Stephen Lawhead – Scarlet – Herr der Wälder (Rabenkönig 2)

Die Rabenkönig-Trilogie:

Hood – König der Raben
Scarlet – Herr der Wälder
Tuck (Januar 2009, US-Ausgabe)

Stephen Lawhead (* 1950) setzt seine historisch fundiert recherchierte Fassung der Legenden um Robin Hood auf interessante Weise mit einem erzählerischen Kniff fort:

Der titelgebende Will Scarlet, Vertrauter des Rabenkönigs Rhi Bran y Hud, sitzt im Gefängnis und wartet auf seine Hinrichtung. Nur der Verrat am Rabenkönig und seinen Gefährten könnte ihn vor Abt Hugos Zorn retten. Scarlet diktiert Bruder Odo seine Geschichte, und beide werden allmählich Freunde, denn Scarlet denkt gar nicht daran, Hugo oder den Sheriff mit Informationen zu versorgen. Er schildert Odo, wie sein Thane Aelred entmachtet und er zum Geächteten wurde, wie er sich dem Rabenkönig anschloss und schließlich gefangen gesetzt wurde.

Erst nach dieser Rückschau setzt die weiterführende Handlung des zweiten Bandes ein:

Rhi Brans Männer haben einen an den Papst adressierten Brief erbeutet, dessen Inhalt sie vorerst nicht richtig deuten können. Dieser ist jedoch brisant und grenzt an Hochverrat: Einige der Barone von König Wilhelm Rufus kochen lieber ihr eigenes Süppchen als treu zu ihrem Lehnsherrn zu stehen. Auch die Familie de Braose ist in das Komplott verwickelt, und Bran sieht die lang erwartete Gelegenheit gekommen, sein Erbland Elfael zurückzugewinnen und die Gnade und Gerechtigkeit des Königs zu erlangen.


Meine Eindrücke

Da dies der zweite Band einer Trilogie ist, kann man erahnen, dass Rhi Bran/Robin und der König differierende Auffassungen von ‚Gerechtigkeit‘ haben. Historisch wurde Wilhelm Rufus von dem verirrten Pfeil eines Untergebenen niedergestreckt; nach dem Ende des zweiten Bandes bin ich mir sehr sicher, dass es sich in dieser Trilogie nicht um ein Versehen handeln wird. Aber in „Scarlet“ wird der König überleben; die Eskalation des Kampfes zwischen dem König, dem Sheriff und Robin Hood wird erst im abschließenden Band „Tuck“ stattfinden.

Der erste Teil des Buches behandelt das Leben William Scatlockes, der sich selbst Scarlet nennt – aufgrund seines Namens, nicht wegen einer besonderen Vorliebe für die Farbe. Er wird nie in scharlachroter Montur auftreten, wie dies in diversen Filmfassungen der Fall ist. Diese Romanpassage langweilte mich ein wenig, denn so nett und interessant Scarlets Geschichte auch sein mag, die Erzählung vom brutal durch die Normannen enteigneten Waliser, der daraufhin zum Geächteten wird und in die Wälder flüchtet, wurde im ersten Band bereits erzählt. Robin und Scarlet sind beide erstklassige Bogenschützen, auch sonst sind sie sich sehr ähnlich, sowohl in ihrer Geschichte als auch in ihrem Charakter.

Erst als die Sprache auf den Brief kommt, läuft „Scarlet“ zur Höchstform auf. Mit Sir Guy de Gysburne und Richard de Granville, dem Sheriff, treten notorisch berühmt-berüchtigte Figuren der Legenden um Robin Hood auf. Auffallend ist, dass Granville zwar Sheriff, aber nicht der Sheriff von Nottingham ist. Hier möchte ich daran erinnern, dass Lawhead die Handlung in das walisische Grenzgebiet verlegt hat. Im Gegensatz zu anderen Fassungen sind der Sheriff und Sir Guy auch nicht ein Herz und eine Seele oder Herr und Untergebener. Sir Guy und seine Ritter dienen dem ehrgeizigen Abt Hugo, nachdem sie von Robin überfallen und ausgeraubt wurden, ihren Baron enttäuschten und Guys Karriere in dessen Diensten beendet war. Er ist dem Sheriff nicht direkt unterstellt, obwohl dieser sehr oft nach Gysburne ruft.

Ziemlich zurückgenommen hat Lawhead den Groll, den Gysburne gegen Robin hegt. Er dient jetzt dazu, zwei verschiedene Arten von Grausamkeit und Unrecht zu zeigen, unter denen die Waliser zu leiden haben: So töten die jungen Ritter Guys nach einer frustrierend erfolglosen Jagd ein paar Tiere aus der Herde eines walisischen Hirten. Er lässt sie gewähren und schlägt den ihn um Gerechtigkeit anflehenden Hirten nieder. Er hat keine besondere Beziehung zu den Bewohnern oder dem Land, in dem er jetzt dient und lebt. Sie sind ihm völlig egal. Die Grausamkeit des Sheriffs ist anderer Natur: Er kennt die Regeln der Macht und setzt das Gesetz mit erbarmungsloser Härte durch. Bewusste Abschreckung durch Terror und ein Hang zum Sadismus zeichnen ihn aus, der dem gedankenlos brutalen Guy fehlt. Sir Guy kennt Ritterehre; er nimmt es den Sheriff übel, wenn er Wort bricht und Gefangene trotzdem hängen will, obwohl er ihnen zuvor Versprechungen gemacht hat.

Der weitere Verlauf ist geradezu klassisch: Der Sheriff jagt Robin, doch er erwischt ihn nicht. Robin versucht einmal sogar, den betrunkenen Sheriff zu entführen, und schleppt ihn wie einen nassen Sack über der Schulter mit sich. Verkleidet unter den Männern des Sheriffs, schlägt er ihnen so manches Schnippchen, und es kommt sogar zu einem Bogenschießen mit Sir Guy, obwohl es kein direkter Wettbewerb zwischen den beiden sein wird. Besonders interessant wird die Geschichte, als Robin sich in die Dienste des Königs stellt: Sein Erbland Elfael gegen die Aufdeckung einer Verschwörung gegen Wilhelm Rufus. Dieser ist leider, wie bereits erwähnt, kein edler Richard Löwenherz. So entledigt sich Robin zwar der Familie de Braose, sein Land erhält er dennoch nicht zurück:

|“Nach einer angemessenen Zeit des Nachdenkens ist der König zu dem Schluss gekommen, dass es nicht im besten Interesse der Krone ist, Elfael zu diesem Zeitpunkt wieder unter walisische Herrschaft zu stellen.“ „Und was wird aus uns?“, schrie Bran, der nun sichtlich wütend wurde. „Das ist unser Land – unsere Heimat! Man hat uns Gerechtigkeit versprochen!“

„Gerechtigkeit“, erwiderte der in Seide gewandete Bischof kühl, „habt ihr auch bekommen. Euer König hat ein Urteil gefällt. Sein Wort ist Gesetz.“
(…)

Gysburne war der Einzige, der diese Katastrophe amüsant fand – er und ein paar der nicht ganz so klugen Soldaten bei ihm.| (S. 444/446)

Ich hoffe etwas klüger zu sein als die Soldaten Gysburnes, aber als Leser finde auch ich die Situation köstlich. Erst jetzt wird Robin Hood vom lästigen Räuber zum ernsthaften Problem, eine Eskalation und das Aufeinanderprallen von Sheriff, Gysburne und Robin unvermeidlich. Und auch mit dem König und Abt Hugo wird noch abgerechnet. Viel Stoff also für den abschließenden Band, der wieder von einer anderen Person – dem aufgrund der Ernährung im Wald nicht mehr ganz so dicken Mönch Tuck – erzählt werden wird.

Fazit

Erwähnenswert ist auch das neue Erscheinungsbild der Trilogie: „Scarlet“ verwendet dasselbe moderne und hübsch anzusehende Titelbild wie die amerikanische Fassung. Auch wenn mir dieser Stil persönlich besser gefällt als der des ersten deutschen Bandes „Der König der Raben“, ist es dennoch ärgerlich, dass das Erscheinungsbild der Trilogie verändert wurde. „Der König der Raben“ ist jetzt im neuen Einband unter dem leicht veränderten Titel „Hood – König der Raben“ erhältlich.

Bei der wie üblich lobenswerten Übersetzung von Rainer Schumacher fielen mir einige Schludrigkeiten bei der Namensgebung auf: Baron Neumarché heißt jetzt Baron Neufmarché (im ersten Band Neumarché), das englische William und das deutsche Wilhelm werden wahllos miteinander gemischt und vermischt für ein- und dieselbe Person, und aus Guy von Gysburne wird manchmal auch Guy de Gysburne. Die verschiedenen Stadien der Verballhornung von Rhi Bran y Hud über Rhi Bran Hud zu Riban Hud und schließlich Robin Hood sensibilisieren für die Namensgebung, und es mag gut möglich sein, dass im Original Gysburne von normannischen Adeligen als „de Gysburne“ und von den Walisern als „von Gysburne“ bezeichnet wird, allerdings konnte ich diese mögliche Unterscheidung im Text der deutschen Übersetzung nicht nachvollziehen und die Verwendung erschien mir wie bei William/Wilhelm sehr willkürlich.

Auch wenn mir der Charakter Will Scarlet wie ein schwächeres Abziehbild Robin Hoods erscheint, kompensieren die späteren Auftritte des Sheriffs und die Handlung um den politisch brisanten Brief für diese gewisse Redundanz zum ersten Band. Es wird nicht mehr so viel Hintergrund über die Lage im Land dargelegt, nur wenige, spärlich kurze Passagen werden noch aus der Sicht der normannischen Adeligen erzählt. Das habe ich ein wenig vermisst, dafür gibt es jetzt mehr äußere Handlung – es wird erfrischend viel gekämpft, intrigiert und getrickst.

Zu meiner großen Freude scheint der Abschlussband aufgrund des Cliffhangers, in dem Abt Hugo Sir Guy de Gysburne gezielt auf die Jagd nach Robin schickt, noch mehr davon zu bieten. Stephen Lawhead, obwohl – wie seit Anfang 2007 bekannt ist – an Krebs erkrankt, geht es nach eigenen Angaben wieder besser, und die Ankündigung im Nachwort der deutschen Übersetzung (der abschließende Band könne aufgrund gesundheitlicher Probleme eine Weile auf sich warten lassen) ist somit überholt. „Tuck“ erscheint im US-Original am 10. Februar 2009; über den Erscheinungstermin der Übersetzung ist noch nichts bekannt.

Gebunden: 461 Seiten
Originaltitel: Scarlet
Ins Deutsche übertragen von Rainer Schumacher
ISBN-13: 978-3-7857-2341-8

http://www.stephenlawhead.com
http://www.luebbe.de

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