Manfred Kluge (Hrsg.) – Jupiters Amboss. Magazine of Fantasy and Science Fiction 49

_In den Wolken des Jupiter_

Vom traditionsreichen SF-Magazin „Magazine of Fantasy and Science Fiction“ erscheinen in dieser Auswahl folgende Erzählungen:

1) Die Story von den Menschen und Mutanten auf der Station im Jupiter-Orbit, die den Riesenplaneten beobachten, um rätselhafte Signale aus dem All entziffern zu lernen.

2) Die Story von den Besuchern vom Prokyon, die staunend und fassungslos die Lebensgewohnheiten der Menschen studieren.

3) Die Story von dem Gesandten des Bischofs, der sich zu tief in die Berge vorgewagt hatte, in denen noch andere Götter an der Macht sind.

4) Die Story von dem passionierten Angler und der Flunder, bei der er ein paar Wünsche frei hatte.

5) Die Story vom Großvater, der aus lauter Sturheit weiterlebte, obwohl er schon längst gestorben war.

_Das Magazin_

Das „Magazine of Fantasy and Science Fiction“ besteht seit Herbst 1949, also rund 58 Jahre. Zu seinen Herausgebern gehörten so bekannte Autoren wie Anthony Boucher (1949-58) oder Kristin Kathryn Rusch (ab Juli 1991). Es wurde mehrfach mit den wichtigsten Genrepreisen wie dem HUGO ausgezeichnet. Im Gegensatz zu „Asimov’s Science Fiction“ und „Analog“ legt es in den ausgewählten Kurzgeschichten Wert auf Stil und Idee gleichermaßen, bringt keine Illustrationen und hat auch Mainstream-Autoren wie C. S. Lewis, Kingsley Amis und Gerald Heard angezogen. Statt auf Raumschiffe und Roboter wie die anderen zu setzen, kommen in der Regel nur „normale“ Menschen auf der Erde vor, häufig in humorvoller Darstellung. Das sind aber nur sehr allgemeine Standards, die häufig durchbrochen wurden.

Hier wurden verdichtete Versionen von später berühmten Romanen erstmals veröffentlicht: „Walter M. Millers „Ein Lobgesang auf Leibowitz“ (1955-57), „Starship Troopers von Heinlein (1959), „Der große Süden“ (1952) von Ward Moore und „Rogue Moon / Unternehmen Luna“ von Algus Budrys (1960). Zahlreiche lose verbundene Serien wie etwa Poul Andersons „Zeitpatrouille“ erschienen hier, und die Zahl der hier veröffentlichten, später hoch dekorierten Stories ist Legion. Auch Andreas Eschbachs Debütstory „Die Haarteppichknüpfer“ wurde hier abgedruckt (im Januar 2000), unter dem Titel „The Carpetmaker’s Son“.

Zwischen November 1958 und Februar 1992 erschienen 399 Ausgaben, in denen jeweils Isaac Asimov einen wissenschaftlichen Artikel veröffentlichte. Er wurde von Gregory Benford abglöst. Zwischen 1975 und 1992 war der führende Buchrezensent Algis Budrys, doch auch andere bekannte Namen wie Alfred Bester oder Damon Knight trugen ihren Kritiken bei. Baird Searles rezensierte Filme. Eine lang laufende Serie von Schnurrpfeifereien, sogenannte „shaggy dog stories“, genannt „Feghoots“, wurde 1958 bis 1964 von Reginald Bretnor geliefert, der als Grendel Briarton schrieb.

Seit Mitte der sechziger Jahre ist die Oktoberausgabe einem speziellen Star gewidmet: Eine neue Story dieses Autors wird von Artikeln über ihn und einer Checkliste seiner Werke begleitet – eine besondere Ehre also. Diese widerfuhr Autoren wie Asimov, Sturgeon, Bradbury, Anderson, Blish, Pohl, Leiber, Silverberg, Ellison und vielen weiteren. Aus dieser Reihe entstand 1974 eine Best-of-Anthologie zum 25-jährigen Jubiläum, aber die Best-of-Reihe bestand bereits seit 1952. Die Jubiläumsausgabe zum Dreißigsten erschien 1981 auch bei Heyne.

In Großbritannien erschien die Lokalausgabe von 1953-54 und 1959-64, in Australien gab es eine Auswahl von 1954 bis 1958. Die deutsche Ausgabe von Auswahlbänden erschien ab 1963, herausgegeben von Charlotte Winheller (Heyne SF Nr. 214), in ununterbrochener Reihenfolge bis zum Jahr 2000, als sich bei Heyne alles änderte und alle Story-Anthologie-Reihen eingestellt wurden.

_Die Erzählungen _

_1) Gregory Benford & Gordon Eklund: Jupiters Amboss_

Die Menschen haben von Aliens eine rätselhafte Botschaft erhalten: ein komplexes mit den Abmessungen 29×47 (Primzahlen). Ein Himmelskörper weist auf einen großen Gasplaneten hin. Da der nächste greifbare Gasriese der Planet Jupiter ist, schicken die Menschen eine Expedition aus und errichten in der Umlaufbahn des Riesenplaneten eine Station, den Orb. Von hier aus wollen sie unter der Leitung des Weltraum-Veteranen Bradley die Gegend erkunden. Die Resultate sind gleich null. Doch der Buddha-Anhänger Bradley nimmt es mit Gleichmut.

Nicht so hingegen die genmanipulierte Forscherin Mara. Auch sie kommt von der Erde und wuchs dort bei einer langweiligen Pflegefamilie auf, bevor sie nach New York City ausriss und schließlich mit 26 auf den Orb kam. Ihre Respektlosigkeit erregt viel Anstoß, besonders bei engstirnigen Crewmitgliedern wie Rawlins. Der zweite Mutant, den Rawlins im Visier hat, ist Maras Schicksalsgenosse Corey, ein Gehirn, das in einer Metalltruhe eingesperrt ist. Mara hält Corey für eine Frau, aber da irrt sie sich.

Irgendjemand hat es auf Maras Leben abgesehen. Schon zwei Unfälle, die sie auf Sabotage zurückführt, hat sie mit knapper Not überlebt. Bradley beruhigt sie. Er hat andere Sorgen. Die politische Situation auf der Erde ändert sich zu Ungunsten der Manips, der genmanipulierten. Der Weltkongress erkennt allen manips die Bürgerrechte ab und erklärte sie zu unerwünschten Vogelfreien. Die Reaktion bleibt nicht aus, wie Mara vorausahnt: Die Manips der Erde – es sind weniger als 400 – drohen damit, Tokio in die Luft zu jagen, sollte der Beschluss nicht rückgängig gemacht werden. Bradley muss Mara Hausarrest verpassen, doch Rawlins will mehr: die Liquidierung der „Abscheulichkeiten“.

Das will Bradley verhindern, denn in seinen Augen sind Mara und Corey ihre einzige Hoffnung, die Botschaft der Fremden zu entschlüsseln. Corey hat mal mit Delphinen kommuniziert, also in einem ganz anderen Medium: unter Wasser. Und Mara beherrscht die Mathematik. Zusammen hecken sie den Plan aus, Corey auf eine Exkursion in die Jupiter-Atmosphäre zu schicken. Seine Gondel soll an einem Ballon hängen. Mara soll in einem Beiboot folgen und ihn notfalls bergen.

Während die 300 Mann starke Crew an Bord des Orbs dem Wagnis gespannt folgt, entdeckt Corey in seiner Gondel tatsächlich Aliens in den unteren Schichten der turbulenten Jupiter-Atmosphäre: silbrige Kugeln. Sie nutzen Elektromagnetismus, um akustische Signale zu erzeugen und betören den Besucher mit ihrem elektronischen Gesang. Doch dann wird ihre Annäherung unvermittelt zur Gefahr …

|Mein Eindruck|

Dieser Kurzroman gewann 1975 unter dem Titel „If the Stars Are Gods“ den begehrten NEBULA Award der amerikanischen SF-Autoren und -Kritiker, und 1977 erschien der erfolgreiche Roman dazu (dt. als „Der Bernstein-Mensch“). Dass sich der wissenschaftlich orientierte Benford mit dem Planeten Jupiter bestens auskennt, hatte er 1975 mit dem Jugendbuch „The Jupiter Project“ bewiesen (dt. bei Boje, 1978). Dieses Wissen kommt ihm bei „Jupiters Amboss“ sehr zugute.

Der Schauplatz erinnert an Arthur C. Clarkes klassische Novelle „Begegnung mit Medusa“, aber der Handlungsverlauf ist klassischer Benford. Bradley, der Stationsleiter, muss sich gegen bornierte und fanatisierte Mitarbeiter durchsetzen, um überhaupt einen Fortschritt in seiner Forschung, der Mission, zu erzielen. (Dieses Motiv taucht noch mehrmals bei Benford auf.) Aber er muss auch seine Hand über die beiden „Mutanten“ halten, die eben diesen Durchbruch erzielen könnten.

Und hier wird die Story sehr aktuell. Denn die Genmanipulierten sind ja nichts weiter als eine Zumutung, die das Andersartige an den alten Adam stellt. Uralte Ängste werden wach, Ängste vor genetischer Vermischung und Infektion, vor rassischer Unterlegenheit und vor allem religiös Andersartigen, das „des Teufels“ ist (der Antichrist also?). Diese Angst bedroht auch die heutige globalisierte Gesellschaft, in der Rassen- und Religionskonflikte an der Tagesordnung sind.

Doch Mara ist nicht wie Corey. Das Gehirn im Metallgehäuse ist wesentlich nichtmenschlicher als Mara, und Mara entdeckt auf die harte Tour, wie menschlich sie selbst doch ist – trotz aller Abstoßungsreaktionen der menschlichen Rasse gegen Ihresgleichen. Die beiden Autoren entwickeln das Szenario an Bord des Orbs ebenso behutsam wie die Entdeckungen in der Außenwelt. Keine Sensationshascherei macht die Story unglaubwürdig. Das kann jedoch zu Ungeduld bei jüngeren Lesern führen.

_2) Frederik Pohl: Der Mutterwahn (The Mother Trip)_

Die Erzählung spielt vier Versionen des klassischen Alienbesuchs durch. Sie ist also nicht faktisch orientiert, sondern spekulativ. – Also, mal angenommen, ein Mutterschiff vom Prokyon erreicht den erdnahen Raum und sucht Lebensraum. Denn an Bord hat das Mutterwesen – daher der Name „Mutterschiff“ – Mawkri ein ganzes Gelege von mehreren hundert Jungen. Der Job des Männchens Moolkri ist es nun, den potentiellen Lebensraum auf seine Eignung hin auszukundschaften.

In der ersten Version geht alles schief, denn die menschlichen Bewohner dieser Welt sind einfach viel zu paranoid, um Single-Männer allein auf den Straßen zu dulden. Der Planet wird vernichtet. In Version zwei befielt man den menschen, sich zu unterwerfen. Diese reragieren damit, dass sie das Mutterschiff abschießen. So weit so schlecht.

Version drei wirkt am hoffnungsvollsten, denn das Mutterschiff beschließt, erst einmal zu beobachten, was das für Wesen sind. Vielleicht kann man ja mit ihnen Freundschaft schließen und von ihnen lernen. Tatsächlich stößt eine der Beobachtungssonden auf eine 16-köpfige Kommune in den Bergen von Idaho oder Oregon, die ein verlassenes Haus besetzt hat und nun dabei beobachtet werden kann, wie sie nackt in einem See Rituale vollführt. Deren Sinn dem fremden Beobachter natürlich vollständig entgeht. Erste Stimmen werden an Bord laut: „Sie können einfach nicht anders!“ Hat man so was schon gehört? Verständnis für Aliens!

Die vierte Variante sieht vor, dass das Mutterschiff nie abfliegt. Vielmehr ist die Raumfahrt noch gar nicht erfunden. Das ist die deprimierendste Version. Schwamm drüber.

|Mein Eindruck|

Man braucht nur mal die Perspektive umzukehren, und schon werden wir selbst als Aliens sichtbar, die sich in die Lage von Besuchern auf einer fremden Welt versetzt sehen können. Es gibt, wie gesagt, für den Besuchsverlauf drei Varianten, vorausgesetzt, man kann den Planeten überhaupt verlassen. Die drei Varianten sind klassische Verhaltenspsychologie: Furcht und Aggression, Aggression und Vernichtetwerden, oder drittens Beobachten, Hoffen und auf ein anderes Mal warten.

Bei einem Satiriker wie Fred Pohl, einem Urgestein der SF, muss man darauf gefasst sein, dass er die Szenarien nicht ganz ernst meint. Aber er hält uns eindeutig den Spiegel vor, wie es ein Schelm tun darf. Wider Erwarten ist die Story aber nicht sonderlich lustig, sondern schwankt zwischen schwarzem Humor und leichter Ironie.

_3) Ursula K. Le Guin: Das Hügelgrab (The Barrow)_

Der Gesandte des Bischofs von Solariy ist nach Malafrena in die Berge gekommen, um bei herzog Greyga nach dem Rechten zu sehen. Dessen Priester Egius erweist sich zum Entsetzen des Gesandten als Arianer. Ketzerei! Dem entgegnet der Herzog, dass dies noch gar nichts gegen das Heidentum der Barbaren in den Bergen sei, die noch dem Gott Odne huldigen. Man könne noch ihre Hügelgräber am Wegrand sehen, die mit den Opfersteinen für Odne.

Am nächsten Tag hat sich die Stimmung des Herzogs merklich verdüstert, bemerkt der Wanderprediger nun furchtsam. Schon seit zwei schier endlosen Tagen liegt nämlich Galla, des Herzogs 17-jährige Gattin im Kindbett und soll seinen Erben zur Welt bringen. Die Hebammen sind abweisend, genauso kalt und bissig wie die eisige Nacht draußen.

Am Abend hält es der Herzog nicht mehr aus und schnappt sich den Gesandten. Mit drohend erhobenem Schwert zwingt er ihn zu jenem düsteren Hügelgrab an der Straße in die Berge, das Odne geweiht ist. Kaum hat er den Prediger erschlagen, dreht der Wind, die Kälte weicht, und das Kind wird geboren. In den Annalen der Kirche von Solariy aber werden Herzog Freyga und sein Sohn als Kämpfer für den christlichen Glauben gepriesen.

|Mein Eindruck|

Auch diese Erzählung belegt, was für eine fantastisch gute Erzählerin Ursula K. Le Guin ist. (Siehe auch meinen Bericht zu „Die zwölf Striche der Windrose“.) Mit wenigen Szenen erschafft sie eine ganze Kultur und gleich drei Religionsstufen: das sogenannte Heidentum, das orthodoxe Christentum und die ketzerische Variante des Arianismus.

Zudem lässt sie die drei sich auseinanderentwickeln, so dass der heidnische Unterboden des Christentums sichtbar wird: das Blutopfer an die Götter, so dass genau zu Ostern der Winter endet und der Weg für den Frühling frei wird. Die Ironie dabei: Erst muss der Herzog den alten Göttern opfern, bevor er als Kämpfer für den „Weißen Jesus“ hervortreten und gelobt werden kann. Hier kritisiert die Autorin Legendenbildung und Heiligengeschichtsschreibung.

Die Handlung ist in Le Guins Fantasieland Malafrena verlegt, in dem auch ihr gleichnamiger Roman spielt (siehe meinen Bericht). Es liegt irgendwo in Südosteuropa.

_4) Richard Frede: Theorie und Praxis ökonomischer Entwicklung: Der Metallurg und seine Frau_

Horowitz arbeitet als Metallurg in der Nähe von New York und kann sich bloß ein kleines Apartment leisten. Seine Frau Betsy beklagt sich, dass ständig die Klimaanlage ausfalle. Auch ansonsten ist sie stets unzufrieden, vor allem mit seinem geringen Gehalt, von dem sie sich keine Kinder leisten könnten. Sie beneidet die anderen Gattinnen, die in noblen Wohnungen in der Fifth Avenue oder Kalifornien wohnen.

Regelmäßig fährt er mit seinen Kollegen in den Long Island Sund zum Angeln. Diesmal angelt er einen Fisch, der sprechen kann. Der Fisch sagt, er sei ein verzauberter Geschäftsmann und dass er Horowitz einen Gefallen schulde. Kaum hat Horowitz den Fisch vom Haken gelassen und seiner Frau davon erzählt, als sie ihn auffordert, den Gefallen einzufordern. Der Fisch ist einverstanden, ihr ein Apartment in der Innenstadt zu besorgen.

Der Aufstieg von Betsy Horowitz zur Senatorin ist unaufhaltsam, doch als sie auch noch Präsidentin werden will, streikt der Fisch …

|Mein Eindruck|

Unglaublich, dass das traditionsreiche Magazin ein freches Plagiat vom Märchen „Der Fischer un sine Fru“ abdruckt! Offenbar war man 1977 noch nicht mit deutschen Märchen vertraut. Wie auch immer die Folie auch deutlich sein mag, so ist doch die Stoßrichtung deutlich: Der amerikanische Traum vom sozialen Aufstieg, wie ihn die stets unzufriedene Betsy träumt, ist nur hohle Fassade. Horowitz selbst macht’s richtig: Er wünscht sich sein bescheidenes Apartment zurück und lässt sich von der nimmersatten Betsy scheiden, woraufhin er wohl glücklich bis ans Ende seiner Tage lebt.

_5) Robert Bloch: Altersstarsinn (A Case of Stubborns)_

Jethro Tolliver sitzt gerade mit seiner Familie trauernd am Frühstücksstisch, als Opa Tolliver die Treppe herunterkommt und sich an den Tisch setzt. Dabei ist er doch gestern an einem Herzinfarkt gestorben – bei 90 Jahren auch kein Wunder, oder? Während allen der Appetit vergeht, wagt nur Klein Susie, die Wahrheit auszusprechen. Doch Opa Tolliver widerspricht sofort vehement und sturköpfig wie immer. Er stammt aus Missouri und will jetzt auch hier in Tennessee erst einmal einen Beweis dafür haben, dass er angeblich tot ist.

Den Leichenbestatteter Bixbee können sie noch wegschicken, aber Doc Snodgrass muss sich selbst per Inaugenscheinnahme vom lebendigen Zustand jenes Mannes überzeugen, von dem er schon den Totenschein ausgestellt hat. Da, alles schwarz auf weiß! Opa Tolliver tut das alles mit einer anzüglichen Bemerkung auf die häufige Trunkenheit des Mediziners ab.

Auch Reverend Peabody, den Ma geholt hat, ergeht es nicht besser. Er zieht erschüttert mit einer ganzen Flasche besten Tennessee-Whiskys ab. Was sollen sie nur tun, jammert Ma und Jody kann’s nicht mehr mit ansehen. Es ist höchste Zeit, was zu unternehmen, denn Opa beginnt schon zu stinken und wird von Schmeißfliegen umschwirrt. Jody ringt Ma und Dad die Erlaubnis ab, die Waldhexe zu besuchen. Er nimmt sein Sparschwein aus dessen Versteck mit, denn wer etwas von einer Hexe will, der muss ihr auch was geben. Das weiß doch jeder.

Die alte Frau lebt in einer Felshöhle am Grunde der Geisterschlucht. Sie hat sogar eine sprechende Eule, die Jody unheimlich anspricht. Das Gesicht der Hexe ist schwarz wie die Nacht. Nach einer Weile hat Jody ihr sein Anliegen erklärt und ihr sein Erspartes überreicht. Immerhin 87 Cent und eine Wahlkampfplakette von Präsident Coolidge.

Die Hexe überlegt eine Weile, bevor ihr die rettende Idee kommt. Sie gibt Jody das richtige Ding mit und erklärt ihm, wie er es anzuwenden hat. Der Junge rast los, denn die Nacht bricht herein. Was hat er nur bei sich, das Opa Tolliver endlich vom Totsein überzeugen kann?

|Mein Eindruck|

Ha, und ich werde den Teufel tun und es hier hinausposaunen! Auf jeden Fall erzielt dieses Ding den gewünschten Zweck. Im allerletzten Satz las ich dann die Pointe – und es schüttelte mich vor Ekel und Schauder. Gleichzeitig musste ich über meine eigene Reaktion lachen und über das Können des bekannten Autors von „Psycho“ und anderen Klassikern der Schauerliteratur.

Robert Bloch war ein Zeitgenosse von H. P. Lovecraft, der dem jungen Star-Autor seines Zirkels wertvolle Tipps auf den Weg gab (HPL war, neben Tolkien, einer der fleißigsten Briefschreiber des 20. Jahrhunderts.) Bloch erlebte demzufolge noch den Schauplatz seiner Geschichte in Aktion und Technicolor.

Die Tollivers leben in den Südstaaten auf einer Farm, die noch Schweine und Kühe besitzt. Wenigstens gibt es schon Autos, denn Präsident Coolidge hat bereits sein Amt angetreten. Calvin Coolidge war laut Wikipedia von 1923 bis 1929 der 30. Präsident der Vereinigten Staaten, also der Vorgänger von Herbert Hoover (1930-33) und Franklin Delano Roosevelt (1933-45). Deshalb fahren der Arzt und der Leichenbestatter per Motorvehikel vor.

Der Ton der Story lässt sich nicht anders als hemdsärmelig beschreiben. Hier war ein Yankee am Werk, kein gottesfürchtiger Ire oder Italiener (jener Zeit), und das heißt, dass die Fakten respektlos auf den Tisch geknallt werden. Die einsetzende Leichenstarre wird noch als „Rigger Mortis“ verunglimpft, und dass man als ultimatives Mittel zu einer schwarzhäutigen (Achtung: Rassentrennung!) Hexe in den Wald gehen muss, ist auch in nördlichen Bereiten, etwa in Stephen Kings Maine oder in HPLs Rhode Island, nicht ganz unbekannt.

Jedenfalls hat mir diese Geschichte einen gruseligen Spaß beschert. Und wem sich bei der Lektüre die Fußnägel aufrollen, ist selber schuld.

_Die Übersetzung_

Ich fand zwei Unregelmäßigkeiten, was doch recht wenig ist. Auf Seite 124 versteckt sich ein Druckfehler in dem Satz: „Neben der Straße ragte ein Buckel auf, kaum mannshoch, in der Form eines Grabens.“ Nun ist ein Graben per definitionem eine Vertiefung statt einer Erhöhung, kann also nicht mannshoch sein. Richtig sollte es also heißen: „in der Form eines Grabes“ oder „eines Grabhügels“.

Die zweite Unregelmäßigkeit ist ein ganzer Absatz, der so durcheinander konstruiert wurde, dass er kaum einen Sinn ergibt. Der Satz stammt aus der Fred-Pohl-Story.

„Deshalb überrascht es sie ungemein, als alle sechs Nationen, die über ein Arsenal von Atomraketen verfügen, endlich zu einem gemeinsamen Ziel vereinigt, nachdem sie bei einer Beratung mittels ihrer geheimen Direktleitungen einen Zeitpunkt festgesetzt haben, gleichzeitig den Beschuss auf das in der Kreisbahn befindliche Raumschiff Mooklris, Mawkris und des Geleges eröffnen.“

Häh??! Dunkel ist der Sinn. Wohl dem, der ihn findet. Hätte der Übersetzer zwei Sätze draus gemacht, wäre wohl klar geworden, dass sich die Nationen erst einigten und dann die Raketen abfeuerten.

_Unterm Strich_

Eine Novelle wie „Jupiters Amboss“, die zwei Drittel eines Buches einnimmt, ist natürlich dessen Haupt- und Prunkstück. Obwohl ich ihr nur vier von fünf Punkten geben würde, lohnt es sich doch, in dieses Szenario zu versetzen. Noch lieber würde ich den Roman dazu lesen.

Danben verblassen die anderen Storys ziemlich, und nur die Erzählungen von Ursula Le Guin und Robert Bloch wissen daneben zu bestehen. Die Le Guin ist sowieso überragend in fast allem, was sie veröffentlicht hat, und hier entführt sie den Leser in jene Übergangszeit vom Heidentum zum Christentum.

Den Vogel schießt hingegen Robert Blochs makaber-spaßige Schauergeschichte um den Opa ab, der nicht zugeben wollte, dass er schon gestorben war. Nur die List einer Waldhexe kann ihn davon überzeugen, dass es wirklich an der Zeit sei, sich hinzulegen und den geist aufzugeben. Die Pointe ist schlichtweg unbezahlbar.

Taschenbuch: 157 Seiten
Erstveröffentlichung im Original: 1976/77
Aus dem Englischen von diversen Übersetzern
ISBN-13: 978-3453304826
www.heyne.de