Ein bisschen skandinavische Krimi-Stimmung für den Herbst gefällig? Leena Lehtolainen liefert mit dem sechsten Fall ihrer Kommissarin Maria Kallio solide Sofakost aus dem hohen Norden ab.
Petri Ilveskivi, Innenarchtitekt und Mitglied von Espoos Stadtrat, macht aus seiner Homosexualität keinen Hehl. Als er eines Tages auf dem Weg zu einer wichtigen Stadtratssitzung überfallen und getötet wird, vermutet man deshalb zuerst, dass er erneut Opfer von Skinheads wurde, wie das schon einmal der Fall war. Doch Kommissarin Maria Kallio gibt sich mit so einer einfachen Erklärung nicht zufrieden. Sie ermittelt nach allen Seiten und findet letztendlich heraus, dass Marko, ein Kleinkrimineller, dahinter steckt. Doch welchen Grund hatte er, Petri umzubringen? Maria vermutet einen Auftraggeber, doch bevor sie Marko befragen kann, wird dieser ebenfalls umgebracht und plötzlich schiebt man Maria aus den oberen Etagen einen Riegel vor und ein Bombenanschlag wird auf sie verübt. Das alles hält sie natürlich nicht vom Ermitteln ab. Es scheint, als ob ihre hartnäckigen Ermittlungen mehr Staub aufgewirbelt hätten, als sie dachte …
Lehtolainens Bücher sind schon deshalb ein wenig ungewöhnlich, weil sie aus der Ich-Perspektive schreibt, was in der skandinavischen Kriminalliteratur nicht so häufig vorkommt. Da die Autorin aber leider dazu neigt, zu viele unwichtige Details aus Marias Privatleben – wie die zutatentreue Aufzählung von Marias Kochkünsten oder die Beschreibung sämtlicher Wohnungseinrichtungen – in die Geschichte zu bringen, kann dieser ungewöhnliche Stil nicht begeistern. Das dehnt nicht nur unheimlich die Geschichte, sondern gibt dem Ganzen auch einen gewissen Frauenlektüretouch. Gott sei Dank verzichtet Lehtolainen aber auf den diesem Genre eigentümlichen Pseudohumor, was dem Krimi einen angenehm seriösen Anstrich gibt.
Die Handlung hat durchaus ihre spannenden Momente, überzeugt aber hauptsächlich durch gute Beobachtungen und sauber ausgearbeitete Charaktere. Hier bleibt vor allem Suvi, die Frau des Kleinkriminellen Marko, in Erinnerung. Die finnische Autorin schafft es, die arbeitslose Frau, die mit ihren drei Kindern zu Hause darauf wartet, dass Marko von seinem Coup wiederkommt, sehr realistisch an den Mann zu bringen, und obwohl Suvi den einen oder anderen proletenhaften Charakterzug hat, wirkt sie dank Lehtolainens Fingerspitzengefühl nicht wie die 08/15-Asoziale, sondern wie ein Mensch.
Doch was die Charaktere haben, fehlt in der Geschichte selbst. Diese passt sich schnell an gängige Kriminalromane an, so dass es an vielen Ecken und Kanten an Spannung fehlt. Lehtolainen weiß zwar, diese nicht vorhandene Spannung so zu verpacken, dass sie nicht auffällt, aber wenn man nach Zuschlagen des Buches zurückschaut, ist wenig hängen geblieben. Keine Situation, bei der man vor Spannung das Atmen vergessen hat. Keine neue Entwicklung im Fall, die das Gehirn derart angeregt hat, dass man bis zum Ende des Buches mitgefiebert hat und unbedingt wissen wollte, wer nun der Täter ist.
Ich kann mich daran erinnern, wie mich „Zeit zu Sterben“, ebenfalls aus der Kallio-Reihe, vor ein paar Jahren Abend für Abend an mein Bett gefesselt hat. Dieser Roman war die beste Werbung für eine Krimiautorin überhaupt, doch es scheint, als habe Lehtolainen seitdem stark abgebaut. „Wie man sie zum Schweigen bringt“ ist, obwohl der Titel ähnlich reißerisch klingt, nichts weiter als durchschnittliche Krimikost mit gut ausgearbeiteten Charakteren. Die Handlung endet ziemlich schnell im Sumpf der Belanglosigkeit, der Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig und, mit Verlaub, in diesem Fall nicht wirklich für einen Krimi geeignet. Zu sehr erinnert er an einschlägige Frauenliteratur, vor allem dank der minutiösen Detailverliebtheit, die in großen Teilen mehr als unnötig ist.
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