Sarah Kuttner – Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens

Man kann sie lieben oder hassen, aber man kann ihr ihren Erfolg nicht absprechen. Sarah Kuttner hat es geschafft. 2001 begann sie ihre Fernsehlaufbahn als lausige |Viva|-Moderatorin zwischen lauter pseudowitzigen, jungen Menschen, doch konnte sie sich schon bald durch ihre freche Art von den anderen – und vom Image des Senders – absetzen. 2004 bekam sie schließlich ihre eigene Show, die nach der Fusion mit |MTV| dort ihren Platz fand und seit Herbst unter dem Titel „Kuttner.“ dienstags und donnerstags läuft. Außerdem moderierte die siebenundzwanzigjährige Ostberlinerin 2004 den deutschen Vorentscheid des „European Vision Song Contest“ und hat im letzten Jahr bereits zum zweiten Mal ihre eigene Revue „Kuttner on Ice“ zelebrieren dürfen.

Jetzt also ein Buch. Ein Buch?, schreit die Bevölkerung und der Kuttner-hassende Teil versucht, bei drei auf dem Baum zu sein. Ja, tatsächlich ein Buch mit dem griffigen Titel „Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens“ – allerdings kein richtiges, sondern vielmehr eine Sammlung von Kolumnen, die Sarah in der Zeit von November 2004 bis Dezember 2005 in der Süddeutschen Zeitung und dem Musikexpress geschrieben hat.

„Dein Lieblingskleidungsstück im Moment?
Ein falscher selbst gestrickter Bart. Ist aber zum Auf-der-Straße-Tragen ungeeignet. Kommt aber toll, wenn man ihn auf Medienhirni-Events, Halbprominententreffen oder bei anderen festlichen Anlässen mit einer Secondhand-Schärpe oder einem schönen Diadem kombiniert.“ (Seite 134)

Den Großteil des Buches nehmen die SZ-Kolumnen ein, die wiederum keine wirklichen Kolumnen sind. Vielmehr stellt man Sarah jedes Mal eine Reihe von Fragen, auf die sie in ihrer charmant-flapsigen Art antwortet. Themen sind neben aktuellen politischen und Weltereignissen das Berliner Geschehen, die Promiszene, Privates und allerlei Sinnloses, auf die sie in wenigen Absätzen eingeht. Vorteilhaft ist, dass sie nicht ausschweift, was Kuttnerhasser ja besonders stört, sondern knapp und auf den Punkt gebracht die kleinen Ausflüge in die Kuttnerschen Seelenabgründe formuliert. Dabei hält sie es mit der Wahrheit nicht besonders genau und spinnt sich eine ironiebeladene Welt zusammen, die ganz dreist alles auf die Schippe nimmt.

„Generell bastele ich mir – aus politischem Kaufverzicht – ja viel selbst: Handtücher schneide ich aus alten Bettlaken selbst, Kochtöpfe werden aus allen Dosen zusammengelötet, und aus meiner Katze habe ich mir gerade einen Hausschuh gemacht. Für den zweiten muss ich erst noch ne zweite Katze kaufen.“ (Seite 137)

Sarah geht dabei erfrischend dreist und bissig vor und sorgt auf der einen oder anderen Seite des 186 Seiten starken Bändchens für Lacher. Sie blödelt herzlich unpolitisch herum und durch die kurze und knackige Textvariante wird ihr burschikoser Humor noch eine Spur schärfer und gehässiger.

„Zahnärzte sind halt wie Großeltern: Man besucht sie nur, wenn man was will, und bekommt dann noch nicht mal, was man sich gewünscht hat.“ (Seite 70)

Wie aus ihrer Show bekannt, benutzt Mademoiselle Kuttner eine Menge Wortwitz und zieht den gelageähnlichen Gebrauch von Anglizismen in den Dreck. Doch daneben kann sie in schriftlicher Form mit dem einen oder anderen Stilmittel glänzen. Metaphern, Vergleiche und Beschreibungen, die allesamt nicht ganz ernst gemeint sind, bringen die Würze ins Lesevergnügen. Die SZ-Kolumnen in „Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens“ sind vielleicht nicht gerade Deutsch-LK-geeignet, aber ein netter Zeitvertreib für den Germanistikamateur.

Doch leider hat der begeisterte Leser auch einen Wermutstropfen zu schlucken: 27 Seiten Musikexpress-Kolumnen, die sich hauptsächlich mit „popkulturellen Phänomenen“ (Fernsehserien, Coverversionen, Festivalgänger) beschäftigen. Während der erste Teil des Buches im Interview-Stil geführt wird, geht es im zweiten ums freie Schreiben, und das beherrscht Frau Kuttner dann wohl doch nicht so gut wie schlagfertige Antworten. Die ein- bis dreiseitigen Texte sind nicht unbedingt schlecht, aber der passionierte Hasser wird sie wohl verächtlich „Showgesabbel“ nennen, dem es an Inhalt, Witz und Knackigkeit fehlt. Das bedeutet nicht, dass man sie nicht auch mit viel Freude lesen kann, doch an die SZ-Kolumnen kommen sie nicht heran.

Insgesamt ist „Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens“ eine wirklich amüsante Angelegenheit mit viel (Wort-)Witz und der einen oder anderen rhetorischen Höchstleistung. Über die Notwendigkeit von Kolumnensammlungen lässt sich natürlich streiten. In der SZ hatte das lustige Frage-Antwort-Spiel sicherlich dank des aktuelleren Bezugs mehr Reiz, quasi das Sahnehäubchen auf dem Frühstückskaffee bzw. die irische Butter aus der Milch von freilaufenden Kühen auf dem luftigen Croissant. Die Kollektion hat dagegen den Vorteil, dass man sie sich besser ins Regal stellen kann und die Artikel nicht mehr ausschneiden und in ein Buch kleben muss.

Allerdings wären ein paar Specials toll gewesen. Die Collagen von Peter Pannes, die ab und an ein Gastspiel haben, sind eher überflüssig. Stattdessen wäre etwas mehr Information zur Autorin, vielleicht nicht nur auf dem Klappentext, nett gewesen.

In diesem Sinne: Auf die nächsten hundert Jahre SZ und zum Abschluss noch ein Zitat aus diesem wunderbaren Büchlein, weil das Darauszitieren so viel Spaß macht!

„Wenn du Taxi fährst, sitzt du dann vorne oder hinten?
Ich sitze hinten, damit ich nicht zugequatscht werde. Mittlerweile haben die Taxifahrer das aber durchschaut und lassen sich in Weiterbildungsseminaren das Nach-hinten-Quatschen beibringen. Außerdem sprühe ich hinten immer alles mit Graffiti voll. Einmal Hiphop, immer Hiphop.“ (Seite 67)

Taschenbuch: 192 Seiten
www.fischerverlage.de