Larsson, Åsa/Asa – Bis dein Zorn sich legt

_Tödliches Geheimnis unterm Eis_

Ein unbeschwertes Liebespaar: Im Sommer haben sie beim Tauchen ein Flugzeugwrack entdeckt. Jetzt ist der Vittangjärvi-See zugefroren. Niemand stört sie, als sie ein Loch in das dicke Eis sägen und sich in die Tiefe hinunterlassen. Niemand? Plötzlich ein geisterhafter Schatten: Die Markierungsleine wird gekappt, die Öffnung ins Freie durch eine Holztür versperrt. Die beiden haben keine Chance.

Die Polizistin Rebecka Martinsson übernimmt den Fall. Schnell wird klar, dass das Paar einem Geheimnis auf der Spur war. Das Flugzeug ist nämlich eine deutsche Junkers aus dem II. Weltkrieg. Was mag sie wohl bergen? Rebecka entdeckt ein gefährliches Netz aus Schuld, Angst und Verrat, in das die Bewohner ihres Heimatortes verstrickt sind. Und eine Geschichte, die nicht vergehen will.

_Die Autorin_

Åsa Larsson wurde 1966 in Kiruna geboren. Sie arbeitete als Steueranwältin, bis sie beschloss, Autorin zu werden. Mit ihrem ersten Krimi „Sommersturm“, der 2003 ausgezeichnet wurde, machte sie in Schweden Furore. Der zweite Roman „Weiße Nacht“ erhielt den Schwedischen Krimipreis 2004 und stand lange auf der Bestsellerliste.

Mehr von Åsa Larsson auf |Buchwurm.info|:

[„Weiße Nacht“ 3918
[„Der schwarze Steg“ 4919

_Die Sprecher_

Nina Petri gab ihr Schauspieldebüt in der TV-Serie „Rote Erde“ und war seitdem in vielen Erfolgsfilmen zu sehen, unter anderem in „Lola rennt“ und „Emmas Glück“. Sie wurde mit dem Bayerischen Filmpreis und dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet.

Ulrike Grote spielte nach der Schauspielausbildung im Ensemble des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg und an der Wiener Burg. Seit 2001 ist sie in diversen Film- und Fernsehrollen zu sehen, wie etwa „Das Kanzleramt“ und „Tatort“. Seit 2003 arbeitet sie auch als Regisseurin. Für ihren Kurzfilm „Ausreißer“ gewann sie 2005 den Internationalen Studenten-Oscar in der Kategorie Bester ausländischer Film; ein Jahr später erhielt der Kurzfilm eine Oscar-Nominierung.

Stephan Schad, 1964 in Pforzheim geboren, lernte an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. Danach spielte er auf verschiedenen deutschen Bühnen und gehört seit 1998 dem Ensemble des Hamburger Thalia-Theaters an. Außerdem arbeitet Schad für Film und Fernsehen sowie als Sprecher. Für |Hörbuch Hamburg| hat er unter anderem von Alan Weisman „Die Welt ohne uns“, von Rolf Lappert „Nach Hause schwimmen“ (mit Peter Jordan) und von Anna Gavalda [„Alles Glück kommt nie“ 5414 (mit Nina Petri) gelesen.

Bei den Aufnahmen in den Eimsbütteler Tonstudios führte Gabriele Kreis Regie.

_Handlung_

Dies erfahren wir von dem schwebenden Geist, der uns die Geschichte erzählt …

Am 9. Oktober fahren sie, die 17-jährige Wilma, und ihr Freund Simon, 18, zu dem zugefrorenen See, um zu tauchen. Sie vermuten, dass im See das Wrack eines deutschen Flugzeugs der Wehrmacht liegt, das vom schwedischen Kiruna nach Norwegen wollte. Das Wrack liegt zwar in nur 17 Metern Tiefe, aber dort unten ist es stockdunkel, findet Wilma.

Nur die Sicherheitsleine verbindet sie und den ins Wrack tauchenden Simon mit Licht und Luft. Sie haben die Leine an einem Holzkreuz befestigt, das über dem Luftloch in der Eisdecke liegt. Plötzlich merkt sie, dass die Leine schlaff wird und zu ihr herunterfällt. Als sie auftaucht, liegt eine Tür über dem Luftloch und jemand steht darauf. Ihr geht der Sauerstoff aus, als der Atemregler vereist. Welcher Wahnsinnige hat ihr den einzigen Ausgang zum Leben versperrt?

Es ist Donnerstag, der 16. April, als Östen Marjavaara aus dem Eisloch im Fluss Wasser holen will und eine Leiche entdeckt. Sie steckt in einem Taucheranzug. Östen alarmiert die Polizei. Staatsanwältin Rebecka Martinsson ist in ihr Elternhaus in der Heimat zurückgekehrt und schläft wie ein Murmeltier. Bis sie um vier Uhr morgens von einem jungen Mädchen geweckt wird, dem Wasser aus Mund und Nase läuft. Es sagt: „Es war kein Unfall, ich bin nicht im Fluss gestorben, er hat mich hingetragen.“ Dann läuft die Gestalt weg. Rebecka erwacht. Nur ein Traum.

Am nächsten Tag steht Rebecka neben den zwei Polizisten Sven Erik Skolnake und Annamaria Mälla. Die Leiche der jungen Frau sei schon ziemlich angeknabbert, lag also schon lange im Wasser. Das Auto der Taucherin habe man gefunden, aber man vermisse noch ihren Begleiter. Seltsam ist nur, dass der Tank fast leer ist. Die Taucher hätten es nicht mal bis zur nächsten Tankstelle geschafft. Mälla benachrichtigt die achtzigjährige Anni, die Urgroßmutter Wilma Perssons. Rebecka erfährt bei der Obduktion, dass sich unter Wilmas Fingernägeln grüne Lackreste befinden. Als ob sie an lackiertem Holz gekratzt hätte. Der Gerichtsmediziner ist erstaunt, als sie ihn fragt, ob er feststellen könne, ob Wilma woanders als im Fluss gestorben sei. Eine Woche später kann er dies bestätigen: Wilma starb in einem See.

Von ihrem Nachbarn erfährt Rebecka , dass im Dorf, wo Wilma bei Anni lebte, die Fuhrunternehmerfamilie Kräkola eine despotische Herrschaft ausübe. Doch vor einer Woche habe Isaak, der Patriarch, einen Herzinfarkt erlitten. Von Anni erfährt Annamaria Mälla, dass Wilma eine Verwandte der Kräkolas war und sie des Öfteren besuchte. Doch die Kräkolas sind auf „Bullenbräute“ wie Annamaria überhaupt nicht gut zu sprechen. Sie zerstechen ihre Reifen und klauen ihr Handy. Rebecka verbietet ihr, Rache zu üben, sondern schaltet die Medien ein. Ein Mann meldet sich, der eine Tür auf dem Eis des Sees gesehen hat. Kein Wunder: Sie wurde ihm geklaut.

Silfors gibt ihnen den Hinweis auf Jörleifur Arnasson, einen Einsiedler, der am See lebt. Vielleicht habe der was gesehen oder gefunden? Arnasson stellt sich als freundlicher Ökobauer heraus, der einen süßen Hund hat. Doch ob er mit der Polizei reden will, weiß er noch nicht. Als sie am nächsten Tag wiederkommen, liegt Arnasson tot auf dem Boden seiner Hütte. Alles wurde so arrangiert, dass es wie ein Unfall aussieht. Doch Rebecka und Annamaria fallen mehrere Ungereimtheiten auf.

Jemand will nicht, dass sie die Wahrheit über und den wahren Grund für Wilmas und Simons Tod herausfinden. Und derjenige geht dabei über Leichen, um sein schreckliches Geheimnis zu hüten …

_Mein Eindruck_

In einer kunstvollen verschlungenen Abfolge von realer Gegenwart, Geisterpräsenz und zahlreichen Rückblenden bis ins Jahr 1943 entfaltet die Autorin vor dem geistigen Auge des Lesers (und Hörers) ein Panorama von Beziehungen sowie ein Drama der verhängnisvollen Verstrickungen. Die beiden ahnungslosen Taucher rühren an ein Geheimnis, das niemals das Licht des Tages erblicken darf.

Denn es bedeutet die bleibende Schande über eine ganz bestimmte Familie, eine ganz bestimmte Frau. Die Schande besteht vor allem in der Kollaboration mit der deutschen Wehrmacht und Angehörigen der SS während der letzten Jahre des II. Weltkriegs. Damals kollaborierten Schweden aus Kiruna mit den Deutschen aus Profitgier gegen die norwegische Widerstandsbewegung.

Nicht nur wiegt die Schuld am Tod der Widerständler und Flüchtlinge schwer auf dem Gewissen der Frau. Die Furcht vor den Folgen der Entdeckung ihres Geheimnisses wiegt noch viel schwerer und veranlasst sie zu Kurzschlussreaktionen. In der Folge müssen ihre beiden Söhne, die selbst in Schuld verstrickt sind, dafür büßen, indem sie immer wieder dafür sorgen, dass das Geheimnis unentdeckt bleibt.

Als Rebecka Martinsson und Annamaria Mälla in der Vergangenheit des Dorfes am See stochern, stechen sie in ein Wespennest. Schließlich geraten sie aus der Schusslinie mitten ins Visier der Mörder. Es kommt zu einem packenden und zugleich tragischen Finale an den Ufern des verhängnisvollen Sees. Mehr darf nicht verraten werden.

Zugleich ist dies wieder mal eine Geistergeschichte, wie schon „Der schwarze Steg“. Der Geist der toten Wilma Persson erzählt uns von ihrem traurigen Geschick. Doch zugleich greift der Geist der Ungerächten ins Geschehen ein, indem er sich den Schlüsselfiguren zeigt und an ihr Gewissen appelliert. Wilma verkörpert nicht nur das schlechte Gewissen, sondern auch den Schrei nach Gerechtigkeit, auf dass ihr schändlicher Tod (und der ihres Freundes Simon) endlich gesühnt werde.

Der Autorin gelingt durch die Schichtung der Zeitebenen und des Berichterstatter-Ensembles – sie braucht nicht weniger als drei – ein Gewebe aus Beziehungen, das sich aus vereinzelten Anfängen entwickelt und bis zu einer Krise verdichtet: Etwas muss nachgeben. Doch welche Figur das sein wird, ist noch völlig offen. Besonders gefiel mir die Darstellung des Hjalmar Kräkola, eines unterdrückten Mathematikgenies aus der Provinz. Auf schicksalhafte Weise an seinen kriminellen Bruder Tuure gekettet, strebt er nach Ausbruch, doch stets gibt er den Befehlen seiner Mutter und seines Bruders nach. Gibt es für ihn eine Hoffnung auf Freiheit?

|Die Sprecher|

Nina Petri, die für die Gegenwart und die realistische Schilderung zuständig ist, beschreitet einen Mittelweg aus kontrolliertem Sprechen und emotionaler Aufladung dieses Sprechens in bestimmten Situationen, so etwa besonders in heiteren Szenen. Die Charakterisierung durch besondere stimmliche Charakteristik ist Petris Stärke hingegen nicht. Nicht jeder kann ein Rufus Beck sein.

Ulrike Grotes Stärke ist die Umsetzung von Emotionen in Sprechweisen. Ihr fällt es leicht, eine Figur durch die Art, wie sie sich ausdrückt und in bestimmen Situationen verhält, zu charakterisieren. Sie ist zuständig für die Szenen, in denen die Person und der Geist von Wilma Persson auftritt.

Stephan Schad ist für die Rückblenden auf Hjalmar und Tuure Kräkola zuständig. Dabei erzählt er vor allem jene folgenreiche Episode im Jahr 1956, als Hjalmar seinen jüngeren Bruder Tuure „verlor“, wie man ihm danach vorwarf, obwohl doch in Wahrheit Tuure sich von ihm getrennt hatte. Alle weiteren Szenen zwischen den zwei Brüdern werden von Schad vorgetragen, durchaus angemessen und mit einem rechten Maß an Realismus, Innenschau und Emotion. Schad ist ein guter Erzähler mit einem Timbre in der Stimme, das mich gefesselt hat.

_Unterm Strich_

Die Wahrheit aufzudecken ist gefährlich. Das müssen die Staatsanwältin und ihre Polizisten immer wieder erfahren, als sie den mysteriösen Fall der toten Eistaucherin lösen wollen. Denn dies geht nur durch das tiefe Graben in der fernen Vergangenheit vor 60 Jahren, als hier in der Ödnis der Bergbaulandschaft um Kiruna deutsche Soldaten und SS-Offiziere Jagd auf norwegische Widerständler und dänische Flüchtlinge machten – unterstützt von schwedischen Kollaborateuren.

Ist dies ein Geheimnis, für das noch heute gemordet werden muss? Rebecka Martinsson will es herausfinden. Doch wer nun einen Thriller nach dem Vorbild von Dan Browns „Meteor“ oder Indridasons „Gletschergrab“ erwartet, ist auf dem Holzweg. Die Autorin Larsson verfügt über ganz andere Stärken und hat ein ganz anderes Interesse als die genannten Herren. Dennoch ist das Finale ebenso spannend und dramatisch.

|Das Hörbuch|

Die Sprecherin Ulrike Grote verleiht den Szenen ihre emotionale Tiefe und erweckt die Figuren zum Leben, indem sie möglichst emotional vorliest. Zum Glück nicht so, dass sie übertrieben wirkt, sondern so, dass sie hinter den Figuren zurücktritt. Nina Petri ist für die realistischen Szenen aus der Gegenwart zuständig, und Stefan Schad nimmt sich des Blickwinkels von Hjalmar Kräkola an.

Diese Aufteilung mag zwar ein wenig teurer als der standardmäßige Einfrau- oder Einmannerzähler gewesen sein, wertet das Hörbuch aber fast schon zu einem Hörspiel auf, denn es gilt ja, verschiedene Rollen zu interpretieren. Ich fand diesen Wechsel fesselnd, denn er hielt ständig meine Aufmerksamkeit wach und hielt mich dazu an, die anderen Blickwinkel zu beurteilen. Eine Geschichte, die sich über 60 Jahre erstreckt, erfährt viele Interpretationen, und das meiste wird verschwiegen. Das Erzählen bedeutet also auch Entdecken. Und das fand ich spannend.

|Originaltitel: Till dess din vrede upphör
Originalverlag: Albert Bonniers Forlag, Stockholm 2008
Aus dem Schwedischen übersetzt von Gabriele Haefs
301 Minuten auf 4 CDs
ISBN-13: 978-3-89903-641-1|
http://www.hoerbuch-hamburg.de
http://www.asa-larsson.de