Gisa Klönne legt mit „Nacht ohne Schatten“ bereits den dritten Roman um die Kölner Kriminaloberkommissarin Judith Krieger vor. „Die Krieger“, wie diese von ihrem jungen und manchmal etwas machohaften Kollegen Manni genannt wird, hat nach wie vor mit Problemen und mit ihrer sturköpfigen Art zu kämpfen, die sie immer wieder in Schwierigkeiten bringt. Doch ihr neuer Fall verlangt ihr noch viel mehr ab: Judith, die früher Nachtwächterin in einem Frauenhaus war, wird mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Geschlagene Frauen, Zwangsprostitution und mehrere Morde beschäftigen die drahtige Frau und bringen sie beinahe an die Grenzen des Möglichen.
Eines Nachts findet man auf den S-Bahn-Gleisen im Gewerbepark von Köln einen erstochenen S-Bahn-Fahrer. Sein Rucksack und seine Jacke fehlen, genau wie eine Spur vom Täter. Ein Zeuge sagt zwar aus, eine Person in einem dunklen Mantel gesehen zu haben, doch das bringt die Beamten nicht weiter. Bei einer weiteren Zeugenbefragung lernt Judith die invalide Künstlerin Thea Markus aus einer nahen Ateliergemeinschaft und einen nervösen Pizzeriabesitzer kennen. Das Restaurant von Letzterem brennt wenig später nieder, zusammen mit seinem Besitzer. Im Keller findet man eine schwer verletzte junge Frau, die dort, wie es scheint, zur Prostitution gefangen gehalten wurde. Man weiß weder, ob sie überlebt, noch, wer sie überhaupt ist.
Die Beamten arbeiten fieberhaft, doch ihnen fehlen die Spuren. Außerdem wird der Zusammenhalt des KK 11 auf die Probe gestellt, denn jeder scheint eine andere Theorie für die Mordfälle zu haben. Während Manni glaubt, die Täter im Rotlichtmilieu zu finden, geht Judith davon aus, dass alles mit der Kunstfabrik zusammenhängt, in der auch Thea Markus und ihre verschwundene Kollegin, die junge und erfolgreiche Performancekünstlerin Nada, arbeiten. Außerdem ist sie gezwungen, in das Milieu der Frauenhäuser einzutauchen, um etwas über die anonyme Prostituierte in der Pizzeria herausfinden. Dieser Schritt konfrontiert sie mit ihrer eigenen Vergangenheit und ihrer Persönlichkeit. Nicht gerade einfach für die resolute Frau …
Gisa Klönne vermischt in ihrem neuen Krimi erneut persönliche Schicksale, interessante Persönlichkeiten und eine spannende, aber nicht konstruiert wirkende Handlung. Sie kommt der Arbeit, die tatsächlich tagtäglich in den Kommissariaten Deutschlands passiert, vermutlich sehr nahe: Mehrere Fälle beschäftigen die Ermittler, und bis zur Lösung des primären Falles schwanken sowohl der Leser als auch die Polizisten in ihrer Ansicht darüber, ob diese zusammengehören oder nicht. Klönne ist sich dabei nicht zu fein, ihre Ermittler auflaufen zu lassen. Alles in allem wird der Fall sehr menschlich, das heißt mit Fehlern und Irrtümern gelöst, und das macht ihn so authentisch und auch spannend. Allerdings verliert man manchmal während der Lektüre beinahe den Überblick über die verschiedenen Theorien, was sich aber nie nachteilig auswirkt.
Auf die Charaktere legt die Autorin besonderen Wert. Neben den Perspektiven der Hauptermittler Judith und Manni darf auch die neue Gerichtsmedizinerin zu Wort kommen, die aus Russland stammt und an ihrer Vergangenheit zu knabbern hat. Dies geschieht zumeist auf nachdenkliche, nie ausufernde Art und Weise. Ekaterina Petrowa ist nicht die einzige Person, die mehr als nur eine Rolle bei den Ermittlungen spielt. Eine zweite ist Thea Markus, die für die Lösung des Falls nur wenig Relevanz aufweist. Trotzdem gesteht Klönne ihr Raum zu, und das stört überhaupt nicht, denn Thea ist eine verbitterte Person, die mit einer alten Verletzung und ihren Alltagsproblemen, wie beispielsweise der drohenden Pleite, zu kämpfen hat. Sie eröffnet dem Leser einen Blick auf das Leben, den er vielleicht so nicht kennt, und verleiht dem Buch eine gewisse Tiefe und Ernsthaftigkeit.
Abgesehen davon stehen Judith und Manni im Vordergrund. Klönne beobachtet die beiden nicht nur bei ihrer Arbeit, sondern auch in ihrem Privatleben, wobei es schön gewesen wäre, wenn die beiden etwas mehr hätten sagen dürfen. Manchmal gehen sie im Fall unter, und das ist schade, da es sich um sehr gut ausgearbeitete, starke Charaktere handelt. Judith Krieger ist eine angenehm unkonventionelle Frau, die aber nie überzogen wirkt, sondern sehr natürlich. Ihre inneren Konflikte werden dieses Mal leider weniger thematisiert als in den vorhergehenden Büchern, aber noch immer genug, um ein lebendiges Bild von ihr zu zeichnen. Manni ist nach wie vor ein Jungspund, doch auch bei ihm vermisst man ein wenig die Tiefe, die in „Unter dem Eis“ zu finden war. Seine Gedanken drehen sich hauptsächlich um den Fall und die blonde Sonja, mit der er eine Affäre hat. Die Dynamik, die in „Unter dem Eis“ aus der Paarung Judith-Manni stammte, kommt in diesem Buch ein wenig zum Erliegen.
Trotzdem bietet „Nacht ohne Schatten“ mehrere hundert Seiten Lesegenuss. Fall und Ermittlungsarbeit sind realistisch, die Personen prima ausgearbeitet. Klönnes tiefgängiger, manchmal schwermütiger Schreibstil sorgt dafür, dass sich alles ineinanderfügt, und schmückt die Geschichte zusätzlich mit bewundernswert plastischen Beschreibungen aus. Einmal mehr taucht der Leser zusammen mit den Helden des Buches in eine ganz eigene Welt – in diesem Fall sogar ein eigenes Milieu – ein, die ihn so schnell nicht mehr loslassen wird.
_Gisa Klönne bei |Buchwurm.info|:_
[„Der Wald ist Schweigen“ 1879
[„Der Wald ist Schweigen“ (Hörbuch) 2126
[„Unter dem Eis“ 3047
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