Zeilen von Tennyson „Oh, ich, oh Leben …“ vorgelesen bekommen. Unverkennbar ist auch das Cover, welches sich des Filmplakats bedient und sofortigen Wiedererkennungswert garantiert. Empfehlen kann man das Hörbuch jedem, für den gerade keine Möglichkeit besteht, sich den Film anzusehen, welcher dem schwachen Buch unbedingt und daher leider auch dem Hörbuch vorzuziehen ist. Ganz deutlich wird das ebenfalls beim Preis. Mit knapp 20 Euro ist man beim Hörbuch dabei. Die DVD gibt es neu bereits für knapp 8 Euro.

|216 Minuten auf 4 CDs
gelesen von Robert Stadlober
empfohlen ab 12 Jahren
ISBN-13: 978-3-7857-3831-3|
http://www.luebbe-audio.de

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