Hap Collins und Leonard Pine stehen auf der untersten Sprosse der Leiter, die im US-Staat Texas die gesellschaftliche Rangordnung symbolisiert. Pine ist nicht nur schwarz, sondern auch schwul, Collins gehört zum „White Trash“. Normalerweise müssten sie einander spinnefeind sein, doch sie sind seit Jahren dicke Freunde.
Ihr Leben in Armut fristen sie als schwer arbeitende und schlecht bezahlte Tagelöhner auf staubigen Feldern. Das Leben als soziale Außenseiter hat sie geprägt. Offensichtliche Kriminalität ist ihnen zwar fremd, doch in den Grauzonen des Gesetzes bewegen sie sich ungezwungen.
Deshalb horchen sie interessiert auf, als Trudy, Haps Ex-Frau, ihnen die Geschichte eines Bankräubers erzählt, der seine reiche Beute in der texanischen Wildnis verstecken konnte, bevor ihn die Polizei erwischte. Kürzlich ist er in der Gefängniszelle gestorben, die er mit Trudys aktuellem Lebensgefährten Howard teilte. Zuvor hatte er die dürftigen Erinnerungen an den Platz geteilt, wo er das Geld versteckt hat. Diesen Schatz wollen Trudy und Howard gemeinsam mit ihren Komplizen Chub und Paco nun heben.
Trudy weiß, dass Hap die Gegend, in der das Versteck liegen muss, sehr genau kennt. Mehr als eine ausgiebige Suche im sumpfigen Wald scheint unseren Schatzsuchern nicht bevorzustehen. Freilich verschweigt die durchtriebene Trudy mit Bedacht, dass sie und ihre Spießgesellen keineswegs daran denken zu teilen. Vom Regen geraten unsere beiden Pechvögel allerdings erst recht in die Traufe, als die unbedarften Möchtegern-Revolutionäre an einen echten Gangster geraten, für den Folter und Mord zum Tagesalltag gehören. Mitgefangen – mitgehangen: Die hässliche Wahrheit dieses alten Sprichworts müssen Hap und Leonard buchstäblich am eigenen Leib erfahren …
„Funny Crimes“ nennt sich die Reihe, die der |Shayol|-Verlag 2006 ins Leben rief. Das ist keine wirklich glückliche Namenswahl, denn spaßig im eigentlichen Sinn ist zumindest „Wilder Winter“ nicht. Gemeint ist stattdessen wohl eine gewisse Unorthodoxie in Handlung, Figurenzeichnung und Stil, die Romane wie diesen aus dem Einerlei des ‚klassischen‘ Krimis herausheben.
Diese Dreifaltigkeit lässt sich hier in der Tat rasch feststellen. Autor Lansdale verstößt genussvoll vorsätzlich gegen die üblichen Konventionen des Genres. Der große Coup, der hier versucht wird, ist ein unausgegorenes Projekt, das von denkbar untauglichen Zeitgenossen möglichst ungeschickt angegangen wird.
Helden oder wenigstens attraktive Schurken sucht man in dieser Geschichte vergeblich. Verzweifelte Außenseiter tun sich zusammen, um endlich ihren Zipfel der Wurst zu schnappen, den ihnen das Schicksal bisher vorenthalten hat. Die Turbulenzen innerhalb dieser Gruppe sind mindestens so spannend wie die Jagd nach dem verlorenen Geldschatz, weshalb Lansdale ihnen die erste Hälfte des Romans widmet. Der Verfasser weiß meist genau, was er macht; er stellt die Weichen für ein Geschehen, das zwangsläufig zum Scheitern des Unternehmens führen muss – wobei sehr deutlich wird, dass dieses Scheitern nicht ohne Überraschungen und Gewalt stattfinden wird. Nur manchmal gehen ihm die Pferde durch; so wirkt die Lebensbeichte des Ex-Terroristen Paco unnötig ausführlich und singt allzu laut das Klagelied vom Hippie, der seinen Weg verlor. (Die 1960er Jahre bzw. ihre Folgen und ihr Scheitern liegen dem Verfasser am Herzen, wie er in einem aufschlussreichen Interview erläutert, das diesem Roman angehängt ist.)
Hart ist das Leben dort, wo kein soziales Netz dich abfängt, solltest du ins Stolpern geraten. Hap Collins kann ein Lied davon singen. Er hatte vergessen, dass die Wörter „Idealist“ und „Idiot“ nicht nur ähnlich klingen, als er in den 1960er Jahren versuchte, die Welt zu retten. Während die meisten anderen Blumenkinder den Absprung rechtzeitig schafften, glaubte Hap tatsächlich an seine Ideale und geriet in die Mühlen des Establishments, das sich keineswegs bezwingen ließ. Als Hap das endlich begriffen hatte, war er ein Ex-Sträfling ohne Ausbildung, geschieden und pleite. Für ihn gab es keinen „Amerikanischen Traum“ mehr.
Leonard Pines hat nie ähnliche Anwandlungen gespürt; einem schwarzen und schwulen Mann bleibt in Texas keine Zeit dafür. Mögliche weiche Stellen sind seit seinem Vietnam-Einsatz endgültig verschwunden; Pines ist ein eisenharter Kerl, an den sich die Rednecks nicht einmal im Rudel zu vergreifen wagen. Deutlich intelligenter als Hap Collins, hat Pines die Rolle des ‚großen Bruders‘ übernommen, der seinen Freund und „Buddy“ stützt, wenn Ärger, Liebeskummer oder andere Nackenschläge des Lebens diesen wieder einmal taumeln lassen. Trotz seines abweisenden Äußeren hat Pines ein großes Herz. Wider besseres Wissen lässt er sich deshalb auch in das aktuelle Abenteuer verwickeln, obwohl er von Anfang ahnt, dass an der Sache etwas faul ist.
Trudy manipuliert die Männer meisterlich und ohne Skrupel; es ist ihre Methode, sich aus dem Dreck zu ziehen. Bisher hat es nicht geklappt, da sie sich stets an Schwächlinge und Versager gehängt hat. Dieses Mal geht Trudy aufs Ganze; sie spürt, dass ihre große Zeit als Verführerin sich dem Ende zuneigt, und will einen Neuanfang erzwingen. Dafür muss sie gleich mehreren, durchaus misstrauischen Männern Sand in die Augen streuen, aber das traut sie sich zu, bis sie sich letztlich verkalkuliert.
Der beste Plan kann scheitern, weil er die menschliche Natur nicht berücksichtigt. Leonard stichelt gegen Trudy, die wiederum mit Haps und Howards Eifersucht zu kämpfen hat. Chub ist ein weichhirniger Schwächling, der vielleicht ein wenig zu oft getreten wurde und sich nicht mehr krümmen will. Hinter Paco verbirgt sich ein als Staatsfeind gesuchter Terrorist, der womöglich der Gewalt nicht so sehr abgeschworen hat, wie er vorgibt.
Da auf dieser holprigen ‚Schatzsuche‘ ohnehin schiefgeht, was schiefgehen kann, kochen die Emotionen bald gefährlich hoch. Weder die Kälte des Winters, der Fluss oder der Sumpfwald können es an Brisanz mit den Konflikten aufnehmen, die zwischen den ‚Gefährten‘ auflodern. Man streitet meisterlich, während die kriminellen Instinkte eher unterentwickelt sind. Als mit „Soldier“ und seiner Partnerin „Angel“ zwei ‚richtige‘ Schwerkriminelle die Szene betreten, ist Schluss mit lustig.
Vor allem Soldier ist eine interessante Figur, die Quentin Tarentino erfunden (oder wiederentdeckt) haben könnte – ein Drogendealer, Mörder und Wahnsinniger, der sich jovial gibt und Vorträge über Lebensart oder menschliche Werte hält, um dir im nächsten Augenblick einen Stahlnagel durch die Hand jagen zu lassen. Soldier ist unberechenbar und scheint übermächtig zu sein. Als Hap und Leonard sich gegen ihn stellen, mutieren sie nicht plötzlich zu unüberwindlichen Kampfmaschinen. Der finale Kampf ist brutal, dreckig, und auch sein Ausgang ignoriert die bekannten Hollywood-Routinen. Autor Lansdale geht seinen eigenen Weg – unbeirrt bis zum letzten Satz. Als Leser schließt man ein Buch, das erfrischend ‚anders‘ ist als der künstlich bestsellererisierte Einheitsbrei, mit dem einen die Werbung und die Buchhandelsketten anschmieren möchten.
Joe Richard Harold Lansdale wurde 1951 in Gladewater im US-Staat Texas geboren. Als Romanautor trat er bereits 1972 in Erscheinung. Mitte der 1970er Jahre begann er sich verstärkt der Kurzgeschichte zu widmen. Auch hier stellte sich der Erfolg bald ein. Lansdale wurde ein Meister der kurzen, knappen Form.
Texas, sein Heimatstaat, war und ist die Quelle seiner Inspiration – ein weites Land mit einer farbigen Geschichte, erfüllt von Mythen und Legenden. Lansdale ist fasziniert davon und lässt die reale mit der imaginären Welt immer wieder in Kontakt treten. Deshalb kann es durchaus geschehen, dass dessen Bewohner Besuch vom Teufel und seinen Spießgesellen bekommen. Es könnten auch Außerirdische landen: Generell liebt es Lansdale, mit den Genres zu spielen.
Stilistisch beeindruckt Lansdale durch die absolute Beherrschung seines Handwerks. Mit nüchternen Worten vermag er zu zaubern, seine Leser träumen, sich fürchten oder traurig sein zu lassen. Unmittelbar kann einer Tragödie eine groteske Episode folgen, die der Verfasser mit knochentrockenem Humor und rabenschwarzem Witz zum Besten gibt: Dies nennt der Verfasser „Mojo-Storytelling“ – die Kunst, es auf die Spitze zu treiben.
Der Effekt ist unwiderstehlich, spaltet aber auch das Publikum: Lansdale-Geschichten liebt man oder hasst sie. Dazwischen scheint es nichts zu geben, was durchaus eine Form von Anerkennung ist. Ein Durchschnittsschreiber für Leser, die vor allem die Variation des Bekannten suchen und das Spektakuläre meiden, ist Lansdale sicherlich nicht. Dies wurde mit einer langen Reihe begehrter Literaturpreise honoriert. Allein der „Bram Stoker Horror Award“ wurde Lansdale fünfmal verliehen.
Nach zwei Lansdale-Kurzgeschichten entstanden Kurzfilme („Drive-In Date“, „The Job“). Kultstatus erreichte Don Coscarellis Verfilmung (2002) der Story [„Bubba Ho-Tep“:]http://www.powermetal.de/video/review-1152.html Ein alter Elvis Presley und ein farbiger John F. Kennedy jagen eine mordlustige Dämonenmumie. Lansdale schrieb außerdem Drehbücher für diverse Folgen der Serien „Batman: The Animated Series“ und „Superman: The Animated Series“.
Der private Joe R. Lansdale lebt mit seiner Frau Karen und den Kindern heute in Nacogdoches, gelegen selbstverständlich in Texas. Er schreibt fleißig weiter und ist auch als Herausgeber von Kurzgeschichtenanthologien sehr aktiv. Außerdem gehören Lansdale einige Kampfsportschulen, in denen diverse Künste der Selbstverteidigung gelehrt werden. In diesen ist Lansdale ein anerkannter Meister, der mehrere Titel hält.
http://www.shayol.de/
|Siehe ergänzend dazu auch die Rezension zu [„Sturmwarnung“. 2107 |