Chris d’Lacey – Feuerträne (Drachentrilogie 01)

Snigger und viele geheimnisvolle Ton-Drachen

Als der Student David in den chaotischen Künstlerhaushalt von Liz Pennykettle und ihrer Tochter Lucy zieht, spürt er sofort, dass dort etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Welches Geheimnis die beiden vor ihm zu verbergen versuchen, begreift er jedoch erst, als er Bekanntschaft mit Gadzooks macht, einem ganz besonderen Drachen. (Verlagsinfo)

Der Autor

Der englische Kinderbuch-Autor Chris d’Lacey wurde am 15. Dezember 1954 in Malta geboren. Er begann erst spät mit dem Schreiben. Mit 32 schrieb er seine erste Kindergeschichte, sieben Jahre später für einen Wettbewerb die zweite: „A Hole at the Pole“. Er gewann zwar damit nicht, konnte aber einen Verleger dafür finden. Er erhielt für seine Kinderbücher zahlreiche Auszeichnungen. Sein Debütroman „Fly, Cherokee, Fly“ wurde für die renommierte |Carnegie Medal| nominiert. Chris d’Lacey lebt heute mit seiner Frau Jay und seiner Taube Scruffy in Leicester. In seiner Freizeit spielt er E-Gitarre. Er behauptet, er habe 15 Jahre lang über diese Geschichte nachgedacht, bevor er sie endlich zu Papier brachte. Mehr Info findet sich auf seiner Homepage: http://www.icefire.co.uk.

Die Drachentrilogie:

1) Feuerträne (2001)
2) Eisflamme (2003)
3) Feuerherz (2005)

Die Serie „Dragons of Wayward Crescent“

– Gauge (2008)
– Gruffen (2008)

Handlung

David Rain ist ein 20-jähriger Geografie-Student an der englischen Uni von Scrubbley und findet im Haus der Künstlerin Liz Pennykettle ein Zimmer zur Untermiete. Liz und ihre elfjährige Tochter Lucy scheinen ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Drachen aus Ton zu bestreiten, die sie auf dem Markt feilbieten. Als sie ihm ihr Atelier zeigt, staunt er über die Regale voller kleiner Tondrachen. Sie tragen interessante Namen wie Gawain und Gwendolen, haben strahlend grüne (und manchmal violette) Augen, zudem scheinen sie ab und zu ein Geräusch wie „Hrrr!“ zu verursachen. Aber das ist bestimmt bloß eine Sinnestäuschung, sagt er sich. Dass nirgends ein Brennofen zu sehen ist, fällt ihm erst später auf.

Liz und Lucy bieten ihm an, selbst einen der Drachen zu bekommen. Aber sie stellt eine seltsame Bedingung: „Wenn du diesen Drachen haben möchtest, musst du versprechen, ihn niemals zum Weinen zu bringen“, sagt Lucy. David streichelt die Schnauze des Drachen mit dem Daumen und runzelt die Stirn. „Die Frage klingt vielleicht ein bisschen blöd, aber wie kann man einen Drachen aus Ton zum Weinen bringen?“ Durch weitere Ereignisse merkt er, dass es mit den Drachen eine besondere Bewandtnis hat. Seinen Drachen nennt er Gadzooks oder kurz Zookie. Die Tonfigur trägt wie er eine Brille und hält einen Stift über einen Notizblock.

Lucy ist ein kleiner Wirbelwind, vorlaut, impulsiv und ohne jedes Gefühl für Takt. Manchmal ist ihre Mutter in der Nähe, um das Schlimmste zu verhüten, doch Liz kann nicht überall sein. Lucy merkt, dass David Geschichten erzählen kann ,und drängt, eine schöne Gutenachtgeschichte für sie zu schreiben. Und zwar über ihr verschwundenes Eichhörnchen Conker (engl. „conker“ = Kastaniensamen). Sie macht sich schreckliche Sorgen um das kleine Tier, denn es ist auf einem Auge blind. David muss Lucy versprechen, nach Conker zu suchen und sich um ihn zu kümmern. Und dann eine Geschichte mit glücklichem Ausgang zu erzählen. Eine Menge Aufgaben.

In der Bibliothek von Scrubbley stößt er auf den schrecklichen Mr. Bacon, der der mürrische Nachbar der Pennykettles ist. Mr. Bacon hält Eichhörnchen für eine Landplage, die ausgetilgt gehört. Das findet David nicht, und im Garten der Bibliothek stößt er auf eine ganze Reihe dieser possierlichen Tierchen. Eines davon schaut David direkt an und scheint ihn ANZUGRINSEN. Wie es wohl heißen mag, fragt sich David. Er denkt an Gadzooks und vor seinem geistigen Auge schreibt sein Drache einen Namen: SNIGGER. David findet, das sei ein passender Name.

Wieder zu Hause merkt er, dass Mr. Bacon eine Rattenfalle baut – mitsamt Bewegungsmelder. Wow, ein technisches Wunderwerk! Aber was, wenn Bonington, die Katze von Liz und Lucy, zufällig in die Falle gerät? Er weist Mr. Bacon darauf hin, doch der wischt den Einwand beiseite. David beschließt,mit Lucys Hilfe eine eigene Falle zu bauen, um die Eichhörnchen, wenn sie auftauchen, vor Mr. Bacons Monsterfalle in Sicherheit bringen zu können. Tatsächlich tauchen schon bald Snigger und ein halb blindes Eichhörnchen im Garten der Pennykettles auf. Jetzt flüstert ihm Gadzooks einen Gedanken ein: NUSSMONSTER. Aha, denkt David, der Titel meiner Geschichte wird „Snigger und das Nussmonster“ lauten.

Als David ein Krächzen über sich hört und eine Krähe erspäht, notiert Gadzooks einen Namen für das Tier: CARACTACUS. Noch eine Figur für seine Geschichte! Und es kann nur so sein, dass der arme Conker sein Auge durch die Krähe eingebüßt hat. Die Geschichte wird länger und Lucy zufriedener.

Doch Liz weist ihn darauf hin, dass er seinen Drachen schlecht behandle. Das wundert David. Was für einen Unterschied sollte es für Gadzooks machen, ob er auf dem Bücherregal oder auf dem Fensterbrett sitzt? Liz gibt ihm ordentlich Bescheid. David vergräbt das Gesicht in den Händen. Ich lebe in einem Irrenhaus, denkt er. Ich lebe bei Leuten, die Drachenpocken bekommen und davon überzeugt sind, dass ein Stück Ton gerne in den Garten hinaussieht. Was mache ich hier eigentlich?

Doch es soll noch viel schlimmer kommen. Denn David muss noch viel über Drachen und das Leben lernen, findet Liz.

Mein Eindruck

Mit seinem Debütroman hat der britische Autor Chris d’Lacey zwei erstaunliche Erfolge errungen: einen interessanten und anrührenden Kinderroman sowie einen neuen Drachenmythos, wie man ihn bislang noch nie gelesen hat.

Die Hauptfiguren des Kinder- und Jugendromans sind klar: Das ist die quirlige Lucy, die zwar elf Jahre alt sein soll, sich aber meist benimmt, als wäre sie erst fünf. Sie brüllt herum, quengelt zum Steinerweichen, und sobald sie sich fürchtet, schlüpft sie sofort an die Brust ihrer Mutter, um getröstet zu werden. Liz hingegen ist sowohl resolut gegen sie und David als auch poetisch. Sie ist ein Wesen mit einem Geheimnis, das auch am Ende des Buches noch nicht ganz enthüllt sein wird.

David soll zwar 20 Jahre alt sein, doch er handelt unerfahren wie ein Vierzehnjäger. Das macht ihn anfällig für die Wünsche und Forderungen der jungen Lucy. Aber dafür ist er auch noch lernfähig und formbar wie der Ton, aus dem die Drachen sind. Sobald er seine Ader für das Geschichtenerzählen entdeckt hat, bemüht er sich wirklich, die Geschichte vollständig zu erzählen. Das ist Lucy natürlich nicht genug, die unbedingt ein Happy End haben will. Aber weil er seinen Inspirationsdrachen Gadzooks traurig gemacht hat, will ihm ums Verrecken kein Ende einfallen. Er muss noch viel lernen.

Auftritt Sophie von der Tierauffangstation. Sie ist ungefähr in Davids Alter und hübsch, wenn auch ein wenig schüchtern. Lucy posaunt sofort hinaus, dass sich David in Sophie verliebt habe. Er weiß, es wäre eh zwecklos, dies abzustreiten. Nach einer Weile des Umgangs mit Sophie und den Eichhörnchen, die sie pflegt, merkt er, wie er ihr gegenüber die Drachen im Pennykettle-Haus verteidigt. Die seien wirklich lebendig. Nur, dass sie sich nicht bewegen, sobald man sie anschaut. Das überzeugt Sophie nicht so richtig.

Aber Sophie und Davids Einsatz für den armen, halb blinden Conker ist ein Akt der Liebe: zu den Tieren, aber auch zu Lucy – und füreinander. Ihre Aktionen, das hat David inzwischen von Liz gelernt, sind ein Spiegelbild der Drachenmythos, den sie ihm erzählt. Darin versucht Gwendolen (lies: Liz), den letzten Drachen Gawain vor dem Tod zu bewahren. Sie muss verhindern, dass er eine Feuerträne vergießt, die verlorengehen könnte. Wenn das passiert, ist Gawain für immer verloren. Diese Feuerträne aufzufangen, erfordert also einen Akt der Liebe. Und wie sich herausstellt, muss auch David die Feuerträne, die Gadzooks seinetwegen vergießt, auffangen.

So viele Lektionen, die David und Sophie lernen müssen. Aber ob dies wirklich hilft, den todkranken Conker zu retten? Auch Lucy muss ihre Lektion lernen, dass der normale Lauf der Natur keineswegs der ist, den sie sich unter einem „glücklichen Ende“ vorstellt.

Die Illustrationen

Nora Nowatzyk hat die vielen großen und kleinen, meist filigranen Drachen gezeichnet, die über das Buch verstreut sind. Jede Seite ist mit einem gezackten Ringelschwanz geschmückt, so dass die Seitenränder an einer Stelle ein durchgehendes graues Band aufweisen. Ihre schönste Arbeit jedoch ist das Titelbild. Es zeigt einen grünen Drachen, der gerade eine Feuerträne vergießt. Der Schriftzug des Titels sieht golden aus, ebenso der auf dem Rücken.

Unterm Strich

Mehr als einmal war ich verwirrt darüber, wohin die Geschichte denn nun steuert. Zu häufig scheint es sich nur um Eichhörnchenschicksale zu drehen. Doch das ist nur die durchgehende Geschichte im Vordergrund. Eine zweite die Geschichte innerhalb dieser Geschichte: „Snigger und das Nussmonster“. Davids Aufgabe ist es, dafür einen guten Schluss zu finden. Das eine ist untrennbar mit dem anderen verbunden.

Der zweite Komplex von Realität und Geschichten hat die Drachen im Hause Pennykettle zum Mittelpunkt. Sie kommen erst ganz allmählich zum Vorschein. Zunächst scheinen sie nichts mit den Eichhörnchen zu tun zu haben, doch David muss erkennen, dass sie sehr wohl die Beschützer von Lucy und den Eichhörnchen sein könnten. Wie genau sie das machen, bleibt aber ihr Geheimnis. Dieses wird hoffentlich in den zwei Folgebänden enthüllt. Dass Drachen sich telepathisch verständigen könnten, ist nun nicht gerade neu. Aber dass Liz aussieht wie Gwendolen und David wie Gadzooks, sollte uns doch zu denken geben …

Wenn die unplausible Psychologie von Lucy und David nicht wäre, die er beide viel jünger als ihrem biologischen Alter angemessen agieren lässt, wäre dieser ungewöhnliche Jugendroman makellos. Ich habe ihn jedenfalls in nur wenigen Tagen mit Vergnügen und Neugier gelesen.

318 Seiten, gebunden mit Folienprägung und Lesebändchen
Originaltitel: The Fire within, 2001
Aus dem Englischen von Petra Koob-Pawis
Illustriert von Nora Nowatzyk.
Empfohlen ab 10 Jahren.
ISBN-13: 978-3-8157-6779-5

http://www.coppenrath.de

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