Koontz, Dean – Rabenmann, Der

_Angriff der Dämonen, Widerstand der Kinder _

Zwei Jahrzehnte ist es her, dass Alton Turner Blackwood, der Rabenmann, vier Familien brutal ermordete. Seine blutige Serie endete erst, als der vierzehnjährige Sohn der letzten Familie ihn erschoss: John Calvino.

Doch nun taucht plötzlich ein Mörder auf, der die Untaten von einst exakt kopiert. John, der damals die eigene Familie nicht mehr retten konnte und seitdem schwer gezeichnet ist, ermittelt als Polizist in dem Fall. Voller Entsetzen entdeckt er, dass der Täter offensichtlich feststeht: Es war wohl Billy Lucas, der vierzehnjährige Sohn der Familie, der seine engsten Angehörigen grausam tötete.

Als Detective hält sich John Calvino sonst nur an klare Fakten. Aber könnte dieser Junge – bislang ein braver Musterschüler – tatsächlich vom Bösen besessen sein? Und wenn ja: Wie sollten John, seine Frau, die Töchter und der bald vierzehnjährige Sohn Zach der Rache des Rabenmanns entrinnen? (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Dean Koontz wurde 1945 in Pennsylvania geboren, musste in seiner Jugend hungern, schrieb Schundromane für einen Hungerlohn, lernte seine Frau Gerda kennen und konnte schließlich mit ihr nach Kalifornien ziehen, wo das Ehepaar seither stets mit einem Golden Retriever zusammenlebt. Es gibt kein einziges Koontz-Buch der letzten Jahre – etwa seit „Geschöpfe der Nacht“ -, in dem nicht mindestens ein Loblied auf diese Hunderasse angestimmt wird und einer ihrer Vertreter auftritt.

Die zahlreichen Thriller und Horror-Romane des Konkurrenten von Stephen King wurden sämtlich zu Bestsellern und in 38 Sprachen übersetzt. Weltweit hat Koontz laut Verlag über 400 Mio. Exemplare verkauft. Leider wurden bislang nur wenige von Koontz‘ Büchern verfilmt, so etwa „Watchers“. Die beste Verfilmung ist meiner Meinung nach „Intensity“, aber der Film strapaziert die Nerven derart, dass er höchst selten gezeigt wird.

„Der Rabenmann“ ist die direkte Fortsetzung von „Schwarze Feder“, einen Kurzroman, den es bei |Heyne| nur als Download gibt. Nähere Infos dazu finden sich im Buch, ebenso eine Leseprobe.

_Handlung_

Es ist zwei Jahrzehnte her, dass John Calvino seine Familie verlor. Sie war eine von vier Familien, die Alton Turner Blackwood, der besessene Serienmörder, auslöschte – er wurde als „Der Rabenmann“ bekannt. Dem 14-jährigen John Calvino gelang es damals, den Killer zu töten, aber erst, nachdem er seine vier weiblichen Verwandten ausgelöscht hatte. In seiner Polizeiausbildung lernte er alles über diesen Mann: Wie er vorging, wenn er seine Opfer fand und tötete, was er alles mit ihnen tat, jedes kleinste Detail.

Dies alles ist ihm präsent, als er nun in der Psychiatrie Billy Lucas besucht, der kürzlich seine ganze Familie ausgelöscht hat. Billy ist ebenfalls erst 14 Jahre alt, so wie seinerzeit John (und wie bald Johns Sohn Zach). Aber er sitzt für gewöhnlich hinter Panzerglas. Nicht so heute, denn John hat keine Furcht vor dem vierfachen Killer. Das Unheimlichste an Billy ist die Tatsache, dass er bei seiner Bluttat exakt so vorging wie Blackwood, als er die Paxtons, seine letzten Opfer, tötete. Und kann es wirklich ein Zufall sein, als Billy nun John Calvino den gleichen Grund für seine Tat angibt wie seinerzeit Blackwood: „Verderbnis“?

Bei der Besichtigung des Lucas-Hauses stellt John mit seinen feinen Sinnen mehrere Ungereimtheiten fest. Ein Fleck aus Milch und Blut schimmelt in der Küche, obwohl die Spurensicherung ihn schon längst hätte entfernen müssen; die Uhren im ganzen Haus blinken „12:00“, und alle Telefone läuten. Als er an Billys Handy geht, meint er die geflüsterte Bezeichnung „Sklave“ zu hören. So nannte Blackwood seine männlichen Opfer, damit sie ihm in der Hölle dienen würden.

Die wertvollste Entdeckung macht John im Zimmer von Billys Schwester Celine (die er vor ihrer Tötung vergewaltigte): Glöckchen als Ohranhänger, die in Blütenform klingeln können. Auf einem davon ist Blut zu sehen. Sehr beunruhigend ist allerdings, dass er auf Billys PC die Fotos seiner eigenen Familie findet. Und die jüngsten sind erst einen Monat alt. John bekommt definitiv Angst um seine Familie. „Es hat begonnen“, murmelt er, als er ins Auto steigt. Aber was es ist, ahnt er noch nicht.

|Bei den Calvinos|

John Calvino gehört nicht der gewöhnlichen 08/15-Familie an, die man in Suburbia findet. Seine Frau Nicolette ist eine sehr erfolgreiche Kunstmalerin, und ihre drei Kinder Zach (13), Naomi (11) und Minette (8) werden nicht etwa an der Schule, sondern zu Hause von Privatlehrern unterrichtet, die zu ihnen kommen, nicht umgekehrt. Das Sahnehäubchen bildet das Ehepaar, das die Mahlzeiten zubereitet. Zum Glück ist auch das Haus groß genug, um allen ein Dach überm Kopf zu bieten.

Als Nicolette heute ihre Zähne mit Zahnseide reinigt, erblickt sie erst hinter sich einen unbekannten Mann, dann vor sich im Spiegel. Der Spiegel explodiert, und sie fällt in Ohnmacht. Ungefähr zur gleichen Zeit, etwa 1:30 Uhr am Nachmittag, befindet sich Zach auf dem Zwischenboden, wo die Brenner und die Klimaanlage stehen. Er will einem finsteren Verdacht nachgehen, der ihm gekommen ist, steigt die Falltür hoch und sieht sich, bewaffnet mit einer langzinkigen Truthahngabel und einer Taschenlampe, um. Nichts.

Da geht das Licht ebenso aus wie seine Taschenlampe. Er gerät nicht in Panik, o nein, denn Zach, der in wenigen Monaten 14 Jahre alt wird, will ein Marine werden, und Marines verlieren nicht den Kopf. Niemals. Außer jetzt, als er einen Mann in der dunkelsten und kältesten Ecke spürt. Der packt ihn am Handgelenk und verdreht seine Truthahngabel, als bestünde sie aus Schokolade: „Jetzt kenne ich dich.“

Ebenfalls zur gleichen Zeit gehen Naomi und Minnie einer merkwürdigen Beschäftigung in ihrem Kinderzimmer nach. Weil sie vergangene Nacht einen unbekannten Mann im Spiegel des begehbaren Kleiderschranks gesehen haben, montiert die kleine Minnie den Spiegel ab, während Naomi noch mit ihr hadert, dass der Spiegel doch eine mögliche Tür in eine andere Welt sei, wo ihr Prinz auf sie wartet, damit sie ihm beisteht und über das Königreich herrscht.

Mit unbestechlichem Sinn für Realität macht Minnie ihrer verträumten Schwester klar, dass der Spiegel gefährlich sei. Als sie ihn auf den Boden legt, kräuselt sich dessen Oberfläche. Und als sie eine Traube darauffallen lässt, verschwindet diese. Ganz klar: Der Spiegel muss fort! Doch bevor Minnie dies tun kann, macht Naomi den Fehler, ihre Hand auf die wieder stabile Oberfläche zulegen. Eine männliche Stimme voller Hass und Zorn sagt in ihrem Kopf: „Jetzt kenne ich dich, du dumme kleine Schlampe!“

|Piper’s Gallery|

Als John Calvino die Galerie betritt, aus der der Glöckchen-Anhänger stammt, ahnt er nichts von den sinistren Vorgängen in seinem Heim. Und als ihn ein Kollege bei einem weiteren Besuch im Lucas-Haus ertappt, bekommt er unangenehme Fragen gestellt. John ist nur eines klar: Was auch immer den armen Billy Lucas besessen hat, wird sich schon bald ein neues Gefäß suchen, das es benutzen kann, um Tod und Zerstörung zu säen – denn am 25. Oktober jährt sich der Tag, an dem seine eigene Familie überfallen wurde, zum 20. Mal …

_Mein Eindruck_

Der Titel des Thrillers könnte genauso gut „Besessen“ lauten, denn um Besessenheit geht es die ganze Zeit. Billy Lucas ist für Calvino der wichtigste Zeuge, wie diese Besessenheit aussieht. Urplötzlich verwandelt sich ein netter Junge oder ein unbescholtener Zeitgenosse in ein mordendes Ungeheuer. Dieses Opfer lässt sich als Pferd bezeichnen, das geritten und an die Kandare genommen wird. Der freie Wille geht dabei natürlich flöten.

Zunächst hat es den Anschein, als sei es der teuflische Geist von Alton Turner Blackwood, der die Gewalt über Billy Lucas etc. übernommen habe. Später erfahren wir, wer oder was sich hinter „Verderbnis“ verbirgt: Es ist ein Dämon aus der Hölle. Klingt nach dem „Exorzisten“? Tatsächlich sucht Calvino einen ehemaligen Exorzisten auf. Doch Peter Abelard darf nicht mehr praktizieren, seit es der katholischen Kirche peinlich ist, die Existenz des absolut Bösen zuzugeben.

Verderbnis als Dämon zu etablieren, ist ja gut und schön, aber im Opfer muss genau dies existieren, damit Verderbnis die Lenkung übernehmen kann, sozusagen eine Lücke in der seelisch-moralischen Rüstung. Unversehens wird aus dem Horror-Thriller eine höchst moralische Parabel, aber das sollte uns bei Dean Koontz nicht verwundern, denn fast alle seine Thriller (beispielsweise „Dunkle Flüsse des Herzens“ oder „Intensity“) basieren darauf. Letzten Endes sind 95 Prozent des Horrorgenres moralische Parabeln, und das fing schon bei E. A. Poe an.

|Der Rabenmann|

Bevor wir zum Finale kommen, sollten etwas über den Anfang von „Verderbnis“ gesagt werden, genauer über Alton Turner Blackwood, den Rabenmann. In regelmäßigen Abständen ist dessen Tagebuch in Auszügen eingeschoben. Darin entdeckt der rund 14 bis 15 Jahre alte Alton die Wahrheit über seine feine Familie. Der Filmproduzent Teejay Blackwood ist sein Großvater, denkt er. Aber er ist auch sein Vater, sein Onkel und sein Bruder!

Teejay Blackwood hat es sich nämlich aus Überzeugung zur Gewohnheit gemacht, seine nächsten weiblichen Verwandten zu schwängern. Sein Ziel: die Züchtung der schönsten Frauen der Welt. Da er dies mit männlichen Nachkommen nicht tun kann, erstickt er die neugeborenen Söhne nach der Geburt und verscharrt ihre Leichen in einem nahegelegenen Wäldchen. Dort findet Alton auf seinen nächtlichen Streifzügen auch die Gebeine seiner lange und schmerzlich vermissten Mutter. Alle haben ihn angelogen, erkennt er. Warum nur musste sie sterben? „Tante“ Regina und ihre „Tochter“ Melissa, beide inzwischen schon wieder schwanger, geben die Wahrheit freimütig zu …

Auf seinen Streifzügen genoss der entstellte Alton, der nur aufgrund der flehentlichen Bitten (und des Opfers) seiner Mutter am Leben gelassen worden ist, eine bis dato unbekannte Freiheit. Er lernte alles, was die Nacht weiß (O-Titel) und was ihm ein geheimnisvoller Rabe zeigte. Freizügig tötete er jede Art von Tier, bis er zum Herrn des Waldes wurde. Bis er auf die Gebeine und die Lügen stieß.

Nun ist er nicht mehr Herr des Waldes, sondern der angehende „Rabenmann“. Doch wann er den Dämon „Verderbnis“ traf und von ihm erfüllt wurde, erzählt Koontz nicht in diesem Buch und auch nicht in dem Kurzroman „Die schwarze Feder“, den es für zwei Euro zum Download gibt und der angeblich als Vorgeschichte fungieren soll.

|Die Natur des Bösen|

Ist das Böse also eine von außen kommende Macht, die der Macht des Guten Paroli bietet? Da meinte zumindest der Philosoph Mani aus dem 3. Jahrhundert, weshalb sein Modell der Manichäismus heißt. Gut und Böse verhalten sich wie Schwarz zu Weiß, dazwischen gibt es nichts.

Dass dieses Modell nicht funktionieren kann, zeigt sich schnell. Denn wozu sonst müsste der Dämon „Verderbnis“ erst seine Opfer vorbereiten, um eine Lücke in ihrer moralischen Rüstung zu öffnen, durch die er Zugang zu ihrem Geist und ihrer Seele findet? Voraussetzung ist also auch ein Makel im Opfer. Bei John Calvino sind es seine Schuldgefühle gegenüber seinen ermordeten Anverwandten – während sie gemeuchelt wurden, hatte er Sex mit Cindy Schooner, einer 16-jährigen Schlampe aus der Nachbarschaft.

In Naomi nützt „Verderbnis“ deren mädchenhafte Schwärmerei für jede Art von Fantasy und Magie im Stile von „Harry Potter“ aus (Hogwarts wird sogar namentlich erwähnt). Naomi braucht nur von einem „Pferd“ durch einen „Flug durch die Dimensionen“ in ihr angestammtes Königreich gebracht zu werden, damit sie alles tut, was man von ihr verlangt – wenn man sich ausdrückt wie in einem ihrer Bücher. Sie wollte ja schon immer „Mylady“ genannt werden.

Zach Calvinos Schwäche ist seine Entschlossenheit, ein harter Marine zu werden, ein Macho, wie er – ebenfalls – im Buch steht. Seine Träume sind erfüllt von einem Kerl namens Al, der ihn mit seinen Schwestern unaussprechlich eklige Dinge tun lässt, bis Zach sich erbrechen muss. Und Nicolette? Ihre Schwäche ist ihre Malerei, in der sie vielfach ihre amilie festgehalten hat. Bis auf einem der Fotos ein merkwürdiger Männerumriss in einem der Spiegel auftaucht …

Die einzigen Ausnahmen sind Minette, die kleine Achtjährige, und der verstorbene Golden Retriever Willard. Seit ihrer schweren Erkrankung vor zwei Jahren kann Minette Geister sehen – und deshalb auch den Geist von Willard, dem hilfreichen Hund. Diese Fähigkeit steht nur scheinbar im Gegensatz zu ihrem Realismus, mit dem sie Naomis Schwärmerei unterminiert.

Die Familie Calvino weist also zahlreiche Schwächen auf, über die „Verderbnis“ und der Rabenmann sie angreifen können. Und sie haben Bedienstete, die wiederum Verwandte haben, die wiederum unverhofften Besuch bekommen, nachdem ihr Verhalten eine ungewöhnliche Veränderung aufweist …

|Der Haken|

Calvino ist ein Cop, und als Cop analysiert er Muster. Das Wichtigste ist die Reihenfolge und der Abstand von Blackwoods Taten: 33 Tage. Also rechnet er sich den 10. Dezember als Datum aus, an dem der Rabenmann angreifen wird. Falsch gedacht, erklärt ihm seine Frau. Hätte er nur mal (wie wir) Blackwoods Tagebuch gelesen. Die Reihenfolge Opfer, nach der Calvino rechnet, stimmt nicht. Also ist der Termin schon viel früher. Und warum nicht schon am 20. Jahrestag?

Calvino weiß also, was er zu erwarten hat. Und er weiß auch, wie das aussehen wird. Aber keiner wird ihm glauben, dass die Opfer, die Blackwoods „Pferd“ im städtischen Hospital gefunden und gefordert hat, auf das Konto eines vor 20 Jahren getöteten Geistes gehen. Doch was nützt ihm all dies Vorauswissen schlussendlich? Das ist die Frage, die das nahende Finale so spannend macht. Parallel dazu enthüllt das Tagebuch Blackwoods immer dramatischere Ungeheuerlichkeiten.

Es kommt also auf mindestens zwei Ebenen zu einer Krise, die sich in einem ausgedehnten Kampf im Hause Calvino äußern muss. Darüber werde ich natürlich nichts verraten. Nur so viel: Minette hat seit ihrem Krankenhausaufenthalt etwas aus Lego-Steinen gebaut, das Ähnlichkeit mit einem Rad hat und das nun auf unerwartete Weise zu einem Hilfsmittel wird – für eine Zeitreise …

_Die Übersetzung _

Bernhard Kleinschmidt, der inzwischen standardmäßige Koontz-Übersetzer beim |Heyne|-Verlag, hat hier wieder eine ausgezeichnete Übersetzung abgeliefert. Der Erzählstil klingt natürlich, und Umgangssprache ist kein Tabu, was sich besonders in den Dialogen zwischen den Mädchen bemerkbar macht („Jesses!“).

Allerdings sind Kleinschmidt zwei kleine Fipptehler unterlaufen. Auf S. 215 steht: „Das ist der Moment, indem in Besitz genommen wird.“ Sieht korrekt aus? Falsch gedacht. „indem“ ist ein eigenständiges Wort, das hier aber getrennt geschrieben gehört: „der Moment, in dem“.

Doch das Wort „jüngsteres“ auf S. 420 ist schon auf den ersten Blick nicht ganz koscher. Es geht um das „jüngere“ Mädchen der Calvinos, also Minette. Das „jüngste“ Mädchen wäre nicht korrekt gewesen, denn es ist ein Superlativ, der drei Vergleichsstufen erfordert. Und bei zwei Mädchen gibt es bloß zwei Stufen, also wäre „jüngere“ korrekt.

_Unterm Strich_

Das Inzestmotiv erinnert an Poes klassische Horrorgeschichte über Roderick und Madeleine Usher und ihre tabubrechende Untat, die sich nun, nach Jahren, rächen muss. Auch an Alton Turner Blackwood wurden zahlreiche moralische Verbrechen begangen, vom Inzest über ungeheure Lügen bis zum Tod seiner Mutter. Doch ist dies alles ausreichend, um ihn zum Opfer des Dämons „Verderbnis“ (er könnte auch Beelzebub, Asmodis oder Belial heißen) zu machen?

Diese Frage lässt sich mit Bestimmtheit nur aufgrund der Lektüre von „Die schwarze Feder“ beantworten. Klar ist aber, dass diese Verbrechen den Weg für den Eintritt von „Verderbnis“ gebahnt haben. Und es sollte nicht verwundern, wenn „Verderbnis“ dafür sorgen würde, dass Blackwood, der Rabenmann, sich an seiner Familie rächt und dem ganzen Inzestspuk ein blutiges Ende bereitet. Das wäre dann „Der Untergang des Hauses Blackwood“.

„Der Untergang des Hauses Calvino“ hingegen wird über 400 Seiten lang vorbereitet. Das geschieht in mehreren Stufen, in denen Calvino Gelegenheit hat, das Angriffsmuster zu erkennen (das ihm niemand glaubt), den verbleibenden Abstand bis zum Datum des Angriffs auszurechnen (wobei er sich irrt) und sich mit seiner Familie zu verschanzen (wobei der Feind schon innerhalb der Mauern lauert). Das Finale ist denn auch entsprechend actionreich und gruselig. Als Leser kann man es „in vollen Zügen“ (sogar im ICE) genießen.

|Schwächen|

Was dem europäischen Leser ein wenig sauer aufstoßen dürfte, ist die christlich-moralische Botschaft der Geschichte. „Der Exorzist 2.0“ ist es ja nicht gerade, denn sowohl der Exorzist, der außer Dienst gestellt wurde, als auch dessen Opfer sind längst nicht mehr das, was sie bei [Peter Blatty]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=516 waren. Jeder, der auch nur einigen Dreck am Stecken hat, etwa korrupte Cops oder verkappte Kindermörderinnen, ist ein potentielles „Pferd“, das der Dämon „Verderbnis“ entern und das Blackwood lenken kann.

Und wie es aussieht, ist die US-amerikanische Gesellschaft, die ihre Mittelschicht eliminiert hat, sowohl in den armen wie auch in den reichen Schichten überreif dafür, von „Verderbnis“ übernommen zu werden. Koranverbrennungen, geschändete Muslime, Abu-Ghraib – all diese Vorfälle sprechen Bände. „Verderbnis“ feiert Triumphe, fast jeden Tag.

Dean Koontz fühlt sich bemüßigt, seine – meist ältere – Leserschaft (denn die junge Generation nutzt entweder Facebook, MP3-Player oder e-Reader) explizit darauf hinzuweisen, was mit Amerika nicht stimmt. Das müsste er nicht. Er müsste auch nicht mehrmals rekapitulieren, was geschehen ist. Aber wahrscheinlich hat ihm sein Lektor gesagt, dass er das tun muss, damit seine älteren Leser kapieren, was vor sich geht und nicht den Faden verlieren. O ja, es gibt auch einen Dämon namens „Demenz“. Und auch der feiert traurige Triumphe.

|Info: What the night knows, 2010
472 Seiten plus Leseprobe
Aus dem US-Englischen von Bernhard Kleinschmidt
ISBN-13: 978-3453267350|
http://www.heyne.de

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