Krajewski, Marek – Kalenderblattmörder, Der

Bereits Susanne Goga hat mit [„Leo Berlin“ 1597 bewiesen, dass die Zwanzigerjahre einen durchaus reizvollen Krimi-Schauplatz abgeben. Ein zweiter Autor, der sich dieser Zeit als Hintergrund seiner Romane widmet, ist der Pole Marek Krajewski. Seine Romane um den eigenwilligen Kriminalrat Eberhard Mock spielen dagegen jedoch in Breslau und nicht in Berlin. Doch seine Einblicke in die Gesellschaft und den Geist der damaligen Zeit lassen ein ganz ähnliches Bild entstehen.

Es ist das Jahr 1927, als Kriminalrat Eberhard Mock eine Reihe recht mysteriöser Morde aufzuklären hat. Ein Musiker wird lebendig eingemauert aufgefunden und ein Stadtrat baumelt kopfüber mit einer Klaviersaite befestigt von einem Kronleuchter. Doch dies sind nicht die beiden einzigen Mordfälle, die Mock zu schaffen machen. Was Mock und seinen Kollegen besonderes Kopfzerbrechen bereitet, sind die abgerissenen Kalenderblätter, die der Mörder an den Leichen zurücklässt. Worauf spielt er damit an? Nachdem Mock lange Zeit im Dunkeln tappt, deutet eine Spur bis weit in die Vergangenheit Breslaus …

Derweil plagen Mock aber auch noch ganz andere Probleme. Seine Ehe läuft nicht besonders gut. Mock hat einen Hang zum Alkohol und geht nicht immer ganz sanft mit seiner Frau um – bis selbige ihn eines Tag Hals über Kopf verlässt. Mock versucht herauszufinden, was seine Frau hinter seinem Rücken treibt, und dazu werden auch schon mal die Kollegen zur Observierung der werten Gattin beordert …

Marek Krajewski skizziert das Breslau der 20er Jahre als ein Ort des Umbruchs. Die feine Gesellschaft genießt das Leben in vollen Zügen. Alkohol und Kokain wird dabei gerne mal reichlich zugesprochen und man vergnügt sich auch schon mal mit einer kleinen Orgie. Auch Mocks Frau scheint dem nicht abgeneigt zu sein und sucht den Spaß außerhalb des Ehebettes und der rustikalen Zuneigung des Kriminalrats Eberhard Mock. Die Schilderungen um die Erlebnisse von Mocks Frau spiegeln die Dekadenz der damaligen Oberschicht wider. Hinter den Türen der noblen, gut betuchten Breslauer Bürgerlichkeit tun sich Abgründe auf. Kaum ein Tabu bleibt ungebrochen.

Hinter dieser Dekadenz verbirgt sich aber auch eine zunehmende Verkommenheit, die in vielen Bereichen der Geschichte immer wieder durchschimmert. Alkoholismus ist salonfähig und geradezu alltäglich – auch unter Mocks Kollegen bei der Polizei. Und dass ein Eberhard Mock selbst im Ehebett derart rustikal zu Werke geht, dass das Wort Vergewaltigung keinesfalls übertrieben ist, und er obendrein seinen Posten dazu missbraucht, Kraft seine Amtes seiner Frau hinterherspionieren zu lassen, scheint ebenfalls niemanden zu kümmern. Auch sein Umgang mit Zeugen lässt nicht unbedingt die besten Manieren erkennen.

Das macht es dem Leser bzw. Hörer natürlich alles andere als leicht, den ungehobelten Kriminalrat ins Herz zu schließen. Mock ist kein Sympathieträger und schon gar kein strahlender Held im Dienste der Gerechtigkeit. Er ist ein sperriger Typ, dessen ungehobelte Art einem immer wieder gegen den Strich läuft. Da die Lesung von Hans-Werner Meyer obendrein gekürzt ist, fällt es schwer, sich so richtig auf Eberhard Mock einzulassen, und da er nun mal im Zentrum der Handlung steht, sorgt das für eine Distanz, die man bis zum Ende der Geschichte nicht so recht zu überwinden vermag.

Der Fall an sich ist durchaus spannend erzählt. Tappen Mock und seine Kollegen noch anfänglich komplett im Dunkeln, so offenbart sich mit der Zeit die Möglichkeit, dass die Taten irgendwie mit der Geschichte der Stadt verflochten sind. Und so entwickelt die Geschichte im Laufe der Ermittlungen noch einigermaßen Spannung. Etwas irritierend ist hingegen die Auflösung. Zum Ende hin bleibt einiges auf äußerst unbefriedigende Art offen im Raum stehen, und die mystische Note, die bei dieser Auflösung mitschwingt, hinterlässt einen recht unschönen Nachgeschmack. Dieser „Mystery-Faktor“ ist nicht nur unbefriedigend, sondern wirkt auch unstimmig.

Die 20er Jahre sind an sich eine verlockende Zeit voller Gegensätze, die einen hervorragenden Hintergrund für einen Roman abgibt. Ich hatte mir von diesem Hörbuch aber dennoch etwas mehr Atmosphäre erhofft. In der Kürze des Hörbuchs (gerade mal zwei CDs gegenüber 336 Buchseiten), scheint genau diese nämlich etwas auf der Strecke zu bleiben. Man merkt der Geschichte an, dass hier fleißig gekürzt wurde, und das ist sehr schade.

Hans-Werner Meyer macht als Erzähler seine Sache allerdings sehr gut. Er versteht sich darauf, die unterschiedlichen Figuren mit unterschiedlichen Stimmen zu lesen und lässt so im Kopf des Hörers ein Bild der unterschiedlichen Figuren entstehen.

Bleibt unterm Strich ein mittelmäßiger Eindruck zurück. Hans-Werner Meyer macht seine Sache als Vorleser sehr gut, wohingegen die Geschichte etwas zu straff erzählt scheint. Zu einer ohnehin schon so sperrigen Figur wie Eberhard Mock kann man so kaum eine Beziehung aufbauen, und daher bleibt in jedem Fall eine große Distanz zwischen Hörer und Figuren bestehen. Der Fall an sich ist zwar spannend, die mystische Note, die nach der Auflösung noch vieles im Unklaren lässt, stört hingegen.

Somit ist „Der Kalenderblattmörder“ leider nur ein allenfalls durchschnittliches Hörvergnügen. Im Zweifelsfall kann es also vielleicht sinnvoller sein, bei Marek Krajewski direkt zum Buch anstatt zum Hörbuch zu greifen.

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