Gisa Klönne – Der Wald ist Schweigen (Köln-Krimi)

Köln-Krimi: realistisch und beängstigend

Es könnte so idyllisch sein: ein entlegenes Tal, ein einsames Forsthaus, sympathische Aussteiger und viel, viel Wald. Doch dann liegt die Leiche eines Mannes in einem Hochsitz, und Kommissarin Judith Krieger, kettenrauchend und chronisch müde, beginnt zu ermitteln. Nach einer Reihe von Fehlern wird sie beurlaubt, aber ihr Kampfgeist erwacht, als eine zweite Leiche im Wald gefunden wird – in einem Bombenkrater. (abgewandelte Verlagsinfo)

Die Autorin

Gisa Klönne, geboren 1964 an einem unbekannten Ort. Studium der Germanistik und Anglistik sowie Politologie, außerdem Theater-, Film und Fernsehwissenschaften an in- und ausländischen Universitäten.

Nach erfolgreichem Abschluss Festanstellungen in verschiedenen Zeitschriftenredaktionen. Außerdem umweltpolitisch korrekt beim BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland) in verschiendenen Bereichen tätig. Seit 1999 ist Gisa Klönne selbständig und beschäftigt sich neben der Mitarbeit in zahlreichen Verbänden mit dem Schreiben von Romanen und Herausgeben von Anthologien.

Sie hält Seminare zu Themen wie „Reportage und Porträt, Schreiben fürs Internet, Pressearbeit und Kreatives Schreiben“ und ist nicht zuletzt als Reisereporterin unterwegs. Zurzeit lebt Gisa Klönne in Köln und der zweite Krimi ist in Arbeit. (Alle Angaben stammen von der Webseite http://www.koeln-krimi.de und lassen sich unter der Autorenhomepage nachprüfen.)

Handlung

Es hätte wohl ein idyllischer Sonntag im Wald des Bergischen Landes zwischen Rhein und Sieg werden sollen, aber was Egbert Wiehl außer Pilzen noch findet, schlägt ihm schwer auf den Magen. Erst liegt da eine junge Frau in Joggerhosen am Boden, die sich die Seele aus dem Leib kotzt. Dann erst bemerkt er die Scharen von Krähen, die sich um einen Hochsitz versammeln und offenbar ein Festmal feiern. Es stinkt nach Verwesung …

Ein Albtraum

Kommissarin Judith Krieger, 38, hat wieder einen ihrer Albträume von ihrem verstorbenen Kollegen und Freund Patrick. Sie reitet auf einem Schimmel, der sie aus dem Wald auf offenes Feld hinausträgt. Sie kann nicht anhalten, wird mitgetragen … Judith hat schwere Schuldgefühle, dass sie Patrick hat für sich einspringen lassen und dass er bei diesem Kripo-Einsatz erschossen wurde. Das Telefon reißt sie aus dem Schlaf: Ein Toter wurde im Wald bei Unterbach gefunden. Ihr Boss Axel Millstedt sagt, sie muss für andere Kollegen einspringen, denn es ist Sonntag, der 26. Oktober. Bald ist Halloween.

Der Tote ist etwa 1,80 m groß, hat blondes Haar und trägt – soweit sie das anhand dessen, was die Krähen übrig gelassen haben, feststellen kann – blondes Haar. Er war muskulös, vielleicht ein Sportler. Daher findet Judith die selbstgedrehten Zigaretten auf dem Boden des Hochsitzes merkwürdig: Sportler können es sich kaum leisten, ihre Lunge mit Rauch und Teer zu belasten. War jemand bei ihm? Sie stellt einen Plastiksplitter sicher. Der Rechtsmediziner stellt fest, dass der Mann etwa sieben bis zehn Tage tot ist und zweimal von Schrotladungen durchlöchert wurde. Da wollte jemand sicher gehen, dass er auch wirklich stirbt.

Die Försterin

Die junge Frau am Tatort, die Egbert Wiehl gefunden hat, ist die lokale Försterin. Sie lebt in der Nähe im alten Forsthaus Unterbach. Und selbstverständlich besitzt Diana Westermann, 28, kraft ihres Amtes auch Schusswaffen, darunter auch Schrotflinten. Aber was sie der Kommissarin und ihrem hinterlistigen Kollegen Manfred Korzilius verschweigt: Sie hat immer eine Flinte unterm Bett versteckt, quasi als Reserve. Als man sie endlich in Ruhe lässt, bemerkt sie, dass die Waffe kürzlich benutzt wurde. Aber nicht von ihr …

Der Ashram

In der Nähe von Unterbach liegt das Gut Sonnenhof. Es ist mittlerweile in einen „Ashram“ umgewandelt worden, der hinduistische und buddhistische Ideale verbreiten will – ganz praktisch aber auch Yoga-Übungen anbietet. Die Nacht kostet stolze 65 Euro. Judith Krieger will den Leiter sprechen. Es sind zwei: Heiner von Stetten, der wie ein Buddha aussieht, und seine Frau Beate, die Judith misstrauisch beäugt. Keiner von ihnen weiß etwas über den Toten. Judith bemerkt eine junge nervöse Frau mit Rastalöckchen, die dem Anschein nach von einem rothaarigen Mann mit Froschaugen bewacht wird. Sie tauft ihn insgeheim Kermit. Sein Ashram-Name lautet Vidanya.

Die junge Frau heißt Laura und ist Diana Westermann bestens bekannt, denn Laura passt tagsüber auf die Försterhündin Ronja auf. Laura vermisst ihren Geliebten Andi, den sie schon am Gymnasium in Bonn kennen und lieben gelernt hatte. Nun vertreibt sie sich die nächtliche Einsamkeit mit Sex, den sie mit dem besitzergreifenden Jay hat. Sie wundert sich über seine häufige nächtliche Abwesenheit, die er nicht erklären will.

Die Villa

Der Tote wird als Andreas Wengert identifiziert, Sportlehrer am Schiller-Gymnasium in Bonn. Judith fährt mit Manfred Korzilius hin. Juliane Wengert ist eine schöne elegante Villenbesitzerin mit einem porzellanhaften Teint. Manni gibt ihr den Spitznamen „Miss Marmor“. Und als genauso weiß und hart erweist sie sich auch. Die vielreisende Dolmetscherin gibt vor, ihren Mann nicht zu vermissen, obwohl er schon zehn Tage auf einer Motorradtour unterwegs sein muss. Manni hat dessen BMW-Motorrad in einer Scheune bei Unterbach entdeckt: Der Zündschlüssel steckte noch. Würde das ein vernünftiger Mann tun?

Als er Frau Wengert eröffnet, man habe sein Motorrad verlassen im Wald gefunden, springt sie unvermittelt auf und rennt nach oben. Nachdem sich Manni und Judith von ihrer Überraschung erholt haben, springen sie auf und eilen ihr nach. Wo ist sie in diesem riesigen Haus? Judith hat den richtigen Riecher und findet das Badezimmer. Sie packt Frau Wengert und schreit sie an, was sie genommen hat, denn sie glaubt, die wolle sich vergiften, um sich der Gerechtigkeit zu entziehen. Manni taucht mit gezückter Pistole auf, weil er Schreie hört. Da endlich merken sie, dass die Wengert sich bloß erbrochen hat. Judith hat, traumatisiert von den Patrick-Albträumen, völlig überreagiert.

Die Rote Karte

Manni ist genervt und Chef Millstedt peinlich berüht. Er legt Judith nahe, sich beurlauben zu lassen und lässt sich von ihr sowohl Marke als auch Dienstwaffe aushändigen. Judith weint und geht nach Hause. Dort findet sie einen Abschiedsbrief von ihrem Freund Martin vor, der ihr die Wohnungsschlüssel zurückschickt. Heute geht auch alles den Bach runter, denkt sie und fängt an, sich zu besaufen.

Nun hat Manni Blut gerochen und schießt sich auf Juliane Wengert ein. Obwohl diese ihren Anwalt Albrecht Tornow hinzuzieht, ergeben sich laufend neue Verdachtsmomente gegen sie. Sie verschweigt zum Beispiel, dass ihr Mann eine Affäre mit einer – igitt! – minderjährigen Schülerin (obige Laura) hatte. Und sie verschweigt, dass sie eine Auslandsreise nach Jamaika gebucht hat. Manni schafft es, sie in U-Haft nehmen zu lassen. Schluss mit lustig. Die Villa wird durchsucht.

Leiche Nummer zwei

Aber Judiths „Instinkt“ sagt ihr, dass im Ashram etwas oberfaul ist, denn die beiden Leiter kommen ihr nicht koscher vor. Sie lässt sich dort aufnehmen, angeblich um sich vom Psychologen Heiner ihre Depression kurieren zu lassen, in Wahrheit, um seine Unterlagen nach Verschwundenen zu durchforsten, z. B. nach einer gewissen Darshan Maria Klein, die Manni sucht und deren Handy Diana Westermann inzwischen im Wald gefunden hat. Aber Darshan ist nie im indischen Ashram, wohin sie wollte, angekommen …

Hat nun Manni Recht mit seiner Theorie, dass die Wengert ihren Mann aus Eifersucht tötete, oder Judith, die glaubt, dass die Lösung im Ashram liege? Es steht eins zu null für Manni, doch dann finden Dianas Waldarbeiter eine weitere Leiche im Wald – in einem Bombenkrater aus dem Zweiten Weltkrieg.

Wenn Judith offiziell beurlaubt ist und sich dennoch an Tatorten herumtreibt, wie soll sie dann diesen wichtigen Fund ihrem Kollegen und ihrem Chef gegenüber rechtfertigen? Ihre Karriere, nein, ihre Zukunft liegt in Mannis Händen. Ist er ein Freund – oder ein Schwein?

Mein Eindruck

Dieser Krimi aus deutschen Landen ist ein sauberes Stück Arbeit. Endlich macht jemand mal klar, was der Kripoalltag an persönlichen Opfern von den Beamten fordert. Die Hauptfigur, Judith Krieger, leidet an einem Schuldtrauma und schafft es nur mit äußerster Mühe, ihren Job richtig zu machen. Schon wieder eine Leiche im Wald. Und dann noch eine weitere im Bombenkrater. Junge Frauen auf Abwegen. Sind Krieger und Diana Westermann die nächsten Opfer? Krieger begibt sich jedenfalls in die Schusslinie. So viel Pflichtbewusstsein (oder ist es ihr Trauma?) finden wir natürlich cool.

Jenseits der Grenze

Dass ihr Vorgehen keinesfalls vom Gesetz abgedeckt ist, ist ihrem Kollegen Manni natürlich ein Dorn im Auge, und wenn ihr Chef davon erführe, flöge sie achtkantig aus der Kripo. Man darf sich als Leser bzw. Hörer durchaus fragen, wie verbreitet ein solches riskantes Vorgehen ist. Andererseits kann es uns nur recht sein, denn offenbar gelangt die Ermittlerin nur auf diesem Weg zu den nötigen Informationen.

Geliebte Heldin

Im beginnenden Finale erstaunt es dann aber schon ziemlich, dass Krieger, die „Schwertkönigin“, wie „eine Amazone“ oder „Jägerin“ – die Autorin verliebt sich offensichtlich in ihre eigene Hauptfigur – das Kommando über die Kripostaffel übernimmt und auf diese Weise das Schlimmste verhindern kann. In dieser Stilisierung der Heldin verraten sich die Sehnsüchte und Wünsche der Autorin. Aber mal ehrlich: Jeder männliche Held, der zu Action taugt, wird mit den gleichen – natürlich maskulinisierten – Prädikaten versehen. Weicheier sind für den Müllberg der Geschichte.

Ashram-Klischees

Auch hinsichtlich der Darstellung des Ashrams schrammt die Autorin haarscharf an einem Sumpf von Klischees entlang: Meditierende Erleuchtungssucher, die von ihrem Guru hinters Licht geführt und ausgebeutet werden, kennt man schon, seit die Beatles 1968 von Maharishi Mahesh Yogi verarscht wurden und sich mit einem bissigen Lied („Sexy Sadie“) dafür revanchierten.

Und sexuelle Promiskuität? Herrje, die gibt’s wahrscheinlich in jedem Klüngel, der sich Orden oder Sekte oder Seminar nennt. Und außerdem wäre es auch furchtbar langweilig, wenn sich Männlein und Weiblein mal nicht außerhalb von Zucht und Ordnung zu „sportlichen Übungen“ träfen, denn sonst könnten ja gleich die Faschisten den Laden übernehmen. Ein solcher Überwachungsfanatiker scheint Vidanya zu sein, aber seine Gründe stellen sich als allzu menschlich und obendrein altruistisch heraus.

Die Autorin macht es daher ziemlich deutlich, dass es sich beim Ashram in Gut Sonnenhof nicht um das Domizil einer Sekte handelt, sondern um ein Seminarzentrum, das nicht von einem Guru, sondern von einem Psychologen (mit Buddhamerkmalen) und einer Frau (mit „Hexen“-Merkmalen wie rotem Haar) geführt wird. Die Macht liegt also nicht mehr alleine in den Händen von Männern. Daher fällt aber auch ein Teil des Verdachts auf die Ko-Leiterin des Ashrams. Eifersucht ist schließlich ein altbekanntes Motiv.

Das Dunkel des Waldes

Aber vor welcher Gefahr will der Roman eigentlich warnen? Dass junge Frauen zu Aussteigern werden und/oder einem Mann verfallen, der sie dann als seinen Besitz betrachtet, ist ja auch nicht gerade neu. Nein, so einfach ist es nicht. Lauras Spiel mit dem Feuer bezieht sich vielmehr darauf, dass sie gleich mit zwei Männern angebandelt hat: mit Andi Wengert und mit dem mysteriösen Jay aus dem Ashram. Sie traf sich mit beiden im nahen Wald zum Liebesspiel, mit der bekannten Folge, dass der eine den anderen kaltgemacht hat.

Dadurch verkehrt sich das Rückzugsgebiet Wald in sein Gegenteil. Es ist nun eine bedrohliche Wildnis, wo frau lieber Schutz suchen sollte als Abenteuer. Diana joggt hier zunächst ganz fröhlich, doch je mehr die Störung ihrer Privatsphäre zunimmt, desto unheimlicher wird ihr die ihr als Försterin anvertraute Umgebung. Ganz besonders auch deshalb, weil es hier nirgends Funkempfang per Handy gibt. Dieses kleine Detail zeigt, wie abhängig auch die Polizei von den kleinen Technikwundern geworden ist.

Dieses poetische Motiv des zwiespältig betrachteten Waldes ist für mich besonders interessant, denn ich lebe fast mein ganzes Leben am Rande eines Waldes, der den Städtern als Naherholungsgebiet dient. Fünfzig Metern von meinem Haus entfernt führt ein Bundeswanderweg durch die Botanik, und auf der Wiese hinterm Haus zeigen sich Eichelhäher und Grünspechte – typische Waldbewohner.

Wahrscheinlich hat mich der Roman mit seinen intensiven Waldbeschreibungen deswegen so stark beeindruckt. Wer sich allerdings keinen Wald vorstellen kann, dem dürfte der Zugang zur besonderen Eigenart dieses Krimis fehlen, die einen Großteil seiner Wirkung ausmacht. Lautet also die Botschaft, den Wald zu meiden? Nein, keineswegs. Vielmehr sollten sich Mädchen wie Laura (gerade mal 17) vorher überlegen, mit wie vielen und mit welchen Männern sie sich einlassen. Bevor es zu spät ist, so oder so.

Ältere Damen

Andererseits fällt es offenbar auch älteren Damen schwer, ihr Urteilsvermögen zu bewahren, wenn es um einen tollen Mann geht. Juliane Wengert ist offenbar eine Frau „aus gutem Hause“, wie man so schön sagt. Und ein Sportlehrer, da sind sich ihre villenbesitzenden Nachbarinnen einig, ist unter ihrem Niveau. Doch ihre Trauer um Andreas ist echt, als sie entsetzt und häppchenweise von seinem Ableben erfährt. Als sie jedoch mit zunehmendem Druck darüber informiert wird, dass er ja mindestens ein Verhältnis hatte, was das Eifersuchtsmotiv begründen würde, da muss sie erkennen, dass sie nicht mehr um ihren verlorenen Mann trauern kann. Diese Möglichkeit haben ihr die Polizisten, allen voran Manni, genommen. Ich bewundere die scharfsichtige Analyse von Julianes Gefühlen, die die Autorin in nur wenigen Sätzen vornimmt. Hier wird die zuerst hochnäsig erscheinende Lady auf eine ganz normale Frau reduziert, mit der wir Mitgefühl empfinden können.

Unterm Strich

Gisa Klönne ist mit ihrem ersten Krimi eine eindrucksvolle Leistung gelungen: Er ist spannend bis zum Schluss, enthält realistische Schilderungen, hält beide Tattheorien im Gleichgewicht und wartet mit einigermaßen wahrscheinlichen Figuren auf. Natürlich sind einige Klischeeklippen zu umschiffen, so etwa der gesamte Komplex mit dem Ashram, aber auch Judith Krieger selbst, die Hauptfigur. Das gelingt nicht immer, hält sich aber in Grenzen.

Am eindrucksvollsten ist die Beschreibung des entscheidenden Schauplatzes: der Wald. Hier regiert das Gesetz des Dschungels, und das Hilfsmittel des allzeit verfügbaren Handys fällt hier komplett aus (ständig wird darüber geflucht), so dass die Akteure auf ihren eigenen Grips und ihre Initiative angewiesen sind, um zu überleben.

Hinweis

… auf Judith Kriegers zweiten Fall. Das schreibt die Autorin auf ihrer Homepage (s.o.): „Ja, es gibt einen zweiten Fall für Judith Krieger und ihren Kollegen Manfred Korzilius. Ich arbeite gerade daran. Erscheinungstermin: Aller Voraussicht nach Herbst 2006. Arbeitstitel: ‚Unter dem Eis. Mehr verrate ich im Moment noch nicht.“ Wir freuen uns schon drauf.

https://www.ullstein.de/

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