Knight, Mary-Jane / Blythe, Gary / Jacobs, Philip / Peterkin, Mike / Chidlow, Philip / Jacoby, Jenny – Vampire – Das furchterregende Tagebuch des Dr. Cornelius Van Helsing

Bilderbuch für neugierige Entdecker

Mai 1907. Der Vampirjäger Abraham van Helsing liegt krank danieder, und sein besorgter Bruder Cornelius macht sich mit seinem Diener Gustav de Wolff auf den Weg, um in Transsilvanien ein Heilmittel zu suchen. Doch das Unternehmen scheint ein Fehlschlag, denn inzwischen hat offenbar ein Vampir Jonathan Harker einen verhängnisvollen Besuch abgestattet.

Die Autorin

Der Text stammt von Mary-Jane Knight, deren Name mir nichts sagt und der auch nicht wichtig ist. Denn dieses Buch lebt von seinem Design und seiner Ausstattung, wodurch die Story sekundär wird. Die Illustrationen stammen von Gary Blythe, Philip Jacobs und Mike Peterkin.

Das Design und die Typografie lagen in den Händen von Philip Chidlow von Brushfire Limited, für das Konzept zeichnet Jenny Jacoby verantwortlich. Die Originalausgabe „Vampyre“ erschien 2007 bei |HarperCollins Children’s Books| in London.

Handlung

Das Tagebuch des Cornelius van Helsing aus dem Jahr 1907 wird von seinem 1937 verstorbenen Diener Gustav de Wolff an dessen Sohn Marcus weitergegeben, der es 1950 mit einigen Wissenschaftlern in einer verschlossenen Truhe, in die ein Silberkreuz eingelassen war, fand. Kurz vor Marcus‘ Tod Anfang des 21. Jahrhunderts übergab Marcus die Truhe samt Tagebuch einem Verlag, der es hiermit veröffentlicht. Möge es den Zeitgenossen eine Warnung vor jenen Wesen sein, die man als Vampire kennt.

Die Reise

Am 4. Mai 1907 verabschiedet sich Cornelius von den Harkers, Dr. John Seward und natürlich von Abraham und Charlotte van Helsing. Der Weg führt von London nach Bistritz am Fuß der Karpatenberge. Cornelius unterrichtet sich über Vampire aus den Papieren seines Bruders, der ja bekanntlich diesbezüglich ein Experte ist. Sie treffen am 7. Mai im Gasthaus zum schwarzen Bären ein. Am 11. Mai betreten Cornelius und Gustav die schauerliche Krypta der Dorfkirche, wo sie eine grässliche Entdeckung machen. Keiner von beiden will auch nur andeutungsweise näher beschreiben, was sie entdeckten. Siehe deshalb die Illustrationen!

Das Pestdorf

Nachdem sie die neugierigen Reporter und Polizisten abgewimmelt haben, reisen Cornelius und Gustav weiter in die Karpaten. Am nächsten Tag lesen sie in der Zeitung, in dem Bergdorf Pietroshevicz sei die Pest ausgebrochen. Das ist ein stichhaltiger Hinweis auf Vampire. Als sie dort eintreffen, finden sie Berge von Leichen vor, aber noch mehr neugierige Ratten. Nur zwei Überlebende, wahrscheinlich beide infiziert, vermögen sie zu entdecken. Sie verschwinden schleunigst wieder.

Wieder in London

Am 17. Mai hat sie per Bote ein Brief aus London erreicht, in dem ihnen Dr. John Seward von einer unheimlichen Begebenheit im Hause der Harkers berichtet. Jonathan erhielt Besuch von einem Besucher, der seinen Namen nicht nennen wollte, vor dem Eintreten eine ausgesprochene Einladung forderte und dessen Reflexion im Spiegel nicht zu sehen war. Danach fühlte sich Jonathan matt und sah ungewöhnlich blass aus. Seine Frau Mina begann sich Sorgen zu machen und wandte sich an Dr. Seward.

Cornelius und Gustav eilen zurück nach London, zwar enttäuscht ob der Tatsache, dass sie nur Knoblauch, aber keine Heilkräuter gesammelt haben, aber entschlossen, das aufziehende Unheil von den Harkers abzuwenden. Am 20. Mai erhalten sie ein Telegramm, dass Mina am 15.5. verstorben sei. In London muss Cornelius feststellen, dass die ganze Stadt von einer Art Vampirfieber erfasst worden ist. Doch wie steht es um Jonathan Harker und Abraham van Helsing?

Es kommt zu einem weiteren Todesfall …

Mein Eindruck

Wie man unschwer erkennen kann, ist die Story an sich denkbar einfach gehalten und erinnert in ihrer Zweigleisigkeit an den originalen [„Dracula“-Roman. 3489 Während sich die Vampirjäger eingehend für das Treiben der Blutsauger vor Ort interessieren, gehen diese derweil zum Gegenangriff über, um unerledigte Dinge abzuschließen: das Schicksal der Harkers. Dieser zweite Plot wird jedoch in keiner Weise irgendwie vorbereitet, weshalb er denn auch völlig unerwartet eintritt und Opfer fordert. Kein Wunder, dass sich Cornelius schwere Vorwürfe macht und voller Selbstzweifel nach Hause zurückkehrt. Über den Ausgang der Geschichte sei nur so viel verraten, dass es leider kein Happy-End gibt.

Ein Charakteristikum, das mich immer wieder befremdet hat, ist die Unverfrorenheit, mit der Vampire mit allen möglichen Misshelligkeiten in Verbindung gebracht werden. Angefangen von ihrer Fähigkeit, die Gestalt in die eines Wolfes oder von Ratten oder Fledermäuse oder was auch immer zu wechseln, bis hin zu ihrer Verbreitung der Pest und diverser anderer Seuchen. So ziemlich alles, was gotteslästerlich oder menschenfeindlich ist, wird den Blutsaugern und Untoten zugeschrieben. Der Leser und Betrachter kommt sich vor wie im tiefsten Mittelalter.

So darf es denn auch nicht verwundern, wenn er mit Schutzzaubern, alten Chroniken und allerlei Hausmittelchen traktiert wird, für die hier Reklame gemacht wird. Alle diese Dinge sind lediglich mit Dokumenten, Bildern und dem einen oder anderen Objekt veranschaulicht. Dies ist die Nahtstelle zum besonderen Design dieses Buches.

Design und Ausstattung

Ohne dass es irgendjemand von den Herausgeber explizit sagen würde, lässt sich an Layout und Design unschwer ablesen, dass das Buch genauso aussehen soll wie ein echtes Tagebuch aus dem Jahr 1907. Die blutroten Buchstaben auf dem Titelbild deuten bereits wie der Titel auf den Inhalt hin. Das ledergebundene Buch scheint von den Krallen eines unmenschlichen Wesens aufgekratzt worden zu sein.

Dass das putative originale Tagebuch jedoch ein Hologramm auf dem Einband vorzuweisen hatte, darf wohl bezweifeln werden. Das runde Hologramm prangt als Plastikscheibe über dem Titel „VAMPIRE“ und zeigt – je nach Blickwinkel – das halb geschlossene bis weit geöffnete, blutunterlaufene Auge eines Vampirs. Im Innenteil findet sich ein weiteres Hologramm, dessen Anblick je nach Perspektive entweder einen Mann oder einen Wolf in der Frontalansicht zeigt. Was die Aussage ist, bedarf wohl keiner weiteren Erklärung.

Faksimiles

Die Faksimiles von Dokumenten fand ich viel interessanter: Briefe, Telegramme, Zeitungsausschnitte, Fotos usw. Ja, ganze Broschüren wurden eingeklebt. Gegen Schluss findet sich auch Gustav de Wolffs eigenes, relativ kurzes Tagebuch. Die ergreifendste Doppelseite stellt die tote Mina Harker dar: ihr Totenbild mit den zwei Bissmalen, ihren blutbefleckten weißen Fächer, einen Schlüssel, eine künstlerische Darstellung, die zeigt, wie das Ehepaar Seward die Ermordete auffindet. Kriminalinspektor Ernest Devlin – Visitenkarte beiliegend – untersucht den Fall.

Die Seiten, an denen der Berichterstatter Gustav de Wolff den Boden des Tagebuchs verlässt, sind in erster Linie mit Gemälden gestaltet. Diese sind auf eine interessante Weise doppelbödig. In zwei der Bilder steckt je ein stabiler Streifen Papier, der sich seitwärts bewegen lässt. Zieht man ihn ein Stückchen heraus, so werden weitere Motive sichtbar: ein Wolf, ein Nosferatu und auf der letzten Seite ein Wolfsgesicht, das durch Gitterstäbe zu sehen ist. Aussage: Der Vampir überwindet jede Gefängnismauer.

Unter dem Gemälde mit dem Nosferatu und dem Wolf ist auf einem anderen Bild die Gruft von Bistritz dargestellt. In dieses etwa postkartengroße Gemälde sind Fensterchen eingelassen und verdeckt, wie man das von Adventskalendern kennt. Da die Fensterklappen Sargdeckel und Gruftstatuen zeigen, kann man sich leicht vorstellen, was man zu sehen bekommen, wenn man die Fensterchen öffnet …

Rubbeln für den Horror

Zu guter Letzt darf der Leser auf der letzten Seite eine Botschaft freirubbeln, als handle es sich um ein Glückslos, und einen Kassiber herausziehen. Ein Kassiber ist eine ins Gefängnis geschmuggelte Botschaft. 100 Punkte kriegt der- oder diejenige Finder fürs Entdecken.

Unterm Strich

Wer auf eine ausgefeilte Geschichte verzichten kann und lieber mit einem aufwändig ausgestatteten Dokumentenband herumspielen möchte, um Entdeckungen zu machen, der ist hier genau an der richtigen Adresse.

Diese Art von Büchern sind nicht neu. Im angelsächsischen Sprachraum werden sie Scrapbook genannt, weil sie alle mögliche Arten von Dokumenten und Objekten wie etwa Eintrittskarten enthalten können. Ich habe bislang Scrapbooks für Elvis Presley, John Lennon und Bob Dylan gesehen und genossen. Sie enthielten sogar CDs mit Tonaufnahmen. Von diesem hohen (und teuren) Standard ist „Vampire“ zwar noch etwas entfernt, aber die Richtung stimmt bereits. Wer weiß, was da noch auf uns zukommt.

Ich gebe dem Buch insgesamt eine mittlere Wertung für die magere Story und die umfangreiche Ausstattung. Erstaunlich, wie viele kluge Ideen in diesem Buch stecken – und wie wenig Vergnügen es mir bereitete, es zu betrachten und zu lesen. Es ist etwas für Leser, die mit einem Buch auch spielen und etwas entdecken wollen. Möglicherweise doch das ideale Weihnachtsgeschenk für Vampirfreunde und solche, die es werden wollen.

Gebunden: 32 Seiten
Originaltitel: Vampyre, 2007
Aus dem Englischen von Anne Braun

https://www.penguin.de/Kinder-und-Jugendbuchverlage-cbj-&-cbt/aid77972.rhd

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