König, Johann-Günther – Lobbyisten, Die. Wer regiert uns wirklich?

Da gibt es eine SPD, die jahrelang die paritätische Beitragszahlung bei den Sozialversicherungen wie eine Monstranz vor sich herträgt, bis unter einem Kanzler Schröder Arbeitnehmern und Rentnern ein Sonderbeitrag aufgebrummt wird. Dann sind da die Unionsparteien, die lauthals für das Wettbewerbsprinzip bei den Krankenkassen trompeten, bis unter einer Kanzlerin Merkel der zentral eingezogene Einheitsbeitragssatz beschlossen wird. Allerhöchste Zeit also, sich einmal gründlich mit dem Phänomen Lobbyismus auseinanderzusetzen. Wer sich informieren will, sollte ein gutes Buch zum Thema lesen – keineswegs aber Johann-Günther Königs „Die Lobbyisten. Wer regiert uns wirklich?“

_Die Kerndefizite des Buches_

König versucht, in seinem Buch über den Lobbyismus eine „umfassende Analyse“, so der Klappentext, zu leisten und das Thema am Beispiel der Geschichte Deutschlands und der USA in den letzten 200 Jahren zu verdeutlichen. Leider bleibt es beim Versuch. Das Buch leidet unter vier grundsätzlichen Mängeln:

1. Der Begriff „Lobbyismus“ wird vom Autor selbst nicht definiert und unzureichend in einen Zusammenhang mit Interessenvertretung im Allgemeinen und in der Demokratie gebracht. So redet er von Lobbyismus, wenn Manager Abgeordnetenmandate innehaben, ohne zu merken, dass dies den abgeschriebenen Definitionen widerspricht.

2. Konkrete Fälle von Lobbyismus, also von äußerem, unmittelbarem Einfluss der Interessenvertreter auf politische Entscheidungen, muss man in dem Buch mit der Lupe suchen. Wenn einige Firmen einen Branchenverband gründen oder ein Politiker mit einem Unternehmer auch nur spricht, schreit König gleich „Skandal“, und auf belastbare Fakten wartet man meist vergebens.

3. In dem Buch, das zum großen Teil aus Sekundärliteratur zusammengepinnt ist, gibt es besonders in den ersten grundlegenden Kapiteln keinen gedanklichen roten Faden. König kommt z. B. kurz auf Arbeitsgrundsätze oder Berufsbilder von Lobbyisten zu sprechen, huscht dann gleich zum nächsten Punkt und greift das Thema einige Seiten später noch mal oberflächlich auf. Dass er etwa in den geschichtlichen Kapiteln, die den Großteil des Buches ausmachen, seitenweise eher eine kleine Wirtschaftsgeschichte schreibt als konkret am Thema Lobbyismus zu bleiben, ist scheinbar weder ihm noch seinem Verlag aufgefallen.

4. König sieht das Grundproblem im Kapitalismus, dem „heimlichen Herrscher“ (S. 16). Nun gut, er nennt wenigstens ehrlich sein Feindbild, darauf kann sich der kritische Leser dann einstellen. Dass er dabei den Gewerkschaftslobbyismus nicht ganz unter den Tisch fallen lässt, muss man ihm zugute halten. Das Problem dabei ist, dass er einerseits jede Interessensartikulation von Wirtschaftsseite gleich für einen illegitimen Angriff auf die Staatsorgane hält und andererseits Lobbyismus fast nur als Problem der Wirtschafts- und Arbeitswelt sieht.

Der Begriff Lobbyismus kommt nicht zufällig von Lobby, der Vorhalle von Parlamenten. Es ist ein Phänomen der Demokratie. In der Demokratie, dem Namen nach der „Volksherrschaft“, hat jeder Bürger – also auch der Unternehmer, der Gewerkschafter, der Vereinsfunktionär – das Recht, gemäß seinen Interessen zu wählen, Öffentlichkeitsarbeit zu treiben und bei politischen Entscheidungsträgern vorzusprechen. Wo die Grenze zwischen legitimer Interessenvertretung und illegitimem Lobbyismus verläuft, wird hier nicht systematisch erörtert. Erst im letzten Kapitel wird dieser Aspekt kurz angerissen. Das Buch hätte schon ein wenig gewonnen, wenn man dieses Schlusskapitel an den Anfang gesetzt hätte.

Dass Regierung und Parlament Bürger und Organisationen anhören, bevor sie Gesetze für sie machen, ist ja nicht das Schlechteste an der Demokratie. Und dass man in Bereichen, die ein großes Detailwissen erfordern, Experten zu Rate zieht, ist auch nicht grundsätzlich falsch. Mittlerweile kommt es aber vor, dass Externe sogar Gesetzesvorlagen formulieren. König nennt hier einige Fälle, aber eine systematische Analyse der Beziehung Politik / Berater oder auch nur eine Erörterung des mehrdeutigen Begriffs „Berater“ bleibt aus.

_Zur Geschichte_

Die fundamentalen Defizite des Buches schlagen sich dann auch im historischen Abriss nieder.

Zum Beispiel: Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg. Weder konnten die damals noch marxistisch orientierten Gewerkschaften die Privatwirtschaft aushebeln, noch konnten die Arbeitgeber Bismarcks Sozialversicherung verhindern. Und wie König selber schreibt, unternahm die Bankenlobby nicht einmal den Versuch, Gesetze zur Regulierung und Besteuerung des Aktienhandels abzuwenden (S. 134). Überhaupt kann er keinen einzigen Paragraphen benennen, der durch Lobbyeinfluss verabschiedet oder nicht verabschiedet wurde. Die einzige Schlussfolgerung kann nur sein: Natürlich gab es Lobbyarbeit, aber das Deutsche Reich vor (und weitgehend auch nach) dem Ersten Weltkrieg war resistent gegen Lobbyismus. Wenn der Autor dann immer noch von der Allmacht der Lobbyisten schwadroniert, ist das entweder Meinungsmache oder aber er war mit der Auswertung des eigenen Datenmaterials überfordert.

Dass einige Angehörige des Großkapitals (übrigens auch des ausländischen) Hitlers Aufstieg unterstützten, steht mittlerweile in jedem Schulbuch. Aber bald nach seiner Machtübernahme wurden die Lobbyverbände verboten oder in halbstaatlichen Gremien gleichgeschaltet. Typischer Fall von denkste! Dass die braunen Mörder nicht auch noch wie die roten Mörder die Betriebe verstaatlichten, ist für König scheinbar schon ein unerhörter Fall von Lobbyismus.

Nachkriegsgeschichte: Nun gibt es die wirtschaftspolitische Auffassung, dass Unternehmen, die Gewinne machen, Steuern zahlen, den technischen Fortschritt vorantreiben und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, im Interesse der ganzen Volkswirtschaft sind. Selbstverständlich muss man diese Meinung nicht teilen, aber man sollte sie zur Kenntnis nehmen und nicht bei jedem firmenfreundlichen Gesetz „Lobbyismus“ schreien, wenn man nicht mal den Hauch eines Beweises hat. Die einzigen konkreten Fälle von Lobbyeinfluss auf Gesetze in der jungen BRD, bei denen dann auch endlich mal Ross und Reiter genannt werden, liest man in der langen Abschrift von Theodor Eschenburg (S. 213ff).

Seit dem schmählichen Ende der Kommission Santer dürfte jeder wissen, dass der Moloch Brüssel ein Magnet für Lobbyisten ist. Hier liest man z. B., dass das „Entwicklungs-, Wettbewerbs- und Beschäftigungsprogramm“ der Kommission Delors von 1993 einem Strategiepapier der Industrielobby entsprach (S. 247). So ist denn das Kapitel über die EU noch das beste, wenn auch im Verhältnis etwas knapp.

_Was nicht im Buch steht_

Wie erwähnt, wird Lobbyismus von König fast nur im Zusammenhang mit der Wirtschaft besprochen. Umweltorganisationen erwähnt er zwar als Lobbyisten, geht auf das Thema aber nicht weiter ein. Kann sich noch jemand erinnern, wie man uns vor etwa zehn Jahren weismachen wollte, dass das Ozonloch von der Industrie verursacht wäre, bis sich die Wahrheit, dass es schon seit Jahrtausenden existiert, nicht mehr unterdrücken ließ? Wer z. B. wissen möchte, wie Greenpeace unter Missachtung von Anstand und Ehrlichkeit die „Brent Spar“-Kampagne anzettelte, dem sei Udo Ulfkottes Buch „Wie Journalisten lügen“ empfohlen. (Es hat zwar nicht eigentlich Lobbyismus zum Thema, gibt dazu aber mehr her als Königs Machwerk.). Und Umweltorganisationen sind beileibe nicht die einzigen „zivilgesellschaftlichen“ Gruppen, die regelmäßig Hysteriekampagnen fahren, sich selbst als Retter präsentieren und so ihren Funktionären ein schönes Einkommen aus Staatsknete und Spenden verschaffen.

Weiterhin wäre es verdienstvoll gewesen zu untersuchen, inwieweit die Parteien heute noch politische Bürgervereine sind oder vielleicht doch eher Lobbygruppen zur Karriereförderung von Berufspolitikern. Oder inwieweit gewisse Staaten mit Nichtregierungsorganisationen eine Lobby neben der Diplomatie unterhalten, mit der sie die Politik anderer Staaten beeinflussen.

_Fazit_

„Die Lobbyisten. Wer regiert uns wirklich?“ bringt keine neuen Erkenntnisse und geht in weiten Teilen am Thema vorbei, so dass es beinahe schon geeignet ist, den Lobbyismus zu verharmlosen. Das, was König effektiv zum Thema zu sagen hat, hätte man auch auf zehn Prozent des Papiers unterbringen können. Dass sich der Autor auch nicht die Mühe gemacht hat, in einem Wirtschaftslexikon den Unterschied zwischen „Konzern“ und „Unternehmen“ nachzuschlagen oder wiederholt von Faschismus plappert, wenn er Nationalsozialismus meint, macht denn auch nichts mehr. Offenkundig hat sich auch niemand das Manuskript gründlich durchgelesen, wie die vielen Druckfehler anzeigen. Nach dem Motto „Zeichensetzung ist Glückssache“ wurden Kommata anscheinend mit dem Salzstreuer gesetzt.

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